IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Senatsvorsitzenden ***R1***, die Richterin ***R2*** sowie die fachkundigen Laienrichter ***R3*** und ***R4*** in der Beschwerdesache ***Bf.***, vertreten durch ***1*** und ***2***, über die Beschwerden vom 6. August 2023 gegen die Bescheide des Zollamtes Österreich vom 4. Juli 2023
Zl. ***3***,Zl. ***4***,Zl. ***5***,Zl. ***6***,Zl. ***7***,Zl. ***8***,
betreffend Nichtannahme eines Antrages gem. Art. 22 Abs. 2 Unterabsatz 2 UZK iVm Art. 12 Abs. 2 UZK-IA nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26. Mai 2025 in Anwesenheit der Schriftführerin ***NN*** zu Recht erkannt:
I. Die o.a. angefochtenen Bescheide vom 4. Juli 2023 werden aufgehoben.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Mit Eingaben vom 21.03.2023 erhob die nunmehrige Beschwerdeführerin (Bf.), die ***Bf***, jeweils den Rechtsbehelf der Beschwerde gegen die nachstehend angeführten Bescheide des Zollamts Österreich vom 24.02.2023,
Zl. ***9***Zl. ***10***Zl. ***11***Zl. ***12***Zl. ***13***Zl. ***14***.
Diese Beschwerden enthalten keine Begründung. Dies bestätigt auch die Bf., die in der Beschwerdeschrift jeweils ausdrücklich darauf hinweist, dass die Begründung einem weiteren Schriftsatz vorbehalten bleibt.
Das Zollamt forderte die Bf. daraufhin mit verfahrensleitenden Verfügungen vom 17.04.2023 auf, diesen Mangel innerhalb einer Frist von 30 Tagen zu beheben.
Am letzten Tag dieser Frist stellte die Bf. dazu mit Eingaben vom 22.05.2023 den Antrag auf Fristverlängerung.
Mit den o.a. nunmehr angefochtenen sechs Bescheiden vom 04.07.2023 erklärte das Zollamt daraufhin jeweils die Nichtannahme der o.a. Beschwerden vom 21.03.2023 gem. Art. 22 Abs. 2 Unterabsatz 2 UZK iVm Art. 12 Abs. 2 Unterabsatz 2 UZK-IA.
Gegen diese sechs Bescheide richten sich die verfahrensgegenständlichen sechs Beschwerden vom 06.08.2023.
Das Zollamt wies diese Beschwerden jeweils mit den nachstehend angeführten Beschwerdevorentscheidungen vom 09.01.2025 als unbegründet ab:
Bescheid Zl. ***3***, BVE Zl. ***15***
Bescheid Zl. ***4***, BVE Zl. ***16***
Bescheid Zl. ***5***, BVE Zl. ***17***
Bescheid Zl. ***6***, BVE Zl. ***18***
Bescheid Zl. ***7***, BVE Zl. ***19***
Bescheid Zl. ***8***, BVE Zl. ***20***
Die Bf. stellte daraufhin mit Schriftsatz vom 13.02.2025 gegen die vorbezeichneten Beschwerdevorentscheidungen den Vorlageantrag.
Am 26.05.2025 fand in Wien die mündliche Verhandlung statt.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Dass die o.a. Beschwerden vom 21.03.2024 keine Begründung enthalten steht außer Streit. Ebenfalls unstrittig ist, dass die Bf. innerhalb der vom Zollamt festgesetzten Frist keine Begründung nachgereicht hat.
2. Beweiswürdigung
Die Beweiswürdigung seitens des Bundesfinanzgerichtes erfolgte durch die Einsichtnahme in die vom Zollamt elektronisch vorgelegten Verwaltungsakte.
Darüber hinaus wurde auch auf die im Rahmen der mündlichen Verhandlung gewonnen Erkenntnisse Bedacht genommen.
Daraus ergibt sich der oben wiedergegebene Sachverhalt und der geschilderte Verfahrensgang.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)
Rechtslage
Gemäß § 85 Abs. 2 BAO berechtigen Mängel von Eingaben (Formgebrechen, inhaltliche Män-gel, Fehlen einer Unterschrift) die Abgabenbehörde nicht zur Zurückweisung. Inhaltliche Mängel liegen nur dann vor, wenn einer Eingabe gesetzlich geforderte inhaltliche Angaben fehlen. Sie hat dem Einschreiter die Behebung dieser Mängel mit dem Hinweis aufzutragen, dass die Eingabe nach fruchtlosem Ablauf einer gleichzeitig zu bestimmenden angemessenen Frist als zurückgenommen gilt, werden die Mängel rechtzeitig behoben, gilt die Eingabe als ursprünglich richtig eingebracht.
Nach den Bestimmungen des § 250 Abs. 1 BAO hat eine Beschwerdeentscheidung zu enthalten:
a) die Bezeichnung des Bescheides, gegen den sie sich richtet,
b) die Erklärung, in welchen Punkten der Bescheid angefochten wird,
c) die Erklärung, welche Änderungen beantragt werden und
d) eine Begründung.
Abs. 1 und Abs. 2 des Artikels 22 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (UZK) bestimmen:
(1) Beantragt eine Person eine Entscheidung im Zusammenhang mit der Anwendung der zollrechtlichen Vorschriften, so muss sie den zuständigen Zollbehörden alle verlangten Informationen übermitteln, die sie für diese Entscheidung benötigen.
In Übereinstimmung mit den in den zollrechtlichen Vorschriften festgelegten Bedingungen kann eine Entscheidung auch von mehreren Personen beantragt und in Bezug auf mehrere Personen erlassen werden.
Sofern nichts anderes bestimmt ist, ist die zuständige Zollbehörde die Zollbehörde an dem Ort, an dem die Hauptbuchhaltung für Zollzwecke des Antragstellers geführt wird oder zugänglich ist und an dem wenigstens ein Teil der von der Entscheidung zu erfassenden Vorgänge durchgeführt wird.
(2) Die Zollbehörden überprüfen unverzüglich und spätestens innerhalb von 30 Tagen ab dem Eingang des Antrags auf eine Entscheidung, ob die Bedingungen für die Annahme des Antrags erfüllt sind.
Stellen die Zollbehörden fest, dass der Antrag alle Informationen enthält, die sie für diese Entscheidung benötigen, so teilen sie dem Antragsteller innerhalb der in Unterabsatz 1 genannten Frist mit, dass sie den Antrag annehmen.
Artikel 12 der Durchführungsverordnung (EU) 2015/2447 der Kommission vom 24. November 2015 mit Einzelheiten zur Umsetzung von Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Union (UZK-IA) bestimmt:
(1) Nimmt die Zollbehörde einen Antrag nach Artikel 11 Absatz 1 der Delegierten Verordnung (EU) 2015/2446 an, so ist der Tag der Annahme dieses Antrags der Tag, an dem der Zollbehörde alle nach Artikel 22 Absatz 2 Unterabsatz 2 des Zollkodex benötigten Informationen vorliegen.
(2) Stellt die Zollbehörde fest, dass der Antrag nicht alle benötigten Informationen enthält, fordert sie den Antragsteller innerhalb einer vertretbaren Frist, die 30 Tage nicht übersteigt, auf, die betreffenden Informationen nachzureichen.
Legt der Antragssteller die von den Zollbehörden geforderten Informationen nicht innerhalb der von ihnen gesetzten Frist vor, wird der Antrag nicht angenommen und der Antragsteller hiervon unterrichtet.
(3) Wird dem Antragsteller nicht mitgeteilt, ob der Antrag angenommen wurde oder nicht, so gilt der Antrag als angenommen. Der Tag der Annahme ist der Tag der Einreichung des Antrags oder - falls der Antragsteller nach Aufforderung durch die Zollbehörde gemäß Absatz 2 zusätzliche Informationen vorgelegt hat - der Tag, an dem die letzten Informationen vorgelegt werden.
Erwägungen
Im vorliegenden Fall ist die Frage zu klären, ob im Falle von mangelhaften Bescheid-beschwerden gem. Art. 44 UZK die Bestimmungen des § 85 Abs. 2 BAO zur Anwendung gelangen, oder ob hier die Bestimmungen des Art. 22 UZK einschlägig sind.
Durch die in Art. 44 Abs. 4 UZK den Mitgliedstaaten eingeräumten Gestaltungsmöglichkeiten steht fest, dass Rechtsbehelfsverfahren grundsätzlich durch die Mitgliedstaaten zu regeln sind (Alexander in Witte UZK, 7. Auflage, Vor Art. 43, Rz. 7; von Marschall in Wolffgang/Jatzke, UZK, 2021, Art. 44 Rz. 98).
Diese Regelungsautonomie der Mitgliedstaaten bringt es mit sich, dass Einzelheiten des Verfahrens national unterschiedlich gestaltet sind. So kann etwa nach den Bestimmungen der Abgabenordnung (AO) in Deutschland ein Rechtsbehelf zunächst ohne Begründung eingebracht werden. Eine konkrete Frist für die Nachreichung der Begründung besteht nicht (§ 357 Abs. 3 AO). Das Zollamt kann gegebenenfalls eine konkrete Frist für die Nachreichung der Begründung setzen (§ 354b AO) und bei Nichteinhaltung dieser Frist nach Aktenlage entscheiden (Stiehle in Schwarz Wockenfoth UZK, 3. Auflage, Rz. 24 zu Art. 44).
In Österreich sind die Minimalanforderungen an eine Beschwerde hingegen in der BAO geregelt.
§ 250 Abs. 1 BAO bestimmt dazu, dass die Bescheidbeschwerde u.a. zwingend eine Begründung zu enthalten hat.
Bei Mängeln hat die Behörde gem. § 85 Abs. 2 BAO zwingend den Beschwerdeführer unter Setzung einer angemessenen Frist zur Mängelbeseitigung aufzufordern und darauf hinzu-weisen, dass die Beschwerde nach fruchtlosem Fristablauf als zurückgenommen gilt. Läuft die Frist furchtlos ab, gilt die Beschwerde als zurückgenommen (Alexander aaO, Rz. 48 zu Art. 44).
Dass die Vorschriften des Mängelbehebungsverfahrens gem. § 85 Abs. 2 BAO im Zollbereich ebenfalls zu beachten sind, ergibt sich u.a. auch aus der Rechtsprechung des VwGH. So hat das Höchstgericht etwa ausgesprochen, dass ein Verwaltungsgericht, welchem keine den Erfordernissen des § 250 BAO entsprechende Beschwerde vorliegt, zu einer Sachentscheidung nicht zuständig ist. Trifft es eine solche dennoch, ohne dass zuvor ein Mängelbehebungsauftrag erteilt und fristgerecht erfüllt wurde, so belastet es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes (vgl. etwa VwGH 26.05.2021, Ra 2018/16/0110).
Das Erfordernis eines entsprechenden Mängelbehebungsverfahrens ergibt sich im Übrigen auch aus den Anordnungen im Organisationshandbuch der Österreichischen Zollverwaltung, Stand 6.12.2022. Dort heißt es unter "Pkt. 104.2.9.5. Arbeitsbehelf zu Abschnitt 4.2.9.5. Rechtsbehelfsverfahren der ersten Stufe":
… erfolgt die Mängelbehebung nicht innerhalb der festgesetzten Frist: die Beschwerde gilt als zurückgenommen ( § 85 Abs. 2 BAO bzw. Art. 12 Abs. 2 UZK-IA) und ist mit Beschwerdevorentscheidung als gegenstandslos zu erklären ( § 256 Abs. 3 BAO)…
Wenn diese Dienstanweisung auch keine für das Bundesfinanzgericht bindende Rechtsnorm bildet, zeigt sie doch, dass auch das Bundesministerium für Finanzen zutreffendenfalls die Erlassung einer Gegenstandsloserklärung als erforderlich erachtet.
Die Vertreterin der Zollamts bestritt im Rahmen der mündlichen Verhandlung zwar nicht das Bestehen der eben genannten Weisung, erachtete aber dennoch das Unterbleiben einer Gegenstandsloserklärung als zulässig. Sie meinte, die Bestimmungen des Art. 22 UZK seien lex specialis zu § 85 BAO.
Dem ist zu entgegnen, dass es sich im Beschwerdefall nach der Überzeugung des Senats nicht um einen Anwendungsfall des Art. 22 UZK sondern um ein Rechtsbehelfsverfahren gem. Art. 44 UZK handelt. Denn im Falle mangelhafter Bescheidbeschwerden sind die Bestimmungen des Art. 22 UZK nicht einschlägig. Während Art. 22 UZK das Verwaltungs-handeln im Zusammenhang mit einer von den Zollbehörden noch zu erlassenden Entscheidung zum Gegenstand hat, greifen die Bestimmungen des Art. 44 UZK (die wie oben ausgeführt auf das nationale Recht verweisen) erst viel später, indem sie das Rechtsbehelfsverfahren gegen eine bereit erlassene Entscheidung regeln.
Das Zollamt hat daher nach der Überzeugung des Bundesfinanzgerichts im Streitfall zu Unrecht die Bestimmungen des § 85 Abs. 2 BAO (Mängelbehebungsverfahren) und des § 256 Abs. 3 BAO (Gegenstandsloserklärung) nicht zur Anwendung gebracht, sodass die angefochtenen Bescheide schon aus diesem Grund aufzuheben waren.
Die Bf. ist durch das Vorgehen des Zollamtes u.a. insofern in ihren Rechten verletzt, als die erwähnte Frist von 30 Tagen im Gegensatz zur Frist gem. § 85 Abs. 2 BAO nicht verlängerbar ist. Außerdem verzögert sich dadurch der Gang zum Verwaltungsgericht. Denn gegen eine Gegenstandsloserklärung kann direkt ein Vorlageantrag eingebracht werden; gegen einen Nichtannahmebescheid ist hingegen zunächst eine Bescheidbeschwerde zu erheben und erst nach Ergehen der Beschwerdevorentscheidung ein Vorlageantrag vorgesehen.
Für das getroffene Ergebnis spricht auch die Systematik der Gliederung des UZK: während die zollrechtlichen Entscheidungen im Abschnitt 3 des Titel I, Kapitel 2 des UZK geregelt sind, ist das Rechtsbehelfsverfahren im Abschnitt 6 angesiedelt.
Es war daher wie im Spruch zu entscheiden.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die vorliegende Entscheidung kann sich auf die zitierte höchstgerichtliche Rechtsprechung und auf die eindeutige Gesetzeslage stützen. Es musste daher der Revisionsausschluss zum Tragen kommen.
Wien, am 26. Mai 2025