JudikaturBFG

RV/3100078/2025 – BFG Entscheidung

Entscheidung
Steuerrecht
17. April 2025

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht erkennt durch den Richter Mag. David Hell LL.B. LL.M. in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Hemmelrath PartG mbB Rechtsanwälte Wirtschaftsprüfer Steuerberater, Thomas-Wimmer-Ring 17, 80539 München, Deutschland, über die Beschwerde vom 9. Dezember 2021 gegen die Bescheide des Finanzamtes Österreich vom 8. November 2021 betreffend Kraftfahrzeugsteuer 1-12/2020 und 1-6/2021 sowie Normverbrauchsabgabe 1/2020, alle zur Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht:

I. Der Beschwerde wird Folge gegeben und die angefochtenen Bescheide werden aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

1. Verfahrensgang und Parteienvorbringen

Der Beschwerdeführer (Bf.) wurde am 9.4.2021 aus Deutschland kommend am Grenzübergang Kufstein/Kiefersfelden von Beamten der Polizeiinspektion Kufstein aufgrund der COVID-19-Einreiseverordnung kontrolliert. Die Finanzpolizei wurde mit Verständigung vom 19.4.2021 informiert, dass der Verdacht einer widerrechtlichen Verwendung eines Kraftfahrzeuges mit ausländischem Kennzeichen gemäß § 82 Abs. 8 KFG 1967 bestehe.

Daraufhin wurde der Bf. zur Abklärung dieses Verdachtes am 9.8.2021 von der Abgabenbehörde niederschriftlich einvernommen. In der Folge erließ die Abgabenbehörde am 8.11.2021 die nunmehr angefochtenen Bescheide, mit welchen für den BMW X3 xDrive 30i Sports mit der Fahrzeugidentifikationsnummer ***FIN*** und dem amtlichen deutschen Kennzeichen ***Kennzeichen*** die Normverbrauchsabgabe für Jänner 2020 in Höhe von 4.282,60 € sowie die Kraftfahrzeugsteuer für Jänner bis Dezember 2020 in Höhe von 1.290,10 € und für Jänner bis Juni 2021 in Höhe von 703,69 € festgesetzt wurden. Die Bescheide über die Festsetzung der Kraftfahrzeugsteuer enthalten keinerlei Begründung außer der Angabe, dass die Festsetzungen erforderlich gewesen seien, weil die Selbstberechnung der Kraftfahrzeugsteuer unterblieben sei. Im Bescheid über die Festsetzung der Normverbrauchsabgabe führt die belangte Behörde begründend aus, das gegenständliche Kraftfahrzeug sei wegen des inländischen Hauptwohnsitzes des Bf. aufgrund der Standortvermutung widerrechtlich im Inland verwendet worden, weshalb die Normverbrauchsabgabe - entgegen dem Spruch des Bescheides und dem Akteninhalt - für den Monat "11.2018" festzusetzen gewesen sei. Die Bescheide enthalten keinerlei Feststellungen zum Verwender des Fahrzeugs, zum Zeitraum der widerrechtlichen Verwendung oder zum Zeitpunkt der erstmaligen Einbringung in das Bundesgebiet. Neben den angefochtenen Bescheiden erließ die belangte Behörde auch einen Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer für den Erwerb neuer Fahrzeuge (Fahrzeugeinzelbesteuerung) in Höhe von 11.581,51 €.

Gegen all diese Bescheide richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des Bf. vom 9.12.2021, in welcher er zusammengefasst vorbringt, das Fahrzeug befinde sich überwiegend in Deutschland und löse in Österreich keine Abgabenpflicht aus; zur Frage, ob das Fahrzeug seinen dauernden Standort im Inland hat, sei zudem noch ein Verfahren bei der zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde anhängig.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom 15.11.2024 gab die belangte Behörde der Beschwerde hinsichtlich der Umsatzsteuer (Fahrzeugeinzelbesteuerung) statt und wies sie hinsichtlich der Normverbrauchsabgabe sowie Kraftfahrzeugsteuer als unbegründet ab. Dazu führte die belangte Behörde begründend zusammengefasst aus, der Bf. habe in Österreich seinen Hauptwohnsitz, sei Verwender des gegenständlichen Fahrzeugs und habe die Standortvermutung mangels geeigneter Beweismittel nicht widerlegt. Die Verwaltungsstrafe sei zwar inzwischen aufgehoben worden, aber lediglich aufgrund der örtlichen Unzuständigkeit der Bezirksverwaltungsbehörde, weshalb diesbezüglich keine Bindung der Abgabenbehörde bestehe. Zum Zeitpunkt der erstmaligen Einbringung in das Bundesgebiet traf die Behörde weiterhin keine Feststellungen; sie dürfte davon ausgegangen sein, dass es unmittelbar nach Abschluss des Leasingvertrages am 21.1.2020 (nicht wie in der Beschwerdevorentscheidung angeführt am 21.1.2021) erstmals nach Österreich verbracht wurde.

Gegen den abweisenden Teil der Beschwerdevorentscheidung brachte der Bf. am 20.12.2024 rechtzeitig einen Vorlageantrag ein, in welchem er begründend zusammengefasst darauf verwies, dass zwischenzeitlich ein Straferkenntnis der zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde ergangen sei; dieses sei jedoch vom Landesverwaltungsgericht Tirol aufgehoben worden, weil der Gegenbeweis zur Standortvermutung nach Ansicht dieses Gerichtes erbracht wurde. Mit dem Vorlageantrag wurde auch ein elektronisch geführtes Fahrtenbuch vorgelegt.

Am 13.2.2025 legte die belangte Behörde die Beschwerde samt Akt und Vorlagebericht dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor. Im Vorlagebericht führte die Behörde zusammengefasst aus, die Behörde sei gemäß § 116 Abs. 1 BAO nicht an Erkenntnisse anderer Behörden und Gerichte gebunden; ferner sei das vorgelegte Fahrtenbuch aus näher bezeichneten Gründen formell und inhaltlich mangelhaft.

Das Bundesfinanzgericht ließ sich die Akten des Landesverwaltungsgerichts Tirol übersenden und teilte daraufhin sowohl der Behörde als auch dem Bf. mit, dass es sich an dessen Entscheidung gebunden fühle und der Beschwerde daher stattzugeben sei. Daraufhin nahm der Bf. mit Eingabe vom 10.4.2025 seinen zuvor gestellten Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurück, woraufhin die für 16.4.2025 anberaumte Verhandlung abberaumt wurde. Die belangte Behörde wurde umgehend über die Rechtsansicht des Bundesfinanzgerichtes sowie die relevanten Teile aus dem Akt des Landesverwaltungsgerichtes Tirol in Kenntnis gesetzt und verzichtete mit Schreiben vom 15.4.2025 auf weiteres Vorbringen.

2. Sachverhalt

Der Bf. ist seit 2002 hauptwohnsitzlich in ***Tirol*** gemeldet und hatte seinen Mittelpunkt der Lebensinteressen im streitgegenständlichen Zeitraum ebendort.

Mit Straferkenntnis vom 17.3.2022, Gz. ***Gz-BH***, verhängte die Bezirkshauptmannschaft ***Bezirk*** über den Bf. eine Geldstrafe in Höhe von 250,00 € (Ersatzfreiheitsstrafe 50 Stunden) wegen widerrechtlicher Verwendung des gegenständlichen Kraftfahrzeuges BMW X3 xDrive 30i Sports mit der Fahrzeugidentifikationsnummer ***FIN*** und dem amtlichen deutschen Kennzeichen ***Kennzeichen*** gemäß § 82 Abs. 8 KFG 1967. Die Strafe erging für den Tatzeitraum 13.3.2020 bis 9.4.2021 (Beginn der Zulassung auf den Bf. bis zum Tag des nachweislichen Aufgriffs an der Grenze).

Mit Erkenntnis vom 28.7.2022, Gz. ***Gz-LVwG***, gab das Landesverwaltungsgericht Tirol der gegen dieses Straferkenntnis erhobenen Beschwerde Folge und stellte das Verfahren gegen den Bf. gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG ein. In der gekürzten Erkenntnisausfertigung gab das Gericht hierfür folgende Gründe an:

"Der vorgeworfene Tatbestand konnte durch die vorgelegten elektronischen Fahrtenbuchauszüge widerlegt werden und konnte sohin der Beschwerdeführer den Gegenbeweis erbringen, dass er das Fahrzeug nicht in Österreich hauptsächlich verwendet und dort nicht der hauptsächliche Standort ist. Es wurde vielmehr nur sporadisch in Österreich verwendet, da er hauptsächlich in Deutschland aufhältig ist und dort arbeitet.

Ebenso kilometermäßig ist die Hauptstrecke, die mit diesem Fahrzeug verwendet wird, in Deutschland zu suchen."

Der im Tatzeitraum des Verwaltungsstrafverfahrens (13.3.2020 bis 9.4.2021) gemäß dem Landesverwaltungsgericht Tirol vorliegende Sachverhalt lag unverändert im gesamten streitgegenständlichen Besteuerungszeitraum (1.1.2020 bis 30.6.2021) vor.

3. Beweiswürdigung

Das Faktum der hauptwohnsitzlichen Meldung ergibt sich aus dem Zentralen Melderegister; der inländische Mittelpunkt der Lebensinteressen war im gesamten Verfahren unstrittig.

Die Feststellungen zum Straferkenntnis und dem Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes ergeben sich aus den entsprechenden Aktenteilen des Aktes ***Gz-LVwG*** des Landesverwaltungsgerichtes Tirol, in welche das erkennende Gericht von Amts wegen Einsicht genommen hat.

Weder aus den vorgelegten Fahrtenbuchauszügen noch aus anderen Unterlagen im Akt ergaben sich Anhaltspunkte dafür, dass der Sachverhalt in den Monaten vor bzw. nach dem Tatzeitraum des Verwaltungsstrafverfahrens (13.3.2020 bis 9.4.2021) anders gewesen sein könnte, weshalb festzustellen war, dass der von der Bezirksverwaltungsbehörde bzw. vom Landesverwaltungsgericht beurteilte Sachverhalt unverändert im gesamten streitgegenständlichen Besteuerungszeitraum (1.1.2020 bis 30.6.2021) vorlag.

4. Rechtliche Beurteilung

4.1. Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)

Gemäß § 1 Abs. 1 Z 3 KfzStG 1992 unterliegen Kraftfahrzeuge, die auf Straßen mit öffentlichem Verkehr im Inland ohne die kraftfahrrechtlich erforderliche Zulassung (also widerrechtlich) verwendet werden, der Kraftfahrzeugsteuer. Steuerschuldner ist in diesen Fällen gemäß § 3 Z 2 KfzStG 1992 die Person, die das Kraftfahrzeug auf Straßen mit öffentlichem Verkehr im Inland verwendet. Hinsichtlich der Normverbrauchsabgabe gilt gemäß § 1 Z 3 lit. b NoVAG 1991 und § 4 Z 3 NoVAG 1991 im Wesentlichen dasselbe.

Die Frage, ob eine widerrechtliche Verwendung eines Fahrzeugs mit ausländischem Kennzeichen im Sinne des § 82 Abs. 8 KFG 1967 vorliegt, ist grundsätzlich im Verwaltungs(straf)verfahren von der zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde bzw. im Instanzenzug vom zuständigen Landesverwaltungsgericht zu klären. Es handelt sich daher aus Sicht des Abgabenrechts um eine Vorfrage im Sinne des § 116 BAO (vgl. Haller, NoVAG2 § 1 Rz 79).

Wenn die Behörde argumentiert, sie sei gemäß § 116 Abs. 1 BAO nicht an Erkenntnisse anderer Behörden und Gericht gebunden, so ist dies eine unzutreffende Auslegung dieser Bestimmung: Es ist zwar richtig, dass der Wortlaut dieser Bestimmung grundsätzlich auch dahingehend verstanden werden kann, dass die Abgabenbehörde nicht an Entscheidungen der zuständigen Stellen gebunden wäre. Dies ist jedoch nicht die Intention des Gesetzes. Der Gesetzgeber setzte die Bindung der Abgabenbehörde an Vorfragenentscheidungen vielmehr als selbstverständlich voraus, weshalb diese in § 116 Abs. 1 BAO nicht ausdrücklich erwähnt wird (Staringer in Holoubek/Lang, Bindungswirkungen zwischen Verfahren, 303). Dass grundsätzlich eine Bindung besteht, ergibt sich auch aus § 116 Abs. 2 BAO (Ausnahme von der Bindungswirkung) und § 303 Abs. 1 lit. c BAO (Vorfragentatbestand bei der Wiederaufnahme des Verfahrens). Eine solche Bindung besteht unabhängig von der Rechtmäßigkeit der Entscheidung; sie besteht auch dann, wenn die betreffende Entscheidung mit den Rechtsvorschriften in einem eklatanten Widerspruch steht (VwGH 13.12.1967, 2177/65). § 116 BAO gilt zufolge § 269 Abs. 1 BAO auch für das Bundesfinanzgericht.

Ob im NoVA- bzw. KfzSt-Verfahren jedoch eine Bindung an eine Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens besteht, haben der Unabhängige Finanzsenat und das Bundesfinanzgericht in der Vergangenheit unterschiedlich beantwortet. Keine solche Bindung besteht etwa nach der Entscheidung UFS 15.10.2013, RV/0927-L/10. Demgegenüber ist nach den Erkenntnissen BFG 1.3.2018, RV/7100235/2013 und BFG 3.3.2021, RV/3100118/2018 danach zu differenzieren, ob die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens nach § 45 Abs. 1 Z 1 VStG (im Zweifel) erfolgte oder nach § 45 Abs. 1 Z 2 VStG (weil erwiesen ist, dass der Bf. die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen hat). Diese differenziertere Sichtweise entspricht auch der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 18.03.1992, 91/12/0018; 17.01.1995, 94/11/0412; 12.12.2002, 2001/07/0125).

Im vorliegenden Fall erfolgte die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens gegen den Bf. durch das Landesverwaltungsgericht Tirol ausdrücklich gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG, weil der Bf. nach Ansicht dieses Gerichtes den Gegenbeweis zur Standortvermutung erbracht hat und somit keine widerrechtliche Verwendung im Sinne des § 82 Abs. 8 KFG 1967 vorliegt. An diese Entscheidung ist das Bundesfinanzgericht nach den vorstehenden Ausführungen gebunden.

Die Bindungswirkung ist Ausdruck der Rechtskraft der Entscheidung; sie wirkt nur innerhalb der Grenzen der Rechtskraft und erstreckt sich nur auf den Inhalt des Spruches, nicht auch auf die Entscheidungsgründe (zB VwGH 19.10.1988, 86/01/0062; 28.2.2012, 2010/15/0169; 14.5.2024, Ra 2023/16/0116). Dies hat zur Folge, dass sich die Bindungswirkung nur auf den Tatzeitraum bezieht, der auch Gegenstand des Verfahrens vor dem Landesverwaltungsgericht war (vgl. Haller, NoVAG2 § 1 Rz 79a).

Nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichtes lag jedoch der im Tatzeitraum (13.3.2020 bis 9.4.2021) vorliegende Sachverhalt unverändert im gesamten streitgegenständlichen Besteuerungszeitraum (1.1.2020 bis 30.6.2021) vor. Nach Ansicht des erkennenden Gerichts wurde damit der Gegenbeweis zur Standortvermutung gemäß § 82 Abs. 8 KFG 1967 für den gesamten streitgegenständlichen Besteuerungszeitraum erbracht.

Insgesamt war daher spruchgemäß zu entscheiden.

4.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da das vorliegende Erkenntnis der angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes folgt, war die Revision mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht zuzulassen.

Innsbruck, am 17. April 2025