BundesrechtInternationale VerträgeRechtsschutz, Rechtshilfe in Steuersachen (Deutschland)

Rechtsschutz, Rechtshilfe in Steuersachen (Deutschland)

In Kraft seit 17. Mai 1923
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Artikel I.

Art. 1

Als Steuern im Sinne dieses Vertrages gelten die öffentlichen Abgaben, soweit sie auf seiten der Republik Österreich für den Bund, für diesen unter Beteiligung der Länder und Gemeinden, und für die Länder, auf seiten des Deutschen Reichs für das Reich und die Länder, und auf beiden Seiten in der Form von einheitlich mit diesen Abgaben zu erhebenden Zuschlägen oder Beiträgen für Rechnung anderer öffentlich-rechtlicher Körperschaften erhoben werden. Ausgeschlossen sind jedoch Zölle und Verbrauchsabgaben; die Umsatz- und Luxussteuer gilt für den Anwendungsbereich dieses Vertrages nicht als Verbrauchsabgabe.

I. Rechtsschutz in Steuersachen.

Artikel II.

Art. 2

(1) Die Angehörigen des einen Staates genießen im Gebiete des anderen Staates die gleiche steuerliche Behandlung, insbesondere den gleichen Schutz vor den Finanzbehörden, Gerichten, Finanz- und Verwaltungsgerichten wie die eigenen Angehörigen.

(2) Juristische Personen einschließlich der Gesellschaften sowie Personenvereinigungen, Anstalten, Stiftungen und sonstige Zweckvermögen, die keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzen, aber als solche der Besteuerung unterliegen, genießen, sofern sie in dem Gebiete des einen Staates ihren Sitz haben und nach dessen Gesetzen rechtlich bestehen, in dem Gebiete des anderen Staates die gleiche steuerliche Behandlung (Absatz 1) wie die entsprechenden eigenen Steuerpflichtigen dieses anderen Staates.

II. Rechtshilfe in Steuersachen.

Artikel III.

Art. 3

Beide Staaten verpflichten sich, in allen Steuersachen und Angelegenheiten der Kapital- und Steuerflucht sowohl bei der Ermittelung und Festsetzung von Steuern und Sicherheiten als auch im Rechtsmittelverfahren und in der Beitreibung sich gegenseitig Amts- und Rechtshilfe zu leisten.

Artikel IV.

Art. 4

(1) In Steuersachen erfolgen die Zustellung von Schriftstücken und die Erledigung von Amts- und Rechtshilfeersuchen, vorbehaltlich der besonderen Bestimmungen über die Beitreibung (Artikel XI bis XIII), in unmittelbarem Geschäftsverkehr der Behörden der beiden Staaten.

(2) Für unmittelbare Übermittelung von Zustellungs- und sonstigen Amts- und Rechtshilfeersuchen sowie für ihre Entgegennahme sind auf seiten der Republik Österreich die Finanzlandesdirektionen, auf seiten des Deutschen Reichs die Landesfinanzämter zuständig.

(3) Ist die ersuchte Behörde örtlich unzuständig, so hat sie das Ersuchen an die zuständige Behörde von Amts wegen abzugeben und die ersuchende Behörde, hiervon unverzüglich zu benachrichtigen.

Artikel V.

Art. 5

In dem Ersuchungsschreiben sind die ersuchende Behörde, der Name und Beruf (Stand) der Beteiligten sowie, im Falle der Zustellung, die Adresse des Empfängers und die Art des zuzustellenden Schriftstückes anzugeben.

Artikel VI.

Art. 6

(1) Für die Zustellung hat die zuständige Behörde des ersuchten Staates Sorge zu tragen. Diese Behörde kann sich, abgesehen von den im Absatz 2 vorgesehenen Fällen, darauf beschränken, die Zustellung durch Übergabe des Schriftstückes an den Empfänger zu bewirken, sofern er zur Annahme bereit ist.

(2) Auf Wunsch des ersuchenden Staates ist das zuzustellende Schriftstück in der durch die innere Gesetzgebung des ersuchten Staates für die Bewirkung gleichartiger Zustellungen vorgeschriebenen Form zuzustellen.

Artikel VII.

Art. 7

Die Zustellung wird entweder durch ein mit Datum versehenes und beglaubigtes Empfangsbekenntnis des Empfängers oder durch ein Zeugnis der Behörde des ersuchten Staates, aus dem sich die Tatsache, die Form und die Zeit der Zustellung ergeben, nachgewiesen.

Artikel VIII.

Art. 8

(1) Die Behörde, an die das Ersuchen gerichtet wird, ist verpflichtet, ihm zu entsprechen und dabei dieselben Zwangsmittel anzuwenden wie bei der Erledigung eines Ersuchens der Behörde des ersuchten Staates oder eines zum gleichen Zwecke gestellten Antrages eines Beteiligten. Auch die Formen der Erledigung richten sich nach den Gesetzen des ersuchten Staates; doch ist auf Antrag der ersuchenden Behörde nach einer besonderen Form zu verfahren, sofern diese der Gesetzgebung des ersuchten Staates nicht zuwiderläuft.

(2) Die Anwendung eines im Gebiete des ersuchten Staates zulässigen Zwangsmittels ist ausgeschlossen, soweit der ersuchende Staat im Falle eines entsprechenden Ersuchens nicht in der Lage wäre, ein gleichartiges Zwangsmittel anzuwenden.

(3) Die ersuchende Behörde ist auf ihr Verlangen von der Zeit und dem Orte der auf das Ersuchen vorzunehmenden Handlung zu benachrichtigen. Die Beteiligten sind berechtigt, sich bei der Handlung nach den allgemeinen, in dem ersuchten Staate maßgebenden Vorschriften vertreten zu lassen oder ihr beizuwohnen.

Artikel IX.

Art. 9

Für die Erledigung von Zustellungsanträgen und von Ersuchen dürfen keinerlei Gebühren oder Auslagen erhoben werden; ausgenommen sind, vorbehaltlich anderweitiger Übereinkunft, die an Auskunftspersonen oder Sachverständige gezahlten Entschädigungen sowie die Auslagen, die durch die Mitwirkung eines Vollziehungsorganes in den Fällen des Artikel VI, Absatz 2, oder durch die Anwendung einer besonderen Form gemäß Artikel VIII, Absatz 1, entstanden sind.

Artikel X.

Art. 10

Auf die Rechtshilfe im Beitreibungsverfahren finden die Bestimmungen dieses Vertrages Anwendung, soweit nicht in den Artikeln XI bis XIII etwas Abweichendes angeordnet ist.

Artikel XI.

Art. 11

(1) Unanfechtbare Verfügungen (Entscheidungen, Beschlüsse, Anordnungen) in Steuersachen sind auf Antrag kostenfrei anzuerkennen und zu vollstrecken; die Anerkennung muß ausdrücklich ausgesprochen werden. Zur Stellung und Entgegennahme des Antrages ist auf seiten der Republik Österreich der Bundesminister für Finanzen, auf seiten des Deutschen Reichs der Reichsminister der Finanzen zuständig.

(2) Die im Absatz 1 bezeichneten Verfügungen werden ohne Anhörung der Parteien im Verwaltungswege oder durch das Gericht gemäß der Gesetzgebung des Staates vollstreckt, in dem die Vollstreckung betrieben wird.

(3) Dem Ersuchen um Vollstreckung ist eine Erklärung der zuständigen Behörde des ersuchenden Staates beizufügen, daß die Verfügung unanfechtbar geworden ist; die Zuständigkeit dieser Behörde ist durch die in Absatz 1, Satz 2, bezeichnete Behörde des ersuchenden Staates zu bescheinigen.

Artikel XII.

Art. 12

Auf Grund von vollstreckbaren Verfügungen, die noch nicht unanfechtbar geworden sind, kann gegenüber Angehörigen des ersuchenden Staates einstweilige Sicherstellung im Wege der Beschlagnahme verlangt werden. Der Betroffene ist berechtigt, die Aufhebung der Beschlagnahme durch Leistung einer Sicherheit herbeizuführen, deren Art und Höhe in dem Ersuchen bestimmt sein müssen. Artikel XI findet entsprechende Anwendung.

Artikel XIII.

Art. 13

Dem Ersuchen um eine bestimmte Art der Vollstreckung oder Sicherstellung ist zu entsprechen, soweit diese Art der Vollstreckung oder Sicherstellung nach dem Rechte des ersuchenden und des ersuchten Staates zulässig ist. Im übrigen richten sich die Art und Durchführung der Vollstreckung oder Sicherstellung nach dem Rechte des ersuchten Staates.

Artikel XIV.

Art. 14

(1) Die Amts- und Rechtshilfe kann abgelehnt werden, wenn der Staat, der um die Hilfeleistung ersucht ist, sie für geeignet hält, seine Hoheitsrechte oder seine Sicherheit zu gefährden.

(2) Ersuchen, auf Grund deren im Gebiete des ersuchten Staates zulässige Auskünfte, Anzeigen oder Gutachten von Personen, die nicht als Steuerpflichtige beteiligt sind, eingezogen werden sollen, können abgelehnt werden, soweit der ersuchende Staat nach seiner eigenen Gesetzgebung nicht in der Lage ist, entsprechende Auskünfte, Anzeigen oder Gutachten zu verlangen. Das gleiche gilt für Ersuchen, die auf Mitteilung tatsächlicher Verhältnisse oder rechtlicher Beziehungen gerichtet sind, sofern die Kenntnis dieser Verhältnisse oder Beziehungen nur auf Grund von Auskunfts-, Anzeige- oder Gutachterpflichten gewonnen ist, die in dem Gebiete des ersuchenden Staates nicht bestehen, sowie für andere Ersuchen, soweit ihnen nur unter Verletzung eines Geschäfts-, Betriebs- oder Gewerbegeheimnisses genügt werden könnte.

Artikel XV.

Art. 15

(1) Wird dem Ersuchen ganz oder teilweise entsprochen, so ist die ersuchende Behörde von der ersuchten Behörde über die Art der Erledigung unverzüglich zu unterrichten.

(2) Soweit dem Ersuchen nicht entsprochen wird, hat die ersuchte Behörde die ersuchende Behörde hiervon unter Angabe der Gründe und der sonst bekanntgewordenen Umstände, die für die Weiterführung der Sache von Bedeutung sind, unverzüglich zu benachrichtigen.

Artikel XVI.

Art. 16

Auf die Anfragen, Auskünfte, Anzeigen und Gutachten sowie auf sonstige Mitteilungen, die im Wege der Rechtshilfe einem Staate zugehen, finden die gesetzlichen Vorschriften dieses Staates über die Amtsverschwiegenheit und Geheimhaltung Anwendung.

III. Beglaubigung von Urkunden.

Artikel XVII.

Art. 17

(1) Die von Gerichten, Finanz- oder Verwaltungsgerichten in Steuersachen aufgenommenen, ausgestellten oder beglaubigten Urkunden bedürfen, wenn sie mit dem Siegel oder Stempel des Gerichts versehen sind, zum Gebrauch im Gebiete des anderen Staates in Steuersachen keiner Beglaubigung (Legalisation).

(2) Zu den bezeichneten Urkunden gehören auch die von dem Gerichtsschreiber (der Gerichtskanzlei) unterschriebenen Urkunden, sofern diese Unterschrift nach den Gesetzen des Staates genügt, dem das Gericht angehört.

Artikel XVIII.

Art. 18

(1) Urkunden, die von der obersten oder einer höheren Finanzverwaltungsbehörde des einen der beiden Staaten aufgenommen, ausgestellt oder beglaubigt und mit dem Siegel oder Stempel der Behörde versehen sind, bedürfen zum Gebrauch im Gebiete des anderen Staates in Steuersachen keiner Beglaubigung (Legalisation).

(2) Die beiden Staaten werden die in Betracht kommenden Behörden in einem Verzeichnis bekanntgeben, das im beiderseitigen Einverständnis jederzeit auf dem Verwaltungswege geändert oder ergänzt werden kann.

IV. Schlußbestimmungen.

Artikel XIX.

Art. 19

Die beiden Staaten verpflichten sich, ein Abkommen über gegenseitige Rechtshilfe in Steuerstrafsachen zu schließen. Dabei ist in Aussicht genommen, die beiderseitige Auslieferungspflicht wegen vorsätzlicher Steuerhinterziehung und vorsätzlicher Zuwiderhandlungen gegen die Kapital- und Steuerfluchtgesetze, und zwar sowohl hinsichtlich der beanspruchten Personen als auch hinsichtlich der durch rechtskräftiges Strafurteil oder unanfechtbaren Bescheid einer Finanzbehörde eingezogenen oder für verfallen erklärten Vermögenswerte, zu regeln.

Artikel XX.

Art. 20

Die Finanzminister der beiden Staaten können weitere Vereinbarungen im Sinne dieses Vertrages treffen. Sie können insbesondere Bestimmungen über die Abführung von Vollstreckungserlösen und die Festsetzung eines Durchschnittskurses für die Umrechnung der Beträge vereinbaren, wegen deren eine Vollstreckung zu erfolgen hat.

Artikel XXI.

Art. 21

(1) Dieser Vertrag soll ratifiziert und die Ratifikationsurkunden sollen baldmöglichst in Wien ausgetauscht werden. Er tritt mit dem Tage des Austausches der Ratifikationsurkunden in Kraft und soll so lange in Geltung bleiben, als er nicht von einem der vertragschließenden Teile spätestens sechs Monate vor Ablauf eines Kalenderjahres gekündigt wird. Im Falle rechtzeitiger Kündigung verliert der Vertrag mit dem Ablauf dieses Kalenderjahres die Wirksamkeit.

(2) Der ratifizierte Vertrag wird in jedem der beiden Staaten in der amtlichen Gesetzsammlung veröffentlicht werden.

Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten beider Staaten diesen Vertrag unterfertigt und mit Siegeln versehen.

Berlin, den 23. Mai 1922.

Schlußprotokoll.

Anl. 1

Bei der Unterzeichnung des am heutigen Tage zwischen der Republik Österreich und dem Deutschen Reiche abgeschlossenen Vertrages über Rechtsschutz und Rechtshilfe in Steuersachen haben die unterzeichneten Bevollmächtigten folgende übereinstimmende Erklärung abgegeben, welche einen integrierenden Teil des Vertrages selbst bilden sollen:

1. Die vertragschließenden Teile verpflichten sich, sofern sich das Bedürfnis dazu herausstellt, besondere Vereinbarungen über die Pfändung solcher Forderungen zu treffen, bei denen sich der Schuldner im Gebiete des einen Staates und der Drittschuldner im Gebiete des anderen Staates befindet.

2. Die vertragschließenden Teile werden, um die Prüfung der materiellen Gegenseitigkeit für die Gewährung der Rechtshilfe zu erleichtern, Aufstellungen über die Befugnisse der Finanzbehörden austauschen, für die Übereinstimmung in den Rechtsgrundsätzen des österreichischen und des deutschen Rechts bei Rechtshilfeersuchen angenommen werden darf. Die Aufstellungen sollen insbesondere Aufschluß geben

a) über die Auskünfte, Anzeigen, Gutachten und Beweismittel, die von den Steuerpflichtigen oder von dritten Personen verlangt werden können,

b) über die Zwangsmittel, Sicherungs- und Vollstreckungsmaßnahmen, die gegenüber den Steuerpflichtigen oder dritten Personen zulässig sind.

Solange die Aufstellungen nicht ausgetauscht und von beiden Seiten anerkannt sind, ist dem einzelnen Rechtshilfeersuchen eine Bescheinigung der Finanzlandesdirektion (des Landesfinanzamtes) beizufügen, die amtlich feststellt, daß einem entsprechenden Ersuchen nach dem Rechte des ersuchenden Staates genügt werden wird.

3. Ein Übersendung von Akten kann grundsätzlich nicht gefordert werden. Ausnahmen bedürfen des Einvernehmens der Finanzminister der beiden Staaten; das Ersuchen um Übermittlung von Akten soll indessen nur gestellt werden, wenn dringende Interessen des ersuchenden Staates es erheischen. Unberührt bleibt die Befugnis jedes Staates, seinen Ersuchen eigene Akten beizugeben, die der Durchführung der Ersuchen dienen sollen.

4. Sind die Voraussetzungen der Niederschlagung wegen Uneinbringlichkeit der Steuer nach den Vorschriften des ersuchten Staates gegeben, so leitet die ersuchte Behörde das Ersuchen unter Beifügung einer Bescheinigung über das Vorliegen der Voraussetzungen und der hierfür vorhandenen Belege an die ersuchende Behörde zurück.

5. Der Rechtsschutz und die Rechtshilfe, welche in diesem Vertrage vereinbart sind, sollen auch für Steuerfälle und im Hinblick auf Tatsachen gewährt werden, die sich auf die Vergangenheit beziehen.

Berlin, den 23. Mai 1922.