BundesrechtInternationale VerträgeVollziehung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen (Slowakei)

Vollziehung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen (Slowakei)

In Kraft seit 01. Januar 1993
Up-to-date

TEIL I

Allgemeine Bestimmungen

Artikel 1

Art. 1

(1) Die Vertragsstaaten verpflichten sich, auf Ersuchen unter den in diesem Vertrag festgesetzten Bedingungen Entscheidungen in Strafsachen zu vollziehen, mit denen Staatsbürger eines der Vertragsstaaten von einem Gericht des anderen Staates rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe oder einer vorbeugenden Maßnahme verurteilt worden sind.

(2) Als Staatsbürger eines Vertragsstaates ist eine Person anzusehen, welche nach der Rechtsordnung dieses Staates dessen Staatsbürgerschaft besitzt. Personen, die die Staatsangehörigkeit beider Vertragsstaaten besitzen, werden nach diesem Vertrag nicht übergeben.

(3) In diesem Vertrag bedeutet der Ausdruck „vorbeugende Maßnahme“ eine mit Freiheitsentziehung verbundene Maßnahme, die nach den Strafgesetzen durch eine gerichtliche Entscheidung neben oder an Stelle einer Strafe ausgesprochen wird. Ist die Dauer einer noch zu vollziehenden Maßnahme unbestimmt, so ist von dem gesetzlich zulässigen Höchstmaß auszugehen.

Artikel 2

Art. 2

(1) Ersuchen nach Artikel 1 Abs. 1 werden von dem Staat gestellt, in dem die gerichtliche Entscheidung ergangen ist (Urteilsstaat). Der Staat, in welchem die gerichtliche Entscheidung vollzogen werden soll (Vollstreckungsstaat), kann beim Urteilsstaat ein Ersuchen nach Artikel 1 Abs. 1 anregen.

(2) Der Verurteilte, sein gesetzlicher Vertreter, sein Ehegatte, seine Verwandten in gerader Linie und seine Geschwister können bei jedem der Vertragsstaaten ein Vorgehen nach Abs. 1 anregen. Der Urteilsstaat wird den Verurteilten über diese Möglichkeit belehren.

Artikel 3

Art. 3

Der Schriftverkehr nach diesem Vertrag erfolgt zwischen dem Bundesminister für Justiz der Republik Österreich einerseits und dem Justizminister der Slowakischen Republik andererseits. Der diplomatische Weg wird dadurch nicht ausgeschlossen.

Artikel 4

Art. 4

Die Ersuchen, Mitteilungen und beigefügten Unterlagen bedürfen keiner Übersetzung und Legalisierung.

TEIL II

Übernahme der Vollziehung und ihre Auswirkungen

Artikel 5

Art. 5

Die Vollziehung wird nur übernommen, wenn die der Entscheidung zugrundeliegende Handlung nach dem Recht beider Vertragsstaaten gerichtlich strafbar ist.

Artikel 6

Art. 6

(1) In Abgaben-, Steuer-, Zoll-, Monopol- und Devisenstrafsachen und in Strafsachen wegen der Verletzung von Vorschriften über die Warenbewirtschaftung oder über den Außenhandel wird die Vollziehung der gerichtlichen Entscheidung übernommen, wenn die der Verurteilung zugrundeliegende Handlung auch nach einer vergleichbaren gesetzlichen Strafbestimmung des Vollstreckungsstaates gerichtlich strafbar wäre.

(2) Die Übernahme der Vollziehung darf nicht ausschließlich mit der Begründung abgelehnt werden, daß das Recht des Vollstreckungsstaates keine Abgaben-, Steuer-, Zoll-, Monopol- oder Devisenvorschriften oder keine Vorschriften über die Warenbewirtschaftung oder über den Außenhandel derselben Art wie das Recht des Urteilsstaates enthält.

Artikel 7

Art. 7

Die Vollziehung wird nicht übernommen, wenn die der Entscheidung zugrundeliegende Handlung nach Ansicht des Vollstreckungsstaates eine strafbare Handlung politischen Charakters ist, bei der unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der Art der Begehung, der angewendeten oder vorgesehenen Mittel oder der Schwere der eingetretenen oder möglichen Folgen, nicht der kriminelle Charakter überwiegt.

Artikel 8

Art. 8

Die Vollziehung wird nicht übernommen, wenn die der Entscheidung zugrundeliegende Handlung nach Ansicht des Vollstreckungsstaates ausschließlich militärischer Art ist.

Artikel 9

Art. 9

Die Vollziehung kann abgelehnt werden, wenn

a) die Vollstreckbarkeit der Freiheitsstrafe oder vorbeugenden Maßnahme nach dem Recht eines der Vertragsstaaten verjährt oder die Vollziehung aus anderen Gründen unzulässig ist;

b) der Verurteilte im Vollstreckungsstaat wegen derselben Handlung rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen oder das Verfahren aus anderen als verfahrensrechtlichen Gründen endgültig eingestellt worden ist;

c) die Entscheidung von einem Ausnahmegericht, das nur zeitweilig eingesetzt war, getroffen worden ist;

d) sie nach Ansicht des Vollstreckungsstaates seine öffentliche Ordnung oder Grundsätze seiner Rechtsordnung gefährden würde;

e) der Verurteilte oder sein gesetzlicher Vertreter die Zustimmung verweigert;

f) sich der Verurteilte im Urteilsstaat in Haft befindet und am Tag des Einlangens des Ersuchens eine vier Monate nicht übersteigende Freiheitsstrafe oder vorbeugende Maßnahme zu vollziehen ist. Zur Beurteilung dieser Voraussetzung werden mehrere Freiheitsstrafen oder vorbeugende Maßnahmen oder ihre zu vollziehenden Reste zusammengerechnet. Ist die Dauer des Vollzuges der vorbeugenden Maßnahme unbestimmt, so ist der Tag maßgebend, an dem sie nach dem Recht des Urteilsstaates spätestens aufzuheben ist;

g) der Verurteilte im Urteilsstaat seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat.

Artikel 10

Art. 10

Die Vollziehung einer in Abwesenheit des Verurteilten ergangenen Entscheidung wird nur übernommen, wenn der Verurteilte von dem gegen ihn geführten Verfahren Kenntnis erlangt hatte und in diesem Verfahren seine Verteidigungsrechte wahren konnte.

Artikel 11

Art. 11

Sind nach Ansicht des Urteilsstaates die Voraussetzungen für die Übernahme der Vollziehung nach diesem Vertrag gegeben, so kann der Urteilsstaat den Vollstreckungsstaat um Übernahme der Vollziehung der Entscheidung ersuchen. Stellt der Urteilsstaat trotz einer Anregung des Vollstreckungsstaates kein Ersuchen, so gibt er die Gründe hiefür bekannt.

Artikel 12

Art. 12

(1) Ersuchen nach diesem Vertrag werden schriftlich gestellt.

(2) Dem Ersuchen sind anzuschließen:

a) eine mit der Bestätigung der Rechtskraft und der Vollstreckbarkeit versehene Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils und allfälliger Rechtsmittelentscheidungen;

b) eine Abschrift der angewendeten gesetzlichen Bestimmungen sowie jener über die bedingte Entlassung;

c) Angaben zu der Person des Verurteilten, zu seiner Staatsangehörigkeit, seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt;

d) eine Bestätigung über den vollzogenen Teil der Freiheitsstrafe oder vorbeugenden Maßnahme und über die anzurechnenden Haftzeiten;

e) ein Protokoll über die Stellungnahme des Verurteilten zur Übernahme der Vollziehung, wenn er sich im Urteilsstaat befindet;

f) weitere Unterlagen und Angaben, die für die Beurteilung des Ersuchens von Bedeutung sein können.

Artikel 13

Art. 13

Hält der Vollstreckungsstaat die ihm übermittelten Unterlagen und Angaben nicht für ausreichend, so ersucht er um die notwendige Ergänzung. Er kann für das Einlangen dieser Ergänzung eine angemessene Frist bestimmen; diese kann auf Ersuchen verlängert werden. Mangels einer Ergänzung wird über das Ersuchen auf Grund der vorhandenen Unterlagen und Angaben entschieden.

Artikel 14

Art. 14

Der Vollstreckungsstaat verständigt den Urteilsstaat so bald wie möglich, ob und inwieweit dem Ersuchen stattgegeben wird. Jede vollständige oder teilweise Ablehnung ist zu begründen. Erfolgt die Ablehnung mangels Zustimmung des im Vollstreckungsstaat befindlichen Verurteilten, ist dem Urteilsstaat eine Niederschrift über seine Vernehmung zu übermitteln.

Artikel 15

Art. 15

(1) Wird die Vollziehung übernommen, so setzt das Gericht des Vollstreckungsstaates die Freiheitsstrafe oder vorbeugende Maßnahme in der gleichen Art und Dauer fest, wie sie im Urteilsstaat ausgesprochen worden ist. Ist diese jedoch nach Art oder Dauer mit den Rechtsvorschriften des Vollstreckungsstaates nicht vereinbar, so wird er sie an die nach seinem Recht für eine strafbare Handlung derselben Art vorgesehene Strafe oder vorbeugende Maßnahme anpassen. Sie muß ihrer Art und Dauer nach so weit wie möglich der Strafe oder vorbeugenden Maßnahme entsprechen, die durch die zu vollziehende Entscheidung verhängt worden ist. In jedem Fall ist der Vollstreckungsstaat an die Tatsachenfeststellungen gebunden, die der im Urteilsstaat getroffenen Entscheidung zugrunde liegen.

(2) Durch die Vollziehung im Vollstreckungsstaat darf der Verurteilte in der Gesamtauswirkung nicht ungünstiger gestellt werden als im Falle der weiteren Vollziehung im Urteilsstaat.

(3) Die Vollziehung einschließlich der bedingten Entlassung richtet sich nach dem Recht des Vollstreckungsstaates. Für den Verurteilten günstigere Rechtsvorschriften des Urteilsstaates betreffend die bedingte Entlassung werden jedoch angewendet, sofern die Grundsätze der Rechtsordnung des Vollstreckungsstaates dem nicht entgegenstehen.

(4) Die im Urteilsstaat in Haft zugebrachte Zeit wird in die im Vollstreckungsstaat zu verbüßende Freiheitsstrafe oder vorbeugende Maßnahme eingerechnet.

(5) Im Falle einer nachträglichen Aufhebung oder Abänderung der gerichtlichen Entscheidung (Artikel 18 Abs. 3) setzt das Gericht des Vollstreckungsstaates erforderlichenfalls neuerlich die zu vollziehende Freiheitsstrafe oder vorbeugende Maßnahme fest.

Artikel 16

Art. 16

Liegen der Verurteilung mehrere Handlungen zugrunde, kann die Vollziehung aber nur wegen des auf einzelne dieser Handlungen entfallenden Teiles der Freiheitsstrafe oder vorbeugenden Maßnahme erfolgen, so wird das Gericht des Vollstreckungsstaates im Rahmen des Verfahrens nach Artikel 15 Abs. 1 den zu vollziehenden Teil bestimmen, der auf diese Handlungen entfällt.

Artikel 17

Art. 17

(1) Ist dem Ersuchen um Übernahme der Vollziehung stattgegeben worden, so wird der Urteilsstaat den Verurteilten so bald wie möglich in den Vollstreckungsstaat überstellen. Ist die Überstellung erfolgt oder befindet sich der Verurteilte bereits im Vollstreckungsstaat, so haben weitere Vollstreckungsmaßnahmen im Urteilsstaat zu unterbleiben.

(2) Entzieht sich der Verurteilte der Vollziehung im Vollstreckungsstaat, so erlangt der Urteilsstaat das Recht auf Vollziehung der Entscheidung wieder.

(3) Das Recht des Urteilsstaates auf Vollziehung erlischt endgültig, wenn der Verurteilte die Strafe oder vorbeugende Maßnahme verbüßt hat oder sie ihm endgültig nachgesehen worden ist.

(4) Ist im Vollstreckungsstaat gegen den Verurteilten wegen der dem Ersuchen um Übernahme der Vollziehung zugrundeliegenden Handlung ein Strafverfahren anhängig und ist dem Ersuchen stattgegeben worden, so stellt dieser Staat das Strafverfahren vorläufig ein. Er erlangt das Recht zur Verfolgung wieder, wenn sich der Verurteilte der Vollziehung entzieht. Der Vollstreckungsstaat stellt das Strafverfahren endgültig ein, wenn die Strafe oder vorbeugende Maßnahme vollzogen oder ihre Vollziehung endgültig nachgesehen worden ist.

Artikel 18

Art. 18

(1) Der Verurteilte kommt in den vollen Genuß der Amnestien, die vom Urteilsstaat oder vom Vollstreckungsstaat erlassen werden.

(2) Gnadenmaßnahmen zugunsten des Verurteilten können vom Vollstreckungsstaat ergriffen werden. Hiedurch wird das Recht des Urteilsstaats, dem Vollstreckungsstaat solche Gnadenmaßnahmen zu empfehlen, nicht ausgeschlossen. Auf diese Empfehlung wird im Vollstreckungsstaat bei der Entscheidung über einen Gnadenerweis wohlwollend Bedacht genommen werden. Unberührt bleibt auch das Recht des Urteilsstaates, Gnadenmaßnahmen mit Wirksamkeit für seinen Rechtsbereich zu ergreifen.

(3) Für eine Aufhebung oder Abänderung der gerichtlichen Entscheidungen, deren Vollziehung übernommen wurde, ist ausschließlich der Urteilsstaat zuständig.

Artikel 19

Art. 19

(1) Die Vertragsstaaten verständigen einander so bald wie möglich von allen Umständen, die auf die Vollziehung Einfluß haben könnten, und übermitteln einander Ausfertigungen oder beglaubigte Abschriften der ergangenen Entscheidungen.

(2) Der Urteilsstaat verständigt den Vollstreckungsstaat insbesondere von einer ergangenen Amnestie oder von einer Aufhebung oder Abänderung der gerichtlichen Entscheidung, deren Vollziehung übernommen wurde.

(3) Der Vollstreckungsstaat verständigt den Urteilsstaat, wenn sich der Verurteilte dem Strafvollzug entzieht, sowie von der Entlassung aus dem Vollzug der Strafe oder vorbeugenden Maßnahme.

Artikel 20

Art. 20

(1) Befindet sich der Verurteilte auf dem Gebiet des Urteilsstaates, so wird er dem Vollstreckungsstaat an einem Grenzübergang der Vertragsstaaten übergeben. Die Vertragsstaaten stellen das Einvernehmen über Ort, Zeit und Art der Übergabe her.

(2) Der Urteilsstaat kann die Übergabe des Verurteilten aufschieben, um ein Strafverfahren wegen einer anderen strafbaren Handlung durchzuführen oder eine wegen einer anderen strafbaren Handlung ausgesprochene Strafe oder vorbeugende Maßnahme zu vollziehen.

Artikel 21

Art. 21

Die in Anwendung dieses Vertrages entstandenen Kosten - ausgenommen jene einer Durchbeförderung - werden nicht ersetzt. Der um Überstellung eines Verurteilten im Luftweg ersuchende Staat trägt aber die Kosten, die durch diese Überstellung entstanden sind.

Artikel 22

Art. 22

(1) Auf Ersuchen eines Vertragsstaates wird die Durchbeförderung eines Verurteilten, der nicht Angehöriger des anderen Vertragsstaates ist, durch dessen Hoheitsgebiet in einen dritten Staat oder aus einem dritten Staat zur Vollziehung einer Freiheitsstrafe oder vorbeugenden Maßnahme bewilligt. Der ersuchte Vertragsstaat kann die Durchbeförderung ablehnen, wenn er nach diesem Vertrag die Übernahme der Vollziehung ablehnen könnte.

(2) Ersuchen um Durchbeförderung werden schriftlich gestellt. Dem Ersuchen ist eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift der ergangenen Entscheidung anzuschließen.

(3) Die Durchbeförderung wird von Organen des ersuchten Staates durchgeführt. Der ersuchte Staat darf die durchzubefördernde Person wegen Handlungen, die vor der Durchbeförderung begangen wurden, ohne die Zustimmung des ersuchenden Staates weder verfolgen noch an ihr eine Strafe oder vorbeugende Maßnahme vollstrecken.

(4) Bei einer Durchbeförderung auf dem Luftweg ohne Zwischenlandung bedarf es keiner ausdrücklichen Bewilligung des überflogenen Vertragsstaates. Dieser Staat wird vom ersuchenden Staat im voraus davon unterrichtet, daß eine Durchbeförderung gemäß Abs. 1 zulässig wäre.

(5) Die Kosten der Durchbeförderung, die dem ersuchten Staat entstehen, werden vom ersuchenden Staat ersetzt.

TEIL III

Schlußbestimmungen

Artikel 23

Art. 23

Verpflichtungen aus bestehenden mehrseitigen Übereinkommen werden durch diesen Vertrag nicht berührt.

Artikel 24

Art. 24

Dieser Vertrag findet auch auf gerichtliche Entscheidungen Anwendung, die vor seinem Inkrafttreten ergangen sind.

Artikel 25

Art. 25

Dieser Vertrag bedarf der Ratifikation. Die Ratifikationsurkunden werden in Prag ausgetauscht.

Artikel 26

Art. 26

(1) Dieser Vertrag tritt mit dem ersten Tage des dritten Monats nach dem Austausch der Ratifikationsurkunden in Kraft.

(2) Dieser Vertrag bleibt auf unbestimmte Zeit in Kraft, sofern nicht einer der Vertragsstaaten den Vertrag auf diplomatischem Wege kündigt; in diesem Falle tritt der Vertrag ein Jahr nach Einlangen der Kündigung außer Kraft.

Geschehen zu Wien, am 20. Mai 1990 in zwei Urschriften in deutscher und tschechischer Sprache, wobei beide Texte gleichermaßen authentisch sind.