Rückverweise
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. a Nussbaumer Hinterauer sowie Hofrat Mag. Cede und Hofrätin Mag. Dr. Kusznier als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Strasser, über die Revision der O T, vertreten durch die Dr. Helene Klaar Dr. Norbert Marschall Rechtsanwälte OG in Wien, gegen 1. das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Jänner 2025, W173 22720071/2E (Ra 2025/12/0018), betreffend Abweisung eines Wiedereinsetzungsantrages und 2. den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Jänner 2025, W173 2272007 2/2E (Ra 2025/12/0019), betreffend Zurückweisung einer Beschwerde in einer Angelegenheit betreffend Versorgungsbezug nach dem Pensionsgesetz 1965 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau), den Beschluss
gefasst:
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
1 Mit Bescheid der belangten Behörde vom 13. Dezember 2022 wurde der Revisionswerberin gemäß § 19 Abs. 1, 2 und 4 Z 1 iVm § 14 Pensionsgesetz 1965 nach ihrem geschiedenen und nunmehr verstorbenen Ehemann vom 1. Oktober 2022 an ein Versorgungsbezug von monatlich € 712,19 zuerkannt.
2 Am 21. Dezember 2022 wurde der Bescheid vom 13. Dezember 2022 beim zuständigen Postamt hinterlegt und die Revisionswerberin darüber verständigt, dass dieser von 22. Dezember 2022 bis 9. Jänner 2023 zur Abholung bereitliege. Am 22. Dezember 2022 wurde der Bescheid der Revisionswerberin persönlich ausgefolgt.
3 Mit Schriftsatz vom 31. Jänner 2023 beantragte die zu diesem Zeitpunkt bereits rechtsanwaltlich vertretene Revisionswerberin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einbringung einer Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 13. Dezember 2023 und holte gleichzeitig die versäumte Handlung (Bescheidbeschwerde) nach. Den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begründete sie damit, dass ihre Rechtsvertretung durch ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Einbringung der Beschwerde gehindert worden sei, wobei die Versäumung auf kein Verschulden bzw bloß ein Versehen minderen Grades zurückzuführen sei. Die jahrelang bewährte Kanzleiangestellte habe die E Mail, mit der der Sohn der Revisionswerberin den Bescheid vom 13. Dezember 2023 zur Bearbeitung an die Rechtsvertretung weitergeleitet habe, ausgedruckt, diese sodann jedoch nicht wie sonst üblich in die Postmappe, sondern in das Ablagefach im Sekretariat gelegt. Somit sei auch kein Fristvormerk eingetragen worden und der Bescheid in weiterer Folge unbearbeitet im entsprechenden Handakt abgelegt worden.
4 Mit Bescheid vom 11. April 2023 wies die belangte Behörde den Antrag der Revisionswerberin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab. Begründend führte sie aus, dass es sich bei der Zuordnung eines Schriftstückes in die Postmappe bzw das Ablagefach um keine rein manipulative Tätigkeit handle. Im Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht dargelegt worden, welches Kontrollsystem hinsichtlich der richtigen Zuordnung der Schriftstücke bestanden habe. Der Kanzleiangestellten sei es ohne jede Kontrolle überlassen geblieben, zu beurteilen, ob überhaupt eine Frist einzutragen oder ein Schriftstück abzulegen sei, weshalb eine der Rechtsvertretung obliegende Sorgfaltspflicht verletzt worden sei.
5 Mit dem (erstangefochtenen) Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23. Jänner 2025 wurde die Beschwerde gegen den Bescheid vom 11. April 2023 als unbegründet abgewiesen und eine Revision gegen diese Entscheidung für nicht zulässig erklärt.
6 Unter Zitierung höchstgerichtlicher Rechtsprechung führte das Verwaltungsgericht aus, dass das Versehen von Kanzleiangestellten dem Rechtsanwalt und damit der Partei dann als Verschulden anzulasten sei, wenn er die ihm zumutbare und nach der Sachlage gebotene Überwachungspflicht gegenüber der Kanzleiangestellten verletzt habe. Aus dem Vorbringen im Antrag der Revisionswerberin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht ersichtlich, ob oder wie eine Kontrolle dahin, dass alle eingehenden E Mails auch tatsächlich dem jeweiligen Rechtsanwalt vorgelegt werden, erfolgt bzw wie das diesbezügliche Kontrollsystem eingerichtet sei, um einen allfälligen Fehler, wie er im vorliegenden Fall unterlaufen sei, aufdecken zu können. Daher sei bereits mangels Darlegung eines wirksamen Kontrollsystems bei der Rechtsvertretung der Wiedereinsetzungswerberin von einem nicht minderen Grad des Versehens auszugehen.
7 Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe abgesehen werden können, weil der entscheidungswesentliche Sachverhalt unbestritten geblieben und in der Beschwerde keine Rechts oder Tatsachenfragen aufgeworfen worden seien, zu deren Lösung eine mündliche Verhandlung erforderlich gewesen wäre.
8 Mit dem (zweitangefochtenen) Beschluss (ebenfalls vom 23. Jänner 2025) wies das Verwaltungsgericht die gemeinsam mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eingebrachte Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 13. Dezember 2023 als verspätet zurück und sprach aus, dass eine Revision gegen diese Entscheidung nicht zulässig sei.
9 Gegen diese Entscheidungen richten sich die vorliegenden (im Wesentlichen inhaltsgleichen) außerordentlichen Revisionen, die der Verwaltungsgerichtshof wegen ihres persönlichen, sachlichen und rechtlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Entscheidung verbunden hat.
10 Zur Begründung ihrer Zulässigkeit wird in den Revisionen im Wesentlichen übereinstimmend vorgebracht, dass entgegen der unvertretbaren Beurteilung des Verwaltungsgerichts vom Vorliegen eines minderen Grades des Versehens auszugehen sei, welcher die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht hindere. Der Kanzleibetrieb sei derart eingerichtet, dass dem Parteienvertreter sämtliche Poststücke zukommen würden. Die Mitarbeiter müssten alle Poststücke in der Postmappe vorlegen, die mehrmals täglich von den Kanzleipartnern bearbeitet werde. Diese Verpflichtung in Kombination mit der elektronischen Kennzeichnung als erledigt sei eine ausreichende organisatorische Vorkehrung zur Sicherstellung der fristgerechten Bearbeitung von Schriftstücken. Zudem weiche das Verwaltungsgericht von (näher genannter) Rechtsprechung ab, wonach es einem Rechtsanwalt nicht zumutbar sei, regelmäßig zu kontrollieren, ob eine erfahrene und zuverlässige Kanzleikraft rein manipulative Tätigkeiten auch tatsächlich ausführe. Nach der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts gehe jeder Wiedereinsetzungsgrund mit einem fehlenden Kontrollsystem einher oder werde ein solches dadurch aufgezeigt. Folge man dieser Rechtsansicht, würde eine Wiedereinsetzung generell unmöglich gemacht. Wäre diese Rechtsfrage richtig gelöst worden, wäre die Beschwerde nicht als verspätet zurückzuweisen, sondern inhaltlich zu behandeln gewesen.
11 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B VG).
12Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
13Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
14Aus der ständigen hg. Rechtsprechung ergibt sich eine Verpflichtung des Wiedereinsetzungswerbers zur Konkretisierung aller Umstände, die es ermöglichen, das Vorliegen eines Wiedereinsetzungsgrundes zu beurteilen. Der Wiedereinsetzungswerber hat von sich aus initiativ alles vorzubringen, was die Annahme eines die Rechtzeitigkeit der Vornahme einer Prozesshandlung hindernden Umstandes begründen kann. Dazu zählt auch die Darstellung eines in der Kanzlei des Rechtsvertreters eingerichteten Kontrollsystems zur Sicherstellung, dass alle elektronisch eingelangten Poststücke auch tatsächlich dem Parteienvertreter vorgelegt werden (vgl VwGH 23.3.2021, Ra 2020/12/0082; 9.11.2023, Ra 2021/12/0076, mwN).
15Fehlt es an einer derartigen Darstellung im Wiedereinsetzungsantrag, kann das Verwaltungsgericht vom Fehlen solcher Kontrollmaßnahmen und Anordnungen ausgehen, und es kann am Vorliegen eines (dem Wiedereinsetzungswerber zuzurechnenden und) den Grad minderen Versehens übersteigenden Verschuldens des Vertreters kein Zweifel bestehen (vgl erneut VwGH 23.3.2021, Ra 2020/12/0082, mwN).
16 Entgegen dem Zulässigkeitsvorbringen der Revision ist das Verwaltungsgericht nicht von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, wenn es angesichts des oben wiedergegebenen Vorbringens im Wiedereinsetzungsantrag, das keine Darstellung einer systematischen Kontrolle der Vorlage aller im E MailPostfach eingelangten Poststücke enthielt, vom Fehlen eines diesbezüglichen Kontrollsystems ausging und daher das Vorliegen eines nur minderen Grads des Versehens verneinte (vgl. erneut VwGH 23.3.2021, Ra 2020/12/0082, mwN).
17 Vorliegend ist das Verwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes insofern nicht abgewichen, als es seiner Entscheidung zugrunde legte, dass bereits mangels Darlegung eines wirksamen Kontrollsystems bei der Rechtsvertretung der Revisionswerberin von einem nicht minderen Grad des Versehens auszugehen sei. Inwieweit die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts, das seine Feststellungen auf den Akteninhalt, insbesondere auf den Wiedereinsetzungsantrag, stützte, in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre, legt die Revision mit ihrem Zulässigkeitsvorbringen vor dem Hintergrund der dargelegten Rechtsprechung nicht dar. Folglich ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Beschwerde gegen die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages der Revisionswerberin abzuweisen war.
18Weiters beanstandet die Revisionswerberin in der Zulässigkeitsbegründung ihrer Revision, dass das Verwaltungsgericht „trotz komplexer und weitreichender Rechtsfragen“ keine mündliche Verhandlung durchgeführt habe. Da bereits die Ausführungen im Wiedereinsetzungsantrag erkennen ließen, dass im Einklang mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vertretbarer Weise vom Fehlen der Voraussetzungen für die Bewilligung dieses Antrags ausgegangen werden durfte, stellt das Unterlassen einer Verhandlung kein Abweichen von der hg Judikatur dar (VwGH 23.3.2021, Ra 2020/12/0082).
19 In Zusammenhang mit der Zurückweisung der Bescheidbeschwerde ist dem Zulässigkeitsvorbringen zu entgegnen, dass der verfahrensgegenständliche Bescheid der Revisionswerberin unstrittig am 22. Dezember 2023 zugekommen ist. Diese erstattet kein Tatsachenvorbringen, das die Erhebung der Bescheidbeschwerde im vorliegenden Fall im Gegensatz zu der rechtlichen Beurteilung des Verwaltungsgerichts als rechtzeitig erscheinen ließe, sondern beruft sich ausschließlich darauf, dass die Beschwerde nicht zurückzuweisen gewesen wäre, wäre der Beschwerde gegen die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages stattgegeben worden.
Es ist daher nicht ersichtlich, inwiefern der Erfolg der Revision von der Beantwortung der zur Zulässigkeitsbegründung vorgebrachten Rechtsfragen abhängen sollte.
20Die Zurückweisung der Beschwerde gegen den Bescheid vom 13. Dezember 2022 als verspätet konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG ohne Durchführung einer Verhandlung erfolgen. Ein Vorbringen dahin, inwiefern das Bundesverwaltungsgericht das ihm durch diese Rechtsvorschrift eingeräumte Ermessen im Sinne der hg Rechtsprechung fehlerhaft ausgeübt hätte (vgl dazu VwGH 2.12.2024, Ra 2023/12/0098, mwN), enthält das Zulässigkeitsvorbringen nicht.
21 In den Revisionen wird sohin keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die Revisionen waren daher gemäß § 34 Abs. 2 Z 1 VwGG unter Abstandnahme von der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof zurückzuweisen.
Wien, am 3. November 2025