Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed, den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Andrés, über die Revision des I in W, vertreten durch Mag. Oliver Simoncic, Rechtsanwalt in 3100 St. Pölten, Rathausplatz 3 4, gegen das am 21. März 2025 mündlich verkündete und am 31. März 2025 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien, VGW 042/095/1575/2025 20, betreffend Übertretung des ASchG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien; mitbeteiligte Partei: Arbeitsinspektorat f. Bauarbeiten, 1010 Wien, Fichteg. 11), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Revisionswerber nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Beschwerdeverfahren gegen ein Straferkenntnis der belangten Behörde vom Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) als gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen berufenes Organ der I. GmbH in seiner Funktion als handelsrechtlicher Geschäftsführer schuldig erachtet, er habe eine Übertretung des § 62 Abs. 4 Bauarbeiterschutzverordnung (BauV) iVm § 58 Abs. 3 BauV iVm § 7 Abs. 2 Z 4 BauV iVm § 130 Abs. 5 Z 1 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG), iVm § 118 Abs. 3 ASchG zu verantworten, weil diese Gesellschaft als Arbeitgeberin am Tatort zur Tatzeit nicht dafür gesorgt habe, dass Gerüste nur dann benützt werden, wenn diese den Anforderungen an Gerüste voll entsprechen, weil ein bestimmter Arbeitnehmer dieser Gesellschaft im Zuge seiner beruflichen Tätigkeit ein verfahrbares Gerüst benützt habe, das den Anforderungen an Gerüste nicht voll entsprochen habe, weil dieses für eine Arbeitshöhe von ca. 2,4 m vorgesehene Gerüst bei der Gerüstlage auf einer Längsseite mit keinen Wehren versehen gewesen sei, wenngleich auf diesem Arbeitsgerüst Absturzgefahr von einer Höhe von ca. 2,4 m bestanden habe. Über den Revisionswerber wurden gemäß § 130 Abs. 5 Z 1 zweiter Strafsatz ASchG eine Geld- sowie Ersatzfreiheitsstrafe verhängt und ein Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens festgesetzt. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für nicht zulässig erklärt.
2 Das Verwaltungsgericht traf umfassende Feststellungen, erläuterte seine Beweiswürdigung und führte nach Prüfung des objektiven Tatbestandes zur Zurechenbarkeit der Verstöße im Zusammenhang mit dem Kontrollsystem u.a. Folgendes aus:
3 Bei einer Haftung nach § 9 VStG könne das Vorliegen eines effektiven Kontrollsystems zur Einhaltung der Verwaltungsvorschriften das Verschulden der gemäß § 9 VStG verantwortlichen Person zwar ausschließen, allerdings obliege es dem Beschuldigten, dieses System im Einzelnen darzulegen. Ein effektives Kontrollsystem in diesem Sinne liege dann vor, wenn dadurch die Überwachung der Einhaltung der maßgeblichen Rechtsnormen jederzeit sichergestellt werden könne. Entscheidend sei (zusammengefasst), ob Maßnahmen getroffen worden seien, die im Ergebnis mit gutem Grund erwarten ließen, dass die Einhaltung der maßgeblichen Vorschriften gewährleistet sei. Ein das Verschulden ausschließendes effektives Kontrollsystem sei vom Revisionswerber aber nicht dargetan worden: Dieser habe zwar dargelegt, dass im Unternehmen einige Kontrollmaßnahmen, u.a. Einschulungen und Unterweisungen, eingerichtet worden seien. Der Revisionswerber habe aber insbesondere nicht dargelegt, „welche konkreten Personen innerhalb der im Unternehmen bestehenden Weisungskette in systematischer Weise konkret zur Vornahme welcher spezifischen präventiven Maßnahmen zur Einhaltung arbeitnehmerschutzrechtlichen Vorschriften zu welchen Zeitpunkten und zur Vornahme welcher konkreten Kontrollmaßnahmen zu welchen Zeitpunkten in Bezug auf die Tätigkeit auf der vorliegenden Baustelle verpflichtet [gewesen seien] und welche konkrete Rolle dem [Revisionswerber] als an der Spitze der Unternehmenshierarchie stehender Anordnungsbefugter in diesem System zugekommen“ sei (Hinweis auf VwGH 7.11.2023, Ra 2023/02/0176). Wenn dem Revisionswerber nicht einmal bewusst sei, dass er als zur Vertretung nach außen Berufener letztlich für die Einhaltung auch der arbeitnehmerschutzrechtlichen Vorschriften verantwortlich sei, so sei bereits in dieser Hinsicht nicht einmal klar, ob dem Revisionswerber überhaupt eine aktive Rolle als an der Spitze der Unternehmenshierarchie stehender Anordnungsbefugter zugekommen sei. Zudem seien im vorliegenden Fall das gelieferte und vom verunfallten Arbeitnehmer zu verwendende Gerüst weder vom Revisionswerber noch vom Sicherheitsbeauftragten des Unternehmens abgenommen worden, obwohl nur diese betriebsintern zur Abnahme von Gerüsten befugt seien. Angemerkt sei schließlich, dass gerade für den Fall eigenmächtiger Handlungen von Arbeitnehmern (wie dies der Revisionswerber behaupte) ein Kontrollsystem Platz greifen müsse, könne doch nicht völlig darauf vertraut werden, dass eingewiesene, laufend geschulte und ordnungsgemäß ausgerüstete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jedenfalls den Rechtsvorschriften Genüge leisteten. Wenn auch eine lückenlose Kontrolle nicht verlangt werden könne, enthebe dies aber nicht von der Verpflichtung, alle möglichen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um die Einhaltung der hier maßgebenden Regelungen sicherzustellen, wobei das etablierte Kontrollsystem um wirksam sein zu können dann grundsätzlich lückenlos anzuwenden sei.
4 Der Revisionswerber habe fahrlässig gehandelt. Zuletzt begründete das Verwaltungsgericht seine Strafbemessung.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision Folgendes vor:
10 Die „belangte Behörde“ sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen und der Lösung der Rechtsfragen des materiellen Rechts und des Verfahrensrechts komme zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit und Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zu. Das Verwaltungsgericht habe eine umfassende Ermittlungstätigkeit, wie es zum Unfall gekommen sei, unterlassen. Das Verwaltungsgericht hätte zwecks Erforschung der materiellen Wahrheit von Amts wegen zumindest den verletzten Arbeitnehmer und den Lieferanten des Gerüsts einzuvernehmen gehabt, zumal erst nach Feststellung des Zustands des Gerüsts zum Zeitpunkt der Anlieferung bzw. nach Feststellung des Unfallhergangs eine rechtliche Beurteilung dahingehend möglich gewesen wäre, ob den Revisionswerber ein Verschulden an den Verletzungen treffe. Der Umstand, dass das Verwaltungsgericht jede weitere Ermittlungstätigkeit unterlassen habe, begründe einen wesentlichen Verfahrensmangel. Die Rechtsfrage, ob den Revisionswerber ein Verschulden an den Verletzungen des Arbeitnehmers treffe, sei vom Verwaltungsgericht unrichtig beurteilt worden. Überdies seien vom Verwaltungsgericht zulasten des Revisionswerbers Feststellungen getroffen worden, die im gesamten Akteninhalt keine Stütze fänden bzw. für die keine nachvollziehbare Begründung erfolgt sei.
11 Mit diesem Vorbringen wird keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen:
12 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unterliegt es der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes, ob eine Beweisaufnahme notwendig ist. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG liegt nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt ist und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Ergebnis geführt hat (vgl. etwa VwGH 15.4.2025, Ra 2025/02/0051, mwN).
13 Entgegen der Auffassung des Revisionswerbers war nicht etwa das Verwaltungsgericht verpflichtet, den Nachweis dafür zu erbringen, dass die vom Revisionswerber vorgebrachte Behauptung, dass ihn an der angelasteten Verletzung des ASchG kein Verschulden treffe, den Tatsachen entspricht. Das Verwaltungsgericht hat zwar zufolge § 38 VwGVG iVm § 25 Abs. 2 VStG die der Entlastung des Beschuldigten dienlichen Umstände in gleicher Weise zu berücksichtigen wie die belastenden, doch erfordert es die Mitwirkungspflicht des Beschuldigten im Verwaltungsstrafverfahren, den Erhebungsergebnissen nicht nur konkrete Behauptungen entgegenzusetzen, sondern auch entsprechende Beweise anzubieten. Wenn die Revision in diesem Zusammenhang die unterlassene Einvernahme von Zeugen rügt, macht sie einen Verfahrensfehler geltend, ohne jedoch konkret darzulegen, inwiefern diesem eine Relevanz für den Verfahrensausgang zukommt (zum Erfordernis der Relevanzdarlegung eines behaupteten Verfahrensmangels vgl. etwa VwGH 28.2.2025, Ra 2025/02/0012, mwN).
14 Im Übrigen war vom Verwaltungsgericht im Verfahren nicht zu prüfen, ob den Revisionswerber an der Verletzung des Arbeitnehmers ein Verschulden trifft, sondern ob der Revisionswerber die angelastete Übertretung des ASchG zu verantworten hat.
15 Welche Feststellungen das Verwaltungsgericht zu Unrecht getroffen bzw. mangelhaft begründet habe, wird in der allein maßgeblichen Zulässigkeitsbegründung der Revision nicht näher ausgeführt, sodass auch mit diesem Vorbringen keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt wird (vgl. z.B. VwGH 12.10.2022, Ra 2022/02/0181).
16 Soweit die Revision die subjektive Zurechenbarkeit des Verstoßes in Abrede stellt, ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Arbeitgeber im Bereich des Arbeitnehmerschutzes für die Einrichtung eines wirksamen Kontrollsystems zu sorgen hat, wobei dieses Kontrollsystem gerade für den Fall eigenmächtiger Handlungen von Arbeitnehmern gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften Platz zu greifen hat. Die Einrichtung eines entsprechenden Kontrollsystems ist für die Befreiung von der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften entscheidend (vgl. etwa VwGH 19.6.2024, Ra 2024/02/0103, mwN).
17 Die Revision zeigt nicht auf, dass die fallbezogene Beurteilung des Kontrollsystems durch das Verwaltungsgericht unvertretbar gewesen wäre. (vgl. VwGH 28.2.2025, Ra 2025/02/0019, mwN).
18 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 13. Juni 2025