JudikaturVwGH

Ra 2024/20/0492 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
23. Juni 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. a Nussbaumer Hinterauer sowie Hofrat Mag. Eder und Hofrätin Mag. Zehetner als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Stüger, über die Revision des A C, vertreten durch die RIHS Rechtsanwalt GmbH in 1010 Wien, Kramergasse 9/3/13, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Juni 2024, I404 2290980 1/2E, betreffend Anerkennung als Flüchtling nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Der Revisionswerber, ein syrischer Staatsangehöriger, stellte am 28. Oktober 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsyG 2005). Als Fluchtgrund machte er insbesondere den Krieg in seiner Heimat und seine drohende Einberufung zum Militärdienst geltend.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 19. März 2024 hinsichtlich des Begehrens auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung mit der Gültigkeit für ein Jahr.

3 Begründend führte die Behörde im Wesentlichen aus, der Revisionswerber habe eine konkrete und aktuelle Gefahr der Verfolgung durch das syrische Regime oder andere Kriegsparteien nicht glaubhaft machen können. Aufgrund seines Alters von 13 Jahren bei der Ausreise aus Syrien habe er den Wehrdienst nicht aktiv verweigert. Weiters bestehe die Möglichkeit, eine Gebühr für die Befreiung vom Militärdienst des syrischen Regimes zu entrichten, die der Revisionswerber aufbringen könne. Verweigerern der Selbstverteidigungspflicht in der AANES Region drohten als Strafen kurzfristige Inhaftierungen oder Verlängerungen des Wehrdienstes um einen Monat, was als verhältnismäßig anzusehen sei.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen die Nichtzuerkennung von Asyl erhobene Beschwerde des Revisionswerbers ohne Durchführung der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

5 Das Bundesverwaltungsgericht führte insbesondere aus, das Heimatgebiet des Revisionswerbers befinde sich unter der Kontrolle der kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Kräfte, das ohne Kontakt zum syrischen Regime erreichbar sei, und die syrischen Behörden könnten den Länderberichten zufolge im Allgemeinen keine Rekrutierungen im Selbstverwaltungsgebiet durchführen. Die staatlichen Behörden hätten damit in der Heimatregion des Revisionswerbers entgegen der Beschwerdeschrift keinen Zugriff auf diesen. Soweit in der Beschwerde erstmals vorgebracht werde, dass dem Revisionswerber wegen seines Aufenthaltes in Europa, der Asylantragstellung im Ausland und seiner illegalen Ausreise aus Syrien staatliche Verfolgung drohe, sei derartiges außer bei politisch exponierten Personen den Länderberichten nicht zu entnehmen. Der Revisionswerber würde nicht in ein Gebiet, das vom syrischen Regime beherrscht werde, zurückkehren. Der im Beschwerdeschriftsatz dargelegten Ansicht, dass eine Rückkehr in den Herkunftsort des Revisionswerbers nur über eine Grenze, die vom syrischen Regime kontrolliert werde, möglich sei, schließe sich das Bundesverwaltungsgericht aus im Erkenntnis näher dargelegten Gründen nicht an.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage derselben und der Verfahrensakten durch das Bundesverwaltungsgericht sowie nach Einleitung des Vorverfahrens es wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

7 Der Revisionswerber macht zur Zulässigkeit der Revision ua. mit näherer Begründung geltend, das Bundesverwaltungsgericht sei mit dem Unterlassen der Durchführung einer mündlichen Verhandlung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen.

8 Die Revision ist vor dem Hintergrund dieses Vorbringens zulässig. Sie ist auch begründet.

9 Eingangs ist mit Blick auf die Ereignisse in Syrien im Dezember 2024 sowie die zeitlich danach liegenden Geschehnisse in diesem Staat darauf hinzuweisen, dass gemäß § 41 erster Satz VwGG der Verwaltungsgerichtshof, soweit nicht Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes oder infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vorliegt (§ 42 Abs. 2 Z 2 und Z 3 VwGG), das angefochtene Erkenntnis oder den angefochtenen Beschluss auf Grund des vom Verwaltungsgericht angenommenen Sachverhalts im Rahmen der geltend gemachten Revisionspunkte (§ 28 Abs. 1 Z 4 VwGG) bzw. der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 28 Abs. 2 VwGG) zu überprüfen hat. Somit sind Änderungen der Sach und Rechtslage, die sich nach Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses ereignet haben und daher vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigt werden konnten, einer Prüfung im gegenständlichen Revisionsverfahren jedenfalls entzogen (vgl. etwa VwGH 16.12.2024, Ra 2024/20/0750, mwN).

10 Gemäß dem hier maßgeblichen § 21 Abs. 7 BFA Verfahrensgesetz (BFA VG) kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind zur Beurteilung, ob im Sinn des § 21 Abs. 7 erster Satz BFA VG „der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“ und die Durchführung einer Verhandlung nach dieser Bestimmung unterbleiben kann, folgende Kriterien beachtlich:

12 Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018, sowie dem folgend etwa VwGH 24.4.2024, Ra 2023/20/0556, mwN).

13 Diesen Grundsätzen hat das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall was in der Revision zutreffend aufgezeigt wird nicht entsprochen.

14 Das Bundesverwaltungsgericht hat sich mit dem in der Beschwerde erstatteten ergänzenden Vorbringen zur Erreichbarkeit des Herkunftsortes des Revisionswerbers und der Präsenz des syrischen Regimes in seiner Herkunftsregion des Näheren befasst, ohne dieses Vorbringen als dem Neuerungsverbot gemäß § 20 BFA VG unterworfen anzusehen. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit seinen Überlegungen zu diesem Thema eine zusätzliche Würdigung der vorliegenden Beweise vorgenommen, die dazu führt, dass die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung nicht bloß unmaßgeblich ergänzt wurden. Infolgedessen lagen schon aus diesem Grund die Voraussetzungen des § 21 Abs. 7 BFA VG für eine Abstandnahme von der Verhandlung nicht vor (vgl. etwa VwGH 7.9.2023, Ra 2022/20/0385, mwN).

15 Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und wie hier des Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass im Revisionsverfahren die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. etwa erneut VwGH 24.4.2024, Ra 2023/20/0556, mwN).

16 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, ohne dass auf das übrige Vorbringen in der Revision weiter einzugehen gewesen wäre.

17 Von der in der Revision beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

18 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 23. Juni 2025

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