JudikaturVwGH

Ra 2024/18/0613 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
02. Juni 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed als Richter sowie die Hofrätinnen Dr. in Gröger und Dr. in Sabetzer als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Hahn, LL.M., über die Revision des A A, vertreten durch Mag. Reinhard Prugger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Oppolzergasse 6/10, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. September 2024, W138 2287754 1/16E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Syriens und Angehöriger der Volksgruppe der Araber, stellte am 18. Jänner 2023 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, dass er in seinem Heimatland Verfolgung befürchte, da er Polizist gewesen sei und den Polizeidienst unerlaubt verlassen habe. Zudem sei sein Haus „zerbombt“ worden. Er habe danach mit seiner Familie in einem Flüchtlingslager in der Nähe der türkischen Grenze gelebt.

2 Am 23. Jänner 2024 fand die niederschriftliche Einvernahme des Revisionswerbers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) statt, in der der Revisionswerber insbesondere angab, er habe als Polizist den Militärdienst nicht ableisten müssen.

3 Das BFA wies den Antrag des Revisionswerbers mit Bescheid vom 24. Jänner 2024 zur Gänze ab (Spruchpunkte I. und II.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass seine Abschiebung nach Syrien zulässig sei (Spruchpunkt V.), und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt VI.).

4 Begründend hielt das BFA zur Person des Revisionswerbers fest, dass er aus dem Gouvernement Idlib stamme, verheiratet sei und fünf Kinder habe. Er sei im Jahr 2021 von seinem Heimatdorf in ein Flüchtlingslager in der Nähe der türkischen Grenze geflüchtet und habe sich dort bis zum Jahr 2022 aufgehalten. Das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers, er habe den Polizeidienst im Jahr 2013 verlassen und sei in sein Heimatdorf zurückgekehrt, wurde vom BFA mit näherer Begründung als nicht glaubhaft erachtet.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Beschwerde des Revisionswerbers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu, erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt II.) und behob die Spruchpunkte III. bis VI. des Bescheides des BFA ersatzlos (Spruchpunkt III.). Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.

6 In der Begründung bezog sich das BVwG (anders als im Kopf und Spruch des angefochtenen Erkenntnisses) erkennbar auf eine vom Revisionswerber verschiedene Person (jedoch ebenfalls auf einen syrischen Staatsbürger).

7 Gegen Spruchpunkt I. dieses Erkenntnisses richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit einen „eklatanten Verfahrensmangel im Sinne einer evidenten Aktenwidrigkeit“ geltend macht und dazu ausführt, das BVwG gehe im angefochtenen Erkenntnis von einem Sachverhalt aus, der sich in keiner Weise aus dem Akt ergebe. Somit gründe es seine Entscheidung auf einen Lebenssachverhalt, der nicht auf den Revisionswerber zutreffe.

8 Das BFA erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9 Die Revision ist zulässig und begründet.

10 Vorauszuschicken ist, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des BVwG gemäß § 41 VwGG auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses zu prüfen ist. Dementsprechend entziehen sich Änderungen der Sach und Rechtslage, die sich nach Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses ereignet haben, einer Prüfung im gegenständlichen Revisionsverfahren (vgl. etwa VwGH 14.3.2025, Ra 2024/18/0507, mwN).

11 Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung wird dann aufgeworfen, wenn eine Annahme des Verwaltungsgerichtes in unvertretbarer Weise unter Außerachtlassung tragender Verfahrensgrundsätze nicht mit den vorgelegten Akten übereinstimmt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt eine Aktenwidrigkeit nur dann vor, wenn sich die Behörde bei der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes mit dem Akteninhalt hinsichtlich der dort festgehaltenen Tatsachen in Widerspruch gesetzt hat, wenn also die Feststellung jener tatsächlichen Umstände unrichtig ist, die für den Spruch der Entscheidung ausschlaggebend sind (vgl. VwGH 12.5.2017, Ra 2017/18/0063, mwN).

12 Aktenwidrigkeit ist somit dann gegeben, wenn die Entscheidung in ihrer Begründung von einem Sachverhalt ausgeht, der sich aus dem Akt überhaupt nicht oder nicht in der angenommenen Weise ergibt (vgl. VwGH 26.2.2024, Ra 2024/17/0008, mwN). Dies ist hier wie die Revision zu Recht aufzeigt der Fall.

13 Während nämlich der Name und das Geburtsdatum des Revisionswerbers sowie das Datum und die Geschäftszahl des Bescheides des BFA im Kopf und im Spruch des angefochtenen Erkenntnisses mit den entsprechenden Angaben im Bescheid des BFA sowie dem Akteninhalt übereinstimmen, trifft das BVwG in der Begründung abweichend davon Feststellungen zu einer Person, die 48 Jahre alt sei, aus dem Gouvernement Deir ez Zor stamme und von 1995 bis 1998 den Militärdienst im Gouvernement Aleppo absolviert habe. Diese Person habe sich von 2008 bis 2010 in Saudi Arabien aufgehalten und sei in den Jahren 2011 und 2012 in Syrien journalistisch tätig gewesen. Feststellungen zu den Familienverhältnissen der Person werden nicht getroffen. Auch die Beweiswürdigung sowie die rechtliche Beurteilung des BVwG nehmen erkennbar darauf Bezug, dass die betreffende Person ihren Militärdienst abgeleistet habe und kurzfristig journalistisch tätig gewesen sei.

14 Das angefochtene Erkenntnis geht damit in der Begründung von einem Sachverhalt aus, der sich aus dem Akt überhaupt nicht ergibt, da der (nach seinen Angaben in der Erstbefragung, vor dem BFA und in der Verhandlung vor dem BVwG) im Jahr 1982 geborene (und damit zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses 42 jährige) Revisionswerber im Verfahren insbesondere vorgebracht hat, verheiratet zu sein, fünf Kinder zu haben, bis zu seiner Ausreise nach Europa durchgehend in Syrien (in den Gouvernements Idlib und Al Hasaka) gelebt zu haben und bis zum Jahr 2013 als Unteroffizier im Polizeidienst tätig gewesen zu sein. Eine journalistische Tätigkeit des Revisionswerbers ist dagegen ebenso wenig aktenkundig wie dessen Ableisten des Militärdienstes.

15 Auch die Wiedergabe der Daten im Verfahrensgang des angefochtenen Erkenntnisses (Asylantragstellung am 15. September 2022, Einvernahme vor dem BFA am 15. September 2023) sowie der dort wiedergegebene Spruch des Bescheides des BFA (u.a. Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung) entsprechen nicht dem Akteninhalt, stellte der Revisionswerber den vorliegenden Antrag doch am 18. Jänner 2023 und fand seine Einvernahme vor dem BFA am 23. Jänner 2024 statt, das in weiterer Folge den Asylantrag des Revisionswerbers wie oben ausgeführt zur Gänze abschlägig erledigte.

16 Die dargestellte umfängliche Aktenwidrigkeit betrifft einen für den Revisionsfall wesentlichen Punkt, nämlich die in einem Asylverfahren zentrale Frage der Person des Revisionswerbers und dessen Fluchtvorbringen, weshalb das angefochtene Erkenntnis bereits aus diesem Grund mit Rechtswidrigkeit belastet ist (vgl. in diesem Sinne z.B. VwGH 12.9.2024, Ra 2024/02/0143, mwN).

17 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. a VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

18 Von der beantragten mündlichen Verhandlung war gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abzusehen.

19 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 2. Juni 2025

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