Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed und den Hofrat Mag. Tolar als Richter sowie die Hofrätin Dr. Kronegger als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Hahn, LL.M., über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. Mai 2024, W121 2269920 1/9E, betreffend eine Asylangelegenheit (mitbeteiligte Partei: M M, vertreten durch Dr. Joseph Moser als bestellter Verfahrenshelfer, dieser vertreten durch Mag. Sebastian Jackwerth Feige, Rechtsanwalt in Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Der Mitbeteiligte, ein syrischer Staatsangehöriger kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit aus Kobane (Gouvernement Aleppo), stellte am 26. Jänner 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz und brachte dazu u.a. vor, er habe zwar bereits den verpflichtenden Militärdienst in der syrischen Armee abgeleistet, fürchte aber zum Reservedienst einberufen zu werden, den er ablehne. Deshalb drohe ihm in Syrien Verfolgung.
2 Mit Bescheid vom 7. März 2023 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte dem Mitbeteiligten aber den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung.
3 Der Beschwerde des Mitbeteiligten gegen die Nichtzuerkennung von Asyl gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis statt, erkannte dem Mitbeteiligten den Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 zu und stellte fest, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.
4 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, der Mitbeteiligte stamme zwar aus einer Herkunftsregion, in der das syrische Regime keine Rekrutierungen durchführe. Es sei ihm aber nicht möglich, seine Herkunftsregion ohne Kontakt zum syrischen Regime zu erreichen, sodass er im Falle seiner Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit an einem Grenzkontrollposten oder am Weg in seine Herkunftsregion an einem Checkpoint des syrischen Regimes angehalten und zum Reservedienst eingezogen werden würde, den er glaubhaft ablehne. Deshalb drohe ihm eine Haftstrafe, welche mit Folter und im schlimmsten Fall mit dem Tod verbunden wäre. Es erscheine naheliegend, dass der Revisionswerber wegen der Verweigerung des Militärdienstes und seiner Ausreise aus Syrien vom syrischen Regime als illoyale und der Opposition nahestehende Person und somit als Gegner der syrischen Regierung eingestuft würde. Deshalb drohe ihm bei Rückkehr asylrelevante Verfolgung.
5 Dagegen richtet sich die vorliegende Amtsrevision des BFA, zu der vom Mitbeteiligten eine Revisionsbeantwortung erstattet wurde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
6 Die Revision ist zulässig und begründet.
7 Vorauszuschicken ist, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des BVwG gemäß § 41 VwGG auf der Grundlage der Sach und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses zu prüfen ist (vgl. etwa VwGH 14.3.2025, Ra 2024/18/0507, mwN). Dementsprechend entziehen sich Änderungen der Sach und Rechtslage, die sich nach Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses ereignet haben, einer Prüfung im gegenständlichen Revisionsverfahren.
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seiner jüngeren Rechtsprechung wiederholt mit Fällen auseinandergesetzt, in denen der Asylanspruch von syrischen Asylwerbern aus den kurdischen Autonomiegebieten zu beurteilen war, die einen Militärdienst in der syrischen Armee ablehnten.
9 Der gegenständliche Fall gleicht insoweit in sachverhaltsmäßiger und rechtlicher Hinsicht etwa jenem Fall, der mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 29. Juli 2025, Ra 2024/18/0437, entschieden worden ist. Auf die Begründung dieser Entscheidung kann daher gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen werden.
10 Zusammengefasst hat das BVwG auch im vorliegenden Fall unzureichend begründet, warum es davon ausgeht, dass der Mitbeteiligte bei Rückkehr zwingend mit Sicherheitskräften des syrischen Regimes in Kontakt kommen würde. Es bezog sich in seiner diesbezüglichen Argumentation auf veraltete Länderberichte und ließ, wie die Amtsrevision zutreffend geltend macht, aktuellere Berichte außer Acht, die eine Möglichkeit zur ungefährdeten Rückkehr in die unter kurdischer Kontrolle stehende Herkunftsregion des Mitbeteiligten dartun.
11 Abgesehen von diesem Verfahrensmangel hat das BVwG seine Entscheidung auch mit vorrangig wahrzunehmender inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, indem es ohne Heranziehung abweichender Länderberichte und entgegen der einschlägigen, im verwiesenen Erkenntnis näher zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes von einem Automatismus ausging, demzufolge das syrische Regime jedem syrischen Wehrdienstverweigerer eine politisch oppositionelle Gesinnung unterstelle, und es die in der höchstgerichtlichen Judikatur geforderte Prüfung der Umstände des Einzelfalles unterließ.
12 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 20. August 2025