Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed als Richter sowie die Hofrätinnen Dr. in Gröger und Dr. in Sabetzer als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Hahn, LL.M., über die Revision des J K, vertreten durch MMag. Andreas Waldegg als bestellter Verfahrenshelfer, dieser vertreten durch Mag. Judith Gingerl, Rechtsanwältin in Wien, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. März 2025, W223 2299771 1/12E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
1 Der Revisionswerber, ein syrischer Staatsangehöriger, stellte am 3. Oktober 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz und brachte dazu u.a. vor, den Wehrdienst in der syrischen Armee nicht leisten zu wollen und deshalb bei Rückkehr nach Syrien Verfolgung zu befürchten.
2 Mit Bescheid vom 21. August 2024 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, gewährte dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung.
3 Die gegen die Nichtzuerkennung von Asyl gerichtete Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis ohne mündliche Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.
4 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, vor dem Hintergrund der seit Dezember 2024 geänderten Situation in Syrien bestehe die Gefahr einer Rekrutierung des Revisionswerbers zum Militärdienst in der syrischen Armee nicht mehr. Das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers, das sich auf eine asylrelevante Furcht vor Verfolgung durch das Assad Regime im Zusammenhang mit der Verweigerung des Militärdienstes bei der syrischen Armee beziehe, sei daher zum Entscheidungszeitpunkt nicht einmal denkmöglich geeignet, eine asylrelevante Furcht vor Verfolgung glaubhaft zu machen.
5 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die u.a. eine Verletzung der Verhandlungspflicht des BVwG geltend macht.
6 Das BFA hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
7 Die Revision ist zulässig und begründet.
8 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Absehen von der mündlichen Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 erster Fall BFA VG nur dann gerechtfertigt, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFAVG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018).
9Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in seiner Rechtsprechung zur Verhandlungspflicht des BVwG in Asylsachen auch, dass die Aktualisierung der Länderfeststellungen durch das Verwaltungsgericht, die eine zusätzliche Beweiswürdigung erfordert, grundsätzlich nur nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung erfolgen darf (vgl. etwa VwGH 14.3.2025, Ra 2024/18/0344, mwN).
10 Diesen Grundsätzen hat das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall wie in der Revision zutreffend geltend macht wird nicht entsprochen:
11 Das BFA hat den Antrag des Revisionswerbers bezüglich des Status des Asylberechtigten im August 2024 mit der Begründung abgewiesen, seine drohende Einberufung zum Militärdienst in der syrischen Armee, welchen der Revisionswerber ablehne, erfülle die Voraussetzungen für die Asylgewährung mangels Vorliegens eines Konventionsgrundes nicht.
12 Im Unterschied dazu geht das BVwG im angefochtenen Erkenntnis davon aus, dass sich die Lage in Syrien seit dem Sturz des Assad Regimes im Dezember 2024 grundlegend verändert habe, dem Revisionswerber keine Rekrutierung zum Militärdienst mehr drohe und die Heimatregion des Revisionswerbers vom ehemaligen Regime nicht mehr kontrolliert werde. Deshalb bestehe kein Asylanspruch.
13 Trotz dieser im Vergleich zur Entscheidung des BFA vollkommen geänderten Begründung und einer festgestellten Lageänderung im Herkunftsstaat unter Heranziehung neuer Länderberichte unterließ das BVwG die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und führte dazu fälschlich aus, der Bescheid des BFA habe bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufgewiesen, weshalb das BVwG von einer Verhandlung habe Abstand nehmen können.
14 Die Voraussetzungen für ein Absehen von der Durchführung einer Verhandlung lagen im Revisionsfall nicht vor.
15Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und wie hier gegebendes Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. erneut etwa VwGH 4.3.2025, Ra 2024/18/0344, mwN).
16Das angefochtene Erkenntnis war daher schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
17Von der beantragten mündlichen Verhandlung war gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abzusehen.
18Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014. Das Kostenmehrbegehren findet in diesen Vorschriften keine Deckung und war daher abzuweisen.
Wien, am 22. September 2025