JudikaturVwGH

Ra 2024/17/0173 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
14. Juli 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident MMag. Maislinger sowie die Hofräte Mag. Berger und Dr. Hammerl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, in der Revisionssache des K M, vertreten durch Mag. Stefan Errath, Rechtsanwalt in Wien, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. November 2024, G310 22903361/4E, betreffend Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 sowie Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines Einreiseverbots (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1.1. Der Revisionswerber, ein serbischer Staatsangehöriger, schloss im Juli 2013 die Ehe mit einer ungarischen Staatsangehörigen und hält sich seitdem durchgehend in Österreich auf. Er erwirkte unter Berufung auf seine Ehe zunächst die Ausstellung einer Aufenthaltskarte und in der Folge nach Scheidung der Ehe im Juli 2018 die Ausstellung einer Daueraufenthaltskarte.

1.2. Im Juni 2021 nahm der Landeshauptmann von Wien die Verfahren auf Ausstellung einer Aufenthalts- bzw. Daueraufenthaltskarte wegen Eingehens einer Aufenthaltsehe gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 3 AVG wieder auf und wies die betreffenden Anträge ab. Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Verwaltungsgericht Wien mit am 7. September 2022 mündlich verkündetem und mit 7. Oktober 2022 schriftlich ausgefertigtem Erkenntnis als unbegründet ab.

2.1. In der Folge sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Behörde) mit Bescheid vom 11. März 2024 aus, dass dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen werde, die Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Serbien festgestellt werde, eine Frist für seine freiwillige Ausreise nicht eingeräumt werde, einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt werde und gegen ihn ein Einreiseverbot für die Dauer von drei Jahren erlassen werde.

2.2. Der Revisionswerber erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde und beantragte unter anderem die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

3.1. Mit (Teil)Erkenntnis vom 22. April 2024 wies das Bundesverwaltungsgericht zunächst die Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung als unbegründet ab.

3.2. Mit dem hier angefochtenen (weiteren) Erkenntnis vom 14. November 2024 wies das Bundesverwaltungsgericht ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Beschwerde auch im Übrigen als unbegründet ab. Ferner sprach es aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

4. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die gegenständliche Rechtswidrigkeit des Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende außerordentliche Revision.

5. Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht einheitlich beantwortet wird.

An den Ausspruch des Verwaltungsgerichts gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat jedoch die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichts die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

6.1. Vorliegend wird in der Zulässigkeitsbegründung der Revision unter dem Gesichtspunkt eines Abweichens von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs im Wesentlichen geltend gemacht, das Bundesverwaltungsgericht habe keine mündliche Verhandlung durchgeführt. Es sei davon ausgegangen, dass der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine und daher gemäß § 21 Abs. 7 BFA VG eine Verhandlung unterbleiben könne. Es habe dabei jedoch außer Acht gelassen, dass die Frage der Intensität der privaten und familiären Bindungen eines Fremden nicht auf die bloße Beurteilung von Rechtsfragen reduziert werden könne und dass der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks bei der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmenvor allem bei der Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK entscheidende Bedeutung zukomme. Der Revisionswerber halte sich auch bereits seit mehr als elf Jahren im Bundesgebiet auf, wobei sich seine Integration seit der rechtskräftigen Entscheidung im Wiederaufnahmeverfahren erheblich intensiviert habe. Zudem lebe (mittlerweile) auch sein minderjähriger Sohn in Österreich und besuche hier die Volksschule. Es seien daher auch die Auswirkungen der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen auf das Kind zu berücksichtigen.

6.2. Mit diesem Vorbringen zeigt der Revisionswerber jedoch keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG auf.

7.1. Gemäß § 21 Abs. 7 BFA VG kann selbst bei Vorliegen eines ausdrücklichen Antragseine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht (vgl. etwa VwGH 31.3.2025, Ra 2022/17/0147 und 0148, Pkt. 7.1., mwN).

7.2. Vorliegend stützte sich das Bundesverwaltungsgericht beim Absehen von einer mündlichen Verhandlung auf den erstgenannten Tatbestand des § 21 Abs. 7 BFAVG. Mit diesem hat sich der Verwaltungsgerichtshof bereits im Erkenntnis vom 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017 und 0018 (vgl. insbes. Pkt. 5.12.), eingehend befasst (§ 43 Abs. 2 VwGG). Demnach muss der entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt des Verwaltungsgerichts noch immer die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Behörde muss die die maßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Verwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der behördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstanziiertes Bestreiten außer Betracht bleiben kann (vgl. etwa auch VwGH 20.12.2016, Ra 2016/01/0102, Rn. 9 und 10; 31.5.2024, Ra 2024/20/0286, Rn. 13, mwN).

8.1. Gegenständlich zeigt der Revisionswerber mit dem oben (Pkt. 6.1.) wiedergegebenen lediglich allgemein bzw. pauschal gehaltenen Zulässigkeitsvorbringen nicht im Ansatz auf, dass das Bundesverwaltungsgericht von den soeben dargestellten Leitlinien des Verwaltungsgerichtshofs zu den Voraussetzungen für die Abstandnahme von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA VG abgewichen wäre.

8.2. So bringt der Revisionswerber in keiner Weise vor, dass der entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Behörde nicht vollständig bzw. in einem nicht ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sei bzw. dass der wesentliche Sachverhalt bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichts nicht mehr die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweise. Weiters tritt er den maßgeblichen beweiswürdigenden Erwägungen der Behörde in keiner Weise insbesondere dahingehend, dass die Behörde die den wesentlichen Feststellungen zugrunde liegende Beweiswürdigung nicht in gesetzmäßiger Weise offengelegt habe bzw. dass das Bundesverwaltungsgericht die wesentlichen diesbezüglichen Erwägungen der Behörde nicht teile entgegen. Ferner zeigt er auch in keiner Weise auf, dass in der Beschwerde ein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender relevanter Sachverhalt behauptet worden sei.

9.1. Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar wie die Revision zutreffend hervorhebtbereits wiederholt darauf hingewiesen, dass bei Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks in einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zukommt. Daraus ist aber keine „absolute“ (generelle) Pflicht zur Durchführung einer Verhandlung abzuleiten. Vielmehr kann in eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen werden (vgl. etwa VwGH 20.10.2021, Ra 2021/20/0034, Rn. 20; 30.10.2019, Ra 2019/14/0245, Rn. 9; je mwN).

9.2. Gegenständlich legt die Revision im Zulässigkeitsvorbringen in keiner Weise dar, dass bzw. inwieweit das Bundesverwaltungsgericht nicht von einem eindeutigen Fall im Sinn des Vorgesagten hätte ausgehen und folglich nicht wegen Annahme eines geklärten Sachverhalts im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA VG von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung hätte absehen dürfen. Derartiges ist auf Basis der vom Bundesverwaltungsgericht vor allem auch in Bezug auf das Kind des Revisionswerbers getroffenen unstrittigen Feststellungen auch nicht zu sehen.

9.3. Demnach bestehen aber gegen die Abstandnahme von der beantragten mündlichen Verhandlung keine als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG aufzugreifenden Bedenken.

10.1. Soweit sich der Revisionswerber im Ergebnis auch gegen die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK wendet, ist darauf hinzuweisen, dass eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte derartige Abwägung im Allgemeinen wenn sie in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 BVG ist (vgl. etwa VwGH 29.9.2020, Ra 2020/21/0064, Rn. 13, mwN).

10.2. Dass die vom Bundesverwaltungsgericht fallbezogen vorgenommene Interessenabwägung unvertretbar erfolgt wäre, vermag der Revisionswerber nicht aufzuzeigen.

Der Revisionswerber bestreitet insbesondere nicht das Eingehen einer Aufenthaltsehe und die infolge Wiederaufnahme der Verfahren auf Ausstellung von Aufenthaltskarten und Abweisung der betreffenden Anträge durchgehende Unrechtmäßigkeit seines Aufenthalts seit dem Jahr 2013, aufgrund der auch seine mittlerweile lange Aufenthaltsdauer in ihrer Bedeutung als maßgeblich relativiert anzusehen ist. Ebenso stellt er das Fehlen berücksichtigungswürdiger familiärer Bindungen (ausgenommen zu seinem Sohn), das Nichtvorliegen nennenswerter privater Anknüpfungspunkte, das Fehlen einer beruflichen Beschäftigung seit August 2023 und den unterbliebenen Nachweis maßgeblicher Deutschkenntnisse nicht in Abrede.

Was das Familienleben mit seinem (im Jahr 2016 geborenen) Kind betrifft, so bestreitet der Revisionswerber nicht, dass sich sein Sohn seit September 2023 ebenso illegal im Bundesgebiet aufhält und er das Kind nach Österreich geholt hat, obwohl ihm die Unrechtmäßigkeit seines eigenen Aufenthalts bewusst war bzw. sein musste. Im Hinblick darauf ist jedoch auch sein bisheriges Familienleben mit dem Sohn im Bundesgebiet in seiner Bedeutung als erheblich gemindert anzusehen. Dem Revisionswerber ist es ohne Weiteres zumutbar, sein Familienleben gemeinsam mit dem Kind im Herkunftsstaat fortzusetzen, wo er bis zur Einreise in Österreich jahrzehntelang gelebt hat und noch enge Bindungen unterhält.

10.3. Dem steht auch dasnach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu gewichtende (vgl. etwa VwGH 19.12.2023, Ra 2021/17/0185 bis 0188, Rn. 10, mwN) Kindeswohl nicht entgegen. Nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts hält sich das im Jahr 2016 geborene Kind erst seit September 2023 in Österreich auf. Es hat somit den Großteil seines bisherigen Lebens in Serbien verbracht und befindet sich jedenfalls in einem anpassungsfähigen Alter, sodass im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat mit keinen wesentlichen Anpassungsschwierigkeiten zu rechnen ist. Da der Aufenthalt des Kindes im Bundesgebiet (wie jener des Revisionswerbers) unrechtmäßig ist, kann wie das Bundesverwaltungsgericht nicht unvertretbar würdigte zudem davon ausgegangen werden, dass der Revisionswerber mit seinem Sohn gemeinsam in den Herkunftsstaat zurückkehren werde, wo sich nach der Aktenlage auch bereits die Kindesmutter (seit deren Ausreise aus Österreich im Sommer 2024) aufhält.

10.4. Nach dem Vorgesagten begegnet somit auch die unter ausreichender Berücksichtigung aller maßgebenden Umstände jedenfalls nicht unvertretbar vorgenommeneInteressenabwägung nach Art. 8 EMRK keinen als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufzugreifenden Bedenken.

11. Insgesamt wird daher in der Revision keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war deshalb zurückzuweisen.

Wien, am 14. Juli 2025