Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen Dr.in Lachmayer und Dr.in Wiesinger als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision des Finanzamts für Großbetriebe in 1030 Wien, Radetzkystraße 2, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 26. März 2024, Zl. RV/6100677/2016, betreffend Körperschaftsteuer 2014 (mitbeteiligte Partei: P Privatstiftung in D, vertreten durch die LeitnerLeitner Salzburg GmbH, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in 5020 Salzburg, Hellbrunner Straße 7), den Beschluss gefasst:
Spruch
Dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) wird gemäß Art. 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Steht Art. 63 AEUV einer Steuerregelung eines Mitgliedstaates wie der im Ausgangsverfahren anzuwendenden entgegen, nach der eine im Inland ansässige Privatstiftung auf bestimmte Einkünfte (insbesondere Zinserträge, Erträge aus Beteiligungsveräußerungen und Liegenschaftsveräußerungen) Körperschaftsteuer zu entrichten hat, ihr diese Körperschaftsteuer aber insoweit erstattet wird, als sie Zuwendungen (Schenkungen) an Begünstigte tätigt und diese Zuwendungen der inländischen Kapitalertragsteuer unterliegen, sodass die Erstattung dieser Körperschaftsteuer unterbleibt, insoweit die Begünstigten mit den empfangenen Zuwendungen (aufgrund einer innerstaatlichen Befreiungsbestimmung oder aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens) nicht der Kapitalertragsteuer unterliegen?
A. Sachverhalt und bisheriges Verfahren
1 Die mitbeteiligte Partei ist eine österreichische Privatstiftung mit in der Schweiz ansässigen Begünstigten. Sie wies in ihrer Körperschaftsteuererklärung für das Jahr 2014 Einkünfte aus Kapitalvermögen aus, die als eigene Schedule nach § 13 Abs. 3 KStG 1988 dem Steuersatz nach § 22 Abs. 2 KStG 1988 unterliegen. Diese Einkünfte verringerte sie um im Jahr 2014 getätigte Zuwendungen an ihre in der Schweiz ansässigen Begünstigten.
2 Das Finanzamt erließ nachdem es einen früheren Körperschaftsteuerbescheid für das Jahr 2014 gemäß § 299 BAO aufgehoben hatte einen neuen Körperschaftsteuerbescheid 2014. Mit diesem Bescheid wurde eine Reduktion der Einkünfte der Schedule nach § 13 Abs. 3 KStG 1988 nicht vorgenommen. Es erfolgte auch keine vollständige Entlastung von der Körperschaftsteuer nach § 22 Abs. 2 KStG 1988 im Ausmaß der getätigten Zuwendungen an die in der Schweiz ansässigen Begünstigten. Das Finanzamt begründete, dass diese Empfänger der Zuwendungen aufgrund des Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) Österreich Schweiz keiner Einkommensbesteuerung in Österreich und damit auch keiner Kapitalertragsteuer unterlägen.
3 Die mitbeteiligte Partei erhob gegen den Körperschaftsteuerbescheid 2014 Beschwerde und führte zur Begründung aus, nach Auffassung des EuGH verstoße die Nichtentlastung von der Steuer nach § 22 Abs. 2 KStG 1988 für Zuwendungen an im Ausland ansässige Begünstigte, die wie dies gegenständlich der Fall sei aufgrund eines DBA von der Kapitalertragsteuer entlastet würden, gegen die Kapitalverkehrsfreiheit und sei daher unionsrechtswidrig.
4 Das Bundesfinanzgericht gab der Beschwerde der mitbeteiligten Partei mit Erkenntnis vom 26. März 2024 statt. Es wies auf das EuGH Urteil vom 17. September 2015, F.E. Familienprivatstiftung Eisenstadt , C 589/13, hin, und vertrat im Gegensatz zum Finanzamt den Standpunkt, § 13 Abs. 3 vorletzter Satz KStG 1988 verstoße auch in der durch das Abgabenänderungsgesetz 2015 (AbgÄG 2015) geänderten Fassung gegen die unionsrechtliche Kapitalverkehrsfreiheit; die in dieser Bestimmung normierte Einschränkung sei mit Art. 63 AEUV nicht vereinbar und werde daher verdrängt.
5 Vor dem Verwaltungsgerichtshof macht das Finanzamt geltend, durch die mit dem AbgÄG 2015 vorgenommene Novellierung der Regelung sei die Einmalbesteuerung der in § 13 Abs. 3 KStG 1988 genannten Schedule von Einkünften der Privatstiftung konsequent umgesetzt worden. Eine Unionsrechtswidrigkeit liege nicht mehr vor, weil durch die Neuregelung Privatstiftungen mit Zuwendungen an ausländische Begünstigte und Letztbegünstigte nicht schlechter gestellt würden als Privatstiftungen mit Zuwendungen an inländische Begünstigte und Letztbegünstigte. Zudem werde durch die geänderte Besteuerungssystematik die Einmalbesteuerung der in § 13 Abs. 3 KStG 1988 erfassten Einkünfte der Privatstiftung in Österreich konsequent und unabhängig von der Ansässigkeit der Zuwendungsempfänger sichergestellt.
B. Maßgebende Bestimmungen
1. Nationales Recht
6 Die Körperschaftsteuerpflicht der Privatstiftungen für die in § 13 Abs. 3 KStG 1988 festgelegten Einkünfte-Schedule wurde mit dem AbgÄG 2015, BGBl I Nr. 163/2015, geändert. Die geänderte Rechtslage ist rückwirkend auf alle offenen Verfahren und daher auch im gegenständlichen Fall anzuwenden.
7 Das Körperschaftsteuergesetz 1988 (KStG 1988) in der durch das AbgÄG 2015 novellierten Fassung lautet auszugsweise:
„§ 13. [...]
(3) Bei Privatstiftungen, die nicht unter § 5 Z 6 oder 7 oder unter § 7 Abs. 3 fallen, sind weder bei den Einkünften noch beim Einkommen zu berücksichtigen, sondern nach Maßgabe des § 22 Abs. 2 gesondert zu versteuern:
1. Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 27 des Einkommensteuergesetzes 1988, soweit es sich um
a) Einkünfte aus der Überlassung von Kapital im Sinne des § 27 Abs. 2 Z 2 des Einkommensteuergesetzes 1988,
b) Einkünfte aus realisierten Wertsteigerungen von Kapitalvermögen im Sinne des § 27 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes 1988, soweit nicht Abs. 4 angewandt wird, und
c) Einkünfte aus Derivaten im Sinne des § 27 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes 1988,
handelt und diese nicht in § 27a Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes 1988 genannt sind.
2. Einkünfte aus privaten Grundstücksveräußerungen gemäß § 30 des Einkommensteuergesetzes 1988.
Die Summe der Einkünfte gemäß Z 1 und 2 ist um die Summe der im Veranlagungszeitraum getätigten Zuwendungen im Sinne des § 27 Abs. 5 Z 7 des Einkommensteuergesetzes 1988 zu verringern, insoweit davon Kapitalertragsteuer einbehalten und abgeführt worden ist. Findet eine Entlastung der Zuwendungen von der Kapitalertragsteuer auf Grund eines Doppelbesteuerungsabkommens statt, ist die Summe der Zuwendungen insoweit zu verringern, als sie nicht endgültig mit Kapitalertragsteuer belastet ist. Dies gilt auch, wenn die Entlastung nach Abfuhr der Kapitalertragsteuer stattfindet; die nachträgliche Entlastung gilt als rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 295a der Bundesabgabenordnung.
[...]
§ 22. [...]
(2) Die Körperschaftsteuer beträgt 25% für nach § 13 Abs. 3 und 4 zu versteuernde Kapitalerträge und Einkünfte einer Privatstiftung.
[...]
§ 24. [...]
(5) Körperschaftsteuer, die auf Einkünfte im Sinne des § 13 Abs. 3 und 4 entfällt, ist nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen in der Veranlagung gutzuschreiben:
1. Die Körperschaftsteuer ist bei Abgabe der Steuererklärung auf Grund einer erfolgten Veranlagung festgesetzt und entrichtet.
2. Die Privatstiftung tätigt Zuwendungen im Sinne des § 27 Abs. 5 Z 7 des Einkommensteuergesetzes 1988, für die Kapitalertragsteuer abgeführt wurde.
3. a) Die Bemessungsgrundlage für die Gutschrift ist der Unterschiedsbetrag zwischen
- der Summe der gemäß § 13 Abs. 3 gesondert zu versteuernden Einkünfte und
- der Summe der Zuwendungen im Sinne des § 27 Abs. 5 Z 7 des Einkommensteuergesetzes 1988, wenn diese die Summe der Einkünfte im Sinne des ersten Teilstriches übersteigt.
b) Findet eine Entlastung der Zuwendungen von der Kapitalertragsteuer auf Grund eines Doppelbesteuerungsabkommens statt, ist die Summe der Zuwendungen bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage gemäß lit. a insoweit zu verringern, als sie nicht endgültig mit Kapitalertragsteuer belastet ist. Dies gilt auch, wenn die Entlastung nach Abfuhr der Kapitalertragsteuer stattfindet; die nachträgliche Entlastung gilt als rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 295a der Bundesabgabenordnung.
4. Wird die Körperschaftsteuer der Jahre vor 2011 gutgeschrieben, beträgt die Gutschrift 12,5% der Bemessungsgrundlage gemäß Z 3. Wird die Körperschaftsteuer der Jahre ab 2011 gutgeschrieben, beträgt die Gutschrift 25% der Bemessungsgrundlage gemäß Z 3. Die Körperschaftsteuer der Jahre vor 2011 ist vorrangig gutzuschreiben.
5. Die Privatstiftung führt ein Evidenzkonto, in dem die jährlich entrichtete Körperschaftsteuer, die gutgeschriebenen Beträge und der jeweils für eine Gutschrift in Betracht kommende Restbetrag fortlaufend aufgezeichnet werden.
6. Im Falle der Auflösung der Privatstiftung ist die Höhe der Gutschrift gemäß Z 3 und 4 zu ermitteln. Dabei ist bei der Berechnung der Gutschrift nach Z 3 auch der Restbetrag gemäß Z 5 wie eine Zuwendung im Sinne des § 27 Abs. 5 Z 7 des Einkommensteuergesetzes 1988 zu behandeln. Abweichend von Z 3 lit. b ist trotz Abfuhr der Kapitalertragsteuer im Fall einer möglichen nachträglichen Entlastung der Zuwendungsbetrag entsprechend zu reduzieren. Die Erteilung der Gutschrift erfolgt mit der letzten Veranlagung.
[...]
§ 26c. [...]
58. §§ 13 Abs. 3 und § 24 Abs. 5 Z 3 und Z 4, jeweils in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 163/2015, treten mit 1. Jänner 2016 in Kraft und sind auf alle offenen Verfahren anzuwenden. § 24 Abs. 5 Z 6 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 163/2015 tritt mit 1. Jänner 2016 in Kraft und ist auf Privatstiftungen anwendbar, deren Auflösung gemäß § 35 Abs. 5 zweiter Satz des Privatstiftungsgesetzes nach dem 31. Dezember 2015 in das Firmenbuch eingetragen wurde.“
8 Das Einkommensteuergesetz 1988 (EStG 1988) in der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung lautet auszugsweise:
„§ 27. (1) Einkünfte aus Kapitalvermögen sind Einkünfte aus der Überlassung von Kapital (Abs. 2), [...]
[...]
(5) Als Einkünfte aus der Überlassung von Kapital im Sinne von Abs. 2 gelten auch:
[...]
7. Zuwendungen jeder Art
- von nicht unter § 5 Z 6 des Körperschaftsteuergesetzes 1988 fallenden Privatstiftungen,
[...]
§ 27a. (1) Einkünfte aus Kapitalvermögen unterliegen einem besonderen Steuersatz von 25% und sind bei der Berechnung der Einkommensteuer des Steuerpflichtigen weder beim Gesamtbetrag der Einkünfte noch beim Einkommen (§ 2 Abs. 2) zu berücksichtigen, sofern nicht die Regelbesteuerung (Abs. 5) anzuwenden ist.
[...]
§ 93. (1) Bei inländischen Einkünften aus Kapitalvermögen wird die Einkommensteuer durch Steuerabzug erhoben (Kapitalertragsteuer). [...]
(2) Inländische Einkünfte aus Kapitalvermögen liegen vor:
1. Bei Einkünften aus der Überlassung von Kapital (§ 27 Abs. 2), wenn sich die auszahlende Stelle (§ 95 Abs. 2 Z 1 lit. b) im Inland befindet. Bei Einkünften aus der Überlassung von Kapital gemäß § 27 Abs. 2 Z 1, § 27 Abs. 5 Z 7 und Zinsen aus Geldeinlagen bei Kreditinstituten und aus sonstigen Geldforderungen gegenüber Kreditinstituten im Sinne des § 27a Abs. 1 Z 1 liegen auch dann inländische Einkünfte aus Kapitalvermögen vor, wenn der Schuldner der Kapitalerträge Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz im Inland hat oder inländische Zweigstelle eines ausländischen Kreditinstituts ist. [...]
[...]
§ 97. (1) Für natürliche Personen und für nicht unter § 7 Abs. 3 des Körperschaftsteuergesetzes 1988 fallende Körperschaften gilt die Einkommensteuer (Körperschaftsteuer) für Einkünfte aus Kapitalvermögen, auf deren Erträge der besondere Steuersatz gemäß § 27a Abs. 1 anwendbar ist, durch die Kapitalertragsteuer als abgegolten, ausgenommen in den Fällen der Regelbesteuerungsoption (§ 27a Abs. 5) und der Verlustausgleichsoption (Abs. 2).
§ 98. (1) Der beschränkten Einkommensteuerpflicht (§ 1 Abs. 3) unterliegen nur die folgenden Einkünfte:
[...]
5. Einkünfte aus Kapitalvermögen im Sinne des § 27, wenn
a) es sich dabei um Einkünfte aus der Überlassung von Kapital gemäß § 27 Abs. 2 Z 1 oder § 27 Abs. 5 Z 7 handelt, der Abzugsverpflichtete Schuldner der Kapitalerträge ist (§ 95 Abs. 2 Z 1 lit. a) und Kapitalertragsteuer einzubehalten war.
9 Zuwendungen einer Privatstiftung stellen bei den Begünstigten (Empfänger der Zuwendung) Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 27 Abs. 5 Z 7 EStG 1988 dar. Gemäß § 93 Abs. 2 Z 1 EStG 1988 muss die Privatstiftung bei der Auszahlung der Zuwendung grundsätzlich Kapitalertragsteuer (als Quellensteuer) einbehalten. Die Kapitalertragsteuer hat gemäß § 97 EStG 1988 für die Empfänger der Zuwendungen „Endbesteuerungswirkung“. Das bedeutet: Die Begünstigten erhalten die Schenkung der Privatstiftung (Zuwendung) nur in Höhe des um die Kapitalertragsteuer geminderten Betrages ausbezahlt. Bei den Begünstigten sind damit die einkommensteuerlichen Pflichten bereits erfüllt, es fallen also bei den Begünstigten keine weiteren Einkommensteuern an. Auch im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht sind die Kapitaleinkünfte aus Zuwendungen einkommensteuerlich zu erfassen (§ 98 Abs. 1 Z 5 lit. a EStG 1988) und unterliegen der Kapitalertragsteuer.
10 Nach Art. 21 des DBA Österreich Schweiz, BGBl Nr. 64/1975, dürfen die in den Zuteilungsartikeln nicht ausdrücklich erwähnten Einkünfte einer in einem Vertragsstaat ansässigen Person nur in diesem Staat (Ansässigkeitsstaat) besteuert werden.
11 Nach Art. 50 B VG bedarf der Abschluss von Staatsverträgen, die gesetzändernden oder gesetzesergänzenden Inhalt haben der Genehmigung des Nationalrates. Dies betrifft auch DBA. Durch den Beschluss des Nationalrats wird das DBA Teil des nationales Rechts und ändert das entsprechende nationale Recht ab (vgl. VwGH 30.3.2006, 2002/15/0098). Das DBA stellt eine lex specialis zum Einkommensteuergesetz dar. Die Zuwendungen an in der Schweiz ansässige Begünstigte unterliegen somit nicht nur nach dem DBA Österreich Schweiz, sondern auch nach nationalem Recht keiner Besteuerung in Österreich.
2. Unionsrecht
12 Art. 63 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union lautet:
„Artikel 63
(ex Artikel 56 EGV)
(1) Im Rahmen der Bestimmungen dieses Kapitels sind alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten.
(2) Im Rahmen der Bestimmungen dieses Kapitels sind alle Beschränkungen des Zahlungsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten.“
C. Erläuterung der Vorlagefrage
13 Mit dem Budgetbegleitgesetz 2001 (BudBG 2001) wurde eine Körperschaftsteuerpflicht der Privatstiftung für die in § 13 Abs. 3 KStG 1988 genannten Kapitaleinkünfte eingeführt (so genannte „Zwischensteuer“), welche Gegenstand des dem EuGH Urteil vom 17. September 2015, F.E. Familienprivatstiftung Eisenstadt , C 589/13, zugrundeliegenden Vorabentscheidungsersuchens war. Diese Regelung sah eine Besteuerung der betroffenen Kapitaleinkünfte auf Ebene der Stiftung vor. Weiters war vorgesehen, dass Zuwendungen an in Österreich ansässige Begünstigte bei der Stiftung zu einer korrespondierenden Entlastung von dieser Körperschaftsteuer führten, wohingegen diese Entlastung für Zuwendungen an im Ausland ansässige Begünstigte (einschließlich solcher aus anderen EU oder EWR Mitgliedstaaten) dann nicht gelten sollte, wenn sie ihren DBA Anspruch auf Befreiung von der österreichischen Besteuerung geltend machten. Eine Einmalbesteuerung der genannten Kapitaleinkünfte in Österreich war mit dem BudBG 2001 jedoch nicht sichergestellt worden, weil § 24 Abs. 5 KStG 1988 die bedingungslose Gutschrift der noch nicht verwerteten Körperschaftsteuer („Zwischensteuer“) im Falle einer Auflösung der Privatstiftung vorgesehen hatte (siehe auch Rn 28 des EuGH Urteils F.E. Familienprivatstiftung Eisenstadt , C 589/13).
14 Im Urteil F.E. Familienprivatstiftung Eisenstadt , C 589/13, hat der EuGH ausgesprochen, dass Schenkungen in Form von Zuwendungen einer österreichischen Privatstiftung an in einem anderen Land ansässige Begünstigte in den Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit fallen. Den Umstand, dass diese Schenkungen nur dann zu einer Entlastung der Privatstiftung von der „Zwischensteuer“ führen, wenn die Privatstiftung hierfür Kapitalertragsteuer einbehalten und abführen muss, während eine Entlastung von der „Zwischensteuer“ nicht erfolgt, wenn Schenkungen an Personen getätigt werden, hinsichtlich derer DBA Begünstigungen die Erhebung der Kapitalertragsteuer unterbinden, hat der EuGH als Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit gewertet. Diese Beurteilung hat der EuGH u.a. auf den nur vorläufigen Charakter der auf Ebene der Stiftung zu erhebenden „Zwischensteuer“ gestützt. Das Urteil des EuGH geht an vielen Stellen darauf ein, dass die seinerzeit zu prüfende „Zwischensteuer“ spätestens bei der Auflösung der Privatstiftung vollständig zu erstatten war und daher nur einen vorläufigen Charakter aufwies (Rn 65, Rn 79 und Rn 84). In Rn 65 wird beispielsweise ausgeführt: „Gemäß ihrer Qualifizierung als ‚Zwischensteuer‘ sollte diese Steuer spätestens bei Auflösung der Privatstiftung vollständig erstattet werden, da sie zugunsten der Stiftung eine Steuergutschrift über die von der Stiftung als Zwischensteuer gezahlten Beträge auslöste. Der Wohnsitz des Empfängers der Zuwendung spielte in diesem Zusammenhang keine Rolle.“
15 Um der EuGH Entscheidung Rechnung zu tragen, wurden die relevanten österreichischen Rechtvorschriften mit dem AbgÄG 2015 geändert. Eine Systemänderung wurde bewirkt, indem die vollständige und bedingungslose Erstattung der Steuer nach § 22 Abs. 2 KStG 1988 im Fall der Auflösung der Privatstiftung beseitigt wurde. Nunmehr ist die Erstattung der Steuer nach § 22 Abs. 2 KStG 1988 davon abhängig, ob und in welchem Ausmaß die Letztzuwendung der Privatstiftung mit Kapitalertragsteuer belastet ist. Um die Besteuerung der Einkünfte iSd § 13 Abs. 3 KStG 1988 sicherzustellen, wurde die Erstattung der auf die Einkünfte der Stiftung erhobenen Körperschaftsteuer nach § 22 Abs. 2 KStG 1988 also auch für den Fall der Auflösung der Privatstiftung ausgeschlossen, soweit die von der Stiftung getätigte (letzte) Schenkung nicht mit Kapitalertragsteuer belastet ist.
16 Weiters geht die mit dem AbgÄG 2015 novellierte Regelung nunmehr auch auf jene Fälle ein, in denen die Schenkungen (Zuwendungen) an Begünstigte durch ein DBA nur teilweise von der inländischen Kapitalertragsteuer ausgenommen werden. Die Erstattung der auf die Einkünfte nach § 13 Abs. 3 KStG 1988 erhobenen Körperschaftsteuer wird nach der Novellierung nur mehr insoweit versagt, als eine Belastung mit Kapitalertragsteuer unterbleiben muss, während nach der Rechtslage vor dem AbgÄG 2015 die Entlastung von der österreichischen Körperschaftsteuer auch dann zur Gänze ausgeschlossen war, wenn das DBA dem Empfänger der Zuwendung bloß eine teilweise Entlastung einräumte.
17 Im Übrigen ist darauf zu verweisen, dass bereits mit dem 1. StabG 2012 in den Kreis der Einkünfte Schedule nach § 13 Abs. 3 KStG 1988 auch die Einkünfte aus der Veräußerung inländischer Liegenschaften aufgenommen worden sind.
18 Wesentlich ist jedenfalls, dass mit dem AbgÄG 2015 ein Systemwechsel eingetreten ist. Zweck dieses Systems ist es, die Besteuerung des Einkommens, das von der Stiftung durch ihre im österreichischen Hoheitsgebiet ausgeübte wirtschaftliche Tätigkeit erzielt worden ist, sicherzustellen.
19 Bei Zuwendungen an Begünstigte im selben Jahr, in dem die Privatstiftung gemäß § 13 Abs. 3 KStG 1988 steuerpflichtige Einkünfte erzielt, reduziert sich die Bemessungsgrundlage und damit auch die Steuer gemäß § 22 Abs. 2 KStG 1988 in dem Ausmaß, als die Zuwendungen der Kapitalertragsteuer unterliegen. Erfolgt eine Zuwendung in späteren Jahren, erhält die Privatstiftung eine korrespondierende Gutschrift der Steuer gemäß § 22 Abs. 2 KStG 1988.
20 Die Reduktion oder Rückerstattung der Steuer gemäß § 22 Abs. 2 KStG 1988 ist nicht davon abhängig, ob der Empfänger der Zuwendungen im Inland oder im Ausland ansässig ist, sondern alleine davon, ob die Zuwendung mit Kapitalertragsteuer belastet bleibt. Liegt nach innerstaatlichem Recht keine Kapitalertragsteuerpflicht für die Zuwendungen vor (wie etwa bei Zuwendungen an gemeinnützige Begünstigte), erfolgt keine Reduktion oder Rückerstattung. Weist ein DBA dem Ansässigkeitsstaat des Empfängers das Besteuerungsrecht zu, erfolgt ebenfalls keine Reduktion oder Rückerstattung. Bei im Ausland ansässigen Begünstigten, mit deren Ansässigkeitsstaat kein DBA oder ein DBA abgeschlossen wurde, das die Besteuerung der Zuwendungen dem Quellenstaat zuweist, kommt es hingegen zur Reduktion oder Rückerstattung der Steuer gemäß § 22 Abs. 2 KStG 1988. Eine teilweise Reduktion oder Rückerstattung der Steuer erfolgt auch dann, wenn ein DBA die Besteuerung der Zuwendungen in Österreich mit einem niedrigeren Steuersatz erlaubt.
21 Die Steuer gemäß § 22 Abs. 2 KStG 1988 ist eine Körperschaftsteuer der Privatstiftung, die auf die in § 13 Abs. 3 KStG 1988 definierte Einkommens Schedule erhoben wird und die Besteuerung dieser im Inland durch die inländische Privatstiftung erzielten Einkünfte (insbesondere Zinserträge, Erträge aus der Veräußerung von Beteiligungen, Erträge aus der Veräußerung von Liegenschaften) sicherstellt. Während die durch die Rechtslage vor dem AbgÄG 2015 normierte „Zwischensteuer“ einen nur vorläufigen Charakter aufgewiesen hat, weil sie spätestens bei Auflösung der Privatstiftung vollständig erstattet wurde, stellt die die aktuelle Steuer gemäß § 22 Abs. 2 KStG 1988 endgültig die einmalige Erfassung von im Inland erzielten Gewinnen aus bestimmten Kapitalvermögen und aus Liegenschaftsverkäufen sicher. Mit anderen Worten: Die neue Rechtslage zielt auf eine dauerhafte Steuerbelastung der in § 13 Abs. 3 KStG 1988 definierten Einkommens Schedule in Österreich ab.
22 Durch das aktuelle Besteuerungssystem wird erreicht, dass die Zuwendung einer Privatstiftung unabhängig vom Ansässigkeitsstaat der Begünstigten in derselben Höhe mit Steuer belastet bleibt und die Begünstigten eine jeweils gleich hohe Zuwendung erhalten. Dies zeigt folgendes Beispiel:
Die Privatstiftung erzielt im Jahr 1 aus einem Geschäftsvorgang (z.B. Liegenschaftsverkauf) einen in die Schedule nach § 13 Abs. 3 KStG 1988 fallenden Gewinn von 1.000. Sie hat für diesen Gewinn Körperschaftsteuer nach § 22 Abs. 2 KStG 1988 von 25% (also 250) zu entrichten.
Im Jahr 2 wendet die Privatstiftung diesen Gewinn als Schenkung (Zuwendung) a) einer in Österreich ansässigen kapitalertragsteuerpflichtigen Begünstigten oder b) einer im Drittland ansässigen Begünstigten, die nicht kapitalertragsteuerpflichtig ist, zu:
a) Von der Zuwendung an die österreichische Begünstigte von 1000 hat die Privatstiftung 25% Kapitalertragsteuer einzubehalten, sodass sie 750 an die Begünstigte auszahlen kann. Die Privatstiftung führt die einbehaltene Kapitalertragsteuer in Höhe von 250 an das Finanzamt ab und erhält im Rahmen der Veranlagung eine Gutschrift der von ihr bereits bezahlten Steuer nach § 22 Abs. 2 KStG 1988 in Höhe von 250. Es bleibt bei der einmaligen Belastung mit 250.
b) Die Zuwendung an die im Drittland ansässige Begünstigte bewirkt (aufgrund der DBA Begünstigung) keinen Anfall von Kapitalertragsteuer, andererseits tritt auch keine Gutschrift der bereits erhobenen Steuer nach § 22 Abs. 2 KStG 1988 ein. Die Steuerleistung der Privatstiftung ist auch hier exakt 250. Die Privatstiftung wird ihre Zuwendung an die Begünstigte um diese endgütige Steuerbelastung mindern, sodass auch in diesem Fall 750 bei der Begünstigten eingehen werden.
Sohin hat im Fall a) wie auch im Fall b) die Privatstiftung den gleich hohen Betrag an Steuern abzuführen, einmal als Körperschaftsteuer, einmal als Kapitalertragsteuer. Auch der Betrag der im Fall a) wie auch im Fall b) zur Auszahlung an die Begünstigte gelangt, ist jeweils gleich hoch. Wirtschaftlich ist die Privatstiftung somit im Hinblick auf die an die Begünstigte zugewendeten Beträge immer gleich hoch belastet.
23 Des Weiteren erscheint folgender Umstand relevant: Wenn auch die Zuwendung einer Privatstiftung an Begünstigte als Schenkung gewertet werden kann, besteht doch eine Ähnlichkeit zur Ausschüttung von Dividenden durch Kapitalgesellschaften (außerhalb des Anwendungsbereiches der Mutter Tochter Richtlinie). Es wird in beiden Fällen der Gewinn einer Körperschaft an deren Anteileigner bzw. an deren Begünstigten übertragen. Die Zuwendungen und die Dividenden unterliegen der Kapitalertragsteuer.
24 In der Dividenden Rechtsprechung des EuGH wird das Recht des Mitgliedstaates, in dem die Körperschaft ansässig ist, seine eigene Körperschaftsteuer zu erheben (und die Erträge daraus zu behalten), traditionell respektiert („source country entitlement“). Der Sitzstaat der ausschüttenden Gesellschaft ist nach dieser Rechtsprechung nicht verpflichtet, auf sein Recht zur Besteuerung der Unternehmensgewinne zu verzichten, um die wirtschaftliche Doppelbesteuerung grenzüberschreitender Ausschüttungen abzumildern.
25 Im EuGH Urteil vom 12. Dezember 2006, ACT Group Litigation , C 374/04, Rn 59, hat die Große Kammer dazu ausdrücklich festgehalten:
„Würde man vom Sitzstaat der ausschüttenden Gesellschaft verlangen, dass er dafür sorgt, dass die an einen gebietsfremden Anteilseigner ausgeschütteten Gewinne nicht einer mehrfachen Belastung oder einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung unterworfen werden indem er entweder der ausschüttenden Gesellschaft hinsichtlich dieser Gewinne Steuerfreiheit oder aber diesem Anteilseigner eine Steuervergünstigung gewährt, die der von der ausschüttenden Gesellschaft für diese Gewinne entrichteten Steuer entspricht , würde dies letztlich bedeuten, dass dieser Staat auf sein Recht zur Besteuerung eines Einkommens, das durch eine in seinem Hoheitsgebiet ausgeübte wirtschaftliche Tätigkeit erzielt wurde, verzichten muss.“
26 Das Vorrecht des Quellenstaates auf Besteuerung eines Einkommens, das durch eine in seinem Hoheitsgebiet ausgeübte wirtschaftliche Tätigkeit erzielt wurde, hat den EuGH im Urteil vom 12. Dezember 2006, ACT Group Litigation , C 374/04, zur Schlussfolgerung veranlasst, dass aus der Sicht des Sitzstaates der ausschüttenden Gesellschaft Dividenden, die an gebietsansässige oder gebietsfremde Empfänger gezahlt werden, objektiv nicht vergleichbar sind, sodass eine unterschiedliche Behandlung der beiden Gruppen von Dividenden im Hinblick auf die Anrechnung der Körperschaftsteuer (ACT) keine Diskriminierung im Sinne der EU Grundfreiheiten begründet.
27 Die Einkünfte, die in der in § 13 Abs. 3 KStG 1988 definierten Schedule enthalten sind (insbesondere Zinsen, Einkünfte aus Beteiligungsveräußerungen und Einkünfte aus privaten Grundstücksveräußerungen), unterliegen auch bei in Österreich ansässigen Körperschaften (GmbH, AG etc.) der Körperschaftsteuer. Die Steuer gemäß § 22 Abs. 2 KStG 1988 weist nach dem mit dem AbgÄG 2015 eingeführten System nicht mehr den Charakter der Vorläufigkeit auf und stellt die Besteuerung der betroffenen, durch die Privatstiftung in Österreich erzielten Einkünfte sicher.
28 Die Stiftungszuwendungen sind grundsätzlich mit Dividenden vergleichbar. Wie in Rn 11 dargelegt, sind die in dem DBA mit der Schweiz bilateral vereinbarten Regelungen durch Beschluss des Nationalrats auch Teil des nationalen Rechts, wodurch bereits nach nationalem Recht keine Besteuerung der Zuwendungen an in der Schweiz ansässige Begünstigte erfolgt. Der EuGH hat in seinem Urteil vom 12. Dezember 2006, ACT Group Litigation , C 374/04, die objektive Vergleichbarkeit von im Inland und im Ausland ansässigen Dividendenempfängern schon deshalb verneint, weil der Sitzstaat der ausschüttenden Gesellschaft nach nationalem Recht die im Ausland ansässigen Anteileigner nicht besteuerte.
29 Ungeachtet dessen hat der EuGH in den Urteilen vom 17. Dezember 2015, Timac Agro , C 388/14, und vom 22. September 2022, W , C 538/20, bei der Prüfung der objektiven Vergleichbarkeit von In und Auslandsfällen auch die im Rahmen von DBA getroffenen Vereinbarungen herangezogen und damit dem Abschluss von DBA für die Beurteilung der Unionsrechtskonformität der nationalen Rechtslage eine wesentliche Bedeutung beigemessen.
30 Im Urteil vom 10. Mai 2012, Santander , C 338/11 bis C 347/11, Rn 30 und 52, hat der EuGH geprüft, ob das nationale französische Recht auf die Besteuerung bei den Anteilinhabern eines OGAW abstellte, um einen Ausgleich für die Befreiung von der Quellensteuer beim (gebietsansässigen) OGAW zu schaffen, und damit im Ergebnis eine Gesamtbetrachtung von OGAW und Anteilinhaber vorgenommen. Der im französischen Recht fehlende Zusammenhang liegt im Vorlagefall vor, weil die Reduktion bzw. Rückerstattung der von der Stiftung gemäß § 22 Abs. 2 KStG 1988 geschuldeten Steuer von der Besteuerung der Zuwendung beim Zuwendungsempfänger abhängt.
31 Im Hinblick auf die Konzeption des mit dem AbgÄG 2015 geschaffenen Systems der Besteuerung nach § 13 Abs. 3 iVm § 22 Abs. 2 sowie § 24 Abs. 5 KStG 1988 könnte insgesamt eine Konstellation vorliegen, die mit jener vergleichbar ist, die dem EuGH Urteil vom 12. Dezember 2006, ACT Group Litigation , C 374/04, zugrunde lag. Auf der Grundlage der mit dem AbgÄG 2015 geänderten Rechtslage stellt sich daher die Frage, ob Zuwendungen, die eine inländische Privatstiftung an kapitalertragsteuerpflichtige gebietsansässige oder aufgrund eines DBA nicht der Kapitalertragsteuer unterliegende gebietsfremde Begünstigte leistet, objektiv vergleichbar sind und ob die in der hier anzuwendenden Steuerregelung enthaltene Unterscheidung zwischen diesen beiden Gruppen eine Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit begründen kann.
32 Judikatur des EuGH zur Frage, ob der in der Dividenden Rechtsprechung aufgestellten Grundsatz des „source country entitlement“ auch bei Konstellationen wie der gegenständlichen zum Tragen kommt, liegt nicht vor.
33 Die Frage wird daher dem EuGH mit dem Ersuchen um Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV vorgelegt.
Wien, am 24. Juni 2025