JudikaturVwGH

Ra 2024/08/0143 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
30. Dezember 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Andrés, über die Revision des C D in W, vertreten durch Dr. Michael Celar, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Mariahilferstraße 88a, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Oktober 2024, W255 22712402/5E, betreffend Wiederaufnahme nach dem VwGVG in einer Angelegenheit des AlVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Arbeitsmarktservice Wien Laxenburger Straße), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1Mit im Beschwerdeweg ergangenem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Mai 2023 wurde ausgesprochen, dass der Revisionswerber für den Zeitraum 10. Oktober 2022 bis 20. November 2022 gemäß § 10 iVm § 38 AlVG seinen Anspruch auf Notstandshilfe verloren habe, weil er eine ihm zugewiesene zumutbare Beschäftigung vereitelt habe. Dieses Erkenntnis wurde vom Revisionswerber nicht bekämpft.

2Am 3. September 2024 beantragte der Revisionswerber gemäß § 32 VwGVG die Wiederaufnahme des Beschwerdeverfahrens. Er habe am 23. August 2024 von einem arbeitsmedizinischen Sachverständigengutachten vom 1. August 2022 Kenntnis erlangt, dem zu entnehmen sei, dass ihm eine Tätigkeit im erlernten und auch überwiegend ausgeübten Beruf Kellner wegen Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule nicht zumutbar sei. Es sei ihm daher auch die im Herbst 2022 zugewiesene Beschäftigung in einem Hotel nicht zumutbar gewesen. Von dem Gutachten habe er erst Kenntnis erlangt, nachdem sein neuer AMS Betreuer ihm bei einem Termin am 23. August 2024 erklärt habe, dass eine Stellenzuweisung als Kellner gar nicht zumutbar wäre, und ihm das Gutachten ausgedruckt habe.

3 Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Bundesverwaltungsgericht den Wiederaufnahmeantrag als verspätet zurück.

4 Es stellte fest, dass der Revisionswerber bereits am 22. August 2022 vom Gutachten Kenntnis erlangt und nicht dargetan habe, warum er es nicht bereits im abgeschlossenen Verfahren hätte vorlegen können.

5 Beweiswürdigend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, das Vorbringen, wonach der Revisionswerber erst im Rahmen eines Gesprächs mit seinem AMSBerater am 23. August 2024 vom Gutachten erfahren habe, entspreche nicht den Tatsachen. Laut einem Aktenvermerk des AMS vom 22. August 2022 habe der Revisionswerber spätestens an diesem Tag vom Gutachten Kenntnis erlangt. Aus dem Akt des AMS ergebe sich, dass sich der Revisionswerber am 22. August 2022 wegen einer Sperre nach § 11 AlVG beim AMS erkundigt habe. Der (damalige) Betreuer habe ihn über die Bezugseinstellung informiert und den dazu erstellten „BBRZ-Bericht“ (das mit dem Wiederaufnahmeantrag vorgelegte arbeitsmedizinische Gutachten) mit ihm besprochen. Es sei vermerkt worden, dass der Revisionswerber angegeben hätte, weiterhin seinen ersten „Berufswunsch“ (Kellner) ausüben zu wollen. Demnach habe der zuständige AMS Betreuer den Revisionswerber schon am 22. August 2022 über das Gutachten und dessen Inhalt informiert. Dies sei auch insofern schlüssig, als dem Gutachten eine persönliche Untersuchung des Revisionswerbers am 1. August 2022 vorangegangen sei und der Revisionswerber gewusst habe, dass diese Untersuchung ausschließlich dem Zweck gedient habe, zeitnah ein arbeitsmedizinisches Sachverständigengutachten zu verfassen. Der Revisionswerber habe daher am Tag der Untersuchung erwarten müssen, dass kurz nach der Untersuchung ein Gutachten erstellt würde, was auch der Fall gewesen sei. Er habe spätestens am 22. August 2022 Kenntnis von dem Gutachten erlangt. Warum er im Antrag vorbringe, erst am 23. August 2024 von dem Gutachten erfahren zu haben, sei nicht nachvollziehbar.

6Aus weiteren Aktenvermerken des AMS gehe zudem hervor, dass der Revisionswerber trotz des Gutachtens weiter eine Vermittlung als Kellner gewünscht habe. Am 5. Oktober 2022 habe er gegenüber dem AMS angegeben, ab November oder Dezember 2022 wieder als Saisonarbeiter in der Gastronomie arbeiten zu wollen und sich laufend zu bewerben. Soweit er vorbringe, dass das AMS und das Bundesverwaltungsgericht das Gutachten nicht berücksichtigt hätten, sei das unzutreffend. Es sei vielmehr bereits im Verfahren betreffend die Sperre nach § 11 AlVG berücksichtigt worden. Die Zuweisung der im abgeschlossenen Verfahren über den Anspruchsverlust nach § 10 AlVG fraglichen Beschäftigung sei auf ausdrücklichen Wunsch des Revisionswerbers, als Kellner arbeiten zu wollen, erfolgt. Es sei nicht nachvollziehbar, wie er zu der Auffassung gelange, dass das Gutachten nicht berücksichtigt worden sei. Als der Revisionswerber am 5. Oktober 2022 zu den Gründen für das Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses einvernommen worden sei, habe er keine Einwendungen hinsichtlich seiner körperlichen Fähigkeiten und Gesundheit erhoben (sondern erklärt, ab November als Saisonarbeiter in der Gastronomie arbeiten zu wollen).

7 Zusammengefasst habe der Revisionswerber nicht glaubhaft machen können, dass es sich bei dem Gutachten um ein neues Beweismittel handle, das ohne sein Verschulden nicht hätte geltend gemacht werden können und voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätte.

8 In rechtlicher Hinsicht folgerte das Bundesverwaltungsgericht zum einen, dass der Wiederaufnahmeantrag verspätet sei, weil der Revisionswerber schon am 22. August 2022 vom Gutachten Kenntnis erlangt habe. Zum anderen führte es aus, dass dem Antrag auch kein Erfolg beschieden gewesen wäre, wenn von seiner Rechtzeitigkeit ausgegangen würde. Das Gutachten sei bei Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens schon vorhanden gewesen. Der Revisionswerber hätte sowohl im behördlichen Verfahren als auch im Beschwerdeverfahren ausreichend Gelegenheit gehabt, auf das Gutachten hinzuweisen. Er habe nicht glaubhaft machen können, dass die Vorlage des Gutachtens ohne sein Verschulden nicht möglich gewesen sei. Dem AMS sei das Gutachten ohnedies bekannt gewesen, es habe aber den ausdrücklichen Wünschen des Antragstellers (in Bezug auf eine Vermittlung als Kellner) entsprochen. Das Gutachten sei daher nicht geeignet, für sich oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens eine im Hauptinhalt des Spruchs anderslautende Entscheidung herbeizuführen, da der Revisionswerber trotz des dem AMS bekannten Gutachtens weiter in die Gastronomie vermittelt werden habe wollen. Ein tauglicher Wiederaufnahmegrund liege demzufolge nicht vor.

9Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

10 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B VG).

11Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

12Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

13 Unter diesem Gesichtspunkt rügt der Revisionswerber, dass das Bundesverwaltungsgericht die Verhandlungspflicht verletzt habe. Die beantragte Verhandlung wäre durchzuführen gewesen, weil der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt nämlich betreffend den Zeitpunkt der tatsächlichen Kenntnis des Revisionswerbers vom arbeitsmedizinischen Gutachten strittig gewesen sei.

14 Diesem Vorbringen ist zunächst zu entgegnen, dass im Wiederaufnahmeantrag weder eine Verhandlung noch die Einvernahme des Revisionswerbers beantragt wurde. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde, über die im wiederaufzunehmenden Verfahren abgesprochen wurde, gilt nicht auch für das Verfahren über den Wiederaufnahmeantrag.

15 Das Bundesverwaltungsgericht war auch nicht verpflichtet, von Amts wegen eine Verhandlung durchzuführen. Es hat seine Entscheidung nämlich nicht nur darauf gestützt, dass der Antrag wegen des festgestellten Zeitpunkts der Kenntnisnahme vom Gutachten verspätet war, sondern in einer Alternativbegründung dargelegt, dass ihm auch inhaltlich kein Erfolg beschieden wäre.

16Gegen diese Alternativbegründung und die ihr zugrunde gelegten Feststellungen wendet sich der Revisionswerber nicht. Ausgehend davon kann dem Bundesverwaltungsgericht aber jedenfalls insoweit nicht entgegengetreten werden, als es ein Verschulden des Revisionswerbers an der erst nach Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahren erfolgten Geltendmachung des Gutachtens annahm. Denn selbst wenn das Gutachten beim Termin am 22. August 2022 vom Berater des AMS nicht explizit gegenüber dem Revisionswerber erwähnt worden sein sollte, so wusste er doch, dass am 1. August 2022 eine Untersuchung stattgefunden hatte, um (in einem Verfahren nach § 11 AlVG) die gesundheitliche Zumutbarkeit der von ihm zuvor beendeten Beschäftigung als Kellner zu beurteilen. Es ist also nicht ersichtlich, warum es ihm nicht möglich gewesen sein sollte, auf diese Untersuchung hinzuweisen bzw. die Beischaffung des darauf gegründeten Gutachtens zu beantragen.

17 Ein Verschulden an der nicht erfolgten Geltendmachung des Gutachtens im wiederaufzunehmenden Verfahren hätte zwar zur Abweisung und nicht zur Zurückweisung des Wiederaufnahmeantrags führen müssen. Durch die Zurückweisung anstelle der Abweisung wurde der Revisionswerber im vorliegenden Fall aber nicht in Rechten verletzt.

18 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 30. Dezember 2024