Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kleiser sowie die Hofrätinnen Mag. Rehak und Mag. Bayer als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, in der Revisionssache der Gemeinde Gries am Brenner, vertreten durch Mag. Ferdinand Kalchschmid, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Andreas Hofer Straße 2 4, 3. Stock, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 8. Oktober 2024, LVwG 2024/49/1931 17, betreffend Enteignung nach § 17 Bundesstraßengesetz 1971 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Tirol; mitbeteiligte Partei: ASFINAG Autobahnen und Schnellstraßen Finanzierungs Aktiengesellschaft, vertreten durch Mag. Christian Fuchs und Dr. Ralf Wenzel, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Anichstraße 42), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
2Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
3Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
4Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol (Verwaltungsgericht) wurde die Beschwerde der revisionswerbenden Partei gegen die Spruchpunkte I., II. und VI. des Bescheides der belangten Behörde vom 26. Juni 2024, mit welchem nähere Feststellungen zur „Notwendigkeit der Enteignung nach § 20 Abs. 1 BStG“ getroffen (Spruchpunkt I.) und an näher bezeichneten, im Eigentum bzw. „im Verwaltungsbereich“ der revisionswerbenden Partei stehenden Grundstücken zugunsten der mitbeteiligten Partei näher angeführte Zwangsrechte im Wege der Enteignung nach § 17 Bundesstraßengesetz 1971 (BStG 1971) eingeräumt worden waren (Spruchpunkt II.), sowie der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gegen diese Spruchpunkte verfügt worden war (Spruchpunkt VI.), mit einer sich auf eine Grundstücksbezeichnung in Spruchpunkt II. beziehenden Maßgabe als unbegründet abgewiesen. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass gegen dieses Erkenntnis die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
5Begründend hielt das Verwaltungsgericht im Wesentlichen fest, dass mit Bescheid der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie vom 21. August 2023 gemäß § 4 Abs. 1 BStG 1971 der Straßenverlauf für ein näher bezeichnetes Bundesstraßenbauvorhaben bestimmt worden sei (in der Folge: Trassenbescheid). Mit Schreiben vom 21. Mai 2024 habe die mitbeteiligte Partei die „Zwangsrechtseinräumung und Aberkennung der aufschiebenden Wirkung“ zur Umsetzung dieses Bundesstraßenbauvorhabens gegenüber der revisionswerbenden Partei als Privateigentümerin sowie als Verwalterin des Öffentlichen Gutes der von den Baumaßnahmen betroffenen Grundstücke ersucht. Zur Beurteilung der Notwendigkeit, des Gegenstandes und des Umfanges der Enteignung habe die belangte Behörde ein Gutachten eines Amtssachverständigen für Brücken- und Straßenbau angefordert, welches dieser mit Schriftsatz vom 11. Juni 2024 erstattet habe. Dieses Gutachten sei in der am 12. Juni 2024 im Beisein der revisionswerbenden Partei durchgeführten mündlichen Verhandlung vom Amtssachverständigen mündlich erläutert und den Verhandlungsteilnehmern sei eine schriftliche Ausfertigung ausgehändigt worden.
6 In seinen rechtlichen Erwägungen führte das Verwaltungsgericht soweit für den Revisionsfall wesentlich aus, dass mit dem rechtskräftigen Trassenbescheid das überwiegende öffentliche Interesse am gegenständlichen Bundesstraßenbauvorhaben verbindlich dokumentiert sei und die Infragestellung des Projektes an sich sowie die Geltendmachung subjektivöffentlicher Parteienrechte nach § 7a BStG 1971 in Bezug auf das Gesamtprojekt bereits im Straßenbauvorhaben abschließend konsumiert worden seien und daher nicht neuerlich im Enteignungsverfahren aufgeworfen werden könnten. Im Zusammenhang mit den vorübergehenden Grundinanspruchnahmen habe die revisionswerbende Partei lediglich die Notwendigkeit bzw. Erforderlichkeit der Inanspruchnahme des Grundstücks Nr. Y bestritten, weil insbesondere für die dort befindlichen Salz und Splittsilos aus ihrer Sicht keine alternativen Flächen zur Verfügung stünden. Dieses Grundstück sei neben dem Grundstück Nr. X als Baustelleneinrichtungsfläche bzw. Baustellenzufahrt vorgesehen. Nach den näher dargestellten Ausführungen des Amtssachverständigen erscheine eine Trennung bzw. Stückelung dieser Flächen aus technischer und wirtschaftlicher Sicht nicht zielführend, vielmehr werde die Beanspruchung dieser Flächen aus bautechnischer bzw. baulogistischer Sicht als Mindestmaß erachtet. Eine Ausnahme in Bezug auf den Salz- und Splittsilo und demgemäß eine Mehrfachnutzung dieser Grundstücke durch Dritte sei für einen geregelten Baustellenbetrieb bzw. aus sicherheitstechnischen Gründen ausgeschlossen. Aus den schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen des Amtssachverständigen ergebe sich somit, dass die vorübergehende Inanspruchnahme des Grundstücks Nr. Y erforderlich, auf das unbedingte Ausmaß beschränkt und nicht unverhältnismäßig sei. Die diesbezüglichen Bedenken im Hinblick auf den gesetzlichen Auftrag zur Salz- und Splittstreuung bzw. die bis dato erfolglos gebliebene Suche der revisionswerbenden Partei nach einem Ersatzstandort, hätten eine Alternativlosigkeit nicht aufzuzeigen vermocht. Vielmehr sei dazu auf die ihr in Spruchpunkt III. zuerkannte Entschädigung zu verweisen, welche explizit auch der erforderlichen Übersiedlung der Lagergegenstände auf dem besagten Grundstück diene. Eine alternative Standortsuche im Nahebereich erscheine unter diesem Aspekt jedenfalls zumutbar und es bestünden für die revisionswerbende Partei noch mögliche weitere Optionen für Ersatzflächen.
7 Die von der revisionswerbenden Partei alternativ vorgeschlagenen Grundstücke Nr. A und B hätten sich nach den Ausführungen des Amtssachverständigen zur Nutzung als Baustelleneinrichtung als ungeeignet erwiesen. Weiters trat das Verwaltungsgericht dem Vorwurf der revisionswerbenden Partei, die mitbeteiligte Partei hätte keine bzw. eine unzureichende Alternativenprüfung durchgeführt, mit näherer Begründung entgegen.
8Zudem seien mit jeweils näher bezeichneten Bescheiden die forstrechtliche, die naturschutzrechtliche und die wasserrechtliche Bewilligung für das gegenständliche Bauvorhaben erteilt worden. Die revisionswerbende Partei habe gegen alle drei Bewilligungsbescheide jeweils Beschwerde erhoben, wobei jene gegen den forstrechtlichen Bewilligungsbescheid bereits mit näher bezeichnetem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes als unbegründet abgewiesen worden sei. In Bezug auf das naturschutz- und wasserrechtliche Bewilligungsverfahren liege aus Sachverständigensicht in fachlicher Hinsicht eine Genehmigungsfähigkeit vor. Die Genehmigungsfähigkeit des gegenständlichen Bundesstraßenbauvorhabens liege nach sämtlichen relevanten Materiengesetzen vor und es sei sohin die Enteignungsvoraussetzung der Notwendigkeit der Enteignung im Lichte des § 20 Abs. 1 BStG 1971 gegeben; im Übrigen diene das Rechtsinstitut der Rückübereignung gemäß § 20a BStG 1971 als rechtliches Korrektiv im Fall einer Nichtverwirklichung des Enteignungszweckes.
9 In den zur Zulässigkeit der Revision vorgetragenen Gründen behauptet die revisionswerbende Partei ein Abweichen des Verwaltungsgerichtes von näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. So habe dieser ausgesprochen, dass „als Vorbedingung sowohl der Erklärung einer zu errichtenden (Bundes )Straße als auch jeder Einräumung von Zwangsrechten an Liegenschaften Dritter in diesem Zusammenhang ein entsprechendes öffentliches Interesse ist“. Tatsächlich lasse sich das gegenständliche Straßenbauprojekt auch in anderen Varianten verwirklichen.
10 Weiters liege nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Notwendigkeit der Enteignung nur vor, wenn dadurch der Enteignungszweck unmittelbar verwirklicht werden könne, was etwa dann nicht der Fall wäre, „wenn sich aus anderen Gesetzen Hindernisse der Verwirklichung des Straßenbauprojektes entgegen stellten“. Daraus ergebe sich auch, dass allenfalls erforderliche materiengesetzliche Bewilligungen vor dem Ausspruch über die Enteignung rechtskräftig vorliegen müssten.
11 Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sei „die Notwendigkeit der in Anspruch genommenen Grundfläche für das konkrete Straßenprojekt unbedingt und umfassend nachzuprüfen“. Dies gelte gerade im vorliegenden Revisionsfall, zumal sich auf dem gegenständlichen Grundstück Salz- und Splittsilos sowie mehrere Einrichtungen für die Räumfahrzeuge befänden, die im Zusammenhang mit der Aufgabenerfüllung der revisionswerbenden Partei als Straßenverwalter dringend und unabdingbar benötigt würden und für die es keinen Ersatzstandort gebe.
12 Entgegen näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes seien die für die Baustelleneinrichtung bzw. Baustellenzufahrt vorhandenen alternativen Flächen im Rahmen einer Abwägungsentscheidung nicht entsprechend gewürdigt worden.
13 Zudem sei der revisionswerbenden Partei entgegen näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zunächst kein Parteiengehör zum Gutachten des Amtssachverständigen für Brücken- und Straßenbau vom 11. Juni 2024 gewährt worden; der zwischen Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides vom 26. Juni 2024 und der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 18. September 2024 liegende Zeitraum sei zu kurz gewesen, um einen Sachverständigen zu finden, der das Gutachten des Amtssachverständigen hätte widerlegen können.
Mit diesem Vorbringen wird keine Rechtsfrage dargelegt, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.
14Die revisionswerbende Partei ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Straßenverlauf mit dem bereits rechtskräftigen Trassenbescheid vom 21. August 2023 (vgl. zu dem diesen Bescheid bestätigenden Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes VwGH 10.7.2024, Ra 2024/06/0100) bestimmt wurde und dieser nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist sowie weiters dass das Fehlen von nach anderen Gesetzen erforderlichen Bewilligungen nicht bedeutet, dass eine Enteignung nicht ausgesprochen werden dürfte, diesfalls aber, sofern das Enteignungsverfahren nicht unterbrochen wird, die Behörde bzw. das Verwaltungsgericht wie im Revisionsfall erfolgt die Vorfrage, ob der Trassenbescheid verwirklicht werden kann, selbst zu beurteilen hat (vgl. etwa VwGH 18.12.1984, 83/05/0212, und VwGH 19.3.2015, 2012/06/0038, jeweils mwN).
15Ob eine konkret verfügte Enteignung als notwendig im Sinn des § 20 BStG 1971 anzusehen ist oder nicht (s. dazu etwa VwGH 17.12.2009, 2008/06/0203, oder VwGH 29.1.2008, 2005/05/0193), ist im Übrigen eine Frage des Einzelfalls. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung läge in diesem Zusammenhang nur dann vor, wenn die im Einzelfall vorgenommene Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise erfolgt wäre (vgl. idS VwGH 10.7.2024, Ra 2024/06/0100, mwN). Derartiges zeigt die revisionswerbende Partei in ihrer Zulässigkeitsbegründung, in der sie sich mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichtes, welches jeweils mit näherer Begründung zu dem Schluss gelangt ist, dass in Bezug auf das naturschutzrechtliche und das wasserrechtliche Verfahren eine Genehmigungsfähigkeit des gegenständlichen Straßenbauprojektes anzunehmen sei und dass nicht von einem Fehlen alternativer Flächen für die sich auf dem Grundstück Nr. 293/4 befindlichen Silos auszugehen sei, in keiner Weise auseinandersetzt, nicht auf. Dass das Verwaltungsgericht die von der revisionswerbenden Partei vorgeschlagenen alternativen Flächen für die Baustelleneinrichtung bzw. Baustellenzufahrt nicht gewürdigt habe, trifft zudem nicht zu.
16 Bemerkt wird schließlich, dass auch die Prämisse der von der revisionswerbenden Partei vorgebrachten Verfahrensrügeder es zudem an der erforderlichen Relevanzdarstellung (vgl. dazu etwa VwGH 20.6.2023, Ra 2023/06/0104, mwN) mangelt angesichts der von ihr nicht bestrittenen Ausführungen im angefochtenen Erkenntnis, wonach ihr eine schriftliche Ausfertigung des Gutachtens vom 11. Juni 2024 bereits in der am 12. Juni 2024 durchgeführten mündlichen Verhandlung ausgehändigt wurde, nicht zutrifft.
Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 28. Jänner 2025