Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kleiser und die Hofrätinnen Mag. a Merl und Mag. Liebhart Mutzl als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision der Autobahnen und Schnellstraßen Finanzierungs Aktiengesellschaft in W, vertreten durch die CERHA HEMPEL Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Parkring 2, gegen das am 9. Juli 2024 mündlich verkündete und mit 22. August 2024 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Kärnten, KLVwG 713/7/2024, betreffend Übertretung nach dem Bundesstraßen Mautgesetz 2002 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Stadt Villach; mitbeteiligte Partei: K E in D, vertreten durch Dr. Norbert Novohradsky, Rechtsanwalt in 4810 Gmunden, Rathausplatz 2), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Kostenersatzbegehren des Bürgermeisters der Stadt Villach wird abgewiesen.
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Kärnten (LVwG) der Beschwerde des Mitbeteiligten gegen das Straferkenntnis der belangten Behörde vom 21. März 2024, mit welchem über den Mitbeteiligten gemäß § 20 Abs. 3 iVm § 6 erster Satz und § 7 Bundesstraßen Mautgesetz 2002 (BStMG) eine Geldstrafe in der Höhe von € 300,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 34 Stunden) verhängt worden war, weil der Nachweis der erklärten EURO Emissionsklasse nicht fristgerecht an die Autobahnen und Schnellstraßen Finanzierungs Aktiengesellschaft (ASFINAG) übermittelt worden sei, Folge und sprach über den Mitbeteiligten eine Ermahnung gemäß § 45 Abs. 1 VStG aus (Spruchpunkt I.). Gemäß Spruchpunkt II. habe der Mitbeteiligte keine Kosten des Beschwerdeverfahrens nach § 52 Abs. 8 VwGVG zu tragen. Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für unzulässig erklärt (Spruchpunkt III.).
Begründend führte das LVwG zusammengefasst aus, der Mitbeteiligte habe die ihm angelastete Verwaltungsübertretung gemäß § 20 Abs. 3 iVm § 6 erster Satz und § 7 BStMG zu verantworten. Gemäß § 45 Abs. 1 Z 4 VStG könne die Behörde unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit des Verhaltens eine Ermahnung aussprechen. Dazu sehe sich das LVwG veranlasst, weil die Intensität der Beeinträchtigung durch die Tat gering sei, zumal die fahrleistungsabhängige Maut der tatsächlichen Emissionsklasse des vom Mitbeteiligten gelenkten Fahrzeuges entsprechend vollständig entrichtet worden sei. Auch das Verschulden des Mitbeteiligten sei gering. Dieser habe erstmalig eine Go Box für die fahrleistungsabhängige Maut erworben und sich dabei auf die Informationen des Mitarbeiters der Vertriebsstelle verlassen, wonach mit der Hinterlegung der Fahrzeugdaten bei der Vertriebsstelle alle erforderlichen Nachweise für die Zuordnung zur erklärten Emissionsklasse vorlägen. Im Vertrauen darauf habe der Mitbeteiligte der ASFINAG zunächst keine weiteren Nachweise übermittelt, sondern erst nach der Aufforderung zur Entrichtung der Ersatzmaut die erforderlichen Nachweise bekanntgegeben. Der Ausspruch einer Ermahnung scheine ausreichend, um den bisher unbescholtenen Mitbeteiligten von der Begehung neuerlicher derartiger Delikte abzuhalten; spezial und generalpräventive Erwägungen stünden dem nicht entgegen.
2 In der dagegen eingebrachten außerordentlichen Revision wird zu deren Zulässigkeit ein Abweichen von näher angeführter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 45 Abs. 1 Z 4 VStG vorgebracht.
3 In seiner Revisionsbeantwortung beantragte der Mitbeteiligte, die Revision kostenpflichtig und „unter Ersatz der entstandenen Kosten des Mitbeteiligten“ als unzulässig zurückzuweisen, allenfalls nach Durchführung „eines Vorabentscheidungsverfahrens“ als unbegründet abzuweisen.
Die belangte Behörde beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision für zulässig zu erklären und das angefochtene Erkenntnis kostenpflichtig aufzuheben, in eventu möge der Verwaltungsgerichtshof selbst entscheiden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
4 Die Revision ist zulässig.
5 Die Revisionswerberin bringt in den Revisionsgründen unter anderem vor, das LVwG habe keine Feststellungen zur Bedeutung des durch die maßgebenden Bestimmungen strafrechtlich geschützten Rechtsgutes getroffen. Ohne derartige Feststellungen sei die Rechtsansicht, die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ermahnung lägen vor, rechtswidrig. Näher angeführter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zufolge komme der Mautgebühr erhebliche Bedeutung für die Aufrechterhaltung und Finanzierung der Instandhaltung, Verbesserung und Sicherung des hochrangigen Straßennetzes in Österreich und damit indirekt die Erhaltung der Sicherheit im Straßenverkehr zu. Angesichts dessen hätte das LVwG feststellen müssen, dass die Bedeutung des geschützten Rechtsgutes nicht als gering anzusehen sei. Es fehle somit bereits an dieser Voraussetzung des § 45 Abs. 1 Z 4 VStG für eine Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens.
6 § 45 Abs. 1 VStG, BGBl. Nr. 52/1991 idF BGBl. Nr. 33/2013, lautet auszugsweise:
„ § 45. (1) Die Behörde hat von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn
...
4. die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat und das Verschulden des Beschuldigten gering sind;
...
Anstatt die Einstellung zu verfügen, kann die Behörde dem Beschuldigten im Fall der Z 4 unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens mit Bescheid eine Ermahnung erteilen, wenn dies geboten erscheint, um ihn von der Begehung strafbarer Handlungen gleicher Art abzuhalten.“
7 Der Verwaltungsgerichtshof hielt bereits mehrfach fest, dass der Straftatbestand des § 20 Abs. 3 BStMG durch das Unterlassen der fristgerechten Übermittlung des Nachweises über die Zuordnung des Fahrzeuges zur erklärten EURO Emissionsklasse in Zusammenhang mit einer nicht ordnungsgemäßen Entrichtung fahrleistungsabhängiger Maut für die Benützung einer Mautstrecke erfüllt wird. Anknüpfungspunkt für diesen Straftatbestand ist somit das Unterlassen des Nachweises. Durch das fallbezogen unbestritten erfolgte Unterlassen des fristgerechten Nachweises erlosch die vorläufige Zuordnung zur erklärten (günstigeren) Tarifklasse gemäß § 9 Abs. 11 BStMG rückwirkend und das verfahrensgegenständliche Fahrzeug wurde automatisch der höchsten Tarifklasse zugeordnet. Damit wurde der Tatbestand der Mautprellerei gemäß § 20 Abs. 3 BStMG verwirklicht. Ein Entfall der Strafbarkeit für den Fall, dass nach Ablauf der Einmeldefrist der Nachweis erbracht wird, dass die vorläufig hinterlegte Tarifklasse der tatsächlichen Emissionsklasse entspricht, ist dem BStMG nicht zu entnehmen (vgl. etwa VwGH 20.3.2025, Ra 2024/06/0072, Rn. 10, mwN).
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 45 Abs. 1 Z 4 VStG müssen die dort genannten Umstände geringe Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes, geringe Intensität der Beeinträchtigung dieses Rechtsgutes durch die Tat sowie geringes Verschulden kumulativ vorliegen. Fehlt es an einer der in § 45 Abs. 1 Z 4 VStG genannten Voraussetzungen für die Einstellung des Strafverfahrens, kommt auch keine Ermahnung nach § 45 Abs. 1 letzter Satz VStG in Frage (vgl. etwa VwGH 6.2.2025, Ra 2024/06/0204 bis 0205, Rn. 7, mwN).
Der Verwaltungsgerichtshof hielt unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien zu § 29 Abs. 3 BStMG auch bereits fest, dass die Bedeutung des durch die Strafbestimmungen des BStMG geschützten Rechtsgutes im Hinblick auf die Höhe des darin vorgesehenen Strafrahmens (von 300 € bis zu 3.000 €) nicht gering im Sinne des § 33a Abs. 1 VStG ist (vgl. VwGH 26.4.2021, Ra 2020/06/0257); diese Wertung des Gesetzgebers ist auch bei der Entscheidung zu berücksichtigen, ob wie im vorliegenden Fall eine Ermahnung gemäß § 45 Abs. 1 letzter Satz VStG ausgesprochen werden kann (vgl. dazu die nähere Begründung in VwGH 6.2.2025, Ra 2024/06/0204 bis 0205, Rn. 7, mwN, unter anderem auf die in den Erläuternden Bemerkungen (RV 362 BlgNR 26. GP) zu § 29 Abs. 3 BStMG idF BGBl. I Nr. 45/2019 zum Ausdruck kommende Wertung des Gesetzgebers, der auf die Höhe des im BStMG vorgesehenen Strafrahmens (für die Verwaltungsübertretungen gemäß § 20 und § 32 Abs. 1 zweiter Satz) verweist).
8 In § 20 BStMG sind Straftatbestände sowohl betreffend die zeitabhängige Maut (Abs. 1), die fahrleistungsabhängige Maut (Abs. 2) als auch das Unterlassen des Nachweises über die Zuordnung des Fahrzeuges zur erklärten EURO Emissionsklasse (Abs. 3) geregelt und der Strafrahmen für diese Straftatbestände ist jeweils derselbe (von 300 € bis zu 3.000 €). Vor dem Hintergrund der oben angeführten Judikatur liegt die Voraussetzung der geringen Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes des § 45 Abs. 1 Z 4 VStG für eine Ermahnung im Fall der Mautprellerei somit nicht vor. Eine Einstellung des Strafverfahrens oder eine Ermahnung kommt daher bei dieser Verwaltungsübertretung nicht in Frage.
9 Fallbezogen ist nicht strittig, dass der Mitbeteiligte die ihm angelastete Verwaltungsübertretung gemäß § 20 Abs. 3 iVm § 6 erster Satz und § 7 BStMG zu verantworten hat.
Mit seiner Beurteilung, wonach im vorliegenden Fall eine Ermahnung ausreichend sei, weil die fahrleistungsabhängige Maut der tatsächlichen Emissionsklasse des vom Revisionswerber gelenkten Fahrzeuges entsprechend vollständig entrichtet worden sei, weicht das LVwG von der oben dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab.
10 Das angefochtene Erkenntnis war somit schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen (prävalierender) Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, ohne dass auf das Revisionsvorbringen zur Verschuldensfrage einzugehen war.
11 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Gemäß § 48 Abs. 2 VwGG hat der Bürgermeister der Stadt Villach als Partei im Sinne des § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG (belangte Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht, wenn nicht von ihr selbst Revision erhoben wird) Anspruch auf Aufwandersatz lediglich im Fall der Abweisung der Revision (VwGH 1.8.2018, Ro 2015/06/0011, Rn. 21, mwN). Das Kostenbegehren des Bürgermeisters der Stadt Villach war daher abzuweisen.
Wien, am 10. Juni 2025