Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Thaler, über die Revision des Y Q, vertreten durch Mag. Alfons Umschaden, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Domgasse 4/9, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 13. Februar 2023, VGW 151/082/7843/2022 2, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der Revisionswerber, ein 1981 geborener chinesischer Staatsangehöriger, stellte im Juli 2019 einen Erstantrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung „Student“. Mit Schreiben vom 28. August 2019 teilte der Landeshauptmann von Wien (belangte Behörde) dem Revisionswerber gemäß § 23 Abs. 2 NAG mit, eine vorläufige Prüfung habe ergeben, dass der beantragte Aufenthaltstitel zu erteilen wäre. Eine endgültige Entscheidung könne jedoch erst nach persönlicher Vorsprache bei der belangten Behörde erfolgen.
2 Der Revisionswerber reiste auf Grund eines ihm deshalb erteilten Visums D in das Bundesgebiet ein und suchte am 2. Jänner 2020 die belangte Behörde auf. Laut der im Akt befindlichen Niederschrift modifizierte er dort seinen Antrag auf „Niederlassungsbewilligung ausgenommen Erwerbstätigkeit“ (gemäß § 44 Abs. 1 NAG). Auf dem vom Revisionswerber ausgefüllten Formular findet sich der Vermerk „Modifizierung“ und ist das Feld „Erstantrag“ angekreuzt.
3 Mit Bescheid vom 11. Mai 2022 wies die belangte Behörde den Antrag des Revisionswerbers vom 2. Jänner 2020 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Niederlassungsbewilligung ausgenommen Erwerbstätigkeit“ wegen unzulässiger Inlandsantragstellung gemäß § 21 Abs. 1 NAG ab. Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung zugrunde, dass der Revisionswerber die (ursprünglich beantragte, bereits ausgestellte) Aufenthaltsbewilligung „Student“ nicht behoben, sondern den Aufenthaltszweck modifiziert habe.
4 In der dagegen erhobenen Beschwerde brachte der Revisionswerber vor, die Möglichkeit, einen Zweckänderungsantrag zu stellen, richte sich nach dem Ausstellungsdatum der Aufenthaltstitelkarte. Da diese Karte (betreffend die Aufenthaltsbewilligung „Student“) bereits vor dem 2. Jänner 2020 ausgestellt worden sei, habe er am 2. Jänner 2020 zulässiger Weise im Inland einen Zweckänderungsantrag gestellt.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 13. Februar 2023 wies das Verwaltungsgericht diese Beschwerde als unbegründet ab und erklärte die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof für nicht zulässig.
6 Das Verwaltungsgericht führte in seiner rechtlichen Beurteilung aus, dass die Ausfolgung des Aufenthaltstitels (als Karte) den Akt der Zustellung bewirke und die rechtliche Wirkung des Bescheides erst durch diesen Akt entstehe. Hätte der Revisionswerber bereits durch die Herstellung der Karte über ein Aufenthaltsrecht verfügt, hätte es zur Einreise keines Visums mehr bedurft. Die Sichtweise des Revisionswerbers ließe sich zudem nicht mit der Regelung des § 23 Abs. 3 NAG (Einstellung des Verfahrens bei unterbliebener Behebung des Aufenthaltstitels) in Einklang bringen. Ausgehend davon sei der Antrag des Revisionswerbers vom 2. Jänner 2020 zu Recht als „(alleiniger modifizierter) Erstantrag“ gewertet worden, der den noch unerledigten Antrag vom 5. Juli 2019 ersetzt habe. Da der Revisionswerber über kein gültiges Aufenthaltsrecht verfügt habe, käme ein Zweckänderungsantrag nicht in Betracht und der Antrag des Revisionswerbers wäre (unabhängig von seiner Bezeichnung) jedenfalls als Erstantrag zu werten gewesen. Zur Stellung eines Erstantrags im Inland sei der Revisionswerber aber nicht berechtigt gewesen, weil keine der Ausnahmen des § 21 Abs. 2 NAG vorgelegen und kein Antrag nach § 21 Abs. 3 NAG auf Zulassung der Inlandsantragstellung gestellt worden sei.
Das Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung begründete das Verwaltungsgericht insbesondere unter Bezugnahme auf § 24 Abs. 4 VwGVG damit, dass der Sachverhalt unstrittig sei und die Akten erkennen ließen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lasse.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.
8 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
10 In der Revision wird der Auffassung des Verwaltungsgerichts, im vorliegenden Fall sei keine der im § 21 Abs. 2 NAG normierten Ausnahmen für die Inlandsantragstellung von Erstanträgen gegeben, nicht entgegengetreten. Der Revisionswerber bestreitet vielmehr nur das Vorliegen eines solchen Erstantrags und steht weiterhin auf dem Standpunkt, bei dem Antrag vom 2. Jänner 2020 habe es sich um einen zulässigen Zweckänderungsantrag gehandelt. Diesbezüglich bringt er zur Zulässigkeit der Revision vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ab welchem Zeitpunkt ein Zweckänderungsantrag gemäß § 26 NAG zulässig sei. Nach Ansicht des Revisionswerbers sei dies ab Geltung eines Aufenthaltstitels der Fall und diese Geltung beginne vor der Übernahme der Aufenthaltstitelkarte.
Daneben vertritt der Revisionswerber die Ansicht, die belangte Behörde hätte wenn man von einer fehlenden Geltung des Aufenthaltstitels ausgehe den Zweckänderungsantrag des Revisionswerbers nicht als Erstantrag werten dürfen, sondern ihn zurückweisen müssen.
11 Gemäß der Definition des § 2 Abs. 1 Z 12 NAG ist ein Zweckänderungsantrag der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels mit anderem Zweckumfang während der Geltung eines Aufenthaltstitels. Der Verwaltungsgerichtshof hat festgehalten, dass ein Zweckänderungsantrag gemäß § 2 Abs. 1 Z 12 iVm § 26 NAG nur während der Geltungsdauer eines Aufenthaltstitels oder gemäß § 24 Abs. 4 erster Satz NAG in Verbindung mit einem Verlängerungsantrag nur bis zur Erlassung des behördlichen Bescheides gestellt werden kann (vgl. etwa VwGH 19.8.2021, Ra 2018/22/0098, Pkt. 9.2., mwN).
12 Unstrittig ist im vorliegenden Fall, dass die (nach den Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis mit dem Gültigkeitszeitraum „28.08.2019 bis 28.08.2020“ produzierte) Aufenthaltstitelkarte betreffend die zunächst beantragte Aufenthaltsbewilligung „Student“ dem Revisionswerber nicht ausgefolgt worden ist. Zu klären ist, ab wann in dieser Konstellation von einer „Geltung eines Aufenthaltstitels“ iSd § 2 Abs. 1 Z 12 NAG auszugehen ist.
13 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Ausfolgung (tatsächliche Übergabe und Entgegennahme) des Aufenthaltstitels (als Karte) im Erteilungsfall in der Regel gleichzeitig den Akt der Zustellung bewirkt und die rechtliche Wirkung des Bescheides erst durch diesen Akt entsteht (vgl. etwa VwGH 16.12.2014, 2012/22/0206; VwGH 21.12.2022, Ra 2022/22/0173, Rn. 10; jeweils mwN). Der bloße Auftrag zur Herstellung einer Aufenthaltstitelkarte bzw. deren technische Herstellung selbst entfaltet demgegenüber noch keine Rechtswirkungen (vgl. VwGH 19.5.2011, 2008/21/0526; VwGH 16.5.2012, 2010/21/0485).
14 Mangels Ausfolgung der Aufenthaltstitelkarte an den Revisionswerber ist ihm daher noch kein Aufenthaltstitel erteilt worden. Ohne Erteilung eines Aufenthaltstitels liegt aber auch keine in § 2 Abs. 1 Z 12 NAG als Voraussetzung für einen Zweckänderungsantrag angesprochene „Geltung eines Aufenthaltstitels“ vor. Somit kann vor der Erteilung eines Aufenthaltstitels noch kein Zweckänderungsantrag gestellt werden. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass der Antrag des Revisionswerbers vom 2. Jänner 2020 vorliegend nicht als Zweckänderungsantrag, sondern als Erstantrag qualifiziert wurde (vgl. diesbezüglich etwa VwGH 9.9.2013, 2012/22/0147).
15 Aus den dargestellten Gründen kommt auch dem Vorbringen des Revisionswerbers, es sei unmöglich, die Einbringung des Antrags auf Erteilung einer „Niederlassungsbewilligung ausgenommen Erwerbstätigkeit“ vom 2. Jänner 2020 als (konkludente) Zurückziehung seines „bereits bewilligten“ Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung „Student“ zu werten, keine Berechtigung zu. Da der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung „Student“ (vom Juli 2019) am 2. Jänner 2020 (anders als der Revisionswerber offenbar meint) noch nicht erledigt war, ist die Annahme einer (konkludenten) Zurückziehung dieses Antrags durch die Einbringung des auf Erteilung einer „Niederlassungsbewilligung ausgenommen Erwerbstätigkeit“ gerichteten (Erst )Antrags nicht zu beanstanden. Mit der sofortigen Modifikation gab der Revisionswerber ja zu erkennen, dass der ursprünglich angegebene Aufenthaltszweck als Student (nunmehr) nicht weiterverfolgt werde, sodass entgegen der Meinung in der Revision kein Anlass bestand, ihm (vorher) die bereits produzierte Aufenthaltstitelkarte „Student“ auszuhändigen.
16 Dem weiteren Vorbringen des Revisionswerbers, er habe ausdrücklich einen als solchen bezeichneten Zweckänderungsantrag gestellt und dies sei von der belangten Behörde auch so festgehalten worden, ist Folgendes entgegenzuhalten: Abgesehen davon, dass die belangte Behörde in ihrer Niederschrift vom 2. Jänner 2020 festgehalten hat, dass der Revisionswerber den Antrag auf „Niederlassungsbewilligung ausgenommen Erwerbstätigkeit“ modifiziere (was auf eine Antragsänderung hindeutet und keine Qualifikation als Zweckänderungsantrag darstellt), und dass am gegenständlichen Antrag eindeutig das Feld „Erstantrag“ angekreuzt ist, hat der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen, dass dem Antragsteller nach den Regelungen des NAG kein Wahlrecht zusteht, welche Verfahrensvorschriften (diejenigen für Erstanträge oder diejenigen für Zweckänderungsanträge) auf ihn anzuwenden sind (vgl. erneut VwGH 9.9.2013, 2012/22/0147, wonach auch ein ausdrücklich als „Verlängerungsantrag“ oder „Zweckänderungsantrag“ bezeichneter Antrag bei Fehlen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Z 11 und 12 NAG als Erstantrag zu werten wäre).
17 Ausgehend davon vermag der Revisionswerber auch mit seinem (ebenfalls nur auf die geltend gemachte Einbringung eines Zweckänderungsantrags Bezug nehmenden) Vorbringen betreffend den Entfall der mündlichen Verhandlung, einen behaupteten Begründungsmangel und den behaupteten Verstoß gegen das Überraschungsverbot keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen, zumal das für die rechtliche Beurteilung als entscheidungserheblich anzusehende (vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegte) Sachverhaltselement der fehlenden Ausfolgung der Aufenthaltstitelkarte an den Revisionswerber von diesem (auch in der Revision) nicht bestritten wird. Soweit der Revisionswerber schließlich die Belehrungsregelung des § 23 Abs. 1 NAG ins Treffen führt, ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach § 23 Abs. 1 NAG (lediglich) den Fall regelt, in dem sich auf Grund des Antrags oder im Ermittlungsverfahren ergibt, dass der vom Fremden in Aussicht genommene Aufenthaltszweck mit dem von ihm beantragten Aufenthaltstitel nicht korrespondiert (vgl. wiederum VwGH 9.9.2013, 2012/22/0147); dass solch ein Fall vorgelegen wäre, wird vom Revisionswerber aber nicht vorgebracht und ist für den Verwaltungsgerichtshof auch nicht ersichtlich.
18 Da das Verwaltungsgericht den Antrag des Revisionswerbers vom 2. Jänner 2020 somit zu Recht als Erstantrag angesehen hat, kommt es auf die ins Treffen geführte fehlende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu, ob ein Zweckänderungsantrag, der mangels gültigem Aufenthaltstitel unzulässig sei, ab- oder zurückzuweisen sei, vorliegend nicht an.
19 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.
20 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am 4. Juli 2023