JudikaturVwGH

Ra 2023/21/0112 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
18. Januar 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. in Wiesinger und den Hofrat Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Thaler, über die Revision des G P, vertreten durch Dr. Anton Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2 4/2/23, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Juni 2023, W192 2247800 1/35E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbots (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der Revisionswerber, ein 1979 geborener Staatsangehöriger des Kosovo, stellte nach seiner Einreise im Dezember 2003 in Österreich einen Asylantrag, der im Rechtsmittelweg mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates (seit 27. April 2007 rechtskräftig) abgewiesen wurde. Ungeachtet dessen verblieb der Revisionswerber in Österreich und verfügte dann auch über Aufenthaltstitel, zuletzt über den bis September 2021 gültigen Aufenthaltstitel „Rot Weiß Rot Karte plus“; dazu stellte er rechtzeitig einen Verlängerungsantrag.

2 Der vom Revisionswerber am 24. Jänner 2007 in Österreich geschlossenen Ehe mit einer kosovarischen Staatsangehörigen entstammen zwei 2012 und 2014 geborene Söhne, die kosovarische Staatsangehörige sind.

3 Mit dem rechtskräftigen Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 26. Februar 2021 wurde der Revisionswerber wegen fortgesetzter Gewaltausübung nach § 107b Abs. 1 und 2 StGB, gefährlicher Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB und Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt, die er unter Anrechnung der Vorhaft von 1. Dezember 2020 bis zu seiner bedingten Entlassung am 1. Oktober 2021 verbüßte. Dem Schuldspruch lag zugrunde, dass der damals spielsüchtige Revisionswerber seine mittlerweile geschiedene Ehefrau und Mutter seiner Kinder im Zeitraum 2015 bis November 2020 zumindest zwei bis drei Mal pro Monat geschlagen und sie mehrfach mit dem Umbringen bedroht habe, unter anderem um sie zur Herausgabe von Geld zu nötigen. Weiters habe der Revisionswerber versucht, seine damalige Ehefrau mehrfach durch Drohung mit dem Umbringen zur Wiederaufnahme der Beziehung mit ihm zu nötigen. Ende Oktober 2020 verletzten sich der Revisionswerber und zwei (ebenfalls verurteilte) vom Revisionswerber auch gefährlich bedrohte Geschwister der damaligen Ehefrau wechselseitig am Körper, nachdem es so die Feststellungen des Strafgerichts zunächst auf offener Straße und später in der ehelichen Wohnung abermals zur Gewaltausübung des Revisionswerbers gegenüber seiner Ehefrau gekommen war und der Revisionswerber erst von ihr abgelassen hatte, als die beiden Söhne ins Wohnzimmer gekommen waren. Als Beleg für das Aggressionspotential des Revisionswerbers, dessen Geringschätzung von Frauen und dessen Bereitschaft, zur Durchsetzung seiner Ziele bzw. bei „Einmischung in seine Angelegenheit“ Gewalt anzuwenden, bezog sich das Strafgericht unter anderem auf ein Video, das dokumentiere, wie der Revisionswerber auch seine um 20 Jahre jüngere Schwester, nachdem sie Partei zugunsten seiner damaligen Ehefrau ergriffen habe, nicht nur wüst beschimpft, sondern ebenfalls geschlagen habe. Im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigte das Strafgericht das Zusammentreffen mehrerer Vergehen, den langen Tatzeitraum, die Tatsache, dass es sich bei einem Opfer um die Ehefrau gehandelt habe, und die Tatbegehung während bereits anhängigen Strafverfahrens als erschwerend, die gerichtliche Unbescholtenheit des Revisionswerbers hingegen als mildernd.

4 Mit Bescheid vom 24. September 2021 erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Revisionswerber im Hinblick auf seine Straffälligkeit gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 4 FPG und verband damit gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von sechs Jahren befristetes Einreiseverbot. Es stellte unter einem gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers „nach Kosovo“ zulässig sei.

5 Im Hinblick auf die vom Revisionswerber gegenüber seiner Ehefrau begangenen Straftaten wurde die Ehe des Revisionswerbers mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichts Favoriten vom 31. Jänner 2022 aus dem alleinigen Verschulden des Revisionswerbers, der auch entgegen einer aufrechten einstweiligen Verfügung nach den §§ 382b, 382e EO des Bezirksgerichts Favoriten vom 24. November 2021 Kontakt mit seiner Ehefrau und fallweise seinen Kindern aufgenommen hatte, geschieden.

6 Mit dem rechtskräftigen Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 13. Mai 2022 wurde der Revisionswerber wegen versuchter Nötigung nach den §§ 15, 105 Abs. 1 StGB und gefährlicher Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB neuerlich zu einer unbedingten Freiheitsstrafe, nämlich von sieben Monaten, verurteilt und die Probezeit in Bezug auf die bedingte Entlassung auf fünf Jahre verlängert. Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass der Revisionswerber seine geschiedene Ehefrau im Februar und März 2022 sowohl bei einem persönlichen Treffen als auch wiederholt am Telefon mit dem Umbringen bedroht und sie bei einem Treffen durch Drohung mit dem Erschießen zur Gewährung des Besuchsrechts hinsichtlich der gemeinsamen Kinder zu nötigen versucht habe.

7 Mit Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom 1. November 2022 wurde der geschiedenen Ehefrau des Revisionswerbers die alleinige Obsorge über die beiden Söhne zugesprochen und das Kontaktrecht des Revisionswerbers bis auf Weiteres ausgesetzt. Dem Revisionswerber wurde aufgetragen, ein Anti Gewalt Programm bei der Männerberatung Wien vollständig zu absolvieren und dessen erfolgreichen Abschluss bis 30. April 2023 nachzuweisen. Der Kindesmutter wurde aufgetragen, eine längerfristige psychotherapeutische Begleitung der Kinder sicherzustellen und vierteljährlich nachzuweisen.

8 Der Revisionswerber befand sich zuletzt von 29. März 2022 bis zu seiner bedingten Entlassung am 16. September 2022 in Strafhaft.

9 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 5. Juni 2023 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen den in Rn. 4 erwähnten Bescheid des BFA erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.

11 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

12 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

13 Unter diesem Gesichtspunkt macht die Revision als Verfahrensfehler des BVwG bei den Ermittlungen in Bezug auf die Gefährdungsprognose und den Gesinnungswandel des Revisionswerbers geltend, dass es den Psychotherapeuten des Revisionswerbers nur in einem außerhalb der mündlichen Verhandlung geführten Telefonat befragt und dadurch das Parteiengehör des Revisionswerbers verletzt habe. Der Therapeut hätte durch eine Aussage in der Verhandlung und unter Einräumung eines entsprechenden Fragerechts des Revisionswerbers dessen Persönlichkeitswandel glaubwürdig darlegen können.

14 Richtig ist, dass das BVwG den Inhalt eines bloßen Telefonats mit dem Psychotherapeuten des Revisionswerbers am 5. Mai 2023, wonach er sein Fehlverhalten mittlerweile bereue und einsichtig sei, in seinen beweiswürdigenden Überlegungen vor allem aufgrund näher genannter Angaben des Revisionswerbers in der Beschwerdeverhandlung am 8. März 2023 als widerlegt erachtete. Ein deshalb allenfalls gegebener Verfahrensmangel ist aber schon deshalb nicht relevant, weil worauf sich das BVwG auch bezog nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Gesinnungswandel eines Straftäters daran zu messen ist, ob und wie lange er sich nach dem Vollzug einer Haftstrafe in Freiheit wohlverhalten hat, wobei dies selbst für den Fall einer bereits erfolgreich absolvierten Therapie gilt (vgl. etwa VwGH 31.8.2023, Ra 2022/21/0167, Rn. 13, mwN). Dieser Zeitraum ist umso länger anzusetzen, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden manifestiert hat (vgl. dazu etwa VwGH 13.10.2022, Ra 2022/21/0076, Rn. 22, mwN).

15 Diesbezüglich zog das BVwG zutreffend ins Kalkül, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung der Vollzug der letzten Haftstrafe erst neun Monate zurücklag und der Revisionswerber im Übrigen die ihm pflegschaftsgerichtlich aufgetragene Anti Aggressions Therapie noch nicht abgeschlossen hatte. Angesichts dessen lag ein von seinem über einen langen Tatzeitraum gezeigten, durch einschlägigen Rückfall bald nach seiner bedingten Entlassung und Begehung trotz Verspürens des Haftübels sowie während des gegenständlichen Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung gekennzeichneten Verhaltensmuster abweichendes zu seinen Gunsten zu berücksichtigendes Wohlverhalten in Freiheit über einen relevanten Zeitraum nicht vor. Es ist aber wie in der Revision (Seite 17) ohnehin auch eingeräumt wird Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass (nicht einmal) ein durch ein Gutachten festgestellter Gesinnungswandel für den Wegfall der Gefährdungsprognose ausreicht, wenn er (wie hier) nicht in einem einen relevanten Zeitraum umfassenden Wohlverhalten seine Entsprechung gefunden hat (vgl. etwa VwGH 25.5.2023, Ra 2021/21/0334, Rn. 18, mwN). Vor diesem Hintergrund erweist sich der in der Zulässigkeitsbegründung der gegenständlichen Revision geltend gemachte Verfahrensfehler jedenfalls als nicht entscheidungswesentlich.

16 In ihrer Zulässigkeitsbegründung stützt sich die Revision weiters darauf, das BVwG habe im Zusammenhang mit der Interessenabwägung nach § 9 BFA VG eine „antizipierende Beweiswürdigung“ vorgenommen, indem es den Ausgang des pflegschaftsgerichtlichen Verfahrens über ein Kontaktrecht des Revisionswerbers zu seinen Kindern nicht abgewartet habe. Damit bezieht sich der Revisionswerber auf den nach Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses ergangenen Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom 23. Juni 2023, mit dem dem Revisionswerber ein Kontaktrecht zu seinen minderjährigen Söhnen in Form professionell begleiteter Kontakte einmal pro Woche am Wochenende für jeweils zwei Stunden eingeräumt wurde.

17 Damit wird schon deshalb keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG aufgezeigt, weil in diesem Zusammenhang eine ausreichende Relevanzdarstellung unterlassen wird.

18 Im Übrigen wird in der Revision in diesem Zusammenhang außer Acht gelassen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage beruht und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze erfolgt ist nicht revisibel iSd Art. 133 Abs. 4 B VG ist (vgl. etwa VwGH 14.2.2022, Ra 2021/21/0216, Rn. 9, mwN). Demzufolge hängt auch die konkrete Gewichtung des Kindeswohls im Rahmen der nach § 9 BFA-VG vorzunehmenden Gesamtbetrachtung von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. VwGH 26.7.2022, Ra 2022/21/0093, Rn. 16, mwN).

19 Eine solche Unvertretbarkeit der Interessenabwägung ist fallbezogen nicht erkennbar, zumal das BVwG auch bei Berücksichtigung des erwähnten eingeschränkten Kontaktrechtes des Revisionswerbers zu seinen Kindern wegen der durch die wiederholten Straftaten gegen Familienangehörige manifestierten Gefährlichkeit in Bezug auf die Frage der Erforderlichkeit eines Einreiseverbots nicht zu einem anderen Ergebnis hätte kommen müssen (siehe zu einer vergleichbaren Sachverhaltskonstellation auch VwGH 21.12.2021, Ra 2021/21/0294, Rn. 17/18, mwN).

20 Im Übrigen wurde den in der Revision angeführten, für den Revisionswerber sprechenden Gesichtspunkten und seinem Interesse an Kontakten zu seinen Kindern schon dadurch ausreichend Rechnung getragen, dass das BVwG entgegen der ausdrücklichen Anregung des BFA trotz des während des Beschwerdeverfahrens erfolgten einschlägigen Rückfalls keine Erhöhung der Dauer des Einreiseverbotes vornahm. Darüber hinaus ist das BVwG in der Revision unbekämpft auch von Besuchsmöglichkeiten seiner Familienangehörigen im Kosovo und von möglichen Kontakten im Wege moderner Kommunikationsmittel ausgegangen.

21 In der Zulässigkeitsbegründung der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG nach Einleitung eines Vorverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde mit Beschluss zurückzuweisen.

22 Die Durchführung der in der Revision beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte in diesem Fall gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG unterbleiben.

Wien, am 18. Jänner 2024

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