JudikaturVwGH

Ra 2023/21/0106 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
23. Mai 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger, den Hofrat Dr. Chvosta, die Hofrätin Dr. Holzinger und die Hofrätin Dr. in Oswald als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des F A, vertreten durch MMMag. Dr. Johannes Augustin, Rechtsanwalt in 6410 Telfs, Unterbirkenberg 6/1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12. Juni 2023, L519 2236082 3/5E, betreffend Ausstellung eines Fremdenpasses (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Dem Revisionswerber, einem irakischen Staatsangehörigen, wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 14. Oktober 2022 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung in der Dauer von einem Jahr erteilt.

2 Am 29. Dezember 2022 stellte der Revisionswerber einen Antrag auf Ausstellung eines Fremdenpasses für subsidiär Schutzberechtigte nach § 88 Abs. 2a FPG. Dabei gab er nicht ausdrücklich an, für welche Dauer die Ausstellung des Fremdenpasses beantragt werde und er machte auch keine Angaben dazu, aus welchem Grund er keinen Reisepass seines Herkunftslandes erlangen könne.

3 Am 17. Februar 2023 wurde dem Revisionswerber ein Fremdenpass mit einer Gültigkeitsdauer bis 7. August 2023 ausgefolgt. Mit „Beschwerde“ vom 9. März 2023 machte der Revisionswerber geltend, es liege „ein Begründungsmangel“ vor, weil nicht begründet worden sei, weshalb ihm kein Fremdenpass mit fünfjähriger Gültigkeitsdauer ausgestellt worden sei. Diese Eingabe hatte ungeachtet ihrer Bezeichnung als „Beschwerde“ das erkennbare Ziel, dass über den verfahrenseinleitenden Antrag vom 29. Dezember 2022, der durch die erfolgte Passausstellung nicht zur Gänze erledigt worden war, bescheidmäßig abgesprochen werde.

4 Dem kam das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) im Ergebnis nach, indem es mit Bescheid vom 27. März 2023 den Antrag des Revisionswerbers auf Ausstellung eines Fremdenpasses vom 29. Dezember 2022 „im Hinblick auf die beantragte Gültigkeitsdauer“ (von fünf Jahren) gemäß § 88 Abs. 2a FPG abwies. Begründend wurde ausgeführt, dass die irakische Botschaft in Wien keine Reisepässe ausstelle. Daher sei dem Revisionswerber gemäß § 90 Abs. 1 Z 2 FPG ein Fremdenpass mit einer Gültigkeitsdauer von einem halben Jahr ausgestellt worden, sodass er sich bei der irakischen Botschaft in Berlin oder dem Generalkonsulat der Republik Irak in Frankfurt einen Reisepass seines Herkunftsstaates besorgen könne.

5 Eine gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das BVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 12. Juni 2023 gemäß § 88 Abs. 2a FPG als unbegründet ab. Die Revision erklärte das BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.

6 In seiner Entscheidungsbegründung ging das BVwG davon aus, der Revisionswerber habe keinen Fremdenpass mit einer fünfjährigen Gültigkeitsdauer beantragt, weshalb es dem BFA oblegen sei, die Gültigkeitsdauer selbst festzulegen. Die vom BFA festgelegte Gültigkeitsdauer von sechs Monaten sei ausreichend, damit der Revisionswerber bei den irakischen Behörden in Deutschland einen Reisepass beantragen und abholen könne.

7 Weiters hielt das BVwG dem Beschwerdevorbringen des Revisionswerbers, wonach er die notwendigen finanziellen Mittel für eine Reise nach Deutschland zum Zwecke der Beantragung bzw. Abholung eines Reisepasses nicht aufbringen könne, entgegen, dass der seit 14. Oktober 2022 subsidiär schutzberechtigte Revisionswerber „noch immer Mindestsicherung“ beziehe und offenbar keiner legalen Tätigkeit nachgehe, obwohl ihm dies seit zumindest sieben Monaten möglich und zumutbar sei und zudem auf dem österreichischen Arbeitsmarkt „genügend freie Stellen auch für ungelernte Kräfte verfügbar“ seien.

8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen hat:

9 § 88 Abs. 2a FPG (BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 68/2013) lautet:

„§ 88

[...]

(2a) Fremdenpässe sind Fremden, denen in Österreich der Status des subsidiär Schutzberechtigten zukommt und die nicht in der Lage sind, sich ein gültiges Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen, auf Antrag auszustellen, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.“

§ 90 Abs. 1 FPG (BGBl. I Nr. 100/2005) lautet:

„§ 90

(1) Fremdenpässe können mit einer Gültigkeitsdauer von fünf Jahren ausgestellt werden, es sei denn, dass

1. eine kürzere Gültigkeitsdauer beantragt wird oder

2. im Hinblick auf die für die Ausstellung des Fremdenpasses maßgeblichen Voraussetzungen eine kürzere Gültigkeitsdauer ausreichend ist.“

10 Der Revisionswerber wendet sich in der Zulässigkeitsbegründung seiner Revision der Sache nach gegen die Beurteilung des BVwG, es sei ihm zumutbar, sich einen Reisepass seines Herkunftsstaates bei einer irakischen Vertretungsbehörde im Ausland zu beschaffen, und macht zusammengefasst geltend, das angefochtene Erkenntnis sei insoweit mit Verfahrens- und Begründungsmängeln belastet.

11 Mit diesem Vorbringen erweist sich die Revision entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG den Verwaltungsgerichtshof nicht bindenden Ausspruch des BVwG unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als zulässig; sie ist auch berechtigt.

12 Zunächst ist klarzustellen, dass der verfahrenseinleitende Antrag des Revisionswerbers vom 29. Dezember 2022 auch wenn dort die beantragte Gültigkeitsdauer nicht konkret angegeben war sehr wohl dahin zu verstehen war, dass er auf die Ausstellung eines Fremdenpasses mit fünfjähriger Geltungsdauer gerichtet war. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung nämlich bereits festgehalten, dass ungeachtet der Verwendung des Wortes „können“ in § 90 Abs. 1 FPG kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass dem BFA ein Ermessen eingeräumt wäre, auch eine kürzere (als eine fünfjährige) Gültigkeitsdauer bei der Ausstellung des Fremdenpasses vorzusehen, zumal der genannten Bestimmung diesbezüglich auch keine Ermessenskriterien zu entnehmen sind. Außer bei Vorliegen der in der Z 1 und/oder in der Z 2 angeführten Ausnahmen ist daher ein Fremdenpass gemäß § 90 Abs. 1 FPG (immer) für die Gültigkeitsdauer von fünf Jahren auszustellen (vgl. grundlegend VwGH 25.2.2016, Ra 2016/21/0052, Rn. 9). Folglich war der verfahrenseinleitende Antrag des Revisionswerbers vom 29. Dezember 2022 entgegen der Meinung des BVwG als Antrag auf Ausstellung eines Fremdenpasses mit fünfjähriger Gültigkeitsdauer zu werten. Dieses Verständnis des verfahrenseinleitenden Antrags kommt auch in dem Bescheid des BFA vom 27. März 2023 nach dessen oben in Rn. 4 wiedergegebenen Inhalt zum Ausdruck.

13 Somit zu Recht ausgehend von einer beantragten fünfjährigen Gültigkeitsdauer des auszustellenden Fremdenpasses hatte das BFA in seinem Bescheid vom 27. März 2023 die Ausstellung eines Fremdenpasses mit bloß sechsmonatiger Gültigkeit damit begründet, dass fallbezogen eine kürzere Gültigkeitsdauer iSd § 90 Abs. 1 Z 2 FPG zur Beantragung eines irakischen Reisedokumentes bei einer im Ausland befindlichen Vertretungsbehörde ausreiche. Dieser Beurteilung hat sich das BVwG im angefochtenen Erkenntnis (letztlich) auch angeschlossen und insbesondere ausgeführt, es sei dem Revisionswerber zumutbar, sich zum Zwecke der Erlangung eines irakischen Reisepasses an eine irakische Vertretungsbehörde in Deutschland zu wenden.

14 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Beurteilung der (Un )Zumutbarkeit bzw. der faktischen (Un )Möglichkeit der Beschaffung eines gültigen Reisedokuments iSd § 88 Abs. 2a FPG zwar eine einzelfallbezogene Beurteilung dar, die wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht erfolgreich mit Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG bekämpft werden kann (vgl. etwa VwGH 25.10.2023, Ra 2021/21/0353, Rn. 12, mwN).

15 Das ist hier aber nicht der Fall. Das BVwG begründete die (finanzielle) Zumutbarkeit der Erlangung eines Reisepasses bei einer irakischen Vertretungsbehörde im Ausland damit, dass der „noch immer Mindestsicherung“ beziehende Revisionswerber seit zumindest sieben Monaten einer ihm zumutbaren legalen Beschäftigung hätte nachgehen können. Dabei übersieht das BVwG allerdings, dass sich die Beurteilung der (finanziellen) Möglichkeit und Zumutbarkeit der Erlangung eines Reisedokuments des Herkunftsstaates iSd § 88 Abs. 2a FPG an den aktuellen tatsächlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten zu orientieren hat. Fallbezogen war somit aus dem (im Übrigen nur pauschalen) hypothetischen und vergangenheitsbezogenen Verweis auf vorhandene freie Stellen auf dem österreichischen Arbeitsmarkt und dem daraus konstruierten Vorwurf an den Revisionswerber, bisher noch keine Beschäftigung (mit ausreichendem Einkommen) angenommen zu haben, nichts zu gewinnen.

16 Das hat das BVwG verkannt und schon deshalb das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, sodass auf die in der Revision im Übrigen gar nicht thematisierte Frage, ob die Vorgangsweise des BFA durch § 90 Abs. 1 Z 2 FPG und Art. 25 Abs. 2 der Status RL gedeckt war, hier nicht weiter einzugehen ist. Davon, dass der Revisionswerber entgegen seinem Vorbringen trotz des Bezugs von Mindestsicherung über die notwendigen finanziellen Mittel für die Beschaffung eines Reisepasses seines Herkunftsstaates bei einer irakischen Vertretungsbehörde in Deutschland hätte verfügen können, ist das BVwG nämlich gar nicht ausgegangen.

17 Im Übrigen hat sich das BVwG wie die vorliegende Revision überdies zutreffend geltend macht im angefochtenen Erkenntnis mit dem Vorbringen in der Beschwerde, wonach es dem Revisionswerber auch deshalb nicht zumutbar sei, sich an irakische Vertretungsbehörden in Deutschland zu wenden, weil eine solche Kontaktaufnahme psychische Gesundheitsbeeinträchtigungen, „namentlich eine Re Traumatisierung“, auslösen würde, überhaupt nicht befasst. Insoweit ist das angefochtene Erkenntnis daher auch mit einem maßgeblichen Begründungsmangel behaftet.

18 Das angefochtene Erkenntnis war somit aus den aufgezeigten Gründen wegen prävalierender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

19 Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 23. Mai 2024

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