JudikaturVwGH

Ra 2023/19/0123 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
24. August 2023

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Seiler, über die Revision des M A, vertreten durch Dr. Elisabeth Weichselberger Chlap, Rechtsanwältin in 1130 Wien, Reischergasse 7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Februar 2023, W248 2259588 1/9E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der minderjährige Revisionswerber, ein 2010 geborener Staatsangehöriger Syriens, stellte am 9. September 2021 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er damit begründete, Syrien aufgrund des Krieges und der Gräueltaten, die er als Kleinkind gesehen habe, verlassen zu haben.

2 Mit Bescheid vom 12. August 2022 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte ihm jedoch den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung.

3 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

4 In seiner Begründung stellte das BVwG soweit hier maßgeblich fest, dass dem Revisionswerber im Herkunftsgebiet weder durch die syrische Armee noch durch eine regimenahe oder kurdische Miliz Verfolgung drohe. Er sei auch nicht gefährdet, zwangsrekrutiert zu werden. Dem Revisionswerber sei es nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8 Zu ihrer Zulässigkeit macht die Revision ein Abweichen des BVwG von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geltend, wonach bei Minderjährigen als einer besonders vulnerablen und schutzbedürftigen Personengruppe eine besonders sorgfältige Prüfung erforderlich sei und bei allen Maßnahmen öffentlicher Stellen das Kindeswohl eine vorrangige Erwägung sein müsse. Das BVwG habe die Schilderungen des Revisionswerbers über Geschehnisse vor der Zerstörung des Hauses seiner Familie in der Zeit vor der Flucht in ein Flüchtlingslager als unglaubwürdig erachtet, weil die Ausführungen angesichts des Kleinkindalters, in dem sich der Revisionswerber damals befunden habe, zu detailliert gewesen seien und konstruiert gewirkt hätten. Die einer derartigen Annahme vorausgehende Klärung der Frage des Erinnerungsvermögens bezüglich traumatisierender Erlebnisse aus frühester Kindheit hätte jedoch einer besonderen Fachkunde bedurft und die Beiziehung eines psychologischen oder psychiatrischen Sachverständigen erfordert.

9 Damit wendet sich die Revision gegen die Beweiswürdigung des BVwG. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung in Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht im Einzelfall die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 14.11.2022, Ra 2022/19/0206, mwN).

10 Wie die Revision zutreffend ausführt, bedarf die Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Minderjährigen einer besonders sorgfältigen Beweiswürdigung (vgl. etwa VwGH 14.1.2023, Ra 2022/19/0149, mwN). Dass das BVwG diesen Anforderungen nicht entsprochen hätte, ist jedoch nicht ersichtlich: Das BVwG verschaffte sich im Rahmen einer mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber, setzte sich mit seinem Vorbringen auseinander und bezog bei der Bewertung der Rückkehrbefürchtungen des Revisionswerbers auch Länderfeststellungen, die sich mit der Situation von Minderjährigen in Syrien auseinandersetzen, mit ein. Bei der Beurteilung seiner Aussagen nahm das BVwG auch auf sein Alter Bedacht, indem es etwa die als äußerst knapp und vage gewerteten Angaben zu den Umständen der Ausreise auf das Alter des Revisionswerbers zurückführte und daher (dennoch) als glaubwürdig qualifizierte (Seite 58 des angefochtenen Erkenntnisses) oder auch allgemein einräumte, dass die Erfahrungen, die der Revisionswerber in Syrien gemacht habe, für die kindliche Psyche schwer zu verarbeiten seien (Seite 62 des angefochtenen Erkenntnisses). Dessen ungeachtet gelangte das BVwG nach ausführlicher Begründung zum Ergebnis, dass der Revisionswerber nie einer individuell gegen ihn gerichteten, konkreten Verfolgung ausgesetzt gewesen sei und eine solche auch nicht für den Fall seiner Rückkehr nach Syrien festgestellt werden könne.

11 Ausgehend davon zeigt die Revision nicht auf, dass die Beweiswürdigung des BVwG fallbezogen unvertretbar wäre. Soweit in diesem Zusammenhang die Unterlassung der Einholung eines Sachverständigengutachtens gerügt wird, ist zu entgegnen, dass die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Angaben des Revisionswerbers nicht in das Aufgabengebiet eines Sachverständigen fällt, sondern vielmehr dem Kernbereich der richterlichen Beweiswürdigung zuzurechnen ist (vgl. erneut VwGH Ra 2022/19/0206, mwN).

12 Des Weiteren rügt die Revision, das BVwG habe sich über das Beschwerdevorbringen zur drohenden Zwangsrekrutierung stillschweigend hinweggesetzt und weder die zur Rekrutierung von Minderjährigen getroffenen Länderfeststellungen noch die besondere Vulnerabilität und Schutzbedürftigkeit des Revisionswerbers ausreichend berücksichtigt. Letztlich habe sich das BVwG damit begnügt, aus dem Umstand, dass der Revisionswerber noch nicht im wehrpflichtigen Alter sei, abzuleiten, dass er an seinem Heimatort nicht in Gefahr sei, zwangsrekrutiert zu werden. In diesem Zusammenhang habe das BVwG auch keine Feststellungen zur (theoretischen) Möglichkeit der Rückkehr des Revisionswerbers in das Flüchtlingslager, in dem seine Familie lebt, und zur dortigen Situation einschließlich der Aufnahmekapazitäten getroffen.

13 Werden Verfahrensmängel wie hier Ermittlungs- und Begründungsmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung auch die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass auf das Wesentliche zusammengefasst jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers erwiesen hätten. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 13.10.2022, Ra 2022/19/0056, mwN).

14 Eine solche Relevanzdarlegung lässt die Revision jedoch vermissen. Das BVwG betonte auch unter Bezugnahme auf entsprechende Länderfeststellungen die allgemeine Gefährdung von Minderjährigen aufgrund der Gesamtsituation in Syrien, der bereits mit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten zutreffend Rechnung getragen worden sei. Es wies darauf hin, dass es trotz Kriminalisierung aller Formen der Rekrutierung Minderjähriger dennoch faktisch zu Zwangsrekrutierungen komme, ging aber davon aus, dass für eine Zwangsrekrutierung des Revisionswerbers keine hinreichende Wahrscheinlichkeit bestehe. Die Revision legt nicht dar, dass das BVwG damit von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinsichtlich der Beurteilung einer Verfolgungsgefahr abgewichen wäre (vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0413, mwN, wonach Verfolgungsgefahr eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit voraussetzt, wogegen die bloß entfernte Möglichkeit einer Verfolgung nicht genügt; zur insofern ähnlichen Konstellation eines minderjährigen Revisionswerbers aus Syrien vgl. jüngst VwGH 23.5.2023, Ra 2023/20/0110).

15 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher ohne weiteres Verfahren gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 24. August 2023

Rückverweise