Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Seiler, in der Revisionssache des A D, vertreten durch Mag. Hubert Wagner, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Wattmanngasse 8/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Februar 2023, L510 2224632 1/23E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger, stellte am 8. Juli 2019 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er brachte dazu vor, auf Grund seiner Mitgliedschaft bei der „HDP“ sowie des Umstandes, dass sein Vater in der Türkei als Terrorist gegolten habe, Probleme mit der Polizei gehabt zu haben.
2 Mit Bescheid vom 20. September 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Türkei zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
5 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, die vom BVwG vorgenommene Interessenabwägung nach § 9 BFA VG sei unvertretbar. Das BVwG habe nicht berücksichtigt, dass sich der Revisionswerber bereits vier Jahre in Österreich aufhalte und eine verfestigte sprachliche und wirtschaftliche Integration sowie eine einjährige Arbeitstätigkeit aufweise. Das BVwG hätte dem Revisionswerber wie dies in vergleichbaren Fällen geschehen sei von Amts wegen einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 zuerkennen müssen.
6 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist nach dem klaren Wortlaut des § 58 Abs. 2 AsylG 2005 die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005 nur dann von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird. Es handelt sich dabei um jene Fälle, in denen der Erlassung einer Rückkehrentscheidung eine sonst drohende Verletzung des Privat und Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK entgegensteht (vgl. VwGH 27.4.2021, Ra 2021/19/0041, mwN).
7 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. VwGH 20.4.2023, Ra 2022/19/0028, mwN).
8 Eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK stellt im Allgemeinen wenn kein revisibler Verfahrensmangel vorliegt und sie in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dar (vgl. etwa VwGH 9.3.2023, Ra 2022/19/0196, mwN).
9 Im vorliegenden Fall berücksichtigte das BVwG nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Rahmen seiner Interessenabwägung die entscheidungswesentlichen und damit auch die zugunsten des Revisionswerbers sprechenden Umstände, wie seine Integrationsbemühungen und seine Beschäftigung als Koch. Es ging aber auch zutreffend davon aus, dass es bei der Beurteilung des Privat und Familienlebens des Fremden im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA VG maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. dazu VwGH 21.12.2022, Ra 2021/19/0217, mwN).
Die Revision zeigt nicht auf, dass diese Interessenabwägung fallbezogen unvertretbar wäre.
10 Soweit sich die Revision in diesem Zusammenhang auf eine uneinheitliche Rechtsprechung des BVwG beruft, wird damit weder ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes noch deren Fehlen oder Uneinheitlichkeit aufgezeigt (vgl. VwGH 29.8.2022, Ra 2022/19/0182, mwN).
11 Auch mit dem Verweis auf das Assoziationsabkommen EWG/Türkei zeigt die Revision keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung auf, zumal die Revision nicht darzulegen vermag, weshalb sich der Revisionswerber auf die Begünstigungen des Abkommens berufen können sollte (siehe insbesondere dazu, dass eine asylrechtliche vorläufige Aufenthaltsberechtigung keine „gesicherte Position“ im Sinne des ARB 1/80 vermittelt, VwGH 18.7.2022, Ra 2022/18/0154, mwN).
12 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 20. Juni 2023