Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Dr. in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Prendinger in der Revisionssache des R A, vertreten durch Mag. Clemens Lahner, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Jänner 2023, W247 2213685 1/21E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Dem Revisionswerber, einem Staatsangehörigen der Russischen Föderation und Angehörigen der tschetschenischen Volksgruppe, wurde aufgrund eines von ihm im Jahr 2004 gestellten Asylantrages nach dem damals geltenden Asylgesetz 1997 (AsylG) im Instanzenzug vom damaligen unabhängigen Bundesasylsenat mit Bescheid vom 19. Dezember 2006 Asyl gewährt und festgestellt, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.
2 Der Revisionswerber wurde später in Österreich straffällig.
3 Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 12. Dezember 2017 wurde der Revisionsweber wegen der Vergehen der versuchten Nötigung gemäß §§ 15 StGB, 105 Abs. 1 StGB sowie der Freiheitsentziehung gemäß § 99 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen, verurteilt.
4 Mit Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 3. Oktober 2018 wurde der Revisionswerber wegen der Verbrechen der Vorbereitung von Suchtgifthandel gemäß §§ 28 Abs. 1 zweiter Fall, Abs. 2 SMG sowie des Suchtgifthandels gemäß §§ 28a Abs. 1 fünfter Fall, Abs. 4 Z 3 SMG und der Vergehen des schweren Diebstahls gemäß §§ 127, 128 Abs. 1 Z 5 StGB sowie gemäß § 50 Abs. 1 Z 1 und 2 WaffG zu einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt. Gleichzeitig wurde vom Widerruf der mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert.
5 Mit Bescheid vom 20. Dezember 2018 sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass dem Revisionswerber der Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 und § 7 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) aberkannt und festgestellt werde, dass ihm gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme. Die Behörde erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei. Hierfür wurde eine 14-tägige Frist ab Haftentlassung festgesetzt und ein gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG auf die Dauer von sechs Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.
6 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung mit dem Erkenntnis vom 16. Jänner 2023 als unbegründet ab, wobei es sich hinsichtlich des herangezogenen Aberkennungsgrundes nur auf § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 stützte. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
7 Gegen diese Entscheidung erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 12. Juni 2023, E 1237/2023 7, ablehnte und die Beschwerde über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 26. Juni 2023, E 1237/2023 9, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. In der Folge wurde die gegenständliche außerordentliche Revision eingebracht.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 In der Begründung für die Zulässigkeit der Revision wendet sich der Revisionswerber ausschließlich gegen die im Rahmen der Erlassung der Rückkehrentscheidung erfolgte Interessenabwägung und macht geltend, das Bundesverwaltungsgericht habe das Kindeswohl im Hinblick auf die vier Kinder des Revisionswerbers nicht ausreichend berücksichtigt. Es habe sich nicht mit den unmittelbaren Auswirkungen der Aufenthaltsbeendigung hinsichtlich der Versorgung und Pflege der Kinder, deren seelischen Bedürfnissen und etwaigen Schäden an der Bindung zu ihrem Vater auseinandergesetzt.
12 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel (vgl. VwGH 30.5.2023, Ra 2023/14/0140, mwN).
13 Die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts haben bereits wiederholt die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit den Auswirkungen einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf das Kindeswohl bei der nach § 9 BFA VG vorzunehmenden Interessenabwägung zum Ausdruck gebracht. Dazu hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung bereits festgehalten, dass im Rahmen der bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 9 BFA Verfahrensgesetz vorzunehmenden Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK dann auch darauf Rücksicht zu nehmen ist, ob und inwieweit sich die Erlassung einer Rückkehrentscheidung (auch) aus dem Blickwinkel des Kindeswohls als verhältnismäßig darstellt (vgl. aus der diesbezüglichen umfangreichen Rechtsprechung bloß beispielsweise VwGH 28.3.2023, Ra 2022/20/0391, Rz 64; mwN). Das Kindeswohl ist bei der Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK selbst dann zu berücksichtigen, wenn es sich beim Adressaten der Entscheidung nicht um das Kind selbst, sondern um einen Elternteil handelt (vgl. VwGH 25.1.2023, Ra 2020/22/0245 bis 0246, dort in Bezug auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels unter Hinweis auf das zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung ergangene Erkenntnis VwGH 3.12.2021, Ra 2021/18/0299).
14 Die Berücksichtigung des Kindeswohls stellt im Kontext aufenthaltsbeendender Maßnahmen lediglich einen Aspekt im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung dar; das Kindeswohl ist daher bei der Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen von Fremden nicht das einzig ausschlaggebende Kriterium. Die konkrete Gewichtung des Kindeswohls im Rahmen der nach § 9 BFA VG vorzunehmenden Gesamtbetrachtung hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab (vgl. VwGH 9.3.2023, Ra 2022/20/0382; 9.3.2022, Ra 2022/14/0044 bis 0047, mwN).
15 Es entspricht aber auch der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass eine Trennung von Familienangehörigen, mit denen ein gemeinsames Familienleben im Herkunftsland nicht zumutbar ist, in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes jedenfalls dann für gerechtfertigt erachtet wird, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme insgesamt ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie dies insbesondere bei Straffälligkeit des Fremden oder bei einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regeln über den Familiennachzug der Fall ist (vgl. VwGH 21.2.2022, Ra 2021/14/0335, mwN). Insbesondere schwerwiegende kriminelle Handlungen etwa nach dem SMG , aus denen sich eine vom Fremden ausgehende Gefährdung ergibt, können die Erlassung einer Rückkehrentscheidung daher auch dann tragen, wenn diese zu einer Trennung von Familienangehörigen führt (vgl. VwGH 2.9.2022, Ra 2022/14/0204; 8.4.2020, Ra 2020/14/0108, mwN).
16 Der Revision gelingt es mit ihrem Zulässigkeitsvorbringen nicht aufzuzeigen, dass das Bundesverwaltungsgericht in seinen im Rahmen der Interessenabwägung vorgenommenen Erwägungen die in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien nicht beachtet oder in unvertretbarer Weise zur Anwendung gebracht hätte.
17 Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigte im Rahmen der gemäß § 9 BFA-VG vorgenommenen Interessenabwägung die fallbezogen entscheidungswesentlichen Umstände. In seiner Begründung bezog sich das Verwaltungsgericht dabei auf die schwerwiegende Straffälligkeit des Revisionswerbers im Bereich der Suchtgiftkriminalität und verwies dabei vor allem auf die Aufbewahrung und die Bereithaltung zum Verkauf von enormen Mengen an Suchtgift im Keller seiner Wohnung, auf den mehrjährigen Besitz einer Schusswaffe ohne waffenrechtliche Urkunde, auf den langen Tatzeitraum, auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren und auf den kurzen Wohlverhaltenszeitraum. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich zudem am Boden der fallbezogenen Umstände ausreichend mit dem Kindeswohl der zum Entscheidungszeitpunkt minderjährigen Kinder des Revisionswerbers auseinandergesetzt. Dabei bezog das Bundesverwaltungsgerichts in seine Erwägungen maßgeblich ein, dass der Revisionswerber und seine Kinder bereits über einen längeren Zeitraum vor seiner Inhaftierung wegen seiner Drogensucht und der Beziehung zu einer anderen Frau nicht im gemeinsamen Haushalt lebten, ein Betretungsverbot kurz nach seiner Haftentlassung wegen seines aggressiven Verhaltens ausgesprochen wurde, sowie dass die Möglichkeit von Treffen in einem Drittstaat und die Kontaktaufnahme mittels moderner und elektronischer Medien im Hinblick auf das Alter der Kinder bestünde.
18 In Anbetracht der beim Revisionswerber vorliegenden Straffälligkeit wegen schwerwiegender Delikte (vgl. VwGH 22.2.2023, Ra 2022/14/0313, wonach Suchtgiftdelinquenz ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt), seines bisherigen Gesamtverhaltens und des daraus resultierenden besonders großen öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung ist die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK nicht zu beanstanden. Das Bundesverwaltungsgericht durfte nämlich zu Recht davon ausgehen, dass der Revisionswerber und seine Familienangehörigen eine Trennung im großen öffentlichen Interesse an der Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen hinzunehmen haben.
19 Soweit der Revisionswerber in seiner Zulässigkeitsbegründung im Zusammenhang mit der Trennung von seinen Familienangehörigen Verfahrensmängel geltend macht, seine Kinder hätten befragt werden müssen, und es seien amtswegige Ermittlungen in Bezug auf die konkrete Ausgestaltung der zukünftigen Kontaktmöglichkeiten durch Urlaubsreisen unterlassen worden, unterliegt die Frage, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Ermittlungspflicht von Amts wegen weitere Ermittlungsschritte setzen muss, einer einzelfallbezogenen Beurteilung. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn die Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH 7.3.2022, Ra 2022/14/0036, mwN). Derartiges zeigt die Revision nicht auf. Insbesondere wird nicht dargelegt, inwiefern es in rechtlicher Hinsicht unter Zugrundelegung der zuvor genannten Rechtsprechung, wonach auch in einem solchen Fall eine Trennung von Familienangehörigen hinzunehmen ist, zu einem für den Revisionswerber günstigeren Ergebnis hätte kommen können. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht auf die Einvernahme einer der Töchter des Revisionswerbers seitens der Rechtsvertretung ausdrücklich verzichtet wurde.
20 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 14. August 2023