JudikaturVwGH

Ra 2023/11/0142 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
10. September 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Samm und die Hofrätin MMag. Ginthör, den Hofrat Dr. Faber sowie die Hofrätinnen Dr. in Oswald und Dr. Kronegger als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Janitsch, über die Revision des M S, vertreten durch die Battlogg Rechtsanwalts GmbH in 6780 Schruns, Gerichtsweg 2, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Vorarlberg vom 21. September 2023, Zl. LVwG 411 7/2023 R19, betreffend Anordnung einer Nachschulung nach dem FSG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Dornbirn), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Der Revisionswerber hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 1.1. Mit Bescheid vom 30. Dezember 2022 ordnete die belangte Behörde gegenüber dem Revisionswerber gemäß § 4 Abs. 3 und 6 Z 2a Führerscheingesetz FSG eine Nachschulung für verkehrsauffällige Lenker hinsichtlich der Klasse B an. Der Revisionswerber habe dieser Nachschulung gemäß § 4 Abs. 8 FSG innerhalb von vier Monaten nach Zustellung dieses Bescheids nachzukommen, wobei die Kosten von ihm zu tragen seien. Eine allfällige Beschwerde gegen diesen Bescheid habe gemäß § 4 Abs. 3 FSG keine aufschiebende Wirkung (Spruchpunkt I.). Mit Anordnung der Nachschulung verlängere sich die Probezeit des Revisionswerbers gemäß § 4 Abs. 3 FSG um ein weiteres Jahr. Für die Verlängerung der Probezeit seien der Führerschein, ein Passfoto sowie € 49,50 unverzüglich nach Zustellung des Bescheids vorzulegen, andernfalls ein Verwaltungsstrafverfahren eingeleitet werde (Spruchpunkt II.).

2 In der Begründung verwies die belangte Behörde darauf, dass der Revisionswerber „wegen einer Übertretung nach § 102 Abs. 3 fünfter Satz KFG 1967 (Handy telefonieren) mittels Organstrafverfügung bestraft“ worden sei. Gemäß § 4 Abs. 3 FSG sei unverzüglich eine Nachschulung anzuordnen, wenn der Besitzer der Lenkberechtigung innerhalb der Probezeit einen schweren Verstoß (§ 4 Abs. 6 FSG) begehe.

3 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde, die mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes vom 2. Februar 2023 abgewiesen wurde.

4 1.2. Mit dem hg. Erkenntnis vom 29. Juni 2023, Ra 2023/11/0032, wurde das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes vom 2. Februar 2023 wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

5 In seinen Entscheidungsgründen führte der Verwaltungsgerichtshof zusammengefasst aus, gemäß § 4 Abs. 3 zweiter Satz FSG bilde im Fall eines schweren Verstoßes gemäß § 4 Abs. 6 Z 2a FSG (Übertretungen des § 102 Abs. 3 fünfter Satz Kraftfahrgesetz 1967 KFG 1967) zwar bereits die Ausstellung einer infolge fristgerechter Bezahlung aufrechten Organstrafverfügung die rechtliche Voraussetzung für die Anordnung einer Nachschulung. Allerdings ergebe sich aus dieser keine Bindungswirkung betreffend die Frage der Verwirklichung des Tatbestands durch den Beanstandeten. In diesem Fall habe die Führerscheinbehörde eigenständig zu ermitteln und zu beurteilen, ob der Betroffene den die Anordnung der Nachschulung rechtfertigenden Verstoß gemäß § 4 Abs. 6 FSG begangen habe. Diese Ermittlungen habe das Verwaltungsgericht aufgrund der unzutreffenden Rechtsauffassung, eine fristgerecht bezahlte Organstrafverfügung würde gleichermaßen wie eine rechtskräftige Bestrafung Bindungswirkung entfalten, unterlassen.

6 1.3. Mit dem im vor dem Verwaltungsgericht fortgesetzten Verfahren nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergangenen, nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde neuerlich ab und sprach gemäß § 25a VwGG aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B VG unzulässig sei.

7 Das Verwaltungsgericht stellte fest, der Revisionswerber habe am 20. Dezember 2022 um 15:43 Uhr an einem näher genannten Ort als Lenker eines Fahrzeuges ein Mobiltelefon in der linken Hand etwa auf Höhe des Lenkrades gehalten. Er habe mit dem Mobiltelefon eine Adresse gesucht. Dem Revisionswerber sei von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes eine Organstrafverfügung wegen einer Übertretung des § 102 Abs. 3 fünfter Satz KFG 1967 ausgestellt worden und er habe die Geldstrafe (fristgerecht) beglichen.

8 Beweiswürdigend führte das Verwaltungsgericht aus, der als Zeuge vernommene Polizeibeamte habe ausgesagt, er habe im Vorbeifahren gesehen, dass der Revisionswerber sein Mobiltelefon während der Fahrt in der linken Hand gehalten habe, woraufhin eine Fahrzeugkontrolle durchgeführt worden sei, im Zuge derer der Revisionswerber zugegeben habe, dass er mit dem Mobiltelefon eine Adresse gesucht habe. Diese Aussage sei glaubwürdig und passe auch mit den Angaben des Revisionswerbers, wonach das im Fahrzeug eingebaute Navigationsgerät nicht richtig funktioniert habe, zusammen. Die vom Revisionswerber beantragte Einholung eines verkehrstechnischen Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür, dass der Polizeibeamte von seiner Sitzposition aus gar nicht wahrnehmen habe können, dass der Revisionswerber während der Fahrt telefoniert habe, sei nicht notwendig, zumal der Zeuge sich sicher gewesen sei, gesehen zu haben, dass der Revisionswerber das Mobiltelefon während der Fahrt in der Hand gehalten habe, und der Revisionswerber außerdem die Übertretung bei der Anhaltung dem Zeugen gegenüber zugegeben habe.

9 In rechtlicher Hinsicht ging das Verwaltungsgericht davon aus, dass es nach dem hg. Erkenntnis vom 29. Juni 2023, Ra 2023/11/0032, eigenständig zu ermitteln und zu beurteilen habe, ob der Revisionswerber den die Anordnung der Nachschulung rechtfertigenden schweren Verstoß gemäß § 4 Abs. 6 FSG begangen habe. Nach § 102 Abs. 3 fünfter Satz KFG 1967 sei während des Fahrens neben dem Telefonieren ohne Benutzung einer Freisprecheinrichtung jegliche andere Handhabung des Mobiltelefons, ausgenommen als Navigationssystem, sofern es im Wageninneren befestigt ist, verboten. Davon sei jegliches „Hantieren“ mit einem Mobiltelefon, unabhängig davon, ob es zum Zweck der Sprachtelefonie, zum Zweck des Verfassens oder der Beantwortung einer E Mail oder einer SMS oder zum Zweck der Nutzung einer sonstigen am Smartphone zur Verfügung gestellten Technik erfolge, umfasst. Daher verstoße das Halten des Mobiltelefons in der linken Hand, um damit eine Adresse zu suchen, gegen das Verbot des Hantierens mit dem Mobiltelefon während der Fahrt. Der Revisionswerber habe somit den objektiven Tatbestand der ihm angelasteten Verwaltungsübertretung verwirklicht. Auch Verschulden sei gegeben. Die Voraussetzungen für die Anordnung einer Nachschulung und einer einjährigen Probezeitverlängerung nach § 4 Abs. 3 FSG lägen daher vor.

10 1.4. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision. Im Vorverfahren erstattete die belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung.

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

12 2. In der Zulässigkeitsbegründung der Revision wird unter anderem vorgebracht, dass dem Revisionswerber im Bescheid der belangten Behörde angelastet worden sei, er habe während der Fahrt telefoniert, wohingegen das Verwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis festgestellt habe, er habe das Mobiltelefon zum Suchen einer Adresse verwendet.

13 Die Revision ist im Hinblick auf dieses Vorbringen zur Klarstellung der Rechtslage hinsichtlich der Sache des Beschwerdeverfahrens bei der Anordnung einer Nachschulung nach § 4 Abs. 3 FSG zulässig.

14 Die Revision ist allerdings nicht begründet:

15 3.1. § 4 des Führerscheingesetzes FSG, BGBl. I Nr. 120/1997, in der Fassung BGBl. I Nr. 76/2019, lautet (auszugsweise) wie folgt:

„Lenkberechtigung für Anfänger (Probeführerschein)

§ 4. (1) Lenkberechtigungen für alle Klassen mit Ausnahme der Klassen AM und F, die Personen erteilt werden, die vorher keine in oder ausländische Lenkberechtigung für eine dieser Klassen besessen haben, unterliegen einer Probezeit von drei Jahren. Diese Probezeit ist in den Führerschein nicht einzutragen.

(...)

(3) Begeht der Besitzer der Lenkberechtigung innerhalb der Probezeit einen schweren Verstoß (Abs. 6) oder verstößt er gegen die Bestimmung des Abs. 7, so ist von der Behörde unverzüglich eine Nachschulung anzuordnen, wobei die Rechtskraft der Bestrafung wegen eines schweren Verstoßes abzuwarten ist. Im Fall eines schweren Verstoßes gemäß Abs. 6 Z 2a kann auch nach der Ausstellung eines Organmandates eine Nachschulung angeordnet werden. Rechtsmittel gegen die Anordnung der Nachschulung haben keine aufschiebende Wirkung. Mit der Anordnung einer Nachschulung verlängert sich die Probezeit jeweils um ein weiteres Jahr oder es beginnt eine neuerliche Probezeit von einem Jahr, wenn die Probezeit in der Zeit zwischen der Deliktsetzung und der Anordnung der Nachschulung abgelaufen ist; die Verlängerung oder der Neubeginn der Probezeit ist von der Wohnsitzbehörde dem Führerscheinregister zu melden und in den Führerschein einzutragen. Der Besitzer des Probeführerscheines hat diesen bei der Behörde abzuliefern, die Behörde hat die Herstellung eines neuen Führerscheines gemäß § 13 Abs. 6 in die Wege zu leiten.

(...)

(6) Als schwerer Verstoß gemäß Abs. 3 gelten

1. Übertretungen folgender Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung 1960 StVO 1960, BGBl. Nr. 159:

a) § 4 Abs. 1 lit. a (Fahrerflucht),

b) § 7 Abs. 5 (Fahren gegen die zulässige Fahrtrichtung),

c) § 16 Abs. 1 (Überholen unter gefährlichen Umständen),

d) § 16 Abs. 2 lit. a (Nichtbefolgen von gemäß § 52 lit. a Z 4a und Z 4c kundgemachten Überholverboten),

e) § 19 Abs. 7 (Vorrangverletzung),

f) §§ 37 Abs. 3, 38 Abs. 2a, 38 Abs. 5 (Überfahren von ‚Halt‘ Zeichen),

g) § 46 Abs. 4 lit. a und b (Fahren auf der falschen Richtungsfahrbahn auf Autobahnen);

2. mit technischen Hilfsmitteln festgestellte Überschreitungen einer ziffernmäßig festgesetzten erlaubten Höchstgeschwindigkeit im Ausmaß von

a) mehr als 20 km/h im Ortsgebiet oder

b) mehr als 40 km/h auf Freilandstraßen;

2a. Übertretungen des § 102 Abs. 3 fünfter Satz KFG 1967.

3. strafbare Handlungen gemäß den §§ 80, 81 oder 88 Strafgesetzbuch StGB, BGBl. Nr. 60/1974, die beim Lenken eines Kraftfahrzeuges begangen wurden.

(7) Während der Probezeit darf der Lenker ein Kraftfahrzeug nur in Betrieb nehmen und lenken, wenn der Alkoholgehalt des Blutes nicht mehr als 0,1 g/l (0,1 Promille) oder der Alkoholgehalt der Atemluft nicht mehr als 0,05 mg/l beträgt. Er darf während der Fahrt einschließlich der Fahrtunterbrechungen keinen Alkohol zu sich nehmen. Verstöße gegen diese Bestimmungen sind nur mit der Anordnung einer Nachschulung (Abs. 3) zu ahnden, sofern nicht auch ein Verstoß gegen die StVO 1960 oder § 14 Abs. 8 vorliegt.

(...)“

16 3.2. § 102 des Kraftfahrgesetzes 1967 KFG 1967, BGBl. Nr. 267/1967, in der Fassung BGBl. I Nr. 35/2023, lautet (auszugsweise):

§ 102. Pflichten des Kraftfahrzeuglenkers

(...)

(3) Der Lenker muß die Handhabung und Wirksamkeit der Betätigungsvorrichtungen des von ihm gelenkten Kraftfahrzeuges kennen. Ist er mit ihrer Handhabung und Wirksamkeit noch nicht vertraut, so darf er das Fahrzeug nur mit besonderer Vorsicht lenken. Er muss die Lenkvorrichtung während des Fahrens mit mindestens einer Hand festhalten. Er hat sich im Verkehr der Eigenart des Kraftfahrzeuges entsprechend zu verhalten. Während des Fahrens ist dem Lenker das Telefonieren ohne Benützung einer Freisprecheinrichtung sowie jegliche andere Verwendung des Mobiltelefons, ausgenommen als Navigationssystem, sofern es im Wageninneren befestigt ist, verboten. Der Bundesminister für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie hat unter Bedachtnahme auf die Verkehrssicherheit und den Stand der Technik durch Verordnung die näheren Vorschriften bezüglich der Anforderungen für Freisprecheinrichtungen festzulegen. Freisprecheinrichtungen müssen den Anforderungen der Produktsicherheitsbestimmungen für Freisprecheinrichtungen entsprechen.

(...)“

17 4.1. Zur in der Revision behaupteten Überschreitung der Sache des Beschwerdeverfahrens:

18 4.1.1. Zunächst ist festzuhalten, dass „Sache“ des Beschwerdeverfahrens nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur jene Angelegenheit ist, die den Inhalt des Spruchs des Bescheids der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde gebildet hat (vgl. zB VwGH 28.6.2022, Ra 2022/11/0051, mwN). Diese „Sache“ kann nicht generell, sondern nur auf Grund der jeweiligen Verwaltungsvorschrift, die die konkrete Verwaltungssache bestimmt, eruiert werden (vgl. etwa VwGH 13.6.2024, Ra 2023/11/0113, mwN).

19 4.1.2. Der Spruch des Bescheids der belangten Behörde lautet im vorliegenden Fall dahin, dass gemäß § 4 Abs. 3 und 6 Z 2a FSG eine Nachschulung für verkehrsauffällige Lenker angeordnet werde. Dieser Anordnung legte die belangte Behörde, wie sich aus der Bescheidbegründung ergibt, zu Grunde, der Revisionswerber habe mit dem „Handy telefoniert“ und dadurch § 102 Abs. 3 fünfter Satz KFG 1967 übertreten, was die belangte Behörde als einen schweren Verstoß iSd. § 4 Abs. 3 iVm. Abs. 6 Z 2a FSG qualifizierte. Hingegen legte das Verwaltungsgericht der Anordnung zu Grunde, der Revisionswerber habe das Mobiltelefon zum Suchen einer Adresse verwendet, was das Verwaltungsgericht ebenfalls als Begehung eines schweren Verstoßes nach denselben Bestimmungen beurteilte.

20 4.1.3. Gemäß § 4 Abs. 3 FSG ist von der Behörde unverzüglich eine Nachschulung u.a. dann anzuordnen, wenn der Besitzer der Lenkberechtigung innerhalb der Probezeit einen schweren Verstoß gemäß § 4 Abs. 6 FSG begeht. § 4 Abs. 6 FSG erklärt bestimmte Übertretungen der StVO (Z 1), mit technischen Hilfsmitteln festgestellte Überschreitungen einer ziffernmäßig festgesetzten erlaubten Höchstgeschwindigkeit in näher genanntem Ausmaß (Z 2), Übertretungen des § 102 Abs. 3 fünfter Satz KFG 1967 (Z 2a) und strafbare Handlungen gemäß den §§ 80, 81 oder 88 StGB, die beim Lenken eines Kraftfahrzeuges begangen wurden (Z 3), zu schweren Verstößen in diesem Sinne.

21 Bei der Anordnung einer Nachschulung nach § 4 Abs. 3 FSG handelt es sich um eine von der etwaigen Entziehung der Lenkberechtigung unabhängige Maßnahme (vgl. zur Vorgängerbestimmung des § 64a KFG 1967 VwGH 28.11.1996, 96/11/0254), die die Begehung eines schweren Verstoßes iSd § 4 Abs. 6 FSG oder einen Verstoß gegen § 4 Abs. 7 FSG innerhalb der Probezeit zur Voraussetzung hat (vgl. zur Abgrenzung von einer Nachschulungsanordnung gemäß [nunmehr] § 24 Abs. 3 Z 1 FSG als begleitende Maßnahme der Entziehung der Lenkberechtigung unter der Voraussetzung, dass die Entziehung während der Probezeit erfolgte: VwGH 10.11.1998, 98/11/0250). Die Nachschulungsanordnung gemäß § 4 Abs. 3 FSG hat (zwingend) zu erfolgen, wenn der Besitzer der Lenkberechtigung innerhalb der Probezeit ein bestimmtes, in § 4 Abs. 6 und 7 FSG definiertes Verhalten setzt.

22 Die Bestimmungen über den Probeführerschein und die damit im Zusammenhang stehenden Maßnahmen wie etwa die Anordnung einer Nachschulung bei Begehung schwerer Verstöße während der Probezeit wurden mit der 13. KFG Novelle, BGBl. 458/1990, (damals im dem nunmehrigen § 4 FSG in großen Teilen entsprechenden § 64a KFG 1967, vgl. RV 714 BlgNR XX. GP, S. 33) eingeführt. Zweck der Regelungen ist die Bekämpfung und Begrenzung des Risikos jugendlicher Fahranfänger, insbesondere durch besondere Schulungsmaßnahmen für auffällig gewordene Lenker (vgl. RV 1309 BlgNR XVII. GP, S. 8 f).

23 Zum Verfahren zur Entziehung der Lenkberechtigung hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass der Grund dafür, dass hinsichtlich einer nach Erteilung der Lenkberechtigung verkehrsunzuverlässig gewordenen Person eine Verwaltungsmaßnahme gesetzt werden muss, darin liege, andere Personen (die Allgemeinheit) aus bestimmten Gründen vor einem Lenker zu schützen. Folglich sei nicht die angeordnete Maßnahme als Reaktion auf den angenommenen Wegfall der Verkehrsunzuverlässigkeit, sondern dieser Wegfall, der die Behörde kraft Gesetzes zur Maßnahme verpflichtet, Sache des Verfahrens (vgl. VwGH 13.6.2024, Ra 2023/11/0113, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung, insbesondere auf VwGH 28.11.1983, 82/11/0270).

24 In vergleichbarer Weise ist die Sache des Verfahrens über die Anordnung einer Nachschulung gemäß § 4 Abs. 3 FSG nicht auf die dem Betreffenden konkret angelasteten, einen schwerwiegenden Verstoß gemäß § 4 Abs. 6 FSG bzw. einen Verstoß gegen § 4 Abs. 7 FSG darstellenden Tathandlungen beschränkt.

25 4.1.4. Zu unterscheiden sind jene Fälle, in denen das in Rede stehende Verhalten bereits Gegenstand einer rechtskräftigen Bestrafung war, von jenen Fällen, in denen die Führerscheinbehörde bzw. im Beschwerdeverfahren das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines schweren Verstoßes als Vorfrage selbst beurteilen muss:

26 Nach § 4 Abs. 3 erster Satz FSG ist vor der Anordnung einer Nachschulung grundsätzlich die Rechtskraft der Bestrafung wegen eines schweren Verstoßes abzuwarten. Lediglich für schwere Verstöße gemäß § 4 Abs. 6 Z 2a FSG also Übertretungen von § 102 Abs. 3 fünfter Satz KFG 1967 normiert der mit der 18. FSG Novelle, BGBl. I Nr. 15/2017, eingefügte zweite Satz des § 4 Abs. 3 FSG, dass auch nach Ausstellung eines Organmandats eine Nachschulung angeordnet werden kann (siehe grundsätzlich zu dieser, eine Ergänzung zu § 4 Abs. 3 erster Satz FSG darstellenden Ausnahmeregelung VwGH 29.6.2023, Ra 2023/11/0032).

27 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits festgehalten hat, ist die Führerscheinbehörde im Verfahren betreffend die Anordnung einer Nachschulung gemäß § 4 Abs. 3 FSG im Fall einer rechtskräftigen Bestrafung wegen eines schweren Verstoßes iSd § 4 Abs. 6 FSG in Ansehung des Umstandes, dass der Betreffende die im Strafbescheid genannte Tat begangen hat, gebunden (siehe etwa VwGH 21.8.2014, Ra 2014/11/0027; VwGH 29.6.2023, Ra 2023/11/0032, mwN; siehe bereits zur Vorgängerbestimmung § 64a KFG VwGH 19.4.1994, 94/11/0079).

28 Liegt aber eine rechtskräftige Bestrafung wegen einer Übertretung nach § 4 Abs. 6 Z 2a FSG nicht vor, und ist die Anordnung einer Nachschulung nach § 4 Abs. 3 zweiter Satz FSG zulässig, hat die Führerscheinbehörde, falls sie das Verfahren nicht gemäß § 38 AVG aussetzt, die Frage, ob eine Übertretung begangen wurde, selbst zu beurteilen und dazu auch die erforderlichen Ermittlungen zu führen. Eine Bindungswirkung an eine fristgerecht bezahlte Organstrafverfügung besteht insoweit nicht (vgl. erneut VwGH 29.6.2023, Ra 2023/11/0032).

29 Ein solcher Fall liegt gegenständlich vor. Das Verwaltungsgericht ging im zweiten Rechtsgang somit zu Recht davon aus, dass es eigenständig zu ermitteln und zu beurteilen habe, ob der Revisionswerber den die Anordnung der Nachschulung rechtfertigenden schweren Verstoß gemäß § 4 Abs. 6 Z 2a FSG iVm § 102 Abs. 3 fünfter Satz KFG 1967 begangen habe.

30 4.1.5. Das Tatbild des § 102 Abs. 3 fünfter Satz KFG 1967 umfasst das Telefonieren ohne Benützung einer Freisprecheinrichtung sowie jegliche andere Verwendung des Mobiltelefons, ausgenommen als Navigationssystem, sofern es im Wageninneren befestigt ist.

31 Während die belangte Behörde in ihrer Bescheidbegründung erkennbar den ersten Fall dieses Tatbilds (Telefonieren ohne Benützung einer Freisprecheinrichtung) erfüllt sah, subsumierte das Verwaltungsgericht das von ihm festgestellte Verhalten des Revisionswerbers unter den zweiten Fall des Tatbilds (andere Verwendung des Mobiltelefons, ausgenommen als Navigationssystem, sofern es im Wageninneren befestigt ist). Dabei ging es zu Recht davon aus, dass die Wortfolge „jegliche andere Verwendung des Mobiltelefons“ in § 102 Abs. 3 fünfter Satz KFG 1967 nur die mit Inanspruchnahme einer gerätespezifischen Funktion (zB Surfen im Internet und Lesen von Push Nachrichten), außer jener zu Fernsprechzwecken (diese ist bereits unter „Telefonieren“ gemäß § 102 Abs. 3 fünfter Satz KFG 1967 zu subsumieren), verbundene Handhabung eines Mobiltelefons erfasst (vgl. VwGH 29.8.2023, Ra 2023/11/0101, mwN; in diesem Sinne auch VwGH 22.11.2023, Ra 2023/02/0175). Die vom Verwaltungsgericht festgestellte Verwendung des unstrittig nicht im Wageninneren befestigten Mobiltelefons zur Suche nach einer Adresse stellt daher jedenfalls eine Übertretung des § 102 Abs. 3 fünfter Satz KFG 1967 dar.

32 Zum Verfahren zur Entziehung der Lenkberechtigung nach § 26 Abs. 1 bis 3 FSG (Entziehung für einen im Gesetz vorgesehenen fixen Zeitraum bzw. Mindestzeitraum) hat der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen, dass es keine Überschreitung der Sache des Beschwerdeverfahrens darstelle, wenn das Verwaltungsgericht der Annahme des Wegfalls der Verkehrszuverlässigkeit ein anderes straßenverkehrsrechtliches Geschehen als die belangte Behörde zu Grunde legt, das als erwiesen angenommene Delikt somit „austauscht“ (VwGH 13.6.2024, Ra 2023/11/0113).

33 Nichts Anderes kann für ein Verfahren über die Anordnung einer Nachschulung gemäß § 4 Abs. 3 iVm Abs. 6 Z 2a FSG in der fallgegenständlich maßgeblichen Konstellation gelten, in welcher aufgrund der fristgerechten Bezahlung der Organstrafverfügung keine Bindung an eine rechtskräftige Bestrafung wegen einer Übertretung nach § 102 Abs. 3 fünfter Satz KFG 1967 besteht, sondern das Verhalten des Revisionswerbers durch die Behörde bzw. das Verwaltungsgericht selbst zu beurteilen ist.

34 Überdies kommt in einer solchen Konstellation anders als etwa im Verfahren zur Entziehung der Lenkberechtigung nach § 26 Abs. 1 bis 3 FSG (vgl. erneut VwGH 13.6.2024, Ra 2023/11/0113, Rn. 39) ein „Austausch“ des schweren Verstoßes iSd § 4 Abs. 6 FSG im Beschwerdeverfahren gar nicht in Betracht. Denn der einzige in § 4 Abs. 3 zweiter Satz FSG geregelte Fall, in dem vor der Anordnung der Nachschulung nicht die rechtskräftige Bestrafung abzuwarten ist, ist ein schwerer Verstoß in Form einer Übertretung des § 102 Abs. 3 fünfter Satz KFG 1967. In Bezug auf andere im Deliktskatalog des § 4 Abs. 6 FSG genannte Verstöße ist stets die Bindungswirkung nach sich ziehende rechtskräftige Bestrafung abzuwarten.

35 Sowohl die belangte Behörde als auch das Verwaltungsgericht sahen durch das Verhalten des Revisionswerbers eine Übertretung des § 102 Abs. 3 fünfter Satz KFG 1967 als gegeben an. Indem das Verwaltungsgericht in Ergänzung des behördlichen Ermittlungsverfahrens dem bereits von der belangten Behörde geprüften straßenverkehrsrechtlichen Geschehen eine andere tatsächliche Verhaltensweise des Revisionswerbers zugrunde legte und dieses nunmehr festgestellte Verhalten (ebenfalls) unter das Tatbild des § 102 Abs. 3 fünfter Satz KFG 1967 subsumierte, hat es die Sache des Beschwerdeverfahrens nicht überschritten.

36 4.2. Soweit der Revisionswerber die der Feststellung, er habe das Mobiltelefon zum Suchen einer Adresse verwendet, zugrundeliegende Beweiswürdigung bekämpft, ist darauf hinzuweisen, dass die Beweiswürdigung ein Denkprozess ist, der nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich ist, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorganges handelt bzw. darum, ob die Beweisergebnisse, die in diesem Denkvorgang gewürdigt wurden, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind. Die Schlüssigkeit der Erwägungen innerhalb der Beweiswürdigung unterliegt daher der Kontrollbefugnis des Verwaltungsgerichtshofes, nicht aber deren konkrete Richtigkeit (vgl. VwGH 13.6.2024, Ra 2023/11/0113, mwN).

37 Die Revision zeigt keine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Mangelhaftigkeit der Beweiswürdigung auf. Denn das Verwaltungsgericht stützte die Feststellung, wonach der Revisionswerber ein Mobiltelefon in der Hand gehalten und zum Suchen einer Adresse verwendet habe, auf die Aussage des als Zeugen vernommenen Meldungslegers, wonach der Revisionswerber bei der Fahrzeugkontrolle ihm gegenüber zugegeben habe, das Mobiltelefon zu diesem Zweck verwendet zu haben und begründete die Glaubwürdigkeit dieser Aussage vor dem Hintergrund des in der Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks nachvollziehbar damit, dass der Zeuge die Geschehnisse klar, detailliert und widerspruchsfrei geschildert habe und keine Anhaltspunkte dafür bestünden, dass er den Revisionswerber wahrheitswidrig belasten wolle. Angesichts dessen kam es auf die Frage, ob der Zeuge vor der Fahrzeugkontrolle von seiner Sitzposition aus die Position des Mobiltelefons des Revisionswerbers habe wahrnehmen können, nicht an, sodass nicht zu beanstanden ist, dass das Verwaltungsgericht die Einholung des dazu beantragten Sachverständigenbeweises ablehnte (dazu, dass Beweisanträge u.a. dann abgelehnt werden dürfen, wenn es auf die Beweistatsachen nicht ankommt, siehe aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 16.2.2023, Ra 2020/11/0081, oder VwGH 19.4.2024, Ra 2023/04/0054, jeweils mwN).

38 4.3. Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

39 5. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm. der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 10. September 2024

Rückverweise