JudikaturVwGH

Ra 2023/05/0212 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
13. Januar 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Pollak sowie die Hofrätinnen Dr. Leonhartsberger und Dr. in Gröger als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Tichy, über die Revision 1. der S H, 2. der U W und 3. des G W, alle in W, alle vertreten durch die Ploil Boesch Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Stadiongasse 4, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 30. März 2023, 1. VGW 111/V/084/15637/2022 19 und VGW 111/084/1468/2023, 2. VGW 111/V/084/15638/2022 und VGW 111/V/084/1470/2023 und 3. VGW 111/V/084/15639/2022 und VGW 111/V/084/1471/2023, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Parteien: A und S H, beide in W, beide vertreten durch die Jeannee Rechtsanwalt GmbH in 1010 Wien, Bösendorfer Straße 5/8; belangte Behörden vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien und Bauausschuss der Bezirksvertretung für den 19. Bezirk; weitere Partei: Wiener Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Die mitbeteiligten Parteien (Bauwerber) sind Eigentümer einer Liegenschaft in 1190 Wien, für die sie am 22. Oktober 2021 die Umwidmung eines Abstellraumes in eine Garage, bauliche Änderungen, die Entfernung eines Teils der Einfriedung und Abweichungen von den Vorschriften des Bebauungsplans (betreffend Ein- und Ausfahrten) beantragten. An die Liegenschaft grenzt der S Steig an. Die revisionswerbenden Parteien sind Miteigentümer einer benachbarten Liegenschaft, die nördlich an das Baugrundstück grenzt. Sie erstatteten Einwendungen gegen das Bauvorhaben, insbesondere zur beantragten Ausnahmegenehmigung gemäß § 69 der Bauordnung für Wien (im Folgenden: BO), mit der von dem im Bebauungsplan vorgegebenen Verbot, neue Ein- und Ausfahrten an der Front S Steig zu errichten, abgewichen werden sollte. Die belangten Behörden erteilten die Ausnahmegenehmigung gemäß § 69 BO und in weiterer Folge die Baubewilligung.

2 Die dagegen von den revisionswerbenden Parteien erhobenen Beschwerden wurden mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt I.). Weiters erklärte das Verwaltungsgericht eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B VG für unzulässig (Spruchpunkt II.).

3 Begründend führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, für die zu bebauende Liegenschaft sei ein näher bezeichnetes Plandokument gültig, das den an die zu bebauende Liegenschaft unmittelbar angrenzenden S Steig als Fußweg ausweise und insbesondere auch für den Bereich, in dem die zu widmende Einfahrt liege, eine Ein- und Ausfahrtensperre normiere. Verfahrensgegenständlich seien ausschließlich der Abbruch eines Teils der bestehenden Einfriedung auf einer Länge von 4,23 m zur Schaffung einer Einfahrt anstelle eines Eingangs, die Umwidmung eines im 2. Kellergeschoß befindlichen Abstellraumes in eine Garage mit fünf Pkw Stellplätzen sowie bauliche Änderungen im Inneren des 2. Kellergeschoßes. Der S Steig werde durch das gegenständliche Projekt nicht verändert. Die Schallimmissionen seien als ortsüblich einzustufen; für die Anrainer seien aus dem Betrieb der Garage sowie der Befahrung des Erschließungsweges keine unzumutbaren Lärmbelästigungen zu erwarten; die Gesamtimmissionen an Luftschadstoffen unterschritten die Grenzwerte laut IG L im Jahresmittel.

4 Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht, durch das gegenständliche Projekt seien keine subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte betroffen. Die subjektiv­öffentlichen Nachbarrechte betreffend Immissionsschutz würden durch die nunmehr gewidmeten fünf Pkw Stellplätze nicht verletzt. Die Befahrbarkeit des S Steiges sei vor der Einreichung des gegenständlichen Projekts hergestellt worden und nicht Gegenstand des Verfahrens. Ausgehend vom Bestand der Verkehrsfläche S Steig sei die Argumentation der belangten Behörden, dass durch die neu geschaffene Ein- und Ausfahrt eine zweckmäßigere Flächennutzung der Liegenschaft entstehe, nachvollziehbar und korrekt. Auch die übrigen Voraussetzungen für die Anwendung des § 69 BO lägen vor. Unter anderem sei die Abweichung von der Ein und Ausfahrtensperre für den vom Projekt betroffenen Abschnitt mit einer Breite von 4,23 m in stadtstruktureller Hinsicht als verhältnismäßig anzusehen. Die Verkehrsfläche S Steig habe bereits über eine Ein- und Ausfahrt verfügt, nämlich zur Tiefgarage auf der Liegenschaft der revisionswerbenden Parteien. Die weitere Befahrbarkeit des S Steiges bis zur Liegenschaft des Bauwerbers betreffe keine subjektiv öffentlichen Nachbarrechte der revisionswerbenden Parteien. Durch die bloße Möglichkeit, nunmehr den S Steig weiter bis zur Einfahrt der Liegenschaft des Bauwerbers mit PKW zu befahren, könnten keine subjektiv öffentlichen Nachbarrechte (abgesehen von bereits abgehandelten Immissionsschutzbestimmungen) betroffen sein.

5 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen geltend macht, das Verwaltungsgericht vertrete ohne dies näher zu begründen die Ansicht, dass durch eine Ausnahmebewilligung von dem Gebot, dass an den Fluchtlinien keine Ein und Ausfahrten hergestellt werden dürften (§ 5 Abs. 4 lit. r BO), keine subjektiv öffentlichen Nachbarrechte berührt oder gar verletzt würden. Gestützt „auf diese (falsche) Annahme“ habe es den revisionswerbenden Parteien ihre subjektiv öffentlichen Nachbarrechte im Zusammenhang mit dem Verfahren nach § 69 BO pauschal abgesprochen. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes habe der Nachbar nach Maßgabe des § 134 Abs. 3 BOParteistellung in einem Verfahren nach § 69 BO und könne seine Nachbarrechte (§ 134a BO), die ihm vor Gewährung der Ausnahme zustünden, geltend machen (Hinweis auf VwGH 24.02.2022, Ro 2020/05/0030).

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

8Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof ausschließlich im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9Die von der Revision zur Begründung ihrer Zulässigkeit angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, von der das Verwaltungsgericht abgewichen sein soll, ist zwar im Zusammenhang mit Nachbarrechten ergangen. Im Fall der Behauptung einer Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat ein Revisionswerber jedoch konkret darzulegen, dass der der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt einer der von ihm ins Treffen geführten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes gleicht, das Verwaltungsgericht im gegenständlichen Fall dennoch anders entschieden hat und es damit von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist (vgl. etwa VwGH 17.6.2024, Ra 2024/05/0072, mwN).

10Dieser Anforderung wird die Zulässigkeitsbegründung der vorliegenden Revision nicht gerecht. Die in der Revision angeführten Entscheidungen hatten die hintere Baufluchtlinie (vgl. VwGH 24.2.2022, Ro 2020/05/0030, Rn. 20) und den Nachbarn zugekehrte Baufluchtlinien (vgl. VwGH 26.2.2020, Ra 2019/05/0061, Rn. 46) zum Inhalt. Gegenständlich betroffen ist der S Steig, eine öffentliche Verkehrsfläche, an der sowohl die Bauliegenschaft als auch die Nachbarliegenschaft an derselben Seite anliegen. Da der Nachbar nur die Verletzung seiner Rechte nach § 134a Abs. 1 BO geltend machen kann, verletzt die Überschreitung der Baufluchtlinien, die nicht seinem Schutze dienen, nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht seine Rechte. Insbesondere liegt die Einhaltung der vorderen Baufluchtlinie nur im Interesse des gegenüberliegenden Nachbarn (vgl. VwGH 20.9.2005, 2003/05/0063). Wenn sich die Revision nun darauf stützt, dass der Nachbar nach Maßgabe des § 134 Abs. 3 BO Parteistellung in einem Verfahren nach § 69 BO habe und seine Nachbarrechte, die ihm vor Gewährung der Ausnahme zustünden, geltend machen könne, so zeigt sie angesichts der konkret betroffenen Baufluchtlinie vor dem Hintergrund der soeben dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht auf, dass die revisionswerbenden Parteien im Zusammenhang mit dieser Baufluchtlinie ein ihnen bereits vor Gewährung der Ausnahme zustehendes Nachbarrecht geltend machen. Weiteres Vorbringen im Zusammenhang mit § 69 BO wird von den revisionswerbenden Parteien nicht erstattet.

11 Soweit die revisionswerbenden Parteien vorbringen, die beantragte Abweichung widerspreche der Zielrichtung des Flächenwidmungs und Bebauungsplans und das Verwaltungsgericht habe entsprechende Ermittlungen im Zusammenhang mit dem einschlägigen Flächenwidmungsund Bebauungsplan unterlassen, mangelt es im Sinne der obigen Ausführungen bereits an einer Darstellung der Relevanz dieses behaupteten Verfahrensmangels (vgl. zu diesem Erfordernis etwa VwGH 18.3.2024, Ra 2024/06/0026, mwN).

12In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 13. Jänner 2025