Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Lehofer und den Hofrat Dr. Faber als Richter sowie die Hofrätin Dr. in Sabetzer als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision des A G in W, vertreten durch Mag. Moriz Frech, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Rooseveltplatz 4 5/8, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. April 2023, Zl. W136 2268057 1/2E, betreffend Verfahrenshilfe nach § 8a VwGVG in einer Justizangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Vorsteherin des Bezirksgerichtes Leopoldstadt), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Mit Antrag vom 6. März 2023 begehrte der Revisionswerber beim Bundesverwaltungsgericht die Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Erhebung einer Maßnahmenbeschwerde. Begründend brachte er vor, er habe am 27. Jänner 2023, ab 13:00 Uhr, als „Prozessbeobachter“ Verhandlungen im Bezirksgericht Leopoldstadt ansehen wollen. Der Sicherheitsdienst habe ihm mitgeteilt, er habe die Weisung, ab 12:00 Uhr niemand ohne Ladung einzulassen. Er habe die Polizei verständigt, welche ihm mitgeteilt habe, dass die Geschäftsstellenleiterin unter anderem aus Sicherheitsgründen keine „Prozessbeobachter“ einlasse.
2 Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Bundesverwaltungsgericht den Antrag des Revisionswerbers auf Verfahrenshilfe gemäß § 8a Abs. 1 VwGVG ab und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei.
3 Das Verwaltungsgericht stellte den (oben wiedergegebenen) Inhalt des Verfahrenshilfeantrags und des angeschlossenen Vermögensbekenntnisses fest.
4 Rechtlich führte das Verwaltungsgericht, nach Wiedergabe des § 8a VwGVG, aus, ob auf Grund des Art. 6 EMRK bzw. des Art. 47 GRC die Beigebung eines Rechtsanwaltes geboten sei, richte sich danach, ob dies für den effektiven Zugang der Partei zu Gericht unentbehrlich sei. Dies sei nach der Rechtsprechung des EGMR und des EuGH jedenfalls dann zu verneinen, wenn die Voraussetzungen der Verfahrenshilfe nicht erfüllt seien, weil die Partei die Kosten eines Rechtsanwaltes ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts bestreiten könnte oder die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung offenbar nutwillig oder aussichtslos sei. Seien diese Voraussetzungen aber erfüllt, komme es darauf an, ob im Verfahren, insbesondere im Hinblick auf die Komplexität des Falles, Schwierigkeiten zu erwarten seien, die es der Partei verunmöglichten, ihre Interessen ohne Unterstützung eines Rechtsanwaltes wahrzunehmen. Dabei seien die persönlichen Umstände der Partei, wie ihr allgemeines Verständnis und ihre Fähigkeiten bzw. ihre Rechtskenntnisse, zu berücksichtigen. Ergänzend sei in die Erwägungen auch die Bedeutung des Rechtsstreits für die Partei miteinzubeziehen.
5 In Verfahren vor den Verwaltungsgerichten bestehe keine Anwaltspflicht und sei der entscheidungsrelevante Sachverhalt grundsätzlich von Amts wegen zu ermitteln. Eine Komplexität des Falles in der Weise, dass der Antragsteller in einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht anwaltlich vertreten sein müsste, sei nicht gegeben, da es vorliegend nicht um die Lösung einer schwierigen Rechtsfrage, sondern vielmehr um die Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes, insbesondere die vom Antragsteller nicht näher dargelegten Ereignisse am 27. Jänner 2023 beim Bezirksgericht, gehe. Auch vor dem Hintergrund des korrekt eingebrachten Verfahrenshilfeantrages sei nicht ersichtlich, dass der Revisionswerber die wahren Verhältnisse nicht ohne anwaltlichen Beistand darzulegen vermöge. Aus dem Antrag gehe nicht hervor, weshalb es ihm nicht möglich sein solle, an einem Beschwerdeverfahren ohne Verfahrenshelfer teilzunehmen. Die Beigebung eines Rechtsanwaltes sei daher auf Grund des Art. 6 EMRK bzw. des Art. 47 GRC nicht geboten.
6 Angesichts der geringen Gebühren für die Einbringung einer Beschwerde in der Höhe von € 30, könne nicht angenommen werden, dass deren Bezahlung zu einer Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts des Antragstellers führen würde.
7 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision. Die Bundesministerin für Justiz brachte im Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung ein, nicht hingegen die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B VG).
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Gemäß § 34 Abs. 3 VwGG ist ein Beschluss nach Abs. 1 in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.
10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 In der demnach für die Zulässigkeit der Revision allein maßgeblichen Zulässigkeitsbegründung wird auf das Wesentliche zusammengefasst vorgebracht, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht die Komplexität des Verfahrens verneint. Die Frage, ob die Verweigerung des Einlasses in das Gerichtsgebäude, weil „die Geschäftsstellenleiterin unter anderem aus Sicherheitsgründen keine Prozessbeobachter zulasse“, zu einer Maßnahmenbeschwerde berechtige, sei „per se materiellrechtlich komplex“.
12 Damit wird eine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht dargelegt:
13 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt die Gewährung der Verfahrenshilfe nach § 8a VwGVG nicht in allen Verfahren der Verwaltungsgerichte in Betracht, sondern erfordert, dass der Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK oder des Art. 47 GRC eröffnet ist. Im Sinn des § 8a Abs. 2 zweiter Satz VwGVG schließt die Bewilligung der Verfahrenshilfe im vollen Umfang die Beigebung eines Rechtsanwaltes als Verfahrenshelfer ein. Zur Beurteilung, ob auf Grund des Art. 6 EMRK bzw. des Art. 47 GRC die Beigebung eines Rechtsanwaltes „geboten ist“, kommt es im Sinn der Judikatur des EGMR und des EuGH darauf an, ob dies für den „effektiven Zugang“ der Partei zum Gericht unentbehrlich ist. Vor dem Hintergrund der Ausgestaltung des Verfahrens nach dem VwGVG der Manuduktionspflicht, der auch für nicht rechtskundige Bürger grundsätzlich zu bewältigenden Einhaltung der Formvorschriften und des Amtswegigkeitsprinzips sowie der durch § 8a Abs. 1 VwGVG angeordneten ausdrücklichen Beschränkung der Gewährung der Verfahrenshilfe auf Fälle, in denen dies nach Art. 6 Abs. 1 EMRK oder Art. 47 GRC geboten ist, kommt der Beigebung eines Rechtsanwaltes als Verfahrenshelfer im Verfahren der Verwaltungsgerichte Ausnahmecharakter zu. Sie kann jedoch im Einzelfall erforderlich sein. Dies könnte insbesondere dann der Fall sein, wenn schon die Formulierung einer Beschwerde bzw. eines Vorlageantrags, eines Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bzw. die Erstattung weiteren Vorbringens im Verfahren etwa aufgrund einer nach Lage des Falles bestehenden Pflicht der Parteien, an der Ermittlung des Sachverhalts mitzuwirken besondere Schwierigkeiten aufwerfen, die die Fähigkeiten der Partei nach ihren persönlichen Umständen überschreiten (vgl. VwGH 22.2.2022, Ra 2021/11/0071, unter Hinweis auf VwGH 11.9.2019, Ro 2018/08/0008).
14 Die Frage, ob die Beigebung eines Rechtsanwaltes als Verfahrenshelfer im Sinne dieser Rechtsprechung fallgegenständlich erforderlich ist, stellt demnach keine grundsätzliche, sondern eine einzelfallbezogene Rechtsfrage dar, welche die Zulässigkeit einer Revision jedenfalls dann nicht zu begründen vermag, wenn das Verwaltungsgericht diese Frage vertretbar gelöst hat (vgl. neuerlich VwGH 22.2.2022, Ra 2021/11/0071, sowie VwGH 22.8.2023, Ra 2023/10/0062; 30.11.2023, Ra 2022/21/0153).
15 Die Revision legt mit ihrem nicht näher ausgeführten Zulässigkeitsvorbringen, dass die vorgebrachte Begründung für die Verweigerung des Einlasses in das Gerichtsgebäude „per se materiellrechtlich komplex“ sei, nicht konkret dar, dass die gegenteilige Beurteilung des Verwaltungsgerichts vor dem Hintergrund der Ausgestaltung des Verfahrensrechts der Verwaltungsgerichte von den Leitlinien der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen des § 8a Abs. 1 VwGVG im Sinne einer Unvertretbarkeit abweichen würde.
16 Angesichts dessen kann es auch dahinstehen, ob die angestrebte Maßnahmenbeschwerde überhaupt im Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK bzw. des Art. 47 GRC liegt, was in der Revisionsbeantwortung der Bundesministerin für Justiz bezweifelt wird. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Revisionswerbers nämlich ohnedies nicht aus diesem Grund abgewiesen. Aus diesem Grund ist auch der Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 12. Dezember 2023, E 119/2023 21, mit welchem dieser § 8a VwGVG wegen dessen Beschränkung auf den Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 GRC in Prüfung gezogen hat, für den Revisionsfall ohne Belang.
17 Die Revision begründet die Komplexität des Verfahrens weiters damit, dass sowohl das Bundesverwaltungsgericht als auch das Verwaltungsgericht Wien über die Anträge des Revisionswerbers auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wegen des genannten Vorfalls (in der Sache) entschieden hätten.
18 Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom heutigen Tag, Ra 2023/03/0067 17, zu einem Beschluss des Verwaltungsgerichts Wien, mit welchem der Verfahrenshilfeantrag des Revisionswerbers zur Erhebung einer Maßnahmenbeschwerde wegen desselben Vorfalls vom 27. Jänner 2023 abgewiesen wurde, ausgeführt, dass zur Entscheidung über eine solche Maßnahmenbeschwerde das Vorliegen von unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt vorausgesetzt nicht das Verwaltungsgericht Wien, sondern das Bundesverwaltungsgericht zuständig wäre.
Vor diesem Hintergrund begründet die Frage der Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts keine Komplexität des Verfahrens, die Verfahrenshilfe erfordern würde, sodass dieses Zulässigkeitsvorbringen im Ergebnis ins Leere geht.
19 Schließlich bringt die Revision zu ihrer Zulässigkeit vor, nach § 63 Abs. 1 ZPO sei Verfahrenshilfe bei Vorliegen der Voraussetzungen zwingend zu gewähren (arg: „Verfahrenshilfe ist zu gewähren ...“). Es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob der zwingenden Charakter dieser Bestimmung bei einer Anwendung im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten „verloren“ gehe. Überdies sehe § 63 ZPO die Schwierigkeit eines Falls nicht als Voraussetzung für die Gewährung von Verfahrenshilfe vor.
20 Auch mit diesem Vorbringen wird eine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht dargelegt. § 8a Abs. 1 VwGVG regelt die Voraussetzungen für die Bewilligung der Verfahrenshilfe im Verfahren der Verwaltungsgerichte. Gemäß § 8a Abs. 2 VwGVG sind die Voraussetzungen und die Wirkungen der Bewilligung der Verfahrenshilfe nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung zu beurteilen, soweit in diesem Paragraphen nicht anderes bestimmt ist. Dass und inwieweit neben § 8a Abs. 1 VwGVG Raum für eine Anwendung des § 63 Abs. 1 ZPO bleibt, und welche entscheidungswesentliche Bedeutung dies für den Revisionsfall haben sollte, zeigt die Zulässigkeitsbegründung der Revision aber nicht auf.
21 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 15. Mai 2024