Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller als Richter sowie die Hofrätinnen Mag. Dr. Maurer Kober und Mag. Schindler als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Schörner, über die Revision des U in W, vertreten durch Dr. Kurt Ludwig Breit und Mag. Dr. Thomas Mayr, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Dominikanerbastei 22, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 17. November 2022, VGW 042/013/424/2022, betreffend Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Mit Straferkenntnis des Magistrats der Stadt Wien vom 24. September 2021 wurde dem Revisionswerber als handelsrechtlichem Geschäftsführer und damit als gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen berufenem Organ einer näher genannten Gesellschaft zur Last gelegt, er habe zu verantworten, dass von einer namentlich genannten Arbeitnehmerin dieser Gesellschaft an einer näher bezeichneten auswärtigen Arbeitsstelle Fensterputzarbeiten im ersten Obergeschoß bei einer Absturzhöhe von ca. fünf Metern (auf einem Sessel stehend) durchgeführt worden seien, ohne dass eine Absturzsicherung, Abgrenzungen oder Schutzeinrichtungen angebracht gewesen seien und die Arbeitnehmerin auch nicht mittels persönlicher Schutzausrüstung gegen Absturz gesichert gewesen sei. Er habe dadurch § 130 Abs. 5 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) iVm § 7 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 4 Bauarbeiterschutzverordnung (BauV) verletzt. Über ihn wurde gemäß § 130 Abs. 5 Z 1 ASchG eine Geldstrafe sowie eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt und ihm wurde ein Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgeschrieben.
2 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Das Verwaltungsgericht setzte einen Kostenbeitrag für das Beschwerdeverfahren fest und erklärte eine Revision gegen diese Entscheidung für unzulässig.
3 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, dass die Beweisergebnisse eine gravierende Lücke im Kontrollsystem offenbart hätten, weil die praktische Umsetzung der Anweisungen, keine Fensterputzarbeiten durchzuführen, zumindest in dem Heim, in dem die verunfallte Arbeitnehmerin zunächst tätig gewesen sei, nicht lückenlos erfolgt sei und auch nicht kontrolliert worden sei, zumal dort Fensterputztätigkeiten auf einer Leiter wenigstens ab und zu durchzuführen gewesen seien. Nach dem Wechsel des Arbeitsortes sei die Arbeitnehmerin nicht ausreichend über die Änderungen in ihrem Aufgabenbereich informiert worden. Es könne daher nicht von einem Kontrollsystem ausgegangen werden, welches Übertretungen wie die gegenständliche aller Wahrscheinlichkeit nach zu verhindern gewusst hätte. Unter den gegebenen Umständen sei die Überschreitung der gegenständlichen Arbeitnehmerschutzvorschriften vorhersehbar gewesen. Der Arbeitgeber sei verpflichtet, die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften im notwendigen Ausmaß zu kontrollieren und könne sich nicht allein auf seine Unterweisungen zurückziehen.
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, das Verwaltungsgericht sei seinem Beweisantrag auf ergänzende Einvernahme der Zeugin T., die Vorarbeiterin der verletzten Arbeitnehmerin L. am vorangegangenen Arbeitsort einem Heim gewesen sei und diese eingeschult habe, zum Beweis dafür, dass dieser auch dort keine Anweisung erteilt worden sei, eine Grundreinigung der Zimmer einschließlich der Fenster durchzuführen, nicht nachgekommen. Die Zeugin L., die zeitlich erst nach der Zeugin T. einvernommen worden sei, habe erstmals im Rahmen ihrer Aussage eine derartige Anweisung an ihrer früheren Arbeitsstätte behauptet. Das Verwaltungsgericht habe diesen Beweisantrag des Revisionswerbers mit der Begründung abgewiesen, dass die Zeugin T. bereits einvernommen worden sei. Das Verwaltungsgericht wäre bei Durchführung des beantragten Beweises in rechtlicher Hinsicht zum Ergebnis gelangt, dass keine „Lücke“ im Kontrollsystem bestanden habe, weil Fensterputzarbeiten von der betreffenden Arbeitnehmerin auch an ihrem vormaligen Arbeitsplatz nie zu verrichten gewesen seien, weshalb sie auch nicht davon habe ausgehen können, dass derartige Tätigkeiten auch am Tatort zu verrichten gewesen seien. Darüber hinaus hätte das Verwaltungsgericht im Hinblick auf die divergierenden Angaben der Zeuginnen den Grundsatz „in dubio pro reo“ anzuwenden gehabt.
9 Hinsichtlich des gestellten Beweisantrages ist darauf zu verweisen, dass Beweisanträgen grundsätzlich zu entsprechen ist, wenn die Aufnahme des darin begehrten Beweises im Interesse der Wahrheitsfindung notwendig erscheint. Dementsprechend dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel an sich ungeeignet ist, über den Gegenstand der Beweisaufnahmen einen Beweis zu liefern und damit zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts beizutragen. Ob eine Beweisaufnahme in diesem Sinn notwendig ist, unterliegt der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichts. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG liege nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. VwGH 1.4.2019, Ra 2019/02/0054, mwN).
10 Divergierende Aussagen sind noch kein hinreichender Grund für die neuerliche Vernehmung als Zeuge (vgl. in diesem Sinn bereits VwGH 29.6.1987, 86/10/0049). Es besteht auch keine Verpflichtung, Personen bei unverändertem Beweisthema so lange und so oft zu vernehmen, bis deren Aussagen zur Zufriedenheit einer Partei ausfallen (vgl. VwGH 9.9.2004, 2001/15/0086).
11 Das Verwaltungsgericht hat die Zeugin T. zur Frage, ob Reinigungskräfte, die so wie die Zeugin L. lediglich Unterhaltsreinigungen durchführen, auch mit der Reinigung von Fenstern beauftragt gewesen seien, in der (fortgesetzten) Verhandlung am 17. November 2022 einvernommen und sie auch mit der zu diesem Zeitpunkt bereits im Akt erliegenden Darstellung der verletzten Arbeitnehmerin, im Rahmen ihrer (unter Beiziehung eines Dolmetschers für die serbische Sprache) getätigten Aussage in der Verhandlung am 6. Oktober 2022, wonach sie am vorigen Arbeitsort in einem Heim auch die Fenster habe putzen müssen, konfrontiert. Vor diesem Hintergrund gelingt es der Revision mit ihrem Vorbringen nicht, aufzuzeigen, dass die Beurteilung des Verwaltungsgerichts, von einer ergänzenden Befragung der Zeugin T. abzusehen, grob fehlerhaft erfolgt wäre.
12 Entgegen den Ausführungen in der Zulässigkeitsbegründung hat das Verwaltungsgericht die Ergebnisse des Beweisverfahrens einer eingehenden Würdigung unterzogen. Dabei setzte sich das Verwaltungsgericht auch mit der zu diesem Beweisthema (Verrichtung von Fensterputzarbeiten durch die Zeugin L.) ergangenen Aussage der Zeugin T. auseinander und legte nachvollziehbar und plausibel dar, weshalb sie den Aussagen der Zeugin L., die in der fortgesetzten Verhandlung am 17. November 2022 auch im Beisein eines Dolmetschers für die albanische Sprache ihrer Muttersprache einvernommen wurde, größeren Glauben beigemessen hat. Insbesondere wies das Verwaltungsgericht darauf hin, dass die Zeugin T. eingangs ihrer Vernehmung eingeräumt habe, dass in dem Heim im Falle von Verunreinigungen die Fenster innen mit dem vorhandenen Glasreiniger zu reinigen gewesen seien, und dies später zu relativieren versucht habe. Den schlüssigen und nachvollziehbaren Erwägungen des Verwaltungsgerichts setzt die Revision nichts Stichhaltiges entgegen (zu dem im Revisionsverfahren maßgebenden Prüfkalkül vgl. etwa VwGH 1.12.2021, Ra 2021/02/0237, jeweils mwN).
13 Ebenso kann kein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung erblickt werden. Der im Verwaltungsstrafverfahren geltende Grundsatz „in dubio pro reo“ kommt in jenen Fällen zur Anwendung, in denen im Wege des Beweisverfahrens und anschließender freier Würdigung der Beweise beim entscheidenden Organ (hier: Verwaltungsgericht) nicht mit Sicherheit die Überzeugung von der Richtigkeit des Tatvorwurfes erzeugt werden konnte. Wenn nach Durchführung aller Beweise trotz eingehender Beweiswürdigung somit Zweifel an der Täterschaft des Beschuldigten verbleiben, hat nach dem genannten Grundsatz ein Freispruch zu erfolgen (vgl. VwGH 9.2.2021, Ra 2020/02/0203, mwN). Verbleibt an der Richtigkeit des Tatvorwurfes kein Zweifel, fehlt es an der Anwendungsmöglichkeit des Grundsatzes „in dubio pro reo“ (vgl. VwGH 13.7.2022, Ra 2022/02/0100, mwN).
14 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 6. Juli 2023