JudikaturVwGH

Ra 2022/21/0226 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
18. Dezember 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger, den Hofrat Dr. Chvosta, die Hofrätin Dr. in Oswald und den Hofrat Mag. Schartner, Bakk., als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des Q M, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Oktober 2022, W150 2232911 3/5E, betreffend Sicherstellung u.a. eines österreichischen Führerscheins nach § 39 BFA VG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang seiner Anfechtung, nämlich soweit damit die Beschwerde gegen die Sicherstellung des österreichischen Führerscheins des Revisionswerbers abgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Der Revisionswerber, ein pakistanischer Staatsangehöriger, hielt sich ab August 2012 in Österreich auf. Nach jeweils erfolglos gebliebenen Verfahren zur Gewährung von internationalem Schutz sowie zur Erteilung einer „Rot Weiß Rot Karte plus“ reiste der Revisionswerber, der über einen gültigen italienischen Aufenthaltstitel verfügte, im Juli 2019 freiwillig nach Italien aus.

2 Aufgrund der weiterhin aufrechten Meldeadresse des Revisionswerbers in Österreich veranlasste das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) eine „Hauserhebung“. Am 8. Dezember 2019 wurde die Anwesenheit des Revisionswerbers an seiner österreichischen Meldeadresse festgestellt.

3 Mit Bescheid vom 4. Juni 2020 erließ das BFA gegen den Revisionswerberunter gleichzeitiger (amtswegiger) Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 1 Z 1 FPG, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG (ohne Nennung eines Zielstaates) fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers zulässig sei, und erließ gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG ein fünfjähriges Einreiseverbot.

4 Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem rechtskräftigen Erkenntnis vom 13. April 2022 insoweit Folge, als es das Einreiseverbot ersatzlos behob. Im Übrigen wurde die Beschwerde mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass festgestellt werde, die Abschiebung des Revisionswerbers „nach Pakistan“ sei zulässig.

5 Am 13. August 2022 wurde der Revisionswerber um 19:45 Uhr im Rahmen einer routinemäßigen Verkehrskontrolle aufgegriffen und festgenommen.

6 Im Rahmen der am 14. August 2022 erfolgten Einvernahme durch einen Organwalter des BFA gab der Revisionswerber an, im Besitz „italienischer Papiere“ zu sein, die ihn dazu berechtigten, seine in Österreich lebende Ehefrau sowie die gemeinsamen Kinder zu besuchen. Daraufhin stellte das BFA gemäß § 39 Abs. 1 BFA VG einen gültigen und einen abgelaufenen pakistanischen Reisepass des Revisionswerbers, eine italienische ID Karte, einen gültigen italienischen Aufenthaltstitel sowie einen österreichischen und einen pakistanischen Führerschein sicher. Gemäß § 39 Abs. 3 BFA VG folgte das BFA dem Revisionswerber eine Bestätigung über die Sicherstellung aus. Der Revisionswerber wurde noch am selben Tag um 17:45 Uhr aus der Anhaltung entlassen und ihm die Möglichkeit zur freiwilligen Ausreise nach Italien gegeben.

7 Am 22. August 2022 wurden vom damaligen Rechtsvertreter des Revisionswerbers sämtliche sichergestellten Dokumente übernommen und dem Revisionswerber ausgehändigt. Der Revisionswerber reiste am 23. August 2022 im Luftweg aus dem Bundesgebiet nach Italien aus.

8 Gegen die Sicherstellung sämtlicher in Rn. 6 angeführter Dokumente erhob der Revisionswerber eine Maßnahmenbeschwerde.

9Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 27. Oktober 2022 wies das BVwG diese Maßnahmenbeschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Demzufolge wies es gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG auch den Antrag des Revisionswerbers auf Kostenersatz ab. Unter einem sprach das BVwG gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

10 Über die ausschließlich im Umfang der Abweisung der Beschwerde betreffend die Sicherstellung des österreichischen Führerscheins erhobene außerordentliche Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen:

11 Die Revision erweist sichentgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG aus nachstehenden Gründen unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als zulässig; sie ist auch berechtigt.

12 Das BVwG begründete die Abweisung der Beschwerde in Bezug auf sämtliche sichergestellten Dokumente also auch hinsichtlich des ausschließlich revisionsgegenständlichen österreichischen Führerscheins im Wesentlichen pauschal damit, das BFA habe davon ausgehen dürfen, die Dokumente würden im Zuge der künftigen Vollziehung der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung im Rahmen einer allfälligen Abschiebung benötigt, insbesondere wenn der Revisionswerber dem Auftrag zur umgehenden freiwilligen Ausreise nicht nachkomme. Der Revisionswerber habe auch keine ihm durch die Sicherstellung konkret drohenden Nachteile dargelegt, die eine Unverhältnismäßigkeit begründen könnten, sodass die Sicherstellung nicht zu beanstanden sei.

13 Zur Begründung der Zulässigkeit seiner Revision macht der Revisionswerber unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG in Bezug auf die Sicherstellung seines österreichischen Führerscheins zusammengefasst geltend, die Frage der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme stelle sich nicht, zumal die Sicherstellung gemäß § 39 Abs. 1 BFA VG schon deshalb nicht rechtmäßig erfolgt sei, weil kein gesetzlich vorgesehener Zweck ersichtlich sei. Seinem österreichischen Führerschein komme nämlich im Abschiebeverfahren „nach Pakistan oder nach Italien“ keine wie auch immer geartete Bedeutung zu.

14 Vorauszuschicken ist, dass § 39 Abs. 1 BFAVG zur vorläufigen Sicherstellung von Gegenständen und Dokumenten ermächtigt, die für ein Verfahren vor dem BFA oder für die Abschiebung gemäß § 46 FPG als Beweismittel benötigt werden, wozu auch (und vor allem) ein Reisepass zählt (vgl. VwGH 13.10.2022, Ra 2020/21/0213, Rn. 12, mwN).

15 In Bezug auf die vorläufige Sicherstellung des österreichischen Führerscheins ist wie der Revisionswerber zu Recht geltend macht weder ersichtlich, noch der Begründung des BVwG zu entnehmen, inwiefern dieser Führerschein, der insbesondere kein zum Grenzübertritt berechtigendes Reisedokument darstellt, als Beweismittel iSd § 39 Abs. 1 BFA VG dienen sollte und für die hier allein in Betracht kommende allfällige Abschiebung des Revisionswerbers nach Pakistan im Sinne dieser Bestimmung „benötigt“ wurde. Dabei war auch zu berücksichtigen, dass ohnehin gleichzeitig ein gültiger pakistanischer Reisepass des Revisionswerbers, seine italienische ID Karte und sein gültiger italienischer Aufenthaltstitel vorläufig sichergestellt wurden. Ein die vorläufige Sicherstellung des österreichischen Führerscheins rechtfertigender Sicherungszweck ist auch angesichts dessen nicht erkennbar und diese auf § 39 Abs. 1 BFAVG gegründete Maßnahme daher rechtswidrig (vgl. zur Sicherstellung einer Aufenthaltskarte VwGH 30.3.2023, Ra 2021/21/0234, Rn. 13).

16Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

17 Von der in der Revision beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte in diesem Fall gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und 5 VwGG abgesehen werden.

18Der Spruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 18. Dezember 2024