JudikaturVwGH

Ra 2022/21/0168 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
18. Januar 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Thaler, über die Revision des L S, bisher vertreten durch Dr. Peter Lechenauer und Dr. Margrit Swozil, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Hubert Sattler Gasse 10, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. April 2022, G315 2251804 1/2E, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der 1983 geborene Revisionswerber, ein ungarischer Staatsangehöriger, ist im Wesentlichen seit Anfang April 2019 in Österreich als Arbeitnehmer im Gastgewerbe tätig und seit damals mit Unterbrechungen die meiste Zeit mit Nebenwohnsitzen im Bundesgebiet gemeldet. Im August 2020 stellte er einen Antrag auf Ausstellung einer Anmeldebescheinigung, über den noch nicht entschieden wurde.

2 Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Leoben vom 15. Juli 2020 war der Revisionswerber wegen des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 Z 1 StGB sowie des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 21 Monaten verurteilt worden, wovon 14 Monate bedingt nachgesehen wurden. Dem Schuldspruch lag zugrunde, er habe am 30. September 2018 vor einem Café aufgestellte Möbelstücke, wie Korbstühle, Alusessel und Holztischplatten, zu Boden geworfen sowie den Türrahmen und ein Fensterglas zum Eingang des Lokals zerkratzt, wodurch ein Gesamtschaden in Höhe von € 1.000, entstanden sei. Am 18. Februar 2019 habe er als Mitarbeiter in einem Berggasthaus unter Ausnützung seines „Insiderwissens“ und Missbrauch des ihm entgegengebrachten Vertrauens nach gewaltsamer Öffnung eines Fensters seinem Arbeitgeber aus der Schublade des Schreibtisches Wechselgeld in Höhe von € 2.500, mit Bereicherungsvorsatz weggenommen.

3 Wegen dieses Fehlverhaltens erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Revisionswerber mit Bescheid vom 24. Jänner 2022 gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein Aufenthaltsverbot in der Dauer von drei Jahren, erteilte ihm in Anwendung des letzten Halbsatzes des § 70 Abs. 3 FPG keinen Durchsetzungsaufschub und erkannte einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot gemäß § 18 Abs. 3 BFA VG die aufschiebende Wirkung ab.

4 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 19. April 2022 als unbegründet ab und sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

5 Anfang Juli 2022 wurde der Revisionswerber dann aus dem Vollzug des unbedingt verhängten Strafteils entlassen.

6 Gegen das Erkenntnis des BVwG richtet sich die vorliegende nach Ablehnung der Behandlung einer zunächst erhobenen Verfassungsgerichtshofbeschwerde und ihrer Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof (VfGH 29.6.2022, E 1408/2022 6) fristgerecht ausgeführte außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.

7 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

9 Unter diesem Gesichtspunkt macht die Revision zunächst ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Vorliegen eines von Art. 8 EMRK geschützten Familienlebens zwischen Verwandten außerhalb der Kernfamilie geltend und rügt, das BVwG habe „keinerlei Beweiswürdigungen über die Beziehungen zwischen nahen Verwandten“ vorgenommen.

10 Darauf ist zu erwidern, dass der Revisionswerber im Verfahren vor dem BFA lediglich vorgebracht hatte, dass sein Bruder, dessen genaue Wohnadresse er nicht kenne, in Österreich lebe und arbeite. Der Annahme des BFA im Bescheid vom 24. Jänner 2022, es bestehe kein besonderes Abhängigkeits oder Naheverhältnis des Revisionswerbers „zu anderen im Bundesgebiet legal aufhältigen Personen“, war der Revisionswerber in der Beschwerde nicht konkret entgegengetreten. Deshalb ist fallbezogen auch nicht zu beanstanden, dass das BVwG ebenfalls davon ausging, der ledige Revisionswerber, dessen Eltern in Ungarn leben, habe keine maßgeblichen familiären Interessen im Bundesgebiet und insbesondere keine besondere Beziehungsintensität zu seinem Bruder. Mit diesen Revisionsausführungen wird somit auch eine Rechtswidrigkeit der vom BVwG vorgenommenen Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK nicht aufgezeigt.

11 Ferner wendet sich die Revision gegen die Annahme des BVwG, dass der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 zweiter bis vierter Satz FPG (tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt) erfüllt sei. Dazu verweist die Revision insbesondere auf den Zeitraum, der seit dem Fehlverhalten des Revisionswerbers vergangen ist.

12 Dem ist jedoch zu entgegnen, dass sich das BVwG nicht nur auf die Straftaten, die der Verurteilung durch das Landesgericht Leoben vom 15. Juli 2020 zugrunde lagen, sondern auch auf weitere, vom Revisionswerber in Ungarn begangene Straftaten stützte (zur Zulässigkeit der Berücksichtigung von ausländischen Verurteilungen zugrundeliegenden Straftaten bei der Gefährdungsprognose vgl. etwa VwGH 9.6.2022, Ra 2021/21/0157, Rn. 12, mwN). So durfte das BVwG einbeziehen, dass der Revisionswerber im Zeitraum von August 2001 bis April 2018 mehrfach einschlägig wegen Delikten gegen fremdes Eigentum und wegen Körperverletzung, darunter auch Raub und schwere Körperverletzung mit Dauerfolgen, und wegen des Fahrens unter dem Einfluss von Alkohol oder Betäubungsmitteln in Ungarn verurteilt wurde. In diesem Zusammenhang durfte das BVwG auch darauf Bedacht nehmen, dass die zuletzt verhängte Haftstrafe von insgesamt sieben Jahren und sieben Monaten mit Februar 2016 vollzogen wurde und der Revisionswerber somit bereits rund zweieinhalb Jahre danach erneut in Österreich strafrechtlich in Erscheinung trat. Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht der schlechten finanziellen Situation des Revisionswerbers ging das BVwG zu Recht von einer erheblichen Wiederholungsgefahr aus, die eine positive Zukunftsprognose nicht zulasse. Die Revision tritt dem nicht konkret entgegen. Überdies war der Revisionswerber im Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG noch nicht aus der Strafhaft entlassen, wobei für die Annahme eines Wegfalls der sich durch das bisherige Fehlverhalten manifestierten Gefährlichkeit eines Fremden in erster Linie das (hier noch gar nicht) gezeigte Wohlverhalten in Freiheit maßgeblich ist (vgl. etwa VwGH 27.9.2023, Ra 2022/21/0070, Rn. 13, mwN). Die Gefährdungsprognose des BVwG ist daher nicht zu beanstanden.

13 Unter Bedachtnahme auf diese Umstände durfte das BVwG insgesamt auch von einem in jeder Hinsicht eindeutigen Fall ausgehen, der es ihm ausnahmsweise erlaubte, von der Durchführung der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung zur Verschaffung eines persönlichen Eindrucks vom Revisionswerber abzusehen (zur Rechtsprechung, wonach in eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch bei Verschaffung eines positiven persönlichen Eindrucks für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, eine Verhandlung unterbleiben kann, vgl. nochmals VwGH 27.9.2023, Ra 2022/21/0070, nunmehr Rn. 10, mwN).

14 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 18. Jänner 2024

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