Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger und die Hofrätin Dr. in Oswald als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des A J, vertreten durch Mag. Petra Trauntschnig, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Hegelgasse 13/4/21, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22. Dezember 2021, W235 2227338 3/7E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Der Revisionswerber, ein serbischer Staatsangehöriger, reiste im Jahr 2000 im Alter von neun Jahren nach Österreich ein und hielt sich seither rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Der kinderlose Revisionswerber lebte hier mit seiner Lebensgefährtin und deren Sohn im gemeinsamen Haushalt und war zeitweise erwerbstätig. In Österreich leben überdies seine Mutter, sein Bruder, seine Großeltern und weitere Verwandte.
2 Der Revisionswerber wurde während seines Aufenthaltes in Österreich wiederholt rechtskräftig verurteilt:
3 Erstmals wurde er mit Urteil des Bezirksgerichtes Donaustadt vom 21. April 2009 wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe verurteilt.
4 Es folgten mehrere Verurteilungen unter anderem wegen Körperverletzungsdelikten. So wurde der Revisionswerber mit Urteil des Landesgerichtes Wien vom 25. April 2012 wegen Raufhandels, schwerer Körperverletzung, Körperverletzung, unerlaubten Waffenbesitzes und Sachbeschädigung zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von neun Monaten verurteilt. Es folgte eine Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Wochen wegen Körperverletzung mit Urteil des Bezirksgerichtes Josefstadt vom 27. März 2014. Mit Urteil des Bezirksgerichtes Josefstadt vom 16. Juni 2014 wurde über den Revisionswerber unter Bedachtnahme auf das letztgenannte Urteil wegen Körperverletzung eine Zusatzstrafe von zwei Wochen Freiheitsstrafe verhängt. Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien verhängte mit Urteil vom 15. Juni 2015 dann über den Revisionswerber wegen Körperverletzung eine unbedingte Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 16. November 2015 wurde der Revisionswerber schließlich wegen Körperverletzung, versuchter Nötigung und gefährlicher Drohung zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten (unbedingter Strafteil: zwei Monate) verurteilt, wobei ihm auch die Weisung erteilt wurde, sich einer Alkoholentwöhnungsbehandlung zu unterziehen. Diesen Verurteilungen lagen überwiegend Sachverhalte zugrunde, in denen der Revisionswerber mit seinen Opfern in Auseinandersetzungen geriet und ihnen gegenüber körperliche Gewalt, etwa in Form von Fußtritten oder Faustschlägen, ausübte, wobei die Opfer Verletzungen unterschiedlichen Grades erlitten.
5 Eine weitere Verurteilung folgte dann mit Urteil des Bezirksgerichtes Traun vom 13. Februar 2017, das über den Revisionswerber wegen unerlaubten Waffenbesitzes eine Geldstrafe verhängte. Schließlich wurde der Revisionswerber noch mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 3. April 2019 wegen Fälschung besonders geschützter Urkunden zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten verurteilt.
6 Überdies wurden mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien vom 13. Februar 2018 über den Revisionswerber mehrere Verwaltungsstrafen unter anderem wegen Lenkens eines Kraftfahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand verhängt.
7 Im Hinblick auf die Straffälligkeit des Revisionswerbers erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) im dritten Rechtsgang mit Bescheid vom 2. März 2021 gegen den Revisionswerber gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA VG eine Rückkehrentscheidung und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung nach Serbien zulässig sei. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG erließ das BFA überdies gegen den Revisionswerber ein auf die Dauer von sechs Jahren befristetes Einreiseverbot. Es erkannte einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA VG die aufschiebende Wirkung ab und gewährte somit nach § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise.
8 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 22. Dezember 2021 gab das BVwG der dagegen erhobenen Beschwerde insoweit Folge als es die Dauer des Einreiseverbotes auf vier Jahre herabsetzte, den Ausspruch über die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ersatzlos behob und eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise festsetzte. Im Übrigen wies es die Beschwerde als unbegründet ab. Unter einem sprach das BVwG gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
9 Das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung begründete das BVwG im Wesentlichen damit, dass der Sachverhalt iSd § 21 Abs. 7 BFA VG aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt sei. Aufgrund der vom Revisionswerber ausgehenden schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit liege sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die Interessenabwägung ein eindeutiger Fall vor, in dem auch bei Berücksichtigung aller zugunsten des Revisionswerbers sprechenden Fakten auch dann kein günstigeres Ergebnis für ihn zu erwarten wäre, wenn sich das BVwG von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschaffen würde.
10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen hat:
11 Die Revision erweist sich als zulässig und berechtigt, weil das BVwG wie in der Zulässigkeitsbegründung der Revision aufgezeigt wird von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist, indem es von der in der Beschwerde ausdrücklich beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen hat.
12 Nach der auch vom BVwG im angefochtenen Erkenntnis erwähnten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zu, und zwar sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände. Zwar kann worauf sich das BVwG gestützt hat nach § 21 Abs. 7 BFA VG trotz Vorliegens eines darauf gerichteten Antrages von der Durchführung einer Beschwerdeverhandlung abgesehen werden, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt bereits aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint. Von einem geklärten Sachverhalt im Sinne der genannten Bestimmung kann allerdings bei der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen im Allgemeinen nur in eindeutigen Fällen ausgegangen werden, in denen bei Berücksichtigung aller zu Gunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann kein günstigeres Ergebnis für ihn zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht einen (positiven) persönlichen Eindruck von ihm verschafft (vgl. etwa VwGH 18.8.2022, Ra 2022/21/0004, Rn. 13; VwGH 7.10.2021, Ra 2020/21/0198, Rn. 9, jeweils mwN).
13 Von einem solchen eindeutigen Fall durfte im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses im Hinblick auf die lange Aufenthaltsdauer des im Alter von neun Jahren nach Österreich eingereisten Revisionswerbers und unter Berücksichtigung des seit den vom BVwG ins Treffen geführten strafgerichtlichen Verurteilungen vergangenen Zeitraumes nicht ausgegangen werden. So hatte der Revisionswerber worauf das BVwG in der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses selbst hinwies seit Einleitung des gegenständlichen Verfahrens zur Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen im Mai 2019 bis zum hier maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt im Dezember 2021 keine strafbaren Handlungen mehr begangen. Überdies lag die letzte Verurteilung wegen eines Körperverletzungsdeliktes zum Entscheidungszeitpunkt bereits mehr als sechs Jahre zurück und ist in den nachfolgenden Verurteilungen zu einer Geldstrafe wegen eines Vergehens nach dem WaffG im Februar 2017 und zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten wegen Urkundendelikten im April 2019 jedenfalls keine Steigerung der Delinquenz des Revisionswerbers zu erblicken. Angesichts dessen hätte das BVwG im Zeitpunkt seiner Entscheidung bereits im Hinblick auf die anzustellende Gefährdungsprognose nicht von einem eindeutigen Fall, der das Absehen von der in der Beschwerde beantragten Verhandlung rechtfertige, ausgehen dürfen, zumal der Revisionswerber in der Beschwerde auch vorgebracht hatte, seit seiner letzten Verurteilung wegen Körperverletzung eine „Gewalttherapie“ wie auch eine „Alkoholtherapie“ absolviert zu haben.
14 Das angefochtene Erkenntnis war daher schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
15 Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 29. August 2024
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