JudikaturVwGH

Ra 2022/21/0023 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
21. März 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger, den Hofrat Dr. Chvosta, die Hofrätin Dr. Holzinger und die Hofrätin Dr. in Oswald als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des Mag. Dr. B S, vertreten durch Dr. Farid Rifaat, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schmerlingplatz 3/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27. Juli 2021, W268 2226023 1/10E, betreffend Abweisung eines Antrages auf Aufhebung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der in Nablus im (nunmehr palästinensischen) Westjordanland (Westbank) geborene, staatenlose, sich seit 1979 in Österreich aufhaltende Revisionswerber, der bis 1983 jordanischer Staatsangehöriger gewesen war, wurde mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 6. Dezember 1984 wegen teils vollendeten, teils versuchten Mordes als Beteiligter gemäß §§ 75, 15, 12 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 20 Jahren verurteilt. Der Verurteilung lag der Tatvorwurf zugrunde, der Revisionswerber habe im April 1981 zur (im Zusammenhang mit einer palästinensischen Terrororganisation stehenden) Straftat des H.M.R., nämlich zum Verbrechen des Mordes an einem damaligen Stadtrat, auf näher beschriebene Weise beigetragen sowie im August 1981 die beiden unmittelbaren Täter, die zwei Personen vorsätzlich töteten und eine größere, dreißig jedenfalls übersteigende, Anzahl weiterer Personen vorsätzlich zu töten versuchten, aufgefordert, einen Feuerüberfall auf die Besucher eines jüdischen Stadttempels und die dort aufhältigen Polizeibeamten auszuüben, und ihnen dafür zwei Maschinenpistolen und sechs Handgranaten übergeben.

2 Am 28. Februar 1995 wurde der Revisionswerber bedingt aus der Strafhaft entlassen.

3 Mit unbekämpft gebliebenem Bescheid der Bundespolizeidirektion Graz vom 27. Februar 1986 war gegen den Revisionswerber mit Bezug auf die genannten Straftaten und die deshalb erfolgte strafgerichtliche Verurteilung ein unbefristetes Aufenthaltsverbot gemäß § 3 Abs. 1 und 2 lit. b iVm § 4 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. Nr. 75/1954, erlassen worden.

4 Mangels Bereitschaft anderer Staaten, insbesondere Jordaniens, den Revisionswerber aufzunehmen und in der Folge auch mangels Erlangbarkeit eines (Ersatz-)Reisedokumentes wurden dem Revisionswerber in der Folge wegen tatsächlicher Unmöglichkeit seiner Abschiebung wiederholt Abschiebungsaufschübe erteilt; seit 2010 wurden ihm wiederholt Karten für Geduldete ausgestellt, zuletzt mit Gültigkeit bis zum 25. September 2021. Auch ein im November 2015 (urgiert im Juni 2016) neuerlich unternommener Versuch, ein solches Dokument von der jordanischen Botschaft zu erlangen, war erfolglos.

5 Das Landesgericht für Strafsachen Wien verurteilte den Revisionswerber mit rechtskräftigem Urteil vom 8. August 2002 dann auch wegen Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen nach §§ 83 Abs. 1, 85 Z 1 und 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Höchstdauer von fünf Jahren. Dem Urteil lag der Vorwurf zugrunde, der Revisionswerber habe im März 2002 eine andere Person durch Faustschläge und Fußtritte vorsätzlich schwer am Körper verletzt, wodurch das Opfer eine Prellung des linken Auges, einen Riss der Lederhaut, einen Verlust eines Großteils des Augapfels und eine Einblutung sowie Blutunterlaufungen im Unterkiefer und im Bereich des Rückens und eine Lockerung des Schneidezahns erlitt, wobei die Tat den Verlust des Sehvermögens am linken Auge und eine auffallende Verunstaltung zur Folge hatte.

6 Am 3. April 2007 wurde der Revisionswerber aus der zur Gänze verbüßten Strafhaft entlassen.

7 Im Jänner 2009 heiratete der Revisionswerber, der in Österreich ein Diplom sowie ein Doktoratsstudium der Politikwissenschaften abgeschlossen hatte, eine österreichische Staatsbürgerin.

8 Mit Schreiben vom 28. August 2012 beantragte der Revisionswerber erstmals die Aufhebung des gegen ihn erlassenen Aufenthaltsverbotes. Dieser Antrag wurde im Rechtsmittelweg mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 3. Dezember 2013 abgewiesen. Eine dagegen vom Revisionswerber eingebrachte (aufgrund der Übergangsbestimmungen des VwGbk ÜG als Revision gemäß Art. 133 Abs. 1 Z 1 B VG geltende) Beschwerde wurde mit dem Beschluss VwGH 20.2.2014, Ro 2014/21/0003, zurückgewiesen.

9 Am 16. Jänner 2019 beantragte der Revisionswerber erneut die Aufhebung des gegen ihn erlassenen Aufenthaltsverbotes.

10 In der Folge erhob der Revisionswerber mit Bezugnahme auf diesen Antrag am 14. August 2019 eine Säumnisbeschwerde.

11 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 27. Juli 2021 entschied das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) infolge dieser Säumnisbeschwerde nach Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung am 29. September 2020 dahingehend, dass der Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes gemäß § 69 FPG abgewiesen werde. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

12 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende nach Ablehnung der Behandlung der an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde und ihrer Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof (VfGH 6.12.2021, E 3494/2021) fristgerecht ausgeführte außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.

13 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

14 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

15 In dieser Hinsicht wendet sich der Revisionswerber insbesondere gegen die vom BVwG getroffene Gefährdungsprognose und bringt zusammengefasst vor, in Anbetracht des langen Zeitraumes, der seit der Begehung der Straftaten vergangen sei, sei das BVwG zu Unrecht davon ausgegangen, die Voraussetzungen für die Aufhebung des Aufenthaltsverbotes seien nicht gegeben.

16 Das BVwG ging richtigerweise davon aus, dass das gegen den Revisionswerber vor Inkrafttreten des FPG mit dem Fremdenrechtspaket 2005 am 1. Jänner 2006 erlassene unbefristete Aufenthaltsverbot nach den Übergangsbestimmungen des § 125 Abs. 3, Abs. 16 und Abs. 25 FPG als solches weiter gilt und die Frage der Aufhebung des Aufenthaltsverbotes auf Grundlage des § 69 Abs. 2 FPG zu prüfen ist (vgl. VwGH 28.8.2012, 2012/21/0159, Pkt. 3.2.1. und Pkt. 3.3. der Entscheidungsgründe, weiters VwGH 20.12.2018, Ra 2018/21/0156, Rn. 12/13, und darauf Bezug nehmend VwGH 29.6.2023, Ra 2021/21/0054, Rn. 16). Danach ist ein Aufenthaltsverbot auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, weggefallen sind.

17 Nach der auch für die aktuelle Rechtslage geltenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann ein Antrag nach § 69 Abs. 2 FPG auf Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes nur dann zum Erfolg führen, wenn sich seit der Erlassung der Maßnahme die dafür maßgebenden Umstände zu Gunsten des Fremden geändert haben, wobei im Rahmen der Entscheidung über einen solchen Antrag auch auf die nach der Verhängung der Maßnahme eingetretenen und gegen die Aufhebung dieser Maßnahme sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen ist. Bei der Entscheidung über die Aufhebung einer solchen Maßnahme kann die Rechtmäßigkeit jenes Bescheids (Erkenntnisses), mit dem diese Maßnahme erlassen wurde, nicht mehr überprüft werden. Bei der Entscheidung nach § 69 Abs. 2 FPG kommt es demnach auf Veränderungen der maßgebenden Umstände (zu Gunsten oder zu Lasten des Fremden) einschließlich der Rechtslage an. Stellt sich die Situation im Entscheidungszeitpunkt so dar, dass nunmehr in Anbetracht der aktuellen Verhältnisse keine dem seinerzeitigen Aufenthaltsverbot entsprechende aufenthaltsbeendende Maßnahme mehr erlassen werden dürfte, liegen also gegenwärtig die Voraussetzungen für die Verhängung einer entsprechenden aufenthaltsbeendenden Maßnahme nicht mehr vor, so wäre einem Aufhebungsantrag nach § 69 Abs. 2 FPG stattzugeben. Erbrächte die aktuelle Beurteilung dagegen das Ergebnis, es hätte auch aus derzeitiger Sicht eine aufenthaltsbeendende Maßnahme zu ergehen, müsste das Aufhebungsbegehren abgewiesen werden (vgl. erneut VwGH 29.6.2023, Ra 2021/21/0054, nunmehr Rn. 17, mwN).

18 Fallbezogen käme die (fiktive) Erlassung eines Einreiseverbotes gegen den Revisionswerber nach § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 5 FPG in Betracht. Das BVwG ist im angefochtenen Erkenntnis im Ergebnis davon ausgegangen, dass der Aufenthalt des Revisionswerbers in Österreich aufgrund der von ihm verübten Straftaten nach wie vor eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit im Sinne dieser Bestimmung darstelle.

19 Dem Revisionswerber gelingt es nicht aufzuzeigen, dass die vom BVwG im Ergebnis getroffene Annahme, eine für ein (fiktives) Einreiseverbot nach § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 5 FPG notwendige Gefährdung liege (weiterhin) vor, unvertretbar wäre. So hat es eine mündliche Verhandlung durchgeführt, in deren Rahmen der Revisionswerber Gelegenheit hatte, zu seiner massiven, politisch motivierten und von hoher Gewaltbereitschaft gekennzeichneten Straffälligkeit Stellung zu beziehen, und ist unter Verwertung des dabei gewonnenen persönlichen Eindruckes vom Revisionswerber unter anderem mit der Begründung, dass nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden könne, der Revisionswerber habe noch Kontakt zu seinem damaligen Umfeld nachvollziehbar zum Ergebnis gelangt, der Aufenthalt des Revisionswerbers stelle (nach wie vor) eine „erhebliche Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit“ dar. Die Vertretbarkeit einer vom BVwG wie hier auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage vorgenommenen Gefährdungsprognose steht aber insoweit der Zulässigkeit der Revision entgegen (vgl. etwa VwGH 7.3.2019, Ra 2019/21/0017, Rn. 13, mwN).

20 Die Revision wendet sich weiters gegen die nach § 9 BFA VG vorgenommene Interessenabwägung. Auch diesbezüglich kann aber die Beurteilung des BVwG nicht als unvertretbar angesehen werden (zur diesbezüglichen Maßgeblichkeit des Vertretbarkeitskalküls siehe etwa VwGH 19.11.2020, Ra 2020/21/0125, Rn. 19, mwN). Das BVwG berücksichtigte nämlich alle fallbezogen relevanten Aspekte und durfte angesichts der nicht zu beanstandenden Gefährdungsprognose davon ausgehen, eine faktisch ohnehin nur im unwahrscheinlichen Fall der Durchsetzung des Aufenthaltsverbotes (siehe Rn. 4) zu gewärtigende Trennung des Revisionswerbers von seiner Ehefrau sei im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen.

21 Soweit der Revisionswerber auf seinen unrechtmäßigen (siehe § 31 Abs. 1a Z 3 FPG) Aufenthaltsstatus als Geduldeter iSd § 46a Abs. 1 Z 3 iVm Abs. 3 FPG hinweist, ist ihm entgegenzuhalten, dass die Frage der Zulässigkeit und Möglichkeit der Effektuierung des Aufenthaltsverbotes für die Beurteilung seines Fortbestandes nicht zu prüfen ist (siehe den Revisionswerber betreffend VwGH 20.2.2014, Ro 2014/21/0003, mwN).

22 Die Revision war daher in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Fünfersenat nach Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde mangels Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 21. März 2024

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