JudikaturVwGH

Ra 2022/18/0205 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
24. November 2022

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des K O, vertreten durch Mag. Michael Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Juli 2022, I413 2153192 1/66E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Nigerias, stellte am 30. Januar 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er zusammengefasst damit begründete, in Benin City im Bundesstaat Edo aufgewachsen zu sein. Bei einem Aufenthalt im Norden Nigerias im Bundesstaat Borno sei er Zeuge eines Überfalls von Boko Haram geworden. Nun fürchte er, auch Opfer von Boko Haram zu werden, obwohl er bisher von dieser Gruppe nicht verfolgt oder bedroht worden sei.

2 Mit Bescheid vom 27. März 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei.

4 Begründend hielt das BVwG im Wesentlichen fest, dass es dem Revisionswerber nicht gelungen sei, die Voraussetzungen für internationalen Schutz darzutun. Der Revisionswerber sei zwar unbeteiligter Zeuge eines Überfalles von Boko Haram auf eine Militärbasis im Norden Nigerias gewesen, er selbst sei aber von Boko Haram nie bedroht worden und könne ungefährdet an seinen Herkunftsort Benin City im Süden Nigerias, wo Boko Haram nicht operiere, zurückkehren.

5 Zur Rückkehrentscheidung hielt das BVwG unter anderem fest, der Revisionswerber sei Vater einer am 1. April 2017 in Österreich geborenen Tochter. Diese lebe mit der Kindesmutter in Graz; die alleinige Obsorge komme der Mutter zu. Mit der Kindesmutter habe der Revisionswerber bis längstens 17. August 2020 im gemeinsamen Haushalt gelebt und danach eine konfliktbeladene „On-off“-Beziehung geführt, die am 29. Dezember 2018 in einer gewalttätigen Auseinandersetzung eskaliert sei, welche mit einem Polizeieinsatz und der Verhaftung des Revisionswerbers geendet habe. Aufgrund dessen sei gegen den Revisionswerber eine Anklage wegen versuchter Nötigung erhoben worden. Der Revisionswerber habe mit der Kindesmutter keine Vereinbarung über ein Kontaktrecht getroffen, halte aber unregelmäßigen Besuchskontakt mit seiner Tochter. Unterhaltsleistungen erbringe er für die Tochter nicht. Es bestehe eine wenig stabile und geringe emotionale Bindung der Tochter zum Revisionswerber. Laut Einschätzung eines psychologischen Gutachters beeinträchtige eine Trennung der Tochter vom Revisionswerber deren Kindeswohl nicht. Aktuell lebe der Revisionswerber seit 7. Juni 2021 in einer von einer namentlich genannten Frau bereitgestellten Wohnung. Es könne nicht festgestellt werden, ob der Revisionswerber mit dieser Frau in Lebensgemeinschaft lebe.

6 Bei einer näher begründeten Gesamtbetrachtung wiege das öffentliche Interesse an der Einhaltung der Regeln des Fremdenwesens schwerer als die privaten Interessen des Revisionswerbers am Verbleib in Österreich, zumal der Revisionswerber seinen bisherigen Aufenthalt überhaupt nicht genützt habe, um sich sprachlich, sozial und beruflich zu integrieren, und auch aus dem Blickwinkel des Kindeswohls bezüglich seiner Tochter ein Verbleib des Revisionswerbers in Österreich nicht geboten sei. Eine Aufenthaltsbeendigung erscheine deshalb auch nach einem siebeneinhalbjährigen Inlandsaufenthalt noch verhältnismäßig.

7 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, das BVwG habe den Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision nach § 25a Abs. 1 VwGG nicht hinreichend begründet. Der Revisionswerber vertrete den berechtigten Standpunkt, dass entgegen den Ausführungen im angefochtenen Erkenntnis jedenfalls eine Revision zulässig sei. Dem BVwG sei „sohin eine antizipierende Beweiswürdigung anzulasten“. Zudem entspreche das angefochtene Erkenntnis auch nicht den Anforderungen des § 60 AVG. Es sei ihm nicht zu entnehmen, von welchen konkreten Feststellungen das Verwaltungsgericht ausgehe, um zur gegenständlichen Entscheidung zu gelangen. Überdies stelle sich das Ermittlungsverfahren auch unter Zugrundelegung obiger Ausführungen als mangelhaft dar. Zu berücksichtigen sei, dass die (letzte) mündliche Verhandlung vom 13. Mai 2022 ohne Beisein des Revisionswerbers stattgefunden habe, obwohl sich dieser krankheitsbedingt habe entschuldigen lassen. In der Verhandlung hätte er darlegen können, dass sämtliche Gründe vorlägen, um die Rückkehrentscheidung dauerhaft für unzulässig zu erklären und ihm einen Aufenthaltstitel aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen aufgrund seiner maßgeblichen sozialen Integration zu erteilen. Das BVwG berücksichtige nicht, dass der Revisionswerber bereits jahrelang im Bundesgebiet aufhältig sei, sozial integriert sei und in seinem Heimatland über keine existentielle Grundlage verfüge. Deshalb widerspreche das Erkenntnis insbesondere der höchstgerichtlichen Rechtsprechung.

8 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

9 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12 Das Revisionsvorbringen, der Zulässigkeitsausspruch nach § 25a Abs. 1 VwGG sei nicht hinreichend begründet worden, ist nach ständiger hg. Rechtsprechung für sich nicht geeignet, die Zulässigkeit der Revision darzutun (vgl. etwa VwGH 21.6.2022, Ra 2022/18/0119, mwN).

13 Das weitere Zulässigkeitsvorbringen ist nur insoweit hinreichend konkretisiert, als dem BVwG ein Verfahrensfehler wegen Abhaltung der letzten Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung in Abwesenheit des Revisionswerbers vorgeworfen wird. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung aber wiederholt festgehalten, dass das Nichterscheinen einer Partei trotz ordnungsgemäßer Ladung die Durchführung der Verhandlung nicht hindert (vgl. etwa VwGH 3.3.2022, Ra 2020/18/0463, mwN). Wenn die Revision geltend macht, der Revisionswerber habe krankheitsbedingt an der Verhandlung nicht teilnehmen können und sich entschuldigen lassen, setzt sie sich begründungslos darüber hinweg, dass das BVwG die Entschuldigung des Revisionswerbers als nicht hinreichend erachtete, weil eine Bescheinigung, aus der eine Erkrankung oder Reiseunfähigkeit des Revisionswerbers hervorgegangen wäre, nicht vorgelegt worden sei. Schon deshalb legt die Revision den behaupteten Verfahrensmangel nicht dar.

14 Soweit sich die Revision schließlich der Sache nach gegen die vom BVwG vorgenommene Interessenabwägung zur Rückkehrentscheidung wendet, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs hinzuweisen, wonach eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG ist (vgl. etwa VwGH 29.9.2022, Ra 2021/18/0398, mwN). Die Revision zeigt im Hinblick darauf, dass sich das BVwG auch mit den von ihr monierten Aspekten beschäftigt hat und dabei von den Leitlinien der höchstgerichtlichen Rechtsprechung nicht abgewichen ist, keine Unvertretbarkeit der Interessenabwägung auf.

15 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 24. November 2022

Rückverweise