JudikaturVwGH

Ra 2022/18/0059 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
15. Dezember 2022

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision der H H, vertreten durch Univ. Prof. Dr. Georg Eckert, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Himmelpfortgasse 20/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Februar 2022, W251 2218334 1/21E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird insoweit zurückgewiesen, als sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten wendet.

II. zu Recht erkannt:

Spruch

Im Übrigen wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

1 Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige des Kosovo, stellte am 18. März 2019 einen Antrag auf internationalen Schutz, den sie im Wesentlichen damit begründete, dass sie von ihrem nunmehrigen Ex Ehemann sowie weiteren männlichen Verwandten geschlagen und bedroht worden sei. Auch nach der Scheidung sei es noch zu Bedrohungen gegen sie gekommen. Sie habe sich in ein Frauenhaus begeben, dort jedoch nach ihrer Scheidung nicht mehr weiter bleiben dürfen. Im Falle einer Rückkehr in den Kosovo erhalte sie keinen Schutz und fürchte, von ihren männlichen Verwandten getötet zu werden.

2 Mit Bescheid vom 4. April 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag der Revisionswerberin zur Gänze ab (I., II.), erteilte ihr keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (III.), erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung (IV.), stellte fest, dass ihre Abschiebung in den Kosovo zulässig sei (V.), erkannte einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung ab, gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise (VI.), erließ gegen sie ein auf die Dauer von einem Jahr befristetes Einreiseverbot gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG (VII.) und trug der Revisionswerberin auf, in einem näher genannten Quartier Unterkunft zu nehmen (VIII.).

3 Mit Beschluss vom 10. Mai 2019 erkannte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) der Beschwerde der Revisionswerberin die aufschiebende Wirkung zu.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis V. sowie VII. bis VIII. des Bescheides des BFA als unbegründet ab und gab der Beschwerde gegen den Spruchpunkt VI. des Bescheides mit der Maßgabe statt, dass eine 14 tägige Frist für die freiwillige Ausreise gewährt werde. Die Revision erklärte das BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.

5 Begründend führte das BVwG soweit für das gegenständliche Revisionsverfahren von Belang aus, es sei zwar während aufrechter Ehe zu häuslicher Gewalt gekommen, die vom Ex Ehemann der Revisionswerberin ausgegangen sei. Nach der Scheidung habe es jedoch keine Drohungen oder körperliche oder verbale Auseinandersetzungen mehr vonseiten des Ex Ehemannes oder anderer männlicher Verwandter gegen die Revisionswerberin gegeben. Beweiswürdigend hielt das BVwG fest, dass in den vorgelegten Unterlagen zum Scheidungsverfahren die Aussagen des Ex Ehemannes der Revisionswerberin festgehalten seien, wonach dieser seine Frau geschlagen habe, weshalb das Vorbringen der Revisionswerberin, wonach es in aufrechter Ehe zu körperlicher Gewalt gegen sie gekommen sei, als glaubhaft beurteilt werde. Darüber hinaus habe die Revisionswerberin aber zum Teil unterschiedlich angegeben, welche weiteren männlichen Verwandten Gewalt gegen sie ausgeübt hätten, oder nur allgemein von „Misshandlungen“ ihrer Söhne ihr gegenüber gesprochen. Zudem gebe es so das BVwG Ungereimtheiten hinsichtlich der genauen Dauer des Aufenthalts der Revisionswerberin im Frauenhaus und wann sie sich danach bei welcher bekannten bzw. verwandten Person aufgehalten habe. Letztlich hielt das BVwG fest, dass die Revisionswerberin den von ihr zuletzt vorgebrachten Vorfall nach der Scheidung mit ihrem Ex Ehemann nur vage geschildert und widersprüchlich angeführt habe, wer von ihren Geschwistern in welcher Reihenfolge von der Gewalt gegen sie erfahren und schließlich die Polizei verständigt habe. Davon abgesehen, ging das BVwG davon aus, dass die Revisionswerberin im Zuge der Scheidung Unterstützung durch die Polizei, eine Rechtsvertretung sowie ein Frauenhaus erhalten habe, weshalb der kosovarische Staat hinsichtlich häuslicher Gewalt schutzfähig und schutzwillig sei. Daraus folgerte das BVwG, dass der Revisionswerberin keine asylrelevante Verfolgung bei ihrer Rückkehr drohe. Das BVwG führte zudem aus, dass die Revisionswerberin im erwerbsfähigen Alter und arbeitsfähig sei, über Schulausbildung verfüge sowie die Landessprache des Kosovo spreche. Aus den Angaben der Revisionswerberin hätten sich keine exzeptionellen Umstände ergeben und sei ihr daher auch subsidiärer Schutz nicht zu gewähren.

Dagegen wendet sich die außerordentliche Revision, die in der Zulassungsbegründung und in den Revisionsgründen unter anderem geltend macht, das BVwG habe sich nicht ausreichend mit der Situation der Revisionswerberin im Fall einer Rückkehr auseinandergesetzt, die keine Hilfe durch eine Schutzeinrichtung oder durch ihre Familie bekommen würde. Das BVwG habe es unterlassen, ausreichende Ermittlungen in Hinblick auf die Situation von Opfern häuslicher Gewalt im Kosovo anzustellen und entsprechende Länderfeststellungen zu treffen. Das BVwG habe amtswegige Übersetzungen wesentlicher Aktenbestandteile eingeholt, insbesondere des Scheidungsurteils vom 5. April 2018 und des Berichts des Zentrums für soziale Arbeit in Mitrovice, ohne der Revisionswerberin die Möglichkeit zur Stellungnahme dazu einzuräumen. Wäre das rechtliche Gehör ordnungsgemäß gewährt worden, hätte diese entsprechendes weiteres, für ihren Standpunkt förderliches Vorbringen erstatten können.

6 Das BFA hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8 Die Revision ist teilweise zulässig und begründet.

9 Zu Spruchpunkt I.:

10 Hat das Verwaltungsgericht wie im vorliegenden Fall im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.

11 Derartige Gründe werden seitens der vorliegenden Revision in Bezug auf die Nichtzuerkennung von Asyl nicht vorgebracht.

12 So hat das BVwG im angefochtenen Erkenntnis insbesondere festgestellt, dass der kosovarische Staat hinsichtlich der Abwehr häuslicher Gewalt schutzfähig und schutzwillig sei. Die Revisionswerberin sei von der Polizei geschützt worden. Sie sei von einer Anwältin im Scheidungsverfahren vertreten worden und habe bis nach der Scheidung in einem Frauenhaus leben können. Die erlebten Übergriffe stellten daher bereits aus diesen Überlegungen keinen Asylgrund im Sinne des § 3 AsylG 2005 dar.

13 Dagegen wendet sich die Revision nicht in substantiierter Weise. Insbesondere zeigt sie nicht auf, dass diese fallbezogene Einschätzung bei Einräumung des von ihr zu Recht beanstandeten unterbliebenen Parteiengehörs zu den übersetzten Unterlagen anders ausfallen hätte können.

14 In Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten war die Revision daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig zurückzuweisen.

15 Zu Spruchpunkt II.:

16 Zulässig und begründet ist die Revision jedoch insoweit, als sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten und die darauf aufbauenden Spruchpunkte wendet.

17 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, ist eine besondere Vulnerabilität bei der Beurteilung, ob den revisionswerbenden Parteien bei einer Rückkehr in die Heimat eine Verletzung ihrer durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte droht, im Speziellen zu berücksichtigen (vgl. VwGH 18.7.2022, Ra 2021/18/0326, mwN).

18 Wie bereits dargelegt, ging das BVwG im angefochtenen Erkenntnis davon aus, dass es während aufrechter Ehe zu jahrelangen Gewaltausübungen gegenüber der Revisionswerberin gekommen sei. Hinzu kommt, dass die Revisionswerberin laut Feststellungen des BVwG lediglich die Grundschule absolvierte, über keine Berufsausbildung verfügt, ihre Eltern bereits verstorben sind und sich ihr nahestehende Familienangehörige wie ihre Geschwister nicht mehr im Kosovo aufhalten. Zudem gab sie vor dem BVwG auch an, sehr ängstlich zu sein, mit ihren kosovarischen Freundinnen nicht mehr in Kontakt zu sein und über keine weiteren verwandtschaftlichen Beziehungen im Kosovo zu verfügen.

19 Ungeachtet dessen ging das BVwG davon aus, dass die Revisionswerberin bei Rückkehr in keine Lage geraten werde, die insbesondere ihre durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte verletzten würde. Sie sei im erwerbsfähigen Alter, arbeitsfähig, verfüge über eine Schulausbildung und spreche die Landessprachen des Kosovo. Es sei ihr möglich, sich dort etwa auch durch Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten eine Existenz aufzubauen und diese zu sichern. Sie gehöre keinem Personenkreis an, von dem anzunehmen sei, dass er sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellen würde als die übrige Bevölkerung, die ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen könne.

20 Demgegenüber bringt die Revision vor, dass die Revisionswerberin bei einer möglichen Rückkehr in den Kosovo über keine soziale oder familiäre Unterstützung verfüge und sie im Falle ihrer Abschiebung und Ansiedelung im Kosovo in eine ausweglose Situation geraten und real Gefahr laufen würde, eine Verletzung ihrer durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte zu erleiden. Der Revisionswerberin sei eine Ansiedelung im Kosovo weder möglich noch zumutbar, weshalb ihr zumindest der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt werden müsse.

Mit diesem Vorbringen ist die Revision insoweit im Recht, als sich das BVwG im angefochtenen Erkenntnis mit den besonderen Umständen des Falles nicht hinreichend beschäftigt hat. So lässt es bei seiner Beurteilung, die Revisionswerberin könne ungefährdet zurückkehren, die erlittenen Gewalterfahrungen in der Vergangenheit, ihre mangelnde Berufsausbildung und -erfahrung sowie ihr fehlendes familiäres Unterstützungsnetzwerk, welche im konkreten Fall eine besondere Vulnerabilität der Revisionswerberin nahelegen, außer Acht. Die besondere Situation der Revisionswerberin lässt sich daher nicht, wie das BVwG argumentiert, mit der Lage der Bevölkerung des Kosovo im Allgemeinen gleichsetzen.

21 Vor diesem Hintergrund steht die Annahme des BVwG einer im Kosovo gesicherten Versorgungslage für die vulnerable 52 jährige Revisionswerberin trotz Fehlens eines familiären Netzwerks auch in einem unaufgeklärten Spannungsverhältnis zu den vom BVwG im angefochtenen Erkenntnis selbst getroffenen Länderfeststellungen, wonach sich die Sozialhilfe auf niedrigem Niveau bewege. Sozialleistungen reichten zur Befriedigung der Grundbedürfnisse kaum aus. Das wirtschaftliche Überleben sichere in der Regel zum einen den Zusammenhalt der Familien, zum anderen die im Kosovo ausgeprägte zivilgesellschaftliche Solidargemeinschaft.

22 Das angefochtene Erkenntnis war daher im angefochtenen Umfang der Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten und der darauf aufbauenden Spruchpunkte wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

23 Von der beantragten mündlichen Verhandlung war gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abzusehen.

24 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014. Ein Zuspruch der begehrten Eingabegebühren hatte infolge Bewilligung der Verfahrenshilfe in diesem Umfang zu unterbleiben.

Wien, am 15. Dezember 2022

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