Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer, den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin Dr. in Gröger als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision der revisionswerbenden Partei H A, vertreten durch Mag. Karl Weilhartner, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Landstraße 50/4, als bestellter Verfahrenshelfer, dieser vertreten durch Dr. in Julia Ecker, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Opernring 7/18, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Dezember 2021, W163 2178986 1/36E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird in seinem Spruchpunkt A) I. (Nichtgewährung des Status des Asylberechtigten) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger der Volksgruppe der Hazara, stammt aus der Stadt Herat, übersiedelte aber schon im Alter von zwei Jahren mit seinen Eltern in den Iran, wo er fortan aufwuchs. Von dort flüchtete er im Jahr 2015 (noch minderjährig) nach Europa und beantragte am 26. Mai 2015 in Österreich internationalen Schutz.
2 Zur Begründung brachte er (u.a.) vor, Rap Musiker zu sein und bereits mehrere Musikvideos gedreht und in sozialen Netzwerken veröffentlicht zu haben, die sich mit „den Problemen, die es in Afghanistan [gebe]“ auseinandersetzen würden. Er schreibe seine Texte auf Dari etwa darüber, dass die Menschen in Afghanistan von mächtigen Personen (Politikern) ausgebeutet würden. Er wolle mit seiner Musik „Leute erreichen, die endlich aufwachen“ sollten. Er fürchte, wegen dieser Musik bei Rückkehr nach Afghanistan verfolgt zu werden.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gewährte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) dem Revisionswerber im Beschwerdeverfahren zwar subsidiären Schutz und eine befristete Aufenthaltsberechtigung. Seinen Antrag auf Gewährung von Asyl wies es jedoch mit Spruchpunkt A) I. des angefochtenen Erkenntnisses ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.
4 Begründend führte das BVwG aus, es sei zwar glaubhaft, dass der Revisionswerber Lieder verfasst, gesungen und auf Youtube veröffentlich habe. Infolge dessen würden auch seine Angaben, einen eingeschränkten Bekanntheitsgrad erreicht zu haben, glaubhaft erscheinen, zumal die Videos Aufrufe im zweistelligen Bereich bis zu rund 1.200 Aufrufe aufwiesen. Vom Erreichen eines Popularitätsgrades, der ihn auch in seinem Herkunftsstaat Afghanistan zu einer Person des öffentlichen Interesses machen würde, könne aber nicht ausgegangen werden. Gegen eine ihm drohende Verfolgung spreche auch, dass der Revisionswerber angegeben habe, die Reaktionen auf seine Videos seien durchwegs positiv ausgefallen. Auch sei er bisher noch nicht vor einem über den Freundeskreis hinausgehenden Publikum aufgetreten, sodass auch eine Bekanntheit seiner Person nicht gegeben sei, welche staatliche Stellen in Afghanistan oder die Taliban auf die veröffentlichten Videos und Lieder aufmerksam machen würden. Gegen die Glaubhaftigkeit einer Verfolgungsgefahr sprächen auch die Angaben des Revisionswerbers, wonach die Lieder allgemein von Problemen, welche es in Afghanistan gebe, handeln würden. Dass sich der Revisionswerber in seinen Liedern gegen die Taliban richte, gegen sie auftrete oder er sich ihnen gegenüber kritisch äußere oder gegen die Religion auftrete, habe er nicht behauptet. Es sei daher nicht plausibel, dass ihm aufgrund der Inhalte seiner Lieder Verfolgung durch die Taliban drohe. Dies wäre auch mit den eingebrachten Länderfeststellungen nicht in Einklang zu bringen. Der Revisionswerber habe somit keine ihm drohende asylrelevante Verfolgungsgefahr glaubhaft gemacht, weshalb ihm kein Asyl zu gewähren sei.
5 Gegen die Nichtgewährung des Status des Asylberechtigten wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Zulässigkeit und in der Sache zusammengefasst geltend macht, das BVwG habe sich im Zusammenhang mit der drohenden Verfolgung des Revisionswerbers als Musiker weder mit den einschlägigen Länderberichten noch den vorgelegten Beweismitteln hinreichend auseinandergesetzt und sei deshalb zu falschen Schlüssen gekommen. Die Revision weist darauf hin, dass der Revisionswerber mit Stellungnahme vom 29. September 2021 dem BVwG Links zu drei seiner in den sozialen Netzwerken veröffentlichen Musikvideos übermittelt habe. Eine eingehende Auseinandersetzung mit den Texten dieser Lieder sei jedoch seitens des BVwG unterblieben, weshalb im angefochtenen Erkenntnis auch unerörtert bleibe, dass sich die Texte u.a. kritisch mit den Taliban beschäftigten. Der Revisionswerber habe zudem zahlreiche Berichte zitiert, nach denen die Taliban seit ihrer Machtergreifung im August 2021 gegen Musiker vorgingen. Demgegenüber habe das BVwG im angefochtenen Erkenntnis keine Feststellungen zur Behandlung von (kritischen) Musikern durch die Taliban getroffen und sich mit den eingebrachten Beweismitteln nicht ausreichend auseinandergesetzt.
6 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat zu dieser Revision keine Revisionsbeantwortung erstattet.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
8 Die Revision ist zulässig und begründet.
9 Der Verwaltungsgerichtshof erkennt zur Begründungspflicht von Entscheidungen in ständiger Rechtsprechung, dass das Verwaltungsgericht neben der Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise auch die Pflicht hat, auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Das Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. etwa VwGH 21.4.2020, Ra 2020/18/0009 und VwGH 25.6.2020, Ra 2019/18/0444, jeweils mwN). Nach der höchstgerichtlichen Judikatur verlangt eine schlüssige Beweiswürdigung, dass das Verwaltungsgericht dabei alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat (vgl. dazu etwa VwGH 21.3.2018, Ra 2018/18/0075, mwN; VwGH 6.8.2020, Ra 2020/18/0017).
10 Zu Recht macht die Revision geltend, dass sich das BVwG mit einer möglichen (asylrelevanten) Verfolgung des Revisionswerbers aufgrund seiner verfassten, gesungenen und auf sozialen Netzwerken veröffentlichten Rap Musik, die sich nach seinem Vorbringen kritisch mit den Machthabern in Afghanistan auseinandersetzt, nicht hinreichend beschäftigt hat. Es hat dabei die soeben zitierten rechtlichen Leitlinien aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht beachtet.
11 Das BVwG verneint eine Verfolgungsgefahr (insbesondere seit der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021), ohne sich mit der Behandlung von Musikern durch die neuen Machthaber im Allgemeinen und von kritischen Rap Musikern, wie dem Revisionswerber, im Besonderen im Rahmen seiner Sachverhaltsfeststellungen auseinanderzusetzen.
12 Soweit das Verwaltungsgericht auf den Umstand verweist, dass der Revisionswerber bislang nur auf sozialen Medien Musikvideos veröffentlichte und dadurch noch keine breite Popularität erlangt habe, stehen seine Erwägungen in einem unaufgeklärten Spannungsverhältnis zu den eigenen Länderfeststellungen, wonach die Taliban in den sozialen Medien aktiv seien und diese nutzten, um jene Afghanen zu identifizieren, die sie als ihre Gegner einstuften (wozu auch gehöre, sich in den sozialen Medien kritisch gegenüber den Taliban zu äußern; vgl. Erkenntnis Seiten 17 f).
13 Das BVwG geht in seiner Entscheidungsbegründung auch davon aus, dass sich der Revisionswerber in seinen Texten nicht gegen die Taliban gewandt habe. Eine Übersetzung der als Beweismittel geltend gemachten Liedtexte in die deutsche Sprache hat das BVwG aber nicht veranlasst, weshalb diese Schlussfolgerung auf unzureichenden Ermittlungen beruht. Der Verwaltungsgerichtshof hat insoweit bereits wiederholt erkannt, dass die unterbliebene Übersetzung von fremdsprachigen Beweismitteln einen Verfahrensmangel darstellen kann, der bei gegebener Relevanz zur Aufhebung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung führt (vgl. etwa VwGH 1.6.2022, Ra 2022/18/0055, mwN). Die Relevanz des Verfahrensmangels legt die Revision (unter Zitierung der Musiktexte) hinreichend dar.
14 Das angefochtene Erkenntnis (Spruchpunkt A) I.) leidet daher an relevanten Verfahrensmängeln, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.
15 Der Kostenausspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 10. August 2022