Spruch
W261 2294829-1/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Karin GASTINGER, MAS als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX auch XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Tirol, Außenstelle Innsbruck, vom 29.05.2024, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Syriens, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 23.08.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
2. Am selben Tag fand seine Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt. Dabei gab der Beschwerdeführer unter anderem an, dass er aus XXXX stamme, der Volksgruppe der Araber angehöre und Muslim sei. Er habe neun Jahre die Grundschule, drei Jahre die AHS und zwei Jahre die Berufsschule besucht. Zuletzt habe er als Koch gearbeitet. Neben seinen Eltern würden noch seine Geschwister in Syrien leben. Eine Schwester wohne in Deutschland und habe den Status einer Asylberechtigten.
Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer an, dass er sein Land aufgrund des Bürgerkrieges und weil er zum Militärdienst einberufen worden sei, verlassen habe. Bei der Rückkehr fürchte er um sein Leben.
3. Am 24.04.2024 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden belangte Behörde) niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er zu seinen persönlichen Verhältnissen im Wesentlichen an, dass er gesund und nicht in medizinischer Behandlung sei. Er gehöre der Volksgruppe der Araber an und sei sunnitischer Muslim. Er sei in der Region XXXX geboren und habe dort bis zu seiner Ausreise gelebt. Er habe die Grundschule und die AHS besucht und anschließend an einer Hochschule studiert. Er sei ledig und habe keine Kinder. Der Beschwerdeführer habe regelmäßigen Kontakt zu seinen Familienangehörigen. Im Rahmen der Einvernahme legte der Beschwerdeführer syrische Dokumente vor.
Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass er Syrien verlassen habe, weil er von der Militärpolizei verfolgt werde, er wisse aber nicht warum. Während er im Juni 2021 bei Freunden gewesen sei, habe das syrische Regime sein Elternhaus besucht. Damals habe sein militärischer Aufschub noch für weitere drei Monate gegolten. Zehn Tage später sei er aus Syrien ausgereist. Er vermute, dass sie wegen seines verstorbenen Bruders gekommen seien. 2016 sei das syrische Regime bereits einmal bei ihnen gewesen und hätten seinen Bruder gesucht und dabei den Beschwerdeführer geschlagen und ihm seinen Arm gebrochen. 2015 sei er auf seinem Motorrad unterwegs gewesen und von drei Soldaten angefahren und geschlagen worden. Im selben Jahr sei sein Neffe aufgrund von Bombardierungen verstorben, auch sein Bruder und sein Schwager seien bei Angriffen auf ihre Häuser im Jahr 2017 verstorben.
4. Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid vom 29.05.2024 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr (Spruchpunkt III.).
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass es unglaubhaft sei, dass die Armverletzung des Beschwerdeführers vom syrischen Regime stamme. Es werde nicht angezweifelt, dass das Regime zehn Tage vor seiner Ausreise aufgrund seines Bruders zu ihm nach Hause gekommen sei, es habe aber nicht festgestellt werden können, dass das Regime den Beschwerdeführer hätte rekrutieren wollen, da er selbst angegeben habe, dass er sich noch einen Reisepass ausstellen habe lassen können und ihm auch eine Ausreiseerlaubnis erteilt worden sei. Es sei offensichtlich, dass er keine Probleme mit den Behörden gehabt habe. Er weise keine glaubhaft verinnerlichte politische Überzeugung gegen das syrische Regime oder gegen den Dienst an der Waffe an sich auf. Er habe auch keine als oppositionell anzusehenden Handlungen gesetzt. Es gebe auch keine stichhaltigen und belastbaren Hinweise auf exilpolitisch gegen das syrische Regime gerichtete Aktivitäten. Zudem stehe die Heimatregion nicht unter Kontrolle der syrischen Regierung, sondern werde von der islamistischen Gruppierung HTS kontrolliert. Er sei im Herkunftsstaat keiner Verfolgung bzw. Verfolgungsgefährdung durch staatliche Organe oder Privatpersonen ausgesetzt gewesen. Es habe auch aus den sonstigen Umständen keine Verfolgung aus konventionsrelevanten Gründen festgestellt werden können. Es sei ihm nicht gelungen, den vorgebrachten Fluchtgrund glaubhaft und in sich schlüssig darzulegen.
Es würden jedoch Gründe für die Annahme bestehen, dass im Fall einer Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung aufgrund der derzeitigen Lage in Syrien für den Beschwerdeführer eine nicht ausreichende Lebenssicherheit bestehe. Daher sei ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen gewesen.
5. Mit Eingabe vom 27.06.2024 erhob der Beschwerdeführer gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides durch seine bevollmächtigte Vertretung fristgerecht Beschwerde. Darin wurde im Wesentlichen nochmals vorgebracht, dass das syrische Regime bei ihm zu Hause gewesen sei und nach dem Beschwerdeführer „verlangt“ habe. Er habe seine Heimatstadt aus Furcht vor einer Zwangsrekrutierung verlassen. Der Beschwerdeführer würde aufgrund seiner Wehrdienstverweigerung und seiner Abstammung aus einem ehemaligen Oppositionsgebiet als oppositionell Gesinnter eingestuft werden. 2016 sei er von Soldaten des syrischen Regimes grundlos geschlagen und erniedrigt worden. Sein Onkel sei seit 2014 in Österreich asylberechtigt. Aufgrund dessen drohe dem Beschwerdeführer Reflexverfolgung aufgrund seiner Familienangehörigkeit. Zudem hätte die belangte Behörde richtigerweise feststellen müssen, dass das Herkunftsgebiet des Beschwerdeführers von der syrischen Regierung und nicht von der HTS kontrolliert werde. Die belangte Behörde habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt, indem sie mangelhafte Länderfeststellungen getroffen und die beigezogenen Länderberichte nicht ausreichend gewürdigt habe. Auch die Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides sei aus näher dargestellten Gründen mangelhaft.
Bei richtiger rechtlicher Beurteilung wäre dem Beschwerdeführer daher internationaler Schutz gemäß § 3 AsylG zu gewähren gewesen.
6. Die belangte Behörde legte das Beschwerdeverfahren mit Schreiben vom 28.06.2024 dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor, wo dieses am 03.07.2024 einlangte.
7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 19.08.2024 eine mündliche Verhandlung durch, in welcher der Beschwerdeführer im Beisein seiner Rechtsvertretung zu seinen persönlichen Umständen, seinen Fluchtgründen und der Situation im Falle einer Rückkehr befragt wurde. Die belangte Behörde nahm entschuldigt nicht an der Verhandlung teil, die Verhandlungsschrift wurde ihr übermittelt. Der Beschwerdeführer legte keine weiteren Bescheinigungsmittel vor und verwies auf die bereits im bisherigen Verfahren vorgelegten Bescheinigungsmittel. Das Bundesverwaltungsgericht legte die aktuellen Länderinformationen vor und räumte den Parteien des Verfahrens die Möglichkeit ein, hierzu eine Stellungnahme abzugeben.
8. Mit Eingabe vom 28.08.2024, eingelangt am 29.08.2024, übermittelte der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Vertretung eine Einwendung gegen die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 19.08.2024. In dieser führte er aus, dass er sich bei den vorgebrachten Demonstrationen auf Wien bezogen habe.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und wurde am XXXX in der Stadt XXXX , im Stadtteil XXXX , im gleichnamigen Gouvernement in Syrien geboren. Er ist syrischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Araber sowie sunnitischer Muslim. Seine Muttersprache ist Arabisch, er spricht zudem Türkisch, etwas Englisch und Deutsch.
Der Beschwerdeführer ist verlobt und hat keine Kinder.
Seine Eltern heißen XXXX (geb. XXXX , pensionierter Beamter) und XXXX (geb. XXXX ). Der Beschwerdeführer hat vier Schwestern, XXXX (geb. XXXX , lebt in Deutschland und besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit), XXXX (geb. XXXX ), XXXX (geb. XXXX ) und XXXX (geb. XXXX ), sowie zwei Brüder, XXXX (geb. XXXX , verstorben am XXXX ) und XXXX (geb. XXXX ). Seine Familie wohnt in der Stadt XXXX im gleichnamigen Gouvernement in Syrien. Ein Onkel des Beschwerdeführers mütterlicherseits, XXXX (geb. XXXX , IFA: XXXX ), lebt in Österreich und hat den Status eines Asylberechtigten.
Der Beschwerdeführer hat regelmäßigen Kontakt mit seiner Familie.
Der Beschwerdeführer lebte bis 2013 in seinem Geburtsort. Von 2013 bis zu seiner Ausreise im Jahr 2021 lebte er anschließend in einem Stadtteil namens XXXX . Er besuchte von 2003 bis 2012 die Grundschule und von 2012 bis 2016 eine Allgemeinbildende höhere Schule (AHS). Anschließend studierte er von 2016 bis 2021 am mittleren Institut für Bank- und Finanzwissenschaften. Während seines Studiums arbeitete er als Koch in einem Restaurant in Damaskus.
Von 15.03.2017 bis 15.03.2021 erhielt der Beschwerdeführer als Student einen jeweils für ein Jahr befristeten Aufschub des verpflichtenden Wehrdienstes. Aufgrund der Ausstellung seines neuen Reisepasses wurde sein letzter Aufschub bis 15.09.2021 verlängert. Insgesamt erhielt er fünfmal einen Wehrdienstaufschub bzw. eine Verlängerung dessen. Er leistete seinen Wehrdienst bislang nicht ab.
Das Herkunftsgebiet des Beschwerdeführers, die Stadt XXXX im gleichnamigen Gouvernement, befindet sich unter Kontrolle des syrischen Regimes.
Der Beschwerdeführer verließ Syrien am 20.06.2021 in Richtung Türkei, wo er ca. ein Jahr lang lebte. Danach reiste er weiter und hielt sich unter anderem in Bulgarien, Serbien und Ungarn auf und reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in Österreich ein und stellte am 23.08.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Er ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
1.2.1. In Syrien ist für männliche syrische Staatsbürger im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes verpflichtend. Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Art. 4 lit. b gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren. Die Dauer des Wehrdienstes beträgt 18 Monate bzw. 21 Monate für jene, die die fünfte Klasse der Grundschule nicht abgeschlossen haben.
Der Beschwerdeführer befindet sich mit seinen XXXX Jahren im gesetzlich vorgesehenen Wehrdienstalter. Er erhielt von 15.03.2017 bis 15.03.2021 insgesamt vier jeweils auf ein Jahr befristete Wehrdienstaufschübe aufgrund seines Studiums. Sein letzter Wehrdienstaufschub wurde aufgrund seines neu ausgestellten Reisepasses bis 15.09.2021 verlängert. Beim Beschwerdeführer liegen nunmehr keine Befreiungsgründe vor. Der Beschwerdeführer leistete seinen Wehrdienst beim syrischen Militär bislang nicht ab. Der Beschwerdeführer wurde in Syrien niemals vonseiten des syrischen Regimes konkret aufgefordert einen Wehrdienst abzuleisten.
Darüber hinaus unterstellen die syrischen Behörden nicht sämtlichen Personen, die sich dem Wehrdienst entziehen, eine oppositionelle politische Gesinnung und haben sich auch im Fall des Beschwerdeführers keine diesbezüglichen Anhaltspunkte ergeben. Der Beschwerdeführer hat sich weder in Syrien noch in Österreich jemals politisch betätigt und etwa an Demonstrationen teilgenommen. Auch seine Familie ist nicht (derart) politisch aktiv, dass ihm allein aufgrund seines Nachnamens von der syrischen Regierung eine oppositionelle Gesinnung (zumindest) unterstellt wird. Er wurde aufgrund dessen weder verhaftet noch inhaftiert. Nach ihm wird auch nicht aus diesem Grund in Syrien gefahndet.
Insbesondere weist der Beschwerdeführer keine glaubhaft verinnerlichte politische Überzeugung gegen die syrische Regierung oder gegen den Dienst an der Waffe an sich auf. Er möchte den Wehrdienst nicht ableisten, weil er nicht am Krieg teilnehmen und keine Menschen töten will. Der Beschwerdeführer entzog sich dem Wehrdienst in der syrischen Armee weder aus politischen, oppositionellen, religiösen noch aus Gewissensgründen. Das syrische Regime unterstellt ihm wegen der mit seiner Flucht verbundenen Entziehung vom Wehrdienst oder einer künftigen Verweigerung der Ableistung eines Wehrdienstes keine politische oder oppositionelle Gesinnung.
1.2.2. Dem Beschwerdeführer droht nicht aufgrund einer allfälligen Familienzugehörigkeit zu dem im Jahr 2011 von der syrischen Polizei getöteten Demonstranten namens XXXX und/oder einer Namensgleichheit Lebensgefahr oder die Unterstellung einer oppositionellen politischen Gesinnung vonseiten der syrischen Regierung.
1.2.3. Dem Beschwerdeführer droht nicht aufgrund der Asylberechtigung seines in Österreich lebenden Onkels und seiner „Familienangehörigeneigenschaft“ Lebensgefahr oder ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch die syrische Regierung.
1.2.4. Ihm droht bei einer Rückkehr in sein Herkunftsgebiet in Syrien nicht wegen seiner illegalen Ausreise oder der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz in Österreich Lebensgefahr oder ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch die syrische Regierung.
1.2.5. Auch sonst ist der Beschwerdeführer nicht der Gefahr ausgesetzt, aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Gesinnung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe in Syrien mit der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht zu werden.
1.2.6. Eine Einreise nach Syrien ist dem Beschwerdeführer über alle verfügbaren Grenzübergänge, insbesondere über den Flughafen Damaskus, der unter der Kontrolle des Regimes steht, möglich.
1.3. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:
Die Länderfeststellungen zur Lage in Syrien basieren auf nachstehenden Quellen:
- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien, Version 11, veröffentlicht am 27.03.2024 (LIB);
- UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 6. aktualisierte Version, März 2021 (UNHCR);
- EUAA, Country of Origin Information Report „Syria: Targeting of Individuals”, September 2022 (EUAA 1);
- EUAA, Country Guidance Syria, April 2024 (EUAA 2);
- EUAA, Bericht über die Sicherheitslage, Oktober 2023 (EUAA 3);
- ACCORD, Wehrdienst Syrien, 20.03.2024 (ACCORD).
1.3.1. Politische Lage – Letzte Änderung: 08.03.2024
Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Ba’ath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt. Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weitverbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (LIB).
Der Machtanspruch des syrischen Regimes wird in einigen Gebieten unter seiner Kontrolle angefochten. Dem Regime gelingt es dort nur bedingt, das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen. Im Gouvernement Suweida kommt es beispielsweise seit dem 20.8.2023 zu täglichen regimekritischen Protesten, darunter Straßenblockaden und die zeitweise Besetzung von Liegenschaften der Regime-Institutionen. In den vom Regime kontrollierten Gebieten unterdrücken die Sicherheits- und Geheimdienstkräfte des Regimes, die Milizen und die Verbündeten aus der Wirtschaft aktiv die Autonomie der Wähler und Politiker. Ausländische Akteure wie das russische und das iranische Regime sowie die libanesische Schiitenmiliz Hizbollah üben ebenfalls großen Einfluss auf die Politik in den von der Regierung kontrollierten Gebieten aus. In den übrigen Landesteilen üben unverändert de facto Behörden Gebietsherrschaft aus. Im Nordwesten kontrolliert die von der islamistischen Terrororganisation Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) gestellte Syrische Errettungsregierung (SSG) weiterhin Gebiete in den Gouvernements Idlib, Lattakia, Hama und Aleppo. In Teilen des Gouvernements Aleppo sowie in den von der Türkei besetzten Gebieten im Norden beansprucht weiterhin die von der syrischen Oppositionskoalition (SOC/Etilaf) bestellte Syrische Interimsregierung (SIG) den Regelungsanspruch. Die von kurdisch kontrollierten Kräften abgesicherten sogenannten Selbstverwaltungsbehörden im Nordosten (AANES) üben unverändert Kontrolle über Gebiete östlich des Euphrats in den Gouvernements ar-Raqqah, Deir ez-Zor und al-Hassakah sowie in einzelnen Ortschaften im Gouvernement Aleppo aus. Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen bleibt Syrien, bis hin zur subregionalen Ebene, territorial fragmentiert. In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v. a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen. Im syrischen Bürgerkrieg hat sich die Grenze zwischen Staat und Nicht-Staat zunehmend verwischt. Im Laufe der Zeit haben sowohl staatliche Akteure als auch nicht-staatliche bewaffnete Gruppen parallele, miteinander vernetzte und voneinander abhängige politische Ökonomien geschaffen, in denen die Grenzen zwischen formell und informell, legal und illegal, Regulierung und Zwang weitgehend verschwunden sind. Die Grenzgebiete in Syrien bilden heute ein einziges wirtschaftliches Ökosystem, das durch dichte Netzwerke von Händlern, Schmugglern, Regimevertretern, Maklern und bewaffneten Gruppen miteinander verbunden ist (LIB).
Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum März 2023 - Oktober 2023] nicht wesentlich verändert. Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung. Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo in den Regimegebieten, etwa zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht. Auch der politische Prozess für eine von den Konfliktparteien verhandelte, inklusive Lösung des Konflikts gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 der Vereinten Nationen (VN) (vorgesehen danach u. a. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora) unter Ägide der VN stagniert. Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert. Alternative politische Formate unter Führung verschiedener Mächte haben bislang keine Fortschritte gebracht. Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen. Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell (LIB).
Im Äußeren gelang es dem syrischen Regime, sich dem Eindruck internationaler Isolation entgegenzusetzen. Das propagierte „Normalisierungsnarrativ“ verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten. Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war. Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon, Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft. Am 3.7.2023 reiste erneut der jordanische Außenminister Ayman Safadi nach Damaskus, um Bemühungen zur Schaffung von Bedingungen für die Rückkehr von syrischen Geflüchteten aus Jordanien zu intensivieren. Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen (LIB).
1.3.2. Sicherheitslage – Letzte Änderung: 08.03.2024
Die Gesamtzahl der Kriegstoten wird auf fast eine halbe Million geschätzt. Die Zahl der zivilen Kriegstoten zwischen 1.3.2011 und 31.3.2021 beläuft sich laut UNO auf 306.887 Personen - dazu kommen noch viele zivile Tote durch den Verlust des Zugangs zu Gesundheitsversorgung, Lebensmittel, sauberem Wasser und anderem Grundbedarf (LIB).
Überlappende bewaffnete Konflikte und komplexe Machtverhältnisse
Der Konflikt in Syrien seit 2011 besteht aus einem Konvolut überlappender Krisen. Die Suche nach einer politischen Beilegung verlief im Sand. Im Wesentlichen gibt es drei Militärkampagnen: Bestrebungen durch eine Koalition den Islamischen Staat zu besiegen, Kampfhandlungen zwischen der Syrischen Regierung und Kräften der Opposition und türkische Militäroperationen gegen syrische Kurden. Dazu kommt das bestehende Informationsdefizit. Obwohl der Syrien-Konflikt mit einer seit Jahren anhaltenden, extensiven Medienberichterstattung einen der am besten dokumentierten Konflikte aller Zeiten darstellt, bleiben dennoch eine Reihe grundlegender Fragen offen. Angesichts der Vielschichtigkeit des Konflikts ist es auch Personen, die in Syrien selbst vor Ort sind, oft nicht möglich, sich ein Gesamtbild über alle Aspekte zu verschaffen. Das Phänomen des Propagandakrieges besteht auf allen Seiten und wird von allen kriegsführenden Parteien und ihren Unterstützern gezielt und bewusst eingesetzt, sodass sich das Internet, soziale und sonstige Medien angesichts der Verzerrungen der Darstellungen nur bedingt zur Informationsbeschaffung eignen. Darüber hinaus sind offiziell verfügbare Quellen (Berichte, Analysen etc.) aufgrund der Entwicklungen vor Ort oft schnell überholt. In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v.a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (LIB).
Die militärische Landkarte Syriens hat sich nicht substantiell verändert. Das Regime kontrolliert weiterhin rund 60 Prozent des syrischen Staatsgebiets, mit Ausnahme von Teilen des Nordwestens, des Nordens und des Nordostens (LIB).
Die militärischen Akteure und Syriens militärische Kapazitäten
Die Kämpfe und Gewalt nahmen 2021 sowohl im Nordwesten als auch im Nordosten und Süden des Landes zu. Der Sondergesandte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen (VN) für Syrien Geir O. Pedersen wies am 29.11.2022 vor dem Sicherheitsrat insbesondere auf eine langsame Zunahme der Kämpfe zwischen den Demokratischen Kräften Syriens auf der einen Seite und der Türkei und bewaffneten Oppositionsgruppen auf der anderen Seite im Norden Syriens hin. Er betonte weiter, dass mehr Gewalt noch mehr Leid für die syrische Zivilbevölkerung bedeutet und die Stabilität in der Region gefährden würde - wobei gelistete terroristische Gruppen die neue Instabilität ausnutzen würden. Im Hinblick auf das Niveau der militärischen Gewalt ist eine Verstetigung festzustellen. Auch das Erdbeben am 6.2.2023 hat zu keiner nachhaltigen Verringerung der Kampfhandlungen geführt. In praktisch allen Landesteilen kam es im Berichtszeitraum zu militärischen Auseinandersetzungen unterschiedlicher Art und Ausprägung. Dabei bestanden auch teils erhebliche Unterschiede zwischen Regionen mit einer hohen Zahl gewalttätiger Auseinandersetzungen und vergleichsweise ruhigeren Landesteilen. Für keinen Landesteil Syriens kann insofern von einer nachhaltigen Beruhigung der militärischen Lage ausgegangen werden (LIB).
Die Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (CoI) der VN stellte im Februar 2022 fest, dass fünf internationale Streitkräfte - darunter Iran, Israel, Russland, die Türkei und die Vereinigten Staaten von Amerika, sowie nicht-staatliche bewaffnete Gruppen und von den VN benannte terroristische Gruppen weiterhin in Syrien aktiv sind. Im Mai 2023 begannen zusätzlich dazu die jordanischen Streitkräfte Luftangriffe gegen die Drogenschmuggler zu fliegen. Die USA sind mit mindestens 900 Militärpersonen in Syrien, um Anti-Terror-Operationen durchzuführen. Seit Ausbruch des Krieges zwischen der Hamas und Israel begannen die USA mehrere Luftangriffe gegen iranische Milizen in Syrien und dem Irak zu fliegen. Anfang Februar 2024 eskalierten die Spannungen zwischen dem Iran und den USA, nachdem iranische Milizen in Jordanien eine militärische Stellung der USA mit einer Drohne angriffen und dabei mehrere US-amerikanische Soldaten töteten und verletzten. Die USA reagierten mit erhöhten und verstärkten Luftangriffen auf Stellungen der iranischen Milizen in Syrien und dem Irak. In Syrien trafen sie Ziele in den Räumen Deir ez-Zor, Al-Bukamal sowie Al-Mayadeen. Die syrische Armee gab an, dass bei den Luftangriffen auch Zivilisten sowie reguläre Soldaten getötet wurden (LIB).
Seit dem Angriff der Hamas auf Israel im Oktober 2023 intensivierte Israel die Luftangriffe gegen iranische und syrische Militärstellungen. Infolge der kriegerischen Kampfhandlungen zwischen Israel und Hamas in und um Gaza seit dem 7.10.2023, wurde israelisch kontrolliertes Gebiet auch von Syrien aus mindestens dreimal mit Raketen beschossen. Israel habe daraufhin Artilleriefeuer auf die Abschussstellungen gerichtet. Beobachter machten iranisch kontrollierte Milizen für den Raketenbeschuss verantwortlich. Israel soll im selben Zeitraum, am 12.10.2023 und 14.10.2023 jeweils zweimal den Flughafen Aleppo sowie am 12.10.2023 den Flughafen Damaskus mit Luftschlägen angegriffen haben; aufgrund von Schäden an den Start und Landebahnen mussten beide Flughäfen daraufhin den Betrieb einstellen (LIB).
Die militärische Intervention Russlands und die damit einhergehende Luftunterstützung für Assads Streitkräfte sowie die erheblich ausgeweitete indirekte Bodenintervention Irans in Form eines Einsatzes ausländischer Milizen konnten 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes abwenden. Die syrische Regierung hat derzeit die Kontrolle über ca. zwei Drittel des Landes, inklusive größerer Städte, wie Aleppo und Homs. Unter ihrer Kontrolle sind derzeit die Provinzen Suweida, Daraa, Quneitra, Homs sowie ein Großteil der Provinzen Hama, Tartus, Lattakia und Damaskus. Auch in den Provinzen Aleppo, Raqqa und Deir ez-Zor übt die syrische Regierung über weite Teile die Kontrolle aus. Aktuell sind die syrischen Streitkräfte mit Ausnahme von wenigen Eliteeinheiten technisch sowie personell schlecht ausgerüstet und können gerade abseits der großen Konfliktschauplätze nur begrenzt militärische Kontrolle ausüben. Die Opposition konnte eingeschränkt die Kontrolle über Idlib und entlang der irakisch-syrischen Grenze behalten. Das Erdbeben 2023 in der Türkei und Nordsyrien machte die tatsächliche Regierung fast unmöglich, weil die Opposition Schwierigkeiten hatte, die Bedürfnisse der Bevölkerung zu erfüllen (LIB).
Das Regime, Pro-Regime-Milizen wie die Nationalen Verteidigungskräfte (National Defense Forces - NDF), bewaffnete Oppositionsgruppen, die von der Türkei unterstützt werden, die Syrian Democratic Forces (SDF), extremistische Gruppen wie Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) und IS (Islamischer Staat), ausländische Terrorgruppen wie Hizbollah sowie Russland, Türkei und Iran sind in den bewaffneten Konflikt involviert. Es kann laut Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amts im gesamten Land jederzeit zu militärischer Gewalt kommen. Gefahr kann dabei einerseits von Kräften des Regimes gemeinsam mit seinen Verbündeten Russland und Iran ausgehen, welches unverändert das gesamte Staatsgebiet militärisch zurückerobern will und als Feinde betrachtete „terroristische“ Kräfte bekämpft. Das Regime ist trotz begrenzter Kapazitäten grundsätzlich zu Luftangriffen im gesamten Land fähig, mit Ausnahme von Gebieten unter türkischer oder kurdischer Kontrolle sowie in der von den USA kontrollierten Zone rund um das Vertriebenenlager Rukban an der syrisch-jordanischen Grenze. Nichtsdestotrotz basiert seine militärische Durchsetzungsfähigkeit fast ausschließlich auf der massiven militärischen Unterstützung durch die russische Luftwaffe und Einheiten Irans, bzw. durch seitens Iran unterstützte Milizen, einschließlich Hizbollah. Wenngleich offene Quellen seit August 2022 den Abzug militärischer Infrastruktur (insb. Luftabwehrsystem S-300) vermelden, lassen sich Auswirkungen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine auf die russische Einsatzfähigkeit in Syrien bislang nicht substantiieren. Die Menschenrechtsorganisation Syrians for Truth and Justice (STJ) behauptet, dass Russland syrische Söldner u.a. aus den Streitkräften für den Kampfeinsatz in der Ukraine abwirbt. Unter Bezug auf syrische Militärangehörige sowie Familien der Söldner spricht STJ von 300 syrischen Kämpfern, die im Zeitraum Juni bis September 2022 nach Russland oder Ukraine verlegt worden seien. Mehrere von ihnen seien laut einer unbestätigten Mitteilung der rekrutierenden al-Sayyad Company for Guarding and Protection Services, welche der russischen Wagner-Gruppe zugeschrieben wird, gefallen. Russland hatte noch z.B. im Oktober 2022 seine Luftangriffe in der Provinz Idlib verstärkt (LIB).
Das syrische Regime, und damit die militärische Führung, unterscheiden nicht zwischen Zivilbevölkerung und „rein militärischen Zielen“. Human Rights Watch kategorisiert einige Angriffe des syrisch-russischen Bündnisses als Kriegsverbrechen, die auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinauslaufen könnten. In Idlib mit seinen über drei Millionen Zivilbevölkerung kommt es trotz eines wackeligen Waffenstillstandes demnach weiterhin zu verbotenen Angriffen durch das Bündnis. Auch die von den USA angeführte Koalition gegen den Islamischen Staat (IS) verletzte internationales Recht durch unterschiedslose Luftschläge in Nordostsyrien, welche zivile Todesopfer und Zerstörung verursachten (LIB).
Seit Beginn 2023 wurden mit Stand 1.5.2023 auch 258 ZivilistInnen durch andere Akteure (als dem Regime) getötet, somit 75 Prozent aller zivilen Toten in diesem Jahr. Viele von ihnen wurden beim Trüffelsuchen getötet, und dazu kommen auch Todesfälle durch Landminen. Außerdem bietet die Unsicherheit in vielen Gebieten ein passendes Umfeld für Schießereien durch nicht identifzierte Akteure (LIB).
1.3.2.1 Südsyrien – Letzte Änderung: 08.03.2024
Die Lage im Süden und Südwesten Syriens, in den Gouvernements Quneitra, Dara‘a und Suweida, die nominell unter Kontrolle des syrischen Regimes und seiner Verbündeten stehen, blieb volatil. Trotz des im September 2021 von Russland vermittelten Waffenstillstands zählt die Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (CoI) für den Zeitraum Januar bis Juni 2022, mit einem Höhepunkt im April 2022, mehr als 100 durch Gewalt getötete Personen. Darunter befinden sich zahlreiche Zivilistinnen und Zivilisten. In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v. a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen. Seit August 2023 kommt es im Gouvernement Suweida sowie vereinzelt im Gouvernement Dara’a zu täglichen regimekritischen Protesten mit Schwerpunkt in Suweida (Stadt), in deren Verlauf auch Straßenblockaden errichtet und Gebäude des syrischen Regimes zeitweise besetzt wurden. Die Sicherheitskräfte des Regimes haben bislang keinen Zugang zu den Protesten. Nur in Dara’a gingen sie gewaltsam gegen Demonstrierende vor. Enab Baladi, eine arabischsprachige, regimekritische Zeitung wiederum schreibt, dass in Suweida auf DemonstrantInnen geschossen wurde (LIB).
Bereits in den Jahren 2020 und 2021 verschlechterte sich die Sicherheitslage. Es kam zu einer Reihe von Zwischenfällen bewaffneter Gewalt zwischen der Vielzahl miteinander konkurrierender bewaffneter Akteure. De facto sind die Regimetruppen vor Ort mit Ausnahme von Eliteeinheiten personell und technisch unzureichend aufgestellt, sodass die tatsächliche Hoheit häufig bei lokal verwurzelten bewaffneten Gruppierungen liegt. Eine stabile politische und wirtschaftliche Lage ist nicht vorhanden: Mangelhafte Grundversorgung, fehlende öffentliche Gelder für medizinische Versorgung und für Bildung, eine äußerst eingeschränkte Stromversorgung und Korruption sind verbreitete Probleme. Im Süden/Südwesten Syriens kam es in den Jahren 2020 und 2021 aufgrund großer Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dem syrischen Regime, vor allem aufgrund fehlender Grundversorgung, nicht eingehaltener Abmachungen im Rahmen von „Versöhnungsabkommen“ und einer Zunahme an anhaltenden Verhaftungswellen, Gewaltausübung und gezielten Tötungen vermehrt zu Demonstrationen, Unruhen sowie bewaffneten Auseinandersetzungen, Anschlägen und gezielten Tötungen. Auch im Zeitraum August bis September 2022 meldete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in den Gouvernements Quneitra, Dara‘a und Suweida anhaltende Sicherheitsbedrohungen, darunter Angriffe mit improvisierten Sprengsätzen, gezielte Tötungen, Entführungen, Schusswechsel und kleinere Zusammenstöße. Die Sicherheitsbedrohungen führen zu anhaltender Gewalt und Belagerungen von Städten durch die Streitkräfte der syrischen Regierung, insbesondere im Gouvernement Dara’a. Ein Grund für die steigende Gewalt im südlichen Syrien ist der Drogenschmuggel, der zugenommen hat. Auch ist der sogenannte Islamische Staat (IS) nicht völlig aus Syrien verschwunden und operiert in verstreuten Gebieten wie z. B. Dara’a und in der syrischen Wüste. Zu Jahresende 2022 litt der Süden Syriens außerdem unter der schlimmsten Treibstoffknappheit seit Langem, nachdem das Regime die Treibstoffzuteilungen für die Gemeinden im Süden gekürzt hatte. Die sich verschärfenden Engpässe brachten den Verkehr in der Provinz praktisch zum Erliegen. Die Unzufriedenheit über diese Zustände mündete im August 2023 in einer großen Protestwelle in Suweida und Dara’a, die auch in anderen Landesteilen Nachahmer fand. Die Forderungen der Demonstranten reichen von der Verbesserung der Lebensbedingungen bis zum Sturz Assads und dem Abzug der ausländischen Truppen in Syrien. Die syrische Regierung reagierte nicht auf die Proteste, nur in der Provinz Suweida schossen Sicherheitsbeamte der Baath-Partei auf Demonstranten. Mehrere Personen wurden dabei verletzt. Die Demonstranten schlossen die Parteizentrale daraufhin. Das Auswärtige Amt hingegen gibt an, dass die syrische Regierung nur in Dara’a gewaltsam gegen die Demonstrierenden vorging (LIB).
Die Provinz Dara’a
Das Gouvernement Dara’a, wo 2011 die ersten Proteste gegen die Assad-Regierung begannen, spielte als Hochburg der Opposition eine wichtige Rolle in dem Konflikt. Im Juli 2017 wurde dort eine Deeskalationszone eingerichtet, dennoch startete die syrische Regierung im Juni 2018 eine Offensive zur Rückeroberung der Provinzen Quneitra und Dara’a. Im Rahmen dieser Offensive erlaubten die Regierungen Syriens und Russlands einigen Oppositionskämpfern sogenannte ’Versöhnungsabkommen’ zu schließen. Diese Abkommen erlaubten es den meisten regierungsfeindlichen Kämpfern, ihre leichten Waffen zu behalten, sahen einen Überprüfungsprozess vor, um Personen von Anschuldigungen durch die Geheimdienste freizusprechen, und setzten die Wehrpflicht für diejenigen, die noch zum Militärdienst verpflichtet waren, um sechs Monate aus. Tausende von Kämpfern, die früher mit der bewaffneten Opposition in Verbindung standen, durften daher aktiv bleiben, mussten aber theoretisch die Herrschaft der Regierung über das Gouvernement akzeptieren. Anderen Kämpfern und Zivilisten wurde die Möglichkeit gegeben, in von oppositionellen Gruppen kontrollierte Gebiete im Norden Syriens zu ziehen. Die Regelung des Status ist zwar eine nominelle Begnadigung, garantiert aber in der Praxis nicht die Sicherheit der Betroffenen vor dem Regime. Trotz dieser Regelungen sind die Menschen in Dara’a willkürlichen Verhaftungen und Entführungen ausgesetzt. Durch die Einberufung von sogenannten ’versöhnten’ Personen kann das Regime unerwünschte ehemalige Oppositionelle aus Dara’a entfernen, und so die künftige Opposition schwächen. In der Vergangenheit wurden ’versöhnte’ Personen oft auf die gefährlichsten Posten an die Front in Syrien geschickt (LIB).
Die Bevölkerung im Gouvernement Dara’a lehnte das Ergebnis der Präsidentschaftswahl vom Mai 2021 ab. In der Zeit vor den Präsidentschaftswahlen im Mai 2021 kam es vermehrt zu Attentaten und Mordversuchen. Die allgemeine Zunahme der Gewalt ging mit der Weigerung mehrerer Gemeinschaften einher, an den Wahlen teilzunehmen. In Tafas, Dara’a al-Balad und Busra ash-Sham wurde nicht gewählt, um gegen die Regierung zu protestieren und den Wunsch nach Halbautonomie im Gouvernement zu unterstreichen. Die Regierung schränkte daraufhin die Mobilität in der Stadt Dara’a ein, reduzierte die Stromversorgung in den Gebieten, in denen Versöhnungsabkommen geschlossen wurden, und widerrief die Reisegenehmigung für ’versöhnte’ Kämpfer. In Folge kam es in und um die Provinzhauptstadt Dara’a im Juli und August 2021 zu den schwersten Auseinandersetzungen seit 2018 zwischen Regimetruppen sowie Iran-nahen Milizen einerseits und lokalen bewaffneten Gruppierungen (sogenannte versöhnte Rebellen) andererseits. Zwischen Juni und September 2021 führten die syrischen Streitkräfte und mit ihnen verbündete Milizen Dutzende willkürliche Angriffe auf bewohnte Gebiete in Dara’a aus, während die gegnerischen Kämpfer Gebiete unter Regimekontrolle angriffen, was dort zivile Opfer verursachte. Bei den Kämpfen wurde ein Gebiet mit 55.000 Einwohnern belagert und mehr als 38.000 Menschen vertrieben. Vom 24.6.2021 bis zum 9.9.2021 wurde Dara’a al-Balad von der syrischen Regierung und russischen Streitkräften belagert, die den Zugang zu Lebensmitteln und anderen lebensnotwendigen Gütern blockierten und zeitweise Strom und Wasser abschalteten. Am 29.7.2021 begann das syrische Regime eine Bodenoffensive gegen Dara’a al-Balad und versuchte, das Viertel durch Aushungern und Beschuss zu unterwerfen. In den folgenden Wochen kam es zu schweren Kämpfen zwischen den beiden Seiten. Die Belagerung führte zu Engpässen bei Lebensmitteln, Treibstoff und Medikamenten. Am 8.9.2021 wurde ein ’Versöhnungsabkommen’ in Dara’a erzielt. Dutzende Syrer, welche dies verweigerten, wurden nach Idlib transferiert. Die Garantien in den ’Versöhnungsabkommen’ bieten nicht den nötigen Schutz für die Betroffenen. Nach dem Versöhnungsabkommen wurden die Regierungstruppen und die Kontrollpunkte verstärkt, die Meinungsfreiheit weiter eingeschränkt, und mehrere ehemalige Oppositionskämpfer und Zivilisten verhaftet. In den Monaten nach der Versöhnungsvereinbarung gab es mehrere Berichte über Repressalien gegen Zivilisten und andere Personen, einschließlich derer, die sich geweigert hatten, sich an der Versöhnungsvereinbarung zu beteiligen. Diese Repressalien bestanden aus Drohungen, Verhaftungen und Mord (LIB).
Im Juli 2022 kam es im Gouvernement Dara’a erneut zum Beschuss von zivilen Gebieten durch Regimetruppen, darunter die Orte Tafas und al-Yadouda. Laut Berichten lokaler Organisationen forderte dies Todesopfer in zweistelliger Höhe. Der Ort Tafas wurde Ziel des Einsatzes schwerer Waffen durch Regimetruppen, was einen Exodus aus der Stadt zur Folge hatte. Nach einem Waffenstillstandsabkommen zog sich zwar das Regime aus Tafas zurück, aber initiierte weiterhin militärische Eskalationen gegen vormals oppositionelle Ortschaften im Westen des Gouvernements und belegte die Stadt Jasim mit einer Blockade. Im August drohte das Regime auch mit einer Militäroperation, falls gesuchte Personen in der Stadt Dara’a ihm nicht innerhalb von 48 Stunden übergeben würden. Nach gescheiterten Verhandlungen brachen Kämpfe aus (LIB).
Seit Anfang 2022 kommt es in Dara’a vermehrt zu Ermordungen im Zusammenhang mit Drogenhandel. Die Täter bleiben meist unbekannt. Die lokale Bevölkerung ist zunehmend entschlossener, dem Drogenhandel in der Provinz ein Ende zu setzen und die Sache in die eigene Hand zu nehmen. Einige der im Zusammenhang mit dem Drogenhandel von Unbekannten getöteten Personen, hatten eine Verbindung zum Syrischen Regime, beispielsweise zu Geheimdienst- und Militäreinheiten (LIB).
Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) beobachtete im Oktober 2022 eine Verschlechterung der Sicherheitslage in der Provinz Dara’a, weil es dort zu einer Eskalation von Ausschreitungen kam. In diesem Zusammenhang haben Aktivisten der SOHR zwischen dem 1.10.2022 und dem 31.10.2022 55 Angriffe in verschiedenen Gebieten der Provinz Dara’a dokumentiert. Mitte Oktober 2022 kam es zu einem Gefecht in dem südlichen Dorf Jasim in Dara’a, bei dem syrische „versöhnte“ Rebellen eine Gruppe von IS-Kämpfern töteten. Bei diesem Einsatz wurde auch der ehemalige IS-Anführer Abu al-Hassan al-Hashimi al-Quraishi getötet. Der IS unterhält weiterhin geschätzt mehrere Hundert Kämpfer in Dara’a. Im Juni 2023 sollen auch Führungspersönlichkeiten aus Nordwestsyrien nach Dara’a verlegt worden sein (LIB).
Die Spannungen zwischen der ehemaligen Opposition und den Streitkräften der Regierung halten an, was zu einer Vielzahl von Morden durch nicht identifizierte Akteure geführt hat. Befragte aus Dara’a berichteten Human Rights Watch, dass Mitglieder der syrischen Sicherheitskräfte, regierungsnahe Milizen und Oppositionsgruppen an gezielten Tötungen und Entführungen beteiligt waren. Obwohl die Täter nicht bekannt sind, beschuldigen sich die Regierungstruppen und die ehemaligen Oppositionsvertreter gegenseitig der Anschläge. Während des Zeitraums von Juli bis September 2022 kam es zu einer starken Zunahme von mindestens 119 Angriffen auf ehemalige Oppositionskämpfer und Soldaten der Regierung im Süden Syriens durch nicht identifizierte Täter. 103 Angriffe (86 Prozent) fanden im Gouvernement Dara’a statt (LIB).
Attentate auf Mitglieder der syrischen Streitkräfte und gegen ehemalige Kämpfer der Opposition werden in der Statistik des Carter Center im Mai 2023 vor allem in Dara’a verortet (LIB).
1.3.3. Sicherheitsbehörden und regierungstreue Milizen – Letzte Änderung: 08.03.2024
Der Präsident stützt seine Herrschaft auf die Loyalität der Streitkräfte sowie die militärischen und zivilen Geheimdienste. Die Befugnisse dieser Dienste, die von engen Vertrauten des Präsidenten geleitet werden und sich auch gegenseitig kontrollieren, unterliegen keinen definierten Beschränkungen. Die Regierung hat die effektive Kontrolle über die uniformierten Polizei-, Militär- und Staatssicherheitskräfte, und setzt diese zur Ausübung von Menschenrechtsverletzungen ein. Sie hat jedoch nur beschränkten Einfluss auf ausländische militärische oder paramilitärische Einheiten, z. B. russische Streitkräfte, die mit dem Iran verbündete Hizbollah und die iranischen Islamischen Revolutionsgarden, deren Mitglieder ebenfalls zahlreiche Menschenrechtsverletzungen begingen (LIB).
Straflosigkeit unter den Sicherheitsbehörden bleibt ein weitverbreitetes Problem bei Sicherheitskräften, NachrichtendienstmitarbeiterInnen und auch sonst innerhalb des Regimes. In der Praxis sind keine Fälle von Strafverfolgung oder Verurteilung von Polizei- und Sicherheitskräften hinsichtlich Misshandlungen bekannt. Es gibt auch keine Berichte von Maßnahmen der Regierung, um die Einhaltung der Menschenrechte durch die Sicherheitskräfte zu verbessern, wenngleich im März 2022 ein neues Gesetz gegen Folter verabschiedet wurde. Verschiedene Teile des Sicherheitsapparats wie die Streitkräfte sind de facto weiterhin von Strafverfolgung ausgenommen - ebenso wie Gefängnisse, wo Zehntausende gefoltert wurden und werden, was durch Dekrete gedeckt ist, während die Berichterstattung über Menschenrechtsverletzungen kriminalisiert wird. Die Nachrichtendienste haben ihre traditionell starke Rolle verteidigt oder sogar weiter ausgebaut und greifen in die Unabhängigkeit des Justizwesens ein, indem sie RichterInnen und AnwältInnen einschüchtern. Durch die Entwicklungen der letzten Jahre sind die Schutzmöglichkeiten des Individuums vor staatlicher Gewalt und Willkür – welche immer schon begrenzt waren – weiterhin deutlich verringert worden (LIB).
Es ist schwierig, Informationen über die Aktivitäten von spezifischen Regierungs- oder regierungstreuen Einheiten zu spezifischen Zeiten oder an spezifischen Orten zu finden, weil die Einheiten seit dem Beginn des Bürgerkrieges oft zu Einsätzen organisiert („task-organized“), bzw. aufgeteilt oder für spezielle Einsätze mit anderen Einheiten zusammengelegt werden. Berichte sprechen oft von einer speziellen Militäreinheit an einem bestimmten Einsatzort (z. B. einer Brigade), wobei die genannte Einheit aus Teilen mehrerer verschiedener Einheiten nur für diesen speziellen Einsatz oder eine gewisse Zeit zusammengestellt wurde (LIB).
Trotz grob abgesteckter Einflussgebiete überschneiden sich die Gebiete der Sicherheitsorgane und ihrer Milizen, und es herrscht Konkurrenz um Checkpoints und Handelsrouten, wo sie von passierenden ZivilistInnen und Geschäftsleuten Geld einnehmen, sowie um Gebiete, welche Rekrutierungspools von ehemaligen Oppositionskämpfern darstellen. Die Spannungen zwischen Offizieren, Soldaten, Milizionären und lokaler Polizei eskalieren in Verhaftungen niederrangiger Personen, Angriffen und Zusammenstößen sowie Anschuldigungen zufolge in Ermordungen der von der Konkurrenz angeworbenen „versöhnten“ ehemaligen Oppositionskämpfer. So ist z. B. Aleppo Stadt Schauplatz fallweiser Zusammenstöße zwischen Regierungsmilizen untereinander und mit Regierungssoldaten (LIB).
1.3.3.1. Streitkräfte – Letzte Änderung: 17.07.2023
Die syrischen Streitkräfte bestehen aus dem Heer, der Marine, der Luftwaffe, den Luftabwehrkräften und den National Defense Forces (NDF, regierungstreue Milizen und Hilfstruppen). Aktuelle Daten zur Anzahl der Soldaten in der syrischen Armee existieren nicht. Vor dem Konflikt soll die aktive Truppenstärke geschätzt 300.000 Personen umfasst haben. Zu Jahresbeginn 2013 war etwa ein Viertel bis ein Drittel aller Soldaten, Reservisten und Wehrpflichtigen desertiert, bzw. zur Opposition übergelaufen (zwischen 60.000-100.000 Mann). Weitere rund 50.000 Soldaten fielen durch Verwundung, Invalidität, Haft oder Tod aus. Letztlich konnte das Regime 2014 nur mehr auf rd. 70.000 bis 100.000 loyale und mittlerweile auch kampferprobte Soldaten zurückgreifen. 2014 begann die syrische Armee mit Reorganisationsmaßnahmen, und seit 2016 werden irreguläre Milizen in die regulären Streitkräfte integriert, in einem Ausmaß, das je nach Quelle unterschiedlich eingeschätzt wird. Mit Stand Dezember 2022 werden die regulären syrischen Streitkräfte immer noch von regierungsfreundlichen, proiranischen Milizen unterstützt, deren Truppenstärke in die Zehntausende gehen dürfte. Das Offizierskorps gilt in den Worten von Kheder Khaddour als kleptokratisch, die die Armee als Institution ausgehöhlt. Den Offizieren bleibt nichts übrig, als sich an den Regimenetzwerken zu beteiligen und mit Korruption ihre niedrigen Gehälter aufzubessern. Die Praxis der Bestechung der Offiziere durch Rekruten gegen ein Decken ihrer Abwesenheit vom Dienst durch Offiziere ist so verbreitet, dass sie im Sprachgebrauch als tafyeesh oder feesh (Bezeichnung für den Personalakt, der bei einem Offizier aufliegt) bezeichnet wird. Auch der Einsatz von Rekruten für private Arbeiten für die Offiziere und deren Familien kommt vor - ebenso wie die Annahme von Geschenken oder lokalen Lebensmittelspezialitäten. Die Höhe der Geldsummen für Tafyeesh [Anm.: im Artikel auf eingezogene Reservisten und Soldaten bezogen] variieren zwar nach Einheit und Offizier, aber aufgrund der Verschlechterung der Lebensbedingungen und der zunehmenden geheimdienstlichen Kontrolle über die Militäreinheiten stiegen die verlangten Preise für Tafyeesh seit Anfang 2023, was diejenigen, welche sich dies nicht mehr leisten konnte, dazu veranlasste, zu ihren Einheiten zurückzukehren. Der Hintergrund für die monetäre Abgeltung für das Decken der abwesenden Soldaten durch ihre Offiziere ist, dass die Militärs mindestens zweimal so viel Geld benötigen, als die Löhne im öffentlichen Dienst ausmachen, um den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien abzudecken. Das führt dazu, dass Männer im Reserve- oder Militärdienst (retention service) mit unbestimmter Dauer auf Tafyeesh zurückgreifen. Einem Präsidialdekret von Ende Dezember 2022 zufolge verdient z.B. ein Oberleutnant regulär umgerechnet 17 US-Dollar monatlich und ein Brigadegeneral 43,5 US Dollar pro Monat, während SoldatInnen entsprechend weniger verdienen als die Offiziersränge. Aufgrund der Stationierung (Hauptquartier u.a.) von Divisionen in bestimmten Gebieten im Rahmen des Quta’a- Systems [arab. Sektor, Landstück] verfügen die Divisionskommandanten über viel Freiraum in ihrer Befehlsgewalt wie auch für persönliche Vorteile. Diese Strukturierung kann von Bashar als-Assad auch genutzt werden, den Einfluss einzelner Divisionskommandeure einzuschränken, indem er sie gegeneinander ausspielt, um so das System auch zur Prävention von Militärputschen zu nutzen (LIB).
Die syrische Armee war der zentrale Faktor für das Überleben des Regimes während des Bürgerkriegs. Im Laufe des Krieges hat ihre Kampffähigkeit jedoch deutlich abgenommen und mit Stand September 2022 war die syrische Armee in jeglicher Hinsicht grundsätzlich auf die Unterstützung Russlands, Irans bzw. sympathisierender, vornehmlich schiitischer Milizen angewiesen – d. h. ein eigenständiges Handeln, Durchführung von Militäroperationen usw. durch Syrien sind nicht oder nur in äußerst eingeschränktem Rahmen möglich (LIB).
Das syrische Regime und damit auch die militärische Führung unterscheiden nicht zwischen Zivilbevölkerung und ’rein militärischen Zielen’. Nach Experteneinschätzung trägt jeder, der in der syrischen Armee oder Luftwaffe dient, per defintionem zu Kriegsverbrechen bei, denn das Regime hat in keiner Weise gezeigt, dass es das Kriegsrecht oder das humanitäre Recht achtet. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass eine Person in eine Einheit eingezogen wird, auch wenn sie das nicht will, und somit in einen Krieg, in dem die Unterscheidung zwischen Zivilisten und Kämpfern nicht wirklich ernst genommen wird. Soldaten können in Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen verwickelt sein, weil das Militär in Syrien auf persönlichen Vertrauensbeziehungen, manchmal auch auf familiären Netzwerken innerhalb des Militärs beruht. Diejenigen, die Verbrechen begehen, handeln innerhalb eines vertrauten Netzwerks von Soldaten, Offizieren, Personen mit Verträgen mit der Armee und Zivilisten, die mit ihnen als nationale Verteidigungskräfte oder lokale Gruppen zusammenarbeiten (LIB).
1.3.4. Die syrischen Streitkräfte – Wehrdienst – Letzte Änderung: 11.03.2024
1.3.4.1. Rechtliche Bestimmungen
Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes verpflichtend. Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Art. 4 lit b gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren. Die Dauer des Wehrdienstes beträgt 18 Monate bzw. 21 Monate für jene, die die fünfte Klasse der Grundschule nicht abgeschlossen haben. Polizeidienst wird im Rahmen des Militärdienstes organisiert. Eingezogene Männer werden entweder dem Militär oder der Polizei zugeteilt. In der Vergangenheit wurde es auch akzeptiert, sich, statt den Militärdienst in der syrischen Armee zu leisten, einer der bewaffneten regierungsfreundlichen Gruppierung anzuschließen. Diese werden inzwischen teilweise in die Armee eingegliedert, jedoch ohne weitere organisatorische Integrationsmaßnahmen zu setzen oder die Kämpfer auszubilden. Wehrpflichtige und Reservisten können im Zuge ihres Wehrdienstes bei der Syrischen Arabischen Armee (SAA) auch den Spezialeinheiten (Special Forces), der Republikanischen Garde oder der Vierten Division zugeteilt werden, wobei die Rekruten den Dienst in diesen Einheiten bei Zuteilung nicht verweigern können. Um dem verpflichtenden Wehrdienst zu entgehen, melden sich manche Wehrpflichtige allerdings aufgrund der höheren Bezahlung auch freiwillig zur Vierten Division, die durch die von ihr kontrollierten Checkpoints Einnahmen generiert. Die 25. (Special Tasks) Division (bis 2019: Tiger Forces) rekrutiert sich dagegen ausschließlich aus Freiwilligen (LIB).
Ausnahmen von der Wehrpflicht bestehen für Studenten, Staatsangestellte, aus medizinischen Gründen und für Männer, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Insbesondere die Ausnahmen für Studenten können immer schwieriger in Anspruch genommen werden. Fallweise wurden auch Studenten eingezogen. In letzter Zeit mehren sich auch Berichte über die Einziehung von Männern, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Einer vertraulichen Quelle des niederländischen Außenministeriums zufolge sollen Männer auch unabhängig ihres Gesundheitszustandes eingezogen und in der Verwaltung eingesetzt worden sein (LIB).
Die im März 2020, Mai 2021 und Jänner 2022 vom Präsidenten erlassenen Generalamnestien umfassten auch einen Straferlass für Vergehen gegen das Militärstrafgesetz, darunter Fahnenflucht. Die Verpflichtung zum Wehrdienst bleibt davon unberührt (LIB).
Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert. Auch geflüchtete Syrer, die nach Syrien zurückkehren, müssen mit Zwangsrekrutierung rechnen. Laut Berichten und Studien verschiedener Menschenrechtsorganisationen ist für zahlreiche Geflüchtete die Gefahr der Zwangsrekrutierung neben anderen Faktoren eines der wesentlichen Rückkehrhindernisse (LIB).
Die Umsetzung
Bei der Einberufung neuer Rekruten sendet die Regierung Wehrdienstbescheide mit der Aufforderung, sich zum Militärdienst anzumelden, an Männer, die das wehrfähige Alter erreicht haben. Die Namen der einberufenen Männer werden in einer zentralen Datenbank erfasst. Männer, die sich beispielsweise im Libanon aufhalten, können mittels Bezahlung von Bestechungsgeldern vor ihrer Rückkehr nach Syrien überprüfen, ob sich ihr Name in der Datenbank befindet. Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Wehrbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsätzen verbunden sind, ableisten. Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. Die Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen (LIB).
Sollte ein junger Mann es verabsäumen, innerhalb der gesetzten Fristen bei der Rekrutierungsabteilung oder in weiterer Folge beim Ausbildungszentrum zu erscheinen, wird sein Name in einer nationalen Datenbank von Männern, die für den Militärdienst gesucht werden, registriert und der Mann wird als Wehrdienstverweigerer betrachtet. Manchmal werden junge Männer vom Bürgermeister oder der Militärpolizei benachrichtigt, dass sie zum Militärdienst einberufen sind, bevor sie auf die Liste der Wehrdienstverweigerer kommen (ACCORD).
Die Fahndungsliste der Wehrdienstverweigerer wird in der Regel an Kontrollpunkten (Checkpoints) und in Ämtern der öffentlichen Verwaltung verteilt. Wenn ein Wehrdienstverweigerer Kontrollpunkte passiert oder einen Behördengang tätigt, wird er festgenommen und direkt zur militärischen Ausbildung geschickt. In den Gebieten unter Regierungskontrolle gibt es eine Vielzahl an Kontrollpunkten. Ein syrischer Wissenschaftler erklärt gegenüber European Union Agency for Asylum (EUAA), dass es sich bei den meisten Kontrollpunkten in Damaskus um mobile Checkpoints handelt, die hauptsächlich von der Militärpolizei besetzt und häufig in Gebieten positioniert sind, wo sich viele junge Männer aufhalten. Rekrutierungen finden außerdem an Universitäten und Krankenhäusern statt. Auch an Grenzübergängen werden Wehrpflichtige eingezogen. In ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten, wie der Provinz Rif Dimashq, sendet die Armee Listen mit zur Wehrpflicht gesuchten Personen an die Polizei in der Region. Diese Listen werden dann bei staatlichen Institutionen ausgehängt und den Beamten an Kontrollpunkten übermittelt. Viele Männer, die in ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten leben, wurden als Teil von Versöhnungsvereinbarungen rekrutiert. Als Teil der Vereinbarungen sollte es eine sechsmonatige Schonfrist geben. Die Regierung habe sich jedoch wiederholt nicht an die Frist gehalten und Männer verhaftet und rekrutiert, bevor die sechs Monate abgelaufen waren (ACCORD).
Obwohl die offizielle Wehrdienstzeit etwa zwei Jahre beträgt, werden Wehrpflichtige in der Praxis auf unbestimmte Zeit eingezogen, wobei zuletzt von einer „Verkürzung“ des Wehrdienstes auf 7,5 Jahre berichtet wurde. Die tatsächliche Dauer richtet sich laut UNHCR Syrien jedoch nach Rang und Funktion der Betreffenden. Personen, die aufgrund ihrer besonderen Fachkenntnisse von großem Wert für die Armee und nur schwer zu ersetzen sind, können daher über Jahre hinweg im Militärdienst gehalten werden. Personen, deren Beruf oder Fachwissen in der Gesellschaft sehr gefragt ist, wie z.B. Ärzte, dürfen eher nach Ablauf der offiziellen Militärdienstzeit ausscheiden (LIB).
Seit März 2020 hat es in Syrien keine größeren militärischen Offensiven an den offiziellen Frontlinien mehr gegeben. Scharmützel, Granatenbeschuss und Luftangriffe gingen weiter, aber die Frontlinien waren im Grunde genommen eingefroren. Nach dem Ausbruch von COVID-19 und der Einstellung größerer Militäroperationen in Syrien Anfang 2020 verlangsamten sich Berichten zufolge die militärischen Rekrutierungsmaßnahmen der SAA. Die SAA berief jedoch regelmäßig neue Wehrpflichtige und Reservisten ein. Im Oktober 2021 wurde ein Rundschreiben herausgegeben, in dem die Einberufung von männlichen Syrern im wehrpflichtigen Alter angekündigt wurde. Auch in den wiedereroberten Gebieten müssen Männer im wehrpflichtigen Alter den Militärdienst ableisten. Der Personalbedarf des syrischen Militärs bleibt aufgrund von Entlassungen langgedienter Wehrpflichtiger und zahlreicher Verluste durch Kampfhandlungen unverändert hoch (LIB).
1.3.4.2. Wehrdienstverweigerung – Letzte Änderung: 12.03.2024
Als der syrische Bürgerkrieg 2011 begann, hatte die syrische Regierung Probleme, Truppen bereitzustellen, um bewaffneten Rebellengruppen entgegentreten zu können. Die Zahl der Männer, die den Wehr- oder Reservedienst verweigerten, nahm deutlich zu. Eine große Zahl von Männern im wehrfähigen Alter floh entweder aus dem Land, schloss sich der bewaffneten Opposition an, oder tauchte unter. Zwischen der letzten Hälfte des Jahres 2011 bis zum Beginn des Jahres 2013 desertierten Zehntausende Soldaten und Offiziere, flohen oder schlossen sich bewaffneten aufständischen Einheiten an. Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2013 sind jedoch nur wenige Fälle von Desertion bekannt und vergleichsweise wenige wurden nach diesem Zeitpunkt deswegen verhaftet (LIB).
In Syrien besteht keine Möglichkeit der legalen Wehrdienstverweigerung. Auch die Möglichkeit eines (zivilen) Ersatzdienstes gibt es nicht. Es gibt in Syrien keine reguläre oder gefahrlose Möglichkeit, sich dem Militärdienst durch Wegzug in andere Landesteile zu entziehen. Beim Versuch, sich dem Militärdienst durch Flucht in andere Landesteile, die nicht unter Kontrolle des Regimes stehen, zu entziehen, müssten Wehrpflichtige zahlreiche militärische und paramilitärische Kontrollstellen passieren, mit dem Risiko einer zwangsweisen Einziehung, entweder durch die syrischen Streitkräfte, Geheimdienste oder regimetreue Milizen. Männern im wehrpflichtigen Alter ist die Ausreise verboten. Der Reisepass wird ihnen vorenthalten und Ausnahmen werden nur mit Genehmigung des Rekrutierungsbüros, welches bescheinigt, dass der Wehrdienst geleistet wurde, gewährt (LIB).
Der verpflichtende Militärdienst führt weiterhin zu einer Abwanderung junger syrischer Männer, die vielleicht nie mehr in ihr Land zurückkehren werden (LIB).
Haltung des Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern
In dieser Frage gehen die Meinungen zum Teil auseinander: Manche Experten gehen davon aus, dass Wehrdienstverweigerung vom Regime als Nähe zur Opposition gesehen wird. Bereits vor 2011 war es ein Verbrechen, den Wehrdienst zu verweigern. Nachdem sich im Zuge des Konflikts der Bedarf an Soldaten erhöht hat, wird Wehrdienstverweigerung im besten Fall als Feigheit betrachtet und im schlimmsten im Rahmen des Militärverratsgesetzes (qanun al-khiana al-wataniya) behandelt. In letzterem Fall kann es zur Verurteilung vor einem Feldgericht und Exekution kommen oder zur Inhaftierung in einem Militärgefängnis. Loyalität ist hier ein entscheidender Faktor: Wer sich dem Wehrdienst entzogen hat, hat sich als illoyal erwiesen. Rechtsexperten der Free Syrian Lawyers Association (FSLA) mit Sitz in der Türkei beurteilen, dass das syrische Regime die Verweigerung des Militärdienstes als schweres Verbrechen betrachtet und die Verweigerer als Gegner des Staates und der Nation behandelt. Dies spiegelt die Sichtweise des Regimes auf die Opposition wie auch jede Person wider, die versucht, sich seiner Politik zu widersetzen oder ihr zu entkommen. Der Syrien-Experte Fabrice Balanche sieht die Haltung des Regimes Wehrdienstverweigerern gegenüber als zweischneidig, weil es einerseits mit potenziell illoyalen Soldaten, die die Armee schwächen, nichts anfangen kann, und sie daher besser außer Landes sehen will, andererseits werden sie inoffiziell als Verräter gesehen, da sie sich ins Ausland gerettet haben, statt „ihr Land zu verteidigen“. Wehrdienstverweigerung wird aber nicht unbedingt als oppositionsnahe gesehen. Das syrische Regime ist sich der Tatsache bewusst, dass viele junge Männer nach dem Studium das Land verlassen haben, einfach um nicht zu sterben. Daher wurde die Möglichkeit geschaffen, sich frei zu kaufen, damit die Regierung zumindest Geld in dieser Situation einnehmen kann. Hinzu kommen Ressentiments der in Syrien verbliebenen Bevölkerung gegenüber Wehrdienstverweigerern, die das Land verlassen haben und sich damit „gerettet“ haben, während die verbliebenen jungen Männer im Krieg ihr Leben riskiert bzw. verloren haben. Ein für eine internationale Forschungsorganisation mit Schwerpunkt auf den Nahen Osten tätiger Syrienexperte, der allerdings angibt, dazu nicht eigens Forschungen durchgeführt zu haben, geht davon aus, dass das syrische Regime möglicherweise am Anfang des Konflikts, zwischen 2012 und 2014, Wehrdienstverweigerer durchwegs als oppositionell einstufte, inzwischen allerdings nicht mehr jeden Wehrdienstverweigerer als oppositionell ansieht. Gemäß Auswärtigem Amt legen einige Berichte nahe, dass Familienangehörige von Deserteuren und Wehrdienstverweigerern ebenfalls Verhören und Repressionen der Geheimdienste ausgesetzt sein könnten (LIB).
Handhabung
Manche Quellen berichten, dass Wehrdienstverweigerung für sich genommen momentan nicht zu Repressalien für die Familienmitglieder der Betroffenen führen. Hingegen berichten mehrere andere Quellen von Repressalien gegenüber Familienmitgliedern von Wehrdienstverweigerern, wie Belästigung, Erpressung, Drohungen, Einvernahmen und Haft. Eine Quelle berichtete sogar von Folter. Betroffen sind vor allem Angehörige ersten Grades. Insbesondere die politische oder militärische Haltung gegenüber der Syrischen Regierung wirkt sich auf die Art der Behandlung der Familie des Wehrdienstverweigerers aus. Familien von (LIB).
Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen berichtete im zweiten Halbjahr 2022 weiterhin von willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen durch die Regierungskräfte, darunter auch von Personen, die sich zuvor mit der Regierung „ausgesöhnt“ hatten (LIB).
Gesetzliche Lage
Wehrdienstentzug wird gemäß dem Militärstrafgesetzbuch bestraft. In Art. 98-99 ist festgehalten, dass mit einer Haftstrafe von einem bis sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft wird, wer sich der Einberufung entzieht (LIB).
Handhabung
Die Gesetzesbestimmungen werden nicht konsistent umgesetzt, und die Informationslage bezüglich konkreter Fälle von Bestrafung von Wehrdienstverweigerern und Deserteuren ist eingeschränkt, da die syrischen Behörden hierzu keine Informationen veröffentlichen. Manche Quellen geben an, dass Betroffene sofort oder nach einer kurzen Haftstrafe (einige Tage bis Wochen) eingezogen werden, sofern sie in keinerlei Oppositionsaktivitäten involviert waren. Andere geben an, dass Wehrdienstverweigerer von einem der Nachrichtendienste aufgegriffen und gefoltert oder "verschwindengelassen" werden können. Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab (LIB).
Es gibt verschiedene Meinungen darüber, ob Wehrdienstpflichtige zurzeit sofort eingezogen, oder zuerst inhaftiert und dann eingezogen werden: Laut Balanche ist der Bedarf an Soldaten weiterhin hoch genug, dass man wahrscheinlich nicht inhaftiert, sondern mit mangelhafter oder ohne Ausbildung direkt an die Front geschickt wird. Die Strafe für Wehrdienstentzug ist oft Haft und im Zuge dessen auch Folter. Während vor ein paar Jahren Wehrdienstverweigerer bei Checkpoints meist vor Ort verhaftet und zur Bestrafung direkt an die Front geschickt wurden (als "Kanonenfutter"), werden Wehrdienstverweigerer derzeit laut Uğur Üngör wahrscheinlich zuerst verhaftet. Seit die aktivsten Kampfgebiete sich beruhigt haben, kann das Regime es sich wieder leisten, Leute zu inhaftieren (Gefängnis bedeutet immer auch Folter, Wehrdienstverweigerer würden hier genauso behandelt wie andere Inhaftierte oder sogar schlechter). Dem hingegegn gibt ein von EUAA interviewter Experte an, dass Wehrdienstverweigerer, die von der syrischen Regierung gefasst werden, der Militärpolizei übergeben werden und schließlich in Trainingslager zur Ausbildung und Stationierung gesendet werden. Bis zum Beginn einer Wehrdienstausbildung, die normalerweise im April und September geplant sind, bleibt der Wehrdienstverweigerer bei der Militärpolizei. Selbst für privilegierte Personen mit guten Verbindungen zum Regime ist es nicht möglich, als Wehrdienstverweigerer nach Syrien zurückzukommen - es müsste erst jemand vom Geheimdienst seinen Namen von der Liste gesuchter Personen löschen. Auch nach der Einberufung ist davon auszugehen, dass Wehrdienstverweigerer in der Armee unmenschliche Behandlung erfahren werden. Laut Kheder Khaddour würde man als Wehrdienstverweigerer wahrscheinlich ein paar Wochen inhaftiert und danach in die Armee eingezogen. Auch einige Quellen des Danish Immigration Service geben an, dass Wehrdienstverweigerer mit einer Haftstrafe von bis zu neun Monaten rechnen müssen. Andere Quellen des Danish Immigration Service wiederum berichteten, dass Wehrdienstverweigerer direkt zum Wehrdienst eingezogen, ohne vorher inhaftiert zu werden. Wer an einem Checkpoint als Wehrdienstverweigerer erwischt wird, wird dem Geheimdienst übergeben. Ein Wehrdienstverweigerer, der nicht aus anderen Gründen gesucht wird, wird dem Militär zur Ableistung des Wehrdienstes übergeben. Wehrdienstverweigerer werden meist direkt an die Front geschickt. Wehrdienstverweigerer aus den Gebieten, die von der Opposition kontrolliert wurden, werden dabei mit größerem Misstrauen betrachtet und mit größerer Wahrscheinlichkeit inhaftiert oder verhaftet (LIB).
Manche Quellen berichten, dass Wehrdienstverweigerung und Desertion für sich genommen momentan nicht zu Repressalien für die Familienmitglieder der Betroffenen führen. Hingegen berichten mehrere andere Quellen von Repressalien gegenüber Familienmitgliedern von Deserteuren und Wehrdienstverweigerern, wie Belästigung, Erpressung, Drohungen, Einvernahmen und Haft. Eine Quelle berichtete sogar von Folter. Betroffen sind vor allem Angehörige ersten Grades. Repressalien gegenüber Familienmitgliedern können insbesondere bei Familien von „high profile“-Deserteuren der Fall sein, also z. B. solche Deserteure, die Soldaten oder Offiziere getötet oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben. Weitere Einflussfaktoren sind der Rang des Deserteurs, Wohnort der Familie, der für dieses Gebiet zuständige Geheimdienst und zuständige Offizier sowie die Religionszugehörigkeit der Familie. Insbesondere die politische oder militärische Haltung gegenüber der Syrischen Regierung wirkt sich auf die Art der Behandlung der Familie des Deserteurs bzw. Wehrdienstverweigerer aus. Familien von Deserteuren sind dabei einem höheren Risiko ausgesetzt als jene von Wehrdienstverweigerern (LIB).
Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen berichtete im zweiten Halbjahr 2022 weiterhin von willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen durch die Regierungskräfte, darunter auch von Personen, die sich zuvor mit der Regierung „ausgesöhnt“ hatten. Andere wurden vor der am 21.12.2022 angekündigten Amnestie für Verbrechen der „internen und externen Desertion vom Militärdienst“ aufgrund von Tatbeständen im Zusammenhang mit der Wehrpflicht inhaftiert (LIB).
1.3.5. Bewegungsfreiheit innerhalb Syriens – Letzte Änderung: 13.03.2024
Die Verfassung sieht Bewegungsfreiheit vor, ’außer eine gerichtlichen Entscheidung oder die Umsetzung von Gesetzen’ schränken diese ein. Das Regime, HTS (Hay’at Tahrir ash-Sham) und andere bewaffnete Gruppen sehen Restriktionen bei der Bewegungsfreiheit in ihren jeweiligen Gebieten vor und setzen dazu zur Überwachung Checkpoints ein (LIB).
Regierungsangriffe auf die Provinz Idlib und Teile Südsyriens schränkten die Bewegungsfreiheit ein und führten zu Todesfällen, Hunger und schwerer Mangelernährung, während die Angst vor der Vergeltung der Regierung zur Massenflucht von ZivilistInnen und dem Zusammenbruch u. a. der humanitären Hilfe führte. Im Februar 2022 ergab eine UN-Umfrage, dass 51 Prozent der geprüften Gemeinschaften von Bewegungseinschränkungen betroffen waren (LIB).
Checkpoints werden sowohl von Regimesicherheitskräften sowie lokalen und ausländischen Milizen unterhalten. In den Städten und auf den Hauptverbindungsstraßen Syriens gibt es eine Vielzahl militärischer Kontrollposten der syrischen Sicherheitsbehörden und bewaffneter Milizen, die umfassende und häufig ungeregelte Kontrollen durchführen. Dabei kann es auch zu Forderungen nach Geldzahlungen oder willkürlichen Festnahmen kommen. Insbesondere Frauen sind in diesen Kontrollen einem erhöhten Risiko von Übergriffen ausgesetzt. Auch können Passierende gewaltsam für den Militärdienst eingezogen werden (LIB).
Überlandstraßen und Autobahnen sind zeitweise gesperrt. Reisen im Land ist durch Kampfhandlungen vielerorts weiterhin sehr gefährlich. Es gibt in Syrien eine Reihe von Militärsperrgebieten, die allerdings nicht immer eindeutig gekennzeichnet sind. Darunter fallen auch die zahlreichen Checkpoints der syrischen Armee und Sicherheitsdienste im Land. Für solche Bezirke gilt ein absolutes Verbot, sie zu betreten. Der Begriff der militärischen Einrichtung wird von den syrischen Sicherheitsdiensten umfassend ausgelegt und kann neben klar erkennbaren Kasernen, Polizeistationen und Militärcheckpoints auch schwerer zu identifizierende Infrastruktur wie z. B. Wohnhäuser hochrangiger Personen, Brücken, Rundfunkeinrichtungen oder andere staatliche Gebäude umfassen. Zudem wurden Kontrollpunkte eingerichtet, um diejenigen, die außerhalb der von der Regierung kontrollierten Gebiete leben, am Zugang zu ihren Grundstücken oder Eigentumsdokumenten zu hindern. Es gibt auch Berichte über die Beschlagnahmung von Eigentumsdokumenten und anderen Ausweispapieren an Kontrollpunkten, einschließlich Heiratsurkunden. Dies birgt für Frauen ein besonders hohes Risiko, den Zugang zu ihrem Eigentum zu verlieren, falls das Eigentum auf den Namen des Ehemannes eingetragen ist. Die Regimesicherheitskräfte erpressen Leute an den Checkpoints für eine sichere Passage durch ihre Kontrollpunkte. So werden z. B. an den Checkpoints an der Straße von der jordanisch-syrischen Grenze nach Dara’a üblicherweise Bestechungsgelder eingehoben (LIB).
Die Kontrollpunkte grenzen die Stadtteile voneinander ab. Sie befinden sich auch an den Zugängen zu Städten und größeren Autobahnen wie etwa Richtung Libanon, Flughafen Damaskus, und an der M5-Autobahn, welche von der jordanischen Grenze durch Dara’a, Damaskus, Homs, Hama und Aleppo bis zur Grenze mit der Türkei reicht. Zurückeroberte Gebiete weisen eine besonders hohe Dichte an Checkpoints auf. Die Vierte Division, angeführt von Maher al-Assad, dem Bruder von Bashar al-Assad, übernahm die Kontrolle über alle Transportrouten Richtung Libanon und Jordanien sowie alle Hauptverkehrswege in West- und Süd-Syrien. Eine große Rekrutierungskampagne für die Besatzungen der Kontrollpunkte ist im Gang. Die Checkpoints sichern die Drogentransitrouten [Anm.: Siehe Informationen zu Ceptagon in den jeweiligen Kapiteln] und sind dabei ein Monopol auf Bestechungsgelder für Reisen durch das Land zu schaffen (LIB).
Passierende müssen an den vielen Checkpoints des Regimes ihren Personalausweis und bei Herkunft aus einem wiedereroberten Gebiet auch ihre sogenannte ’Versöhnungskarte’ vorweisen. Die Telefone müssen zur Überprüfung der Telefonate übergeben werden. Es mag zwar eine zentrale Datenbank für gesuchte Personen geben, aber die Nachrichtendienste führen auch ihre eigenen Suchlisten. Seit 2011 gibt es Computer an den Checkpoints und bei Aufscheinen (in der Liste) wird die betreffende Person verhaftet. Personen können beim Passieren von Checkpoints genaueren Kontrollen unterliegen, u. a. wenn sie z. B. aus früher oppositionell-kontrollierten Gebieten stammen oder auch wenn sie Verbindungen zu Personen in Oppositionsgebieten wie Nordsyrien oder zu bekannten oppositionellen Familien haben. Männer im wehrfähigen Alter werden auch hinsichtlich des Status ihres Wehrdienstes gesondert überprüft. Auch eine Namensähnlichkeit mit einer gesuchten Person kann zu Problemen an Kontrollpunkten führen. Die Behandlung von Personen an einem Checkpoint kann sehr unterschiedlich sein, je nachdem, wer ihn kontrolliert. Auch die Laune und die Präferenzen des Kommandanten können eine Rolle spielen (LIB).
Ausländischen DiplomatInnen - einschließlich von der UNO und dem OPCW Investigation and Identification Team (IIT) (OPCW - Organization for the Prohibition of Chemical Weapons) – wurde von der syrischen Regierung der Besuch vieler Landesteile untersagt, und sie erhielten selten die Erlaubnis, außerhalb von Damaskus zu reisen (LIB).
1.3.6. Medizinische Versorgung – Letzte Änderung: 13.03.2024
Syrische Regierungstruppen und ihre Verbündeten waren mit Berichtszeitpunkt Juli 2021 für 90 Prozent von 600 verifizierten Angriffen auf medizinische Einrichtungen verantwortlich. Diese machten medizinische Einrichtungen sowohl für das medizinische Personal als auch für die Patienten zu tödlichen Orten und dezimierten den Gesundheitssektor im ganzen Land. Auch werden MitarbeiterInnen von Gesundheitseinrichtungen Ziel von Verhaftungen und Folter. Die syrische Regierung betrachtet medizinisches Personal als Staatsfeinde, wenn dieses diskriminierungsfrei medizinische Versorgung in Gebieten, die außerhalb der Regierungskontrolle liegen, anbietet, und auch sonst sind MitarbeiterInnen des Gesundheitssektors spezifische Ziele wegen ihres Berufs oder ihrer tatsächlichen oder angenommenen medizinischen Versorgung von Oppositionellen: Verhaftungen betrafen so auch z.B. Gesundheitspersonal, das mit internationalen Medien über COVID-19 gesprochen hatte oder sonst dem streng kontrollierten offiziellen Narrativ über die Pandemie widersprach. Gegen diese wird Folter eingesetzt, z. B. um Informationen über Aktivitäten zur Gesundheitsversorgung oder über anderes medizinisches Personal zu erhalten oder auch um Verbrechen zu gestehen, welche die Gefolterten gar nicht begangen hatten. Nach Angaben des Syrischen Netzwerks für Menschenrechte (SNHR - Syrian Network for Human Rights) sind weiterhin mindestens 3.407 Mitarbeiter des Gesundheitsbereichs von Verschwindenlassen oder Haft betroffen, wobei die syrischen Regimekräfte für mehr als 3.358 Fälle verantwortlich sind. SNHR dokumentierte von 2011 bis November 2021 den von 861 MitarbeiterInnen des Gesundheitssektors, PHR (Physicians for Human Rights) verzeichnete den Tod von 930 Personen aus dem medizinischen Bereich, wobei das Regime sowie die russischen Truppen für mehr als 90 Prozent der Fälle die Verantwortung trugen. Aufgrund der Kampfhandlungen in der Provinz Idlib und der Abwanderung großer Teile des Gesundheitspersonals mussten seit Dezember 2019 mindestens 83 Gesundheitseinrichtungen schließen (Stand 2021). Laut des syrischen Ärzteverbands waren bis Ende Oktober 2023 über 16.000 Pflegekräfte emigriert. Die VN schätzen, dass etwa 50 Prozent des Gesundheitspersonals ausgewandert sind. Ärzte undPflegekräfte wurden zudem bei Angriffen getötet (LIB).
1.3.7. Rückkehr – Letzte Änderung: 13.03.2024
Seit 2011 waren 12,3 Millionen Menschen in Syrien gezwungen, zu flüchten - 6,7 Millionen sind aktuell laut OCHA (United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs) Binnenvertriebene (LIB).
Die offizielle politische Position des Regimes hinsichtlich der Rückkehr von Geflüchteten wurde im Berichtszeitraum angepasst. In einem anlässlich des UNHCR-Exekutivkomitees am 12.10.2023 veröffentlichten Statement versicherte das syrische Regime, dass es sichere Rückkehrbedingungen schaffe. Die Versprechungen, z. B. zum Wehrdienst, bleiben jedoch vage. Nach Einschätzung vieler Beobachter könne kaum mit großangelegter Flüchtlingsrückkehr gerechnet werden (LIB).
Die UNO konstatiert im Bericht der von ihr eingesetzten Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (COI) vom 7.2.2023 landesweit schwere Verstöße gegen die Menschenrechte sowie das humanitäre Völkerrecht durch verschiedene Akteure, welche Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen darstellen könnten, und sieht keine Erfüllung der Voraussetzungen für nachhaltige, würdige Rückkehr von Flüchtlingen gegeben. Eine UNHCR-Umfrage im Jahr 2022 unter syrischen Flüchtlingen in Ägypten, Libanon, Jordanien und Irak ergab, dass nur 1,7 Prozent der Befragten eine Rückkehr in den nächsten 12 Monaten vorhatten. Obwohl sich am Bestehen der Fluchtursachen, insbesondere im Hinblick auf verbreitete Kampfhandlungen sowie die in weiten Teilen des Landes katastrophale humanitäre, wirtschaftliche und Menschenrechtslage nichts geändert hat, erhöhen manche Aufnahmestaaten in der Region gezielt den politischen, rechtlichen und sozioökonomischen Druck auf syrische Geflüchtete, um eine „freiwillige Rückkehr“ zu erwirken (LIB).
RückkehrerInnen nach Syrien müssen laut Human Rights Watch mit einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen rechnen, von willkürlicher Verhaftung, Folter, Verschwindenlassen bis hin zu Beschränkungen beim Zugang zu ihren Herkunftsgebieten. Vergleichbare Menschenrechtsverletzungen und Repressionen durch lokale Akteure wurden im Berichtszeitraum, in absoluten Zahlen betrachtet in geringerem Umfang, auch in Nicht-Regimegebieten dokumentiert. Unverändert besteht somit in keinem Teil Syriens ein umfassender, langfristiger und verlässlicher Schutz für verfolgte Personen und Rückkehrende. Es gibt keine Rechtssicherheit oder Schutz vor politischer Verfolgung, willkürlicher Verhaftung und Folter. Die Gefahr, Opfer staatlicher Repression und Willkür zu werden, bleibt für Einzelne unvorhersehbar. Auch erschienen Berichte über erneute Vertreibung, Sanktionen bzw. Repressionen, bis hin zu einer unmittelbaren Gefährdung für Leib und Leben von Rückkehrenden. Menschenrechtsorganisationen und Rückkehrende berichten von zahlreichen Fällen, in denen Rückkehrende verhaftet, gefoltert oder eingeschüchtert wurden. Nach entsprechenden Berichten von Amnesty International (AI) und Human Rights Watch (HRW) von September bzw. Oktober 2021 präsentierten der Zusammenschluss von Zivilgesellschaftsorganisationen Voices for Displaced Syrians Forum und der Think Tank Operations and Policy Center im Frühjahr 2022 eine gemeinsame Studie (Stand November 2022) zu Rückkehrenden aus Europa (Deutschland, Dänemark, Niederlande), der engeren Nachbarschaft (Türkei, Libanon, Jordanien, Irak, Ägypten) und anderen Regionen Syriens. Diese dokumentiert innerhalb eines Jahres schwierigste Rückkehrbedingungen in allen Regionen Syriens, darunter in einigen Fällen physische Gewalt und Verhaftungen der Betroffenen oder von Angehörigen sowie weitgehende Bewegungsbeschränkungen. Sie kommt zu dem Schluss, dass die Rückkehrbedingungen nach Syrien in keiner Hinsicht erfüllt seien. UNHCR, IKRK und IOM vertreten unverändert die Auffassung, dass die Bedingungen für eine freiwillige Rückkehr von Geflüchteten nach Syrien in Sicherheit und Würde angesichts der unverändert bestehenden, signifikanten Sicherheitsrisiken in ganz Syrien nicht erfüllt sind. Eine sichere Rückkehr Geflüchteter kann derzeit insofern für keine Region Syriens und für keine Personengruppe gewährleistet, vorhergesagt oder gar überprüft werden (LIB).
Darüber hinaus können belastbare Aussagen oder Prognosen zu Rückkehrfragen nach geografischen Kriterien laut Auswärtigem Amt weiterhin nicht getroffen werden. Insbesondere für die Gebiete unter Kontrolle des Regimes, einschließlich vermeintlich friedlicherer Landesteile im äußersten Westen Syriens sowie in der Hauptstadt Damaskus, gilt unverändert, dass eine belastbare Einschätzung der individuellen Gefährdungslage aufgrund des dortigen Herrschaftssystems, seiner teilweise rivalisierenden Geheimdienste sowie regimenaher Milizen ohne umfassende zentrale Steuerung nicht möglich ist (LIB).
Wahrnehmung von RückkehrerInnnen ja nach Profil
Nach zuvor vorwiegend rückkehrkritischen öffentlichen Äußerungen hat die syrische Regierung seine Politik seit Ankündigung eines sogenannten „Rückkehrplans“ für Flüchtlinge durch Russland 2018 sukzessive angepasst und im Gegenzug für eine Flüchtlingsrückkehr Unterstützung der internationalen Gemeinschaft und die Aufhebung westlicher Sanktionen gefordert. Die Rückkehr von ehemaligen Flüchtlingen ist trotzdem nicht erwünscht, auch wenn offiziell mittlerweile das Gegenteil gesagt wird. Rückkehrende werden vom Regime häufig als „VerräterInnen“ deklariert, bzw. insgeheim als illoyal gegenüber ihrem Land und als Unterstützer der Opposition und/oder bewaffneter Gruppen angesehen. Eine besondere Gefahr, Ziel staatlicher und von Willkür geprägter Repression zu werden, besteht für alle, die sich in der Vergangenheit (regime-)kritisch geäußert oder betätigt haben oder sich auf andere Weise das Missfallen des Regimes zugezogen haben. Dies kann nach Einschätzungen von Menschenrechtsorganisationen bereits dann der Fall sein, wenn Betroffene in familiärer Verbindung zu vermeintlichen Oppositionellen oder Regimefeinden stehen oder ihre regionale Herkunft (z. B. ehemalige Oppositionsgebiete) dies nahelegt. Berichte deuten jedoch darauf hin, dass selbst regimenahe Personen Opfer von Repressionen werden können (LIB).
Jeder, der geflohen ist und einen Flüchtlingsstatus hat, ist in den Augen des Regimes bereits verdächtig. Aus Sicht des syrischen Staates ist es daher besser, wenn diese SyrerInnen im Ausland bleiben, damit ihr Land und ihre Häuser umverteilt werden können, um Assads soziale Basis neu aufzubauen. Minderheiten wie Alawiten und Christen, reiche Geschäftsleute und Angehörige der Bourgeoisie sind hingegen für Präsident al-Assad willkommene Rückkehrer. Für arme Menschen, z. B. aus den Vorstädten von Damaskus oder Aleppo, hat der syrische Staat jedoch keine Verwendung, zumal keine Kapazitäten zur Unterstützung von (mittellosen) Rückkehrenden vorhanden sind (LIB).
Gemäß Berichten von Menschenrechtsorganisationen kommt es zu systematischen, politisch motivierten Sicherheitsüberprüfungen von Rückkehrwilligen, Ablehnung zahlreicher Rückkehrwilliger und gezielten Menschenrechtsverletzungen gegen Rückkehrende sowie Verletzungen von im Rahmen lokaler Rückkehrinitiativen getroffenen Vereinbarungen (Einzug zum Militärdienst, Verhaftung, etc.) (LIB).
Anhand der von der United Nations Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic, NGOs und anderen dokumentierten Einzelschicksalen der Vergangenheit ist die Bedrohung der persönlichen Sicherheit im Einzelfall das zentrale Hindernis für Rückkehrende. Dabei gilt nach Ansicht des deutschen Auswärtigen Amts, dass sich die Frage einer möglichen Gefährdung des Individuums weder auf etwaige Sicherheitsrisiken durch Kampfhandlungen und Terrorismus beschränken lässt, noch ganz grundsätzlich eine Eingrenzung auf einzelne Landesteile möglich ist. Entscheidend für die Sicherheit von Rückkehrenden bleibt vielmehr die Frage, wie der oder die Rückkehrende von den im jeweiligen Gebiet präsenten Akteuren wahrgenommen wird. Rückkehr auf individueller Basis findet, z. B. aus der Türkei, insbesondere in Gebiete statt, die nicht unter Kontrolle des Regimes stehen. Darüber hinaus können belastbare Aussagen oder Prognosen zu Rückkehrfragen nach geografischen Kriterien weiterhin nicht getroffen werden. Insbesondere für die Gebiete unter Kontrolle des Regimes, einschließlich vermeintlich friedlicherer Landesteile im äußersten Westen Syriens sowie in der Hauptstadt Damaskus, gilt unverändert, dass eine belastbare Einschätzung der individuellen Gefährdungslage aufgrund des dortigen Herrschaftssystems, seiner teilweise rivalisierenden Geheimdienste sowie regimenaher Milizen ohne umfassende zentrale Steuerung nicht möglich ist (LIB).
Das deutsche Auswärtige Amt zieht den Schluss, dass eine sichere Rückkehr Geflüchteter insofern für keine Region Syriens und für keine Personengruppe gewährleistet, vorhergesagt oder gar überprüft werden kann. UNHCR ruft weiterhin die Staaten dazu auf, keine zwangsweise Rückkehr von syrischen Staatsbürgern sowie ehemals gewöhnlich dort wohnenden Personen - einschließlich früher in Syrien ansässiger Palästinenser - in irgendeinen Teil Syrien zu veranlassen, egal wer das betreffende Gebiet in Syrien beherrscht (LIB).
Hindernisse für die Rückkehr
Laut einer Erhebung der Syrian Association for Citizen’s Dignity (SACD) ist für 58 Prozent aller befragten Flüchtlinge die Abschaffung der Zwangsrekrutierung die wichtigste Bedingung für die Rückkehr in ihre Heimat. Nach Einschätzung von Human Rights Watch nutzt das Regime Schlupflöcher in den Amnestiedekreten aus, um Rückkehrer unmittelbar nach der Einreise wieder auf Einberufungslisten zu setzen. Amnesty International dokumentierte Fälle von Rückkehrern, die aufgrund der Wehrpflicht zunächst festgenommen und nach Freilassung unmittelbar zum Militärdienst eingezogen wurden (LIB).
Rückkehr an den Herkunftsort
Die Sicherheit von Rückkehrern wird nicht in erster Linie von der Region bestimmt, in die sie zurückkehren, sondern davon, wie die RückkehrerInnen von den Akteuren, die die jeweiligen Regionen kontrollieren, wahrgenommen werden. Die Rückkehr an den Herkunftsort innerhalb der von der Regierung kontrollierten Gebiete erfordert einen anderen Weg, der von lokalen Machthabern wie den Gemeindebehörden oder den die Regierung unterstützenden Milizen gesteuert wird. Die Verfahren, um eine Genehmigung für die Einreise in den Herkunftsort zu erhalten, variieren von Ort zu Ort und von Akteur zu Akteur. Da sich die lokale Machtdynamik im Laufe der Zeit verschiebt, sind auch die unterschiedlichen Verfahren Veränderungen unterworfen (LIB).
Rückkehrende werden vom Regime häufig als „VerräterInnen“ deklariert und sehen sich daher oft mit weitreichender systematischer Willkür bis hin zu vollständiger Rechtlosigkeit konfrontiert. Es mangelt insbesondere an einheitlichen bzw. verlässlichen Verfahren zur Klärung des eigenen Status mit den Sicherheitsbehörden (Überprüfung, ob gegen die/den Betroffene/n etwas vorliegt) und an verfügbaren Rechtswegen. Auch nach vermeintlicher Klärung des Status mit einer oder mehreren der Sicherheitsbehörden innerhalb oder außerhalb Syriens kann es nach Rückkehr jederzeit zu unvorhergesehenen Vorladungen und/oder Verhaftungen durch diese oder Dritte kommen. Berichte verschiedener Menschenrechtsorganisationen bestätigen, dass selbst eine von der jeweiligen Sicherheitsbehörde vorgenommene positive Sicherheitsüberprüfung jederzeit von dieser revidiert werden kann und damit keine Garantie für eine sichere Rückkehr leistet (LIB).
Laut Berichten und Studien verschiedener Menschenrechtsorganisationen ist für zahlreiche Geflüchtete die Gefahr der Zwangsrekrutierung neben anderen Faktoren eines der wesentlichen Rückkehrhindernisse. Laut Berichten von Menschenrechtsorganisationen, der Vereinten Nationen und von Betroffenen haben die Sicherheitsbehörden bzw. regimetreue Milizen der vertriebenen, oft als regimekritisch oder oppositionsnah angesehenen Bevölkerung, die Rückkehr an ihre Ursprungsorte verweigert. Zudem ist nach wie vor eine großflächige Enteignung in Form von Zerstörung und Abriss von Häusern und Wohnungen in ehemaligen Oppositionsgebieten unter Anwendung der umfassenden Anti-Terror-Gesetzgebung (Nr. 19/2012 und Dekret 63/2012) zu verzeichnen. Sie erlaubt es, gezielt gegen Inhaftierte, Menschenrechtsaktivistinnen und –aktivisten sowie Personen, die sich an Protesten gegen das Regime beteiligen oder beteiligt haben, vorzugehen und deren Eigentum und Vermögen zu beschlagnahmen (LIB).
Anhand der von der CoI (Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic der Vereinten Nationen), Nichtregierungsorganisationen (NRO) und anderen dokumentierten Einzelschicksalen der Vergangenheit ist die Bedrohung der persönlichen Sicherheit im Einzelfall das zentrale Hindernis für Rückkehrende. Unverändert besteht nach Bewertung des deutschen Auswärtigen Amts in keinem Teil Syriens ein umfassender, langfristiger und verlässlicher Schutz für verfolgte Personen und Rückkehrende. Es gibt keine Rechtssicherheit oder Schutz vor politischer Verfolgung, willkürlicher Verhaftung und Folter. Die Gefahr, Opfer staatlicher Repression und Willkür zu werden, bleibt für Einzelne unvorhersehbar. Auch erschienen Berichte über erneute Vertreibung, Sanktionen bzw. Repressionen, bis hin zu einer unmittelbaren Gefährdung für Leib und Leben von Rückkehrenden. Menschenrechtsorganisationen und Rückkehrende berichten von zahlreichen Fällen, in denen Rückkehrende verhaftet, gefoltert oder eingeschüchtert wurden (LIB).
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend (abgesehen von transkriptionsbedingt unterschiedlichen Schreibweisen) übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor der belangten Behörde, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im Asylverfahren.
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Muttersprache und weiteren Sprachen, seinen Familienangehörigen, seinem Familienstand, seinem Aufwachsen in Syrien, seiner Schul-und Universitätsbildung und seiner Berufserfahrung gründen sich auf die diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben vor der Behörde und in der mündlichen Verhandlung. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen bzw. nachvollziehbar aktualisierten Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.
Die Feststellung, dass das Herkunftsgebiet des Beschwerdeführers, die Stadt XXXX im gleichnamigen Gouvernement, von der syrischen Regierung kontrolliert wird, ergibt sich übereinstimmend aus den vorliegenden Länderberichten und den glaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung (vgl. Niederschrift vom 19.08.2024, S. 6).
Der Zeitpunkt der Ausreise und die Aufenthalte in durchreisten Staaten ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers in der Erstbefragung. Das Datum der Antragstellung ergibt sich aus dem Akteninhalt.
Die Feststellung zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers ergibt sich aus seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung (vgl. Niederschrift vom 19.08.2024, S. 3). Seine Arbeitsfähigkeit folgt aus seinem Alter, seinem Gesundheitszustand und seiner bisherigen Erwerbstätigkeit in Syrien.
Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.
2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:
2.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 liegt es auch am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.
Das Asylverfahren bietet, wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 27.05.2019, Ra 2019/14/0143-8, wieder betonte, nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht in der Weise Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt. Um den Status des Asylberechtigten zu erhalten, muss die Verfolgung nur mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohen. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedoch nicht. Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.
Die Glaubhaftmachung hat das Ziel, die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit bestimmter Tatsachenbehauptungen zu vermitteln. Glaubhaftmachung ist somit der Nachweis einer Wahrscheinlichkeit. Dafür genügt ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit als der, der die Überzeugung von der Gewissheit rechtfertigt (vgl. VwGH 29.05.2006, Zl. 2005/17/0252). Im Gegensatz zum strikten Beweis bedeutet Glaubhaftmachung ein reduziertes Beweismaß und lässt durchwegs Raum für gewisse Einwände und Zweifel am Vorbringen des Asylwerbers. Entscheidend ist, ob die Gründe, die für die Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung sprechen, überwiegen oder nicht. Dabei ist eine objektivierte Sichtweise anzustellen.
Unter diesen Maßgaben ist das Vorbringen eines Asylwerbers also auf seine Glaubhaftigkeit hin zu prüfen. Dabei ist vor allem auf folgende Kriterien abzustellen: Das Vorbringen des Asylwerbers muss – unter Berücksichtigung der jeweiligen Fähigkeiten und Möglichkeiten –genügend substantiiert sein; dieses Erfordernis ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen. Das Vorbringen hat zudem plausibel zu sein, muss also mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen; diese Voraussetzung ist u. a. dann nicht erfüllt, wenn die Darlegungen mit den allgemeinen Verhältnissen im Heimatland nicht zu vereinbaren sind oder sonst unmöglich erscheinen. Schließlich muss das Fluchtvorbringen in sich schlüssig sein; der Asylwerber darf sich demgemäß nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen.
2.2.2. Zur behaupteten Zwangsrekrutierung und (zumindest) unterstellten oppositionellen politischen Gesinnung vonseiten der syrischen Regierung:
Der Beschwerdeführer konnte sein Fluchtvorbringen, es drohe ihm eine Zwangsrekrutierung und aufgrund dessen die Unterstellung einer politisch oppositionellen Gesinnung, nicht glaubhaft machen. Dies ergibt sich aus einer Gesamtschau der im Folgenden dargelegten beweiswürdigenden Erwägungen.
Der Beschwerdeführer brachte im Verfahren unter anderem zusammengefasst vor, dass er mehrere Wehrdienstaufschübe aufgrund seines Studiums erhalten habe und die Militärpolizei in seinem Elternhaus gewesen sei, daraufhin sei er aus Syrien geflüchtet (vgl. AS 128; Niederschrift vom 19.08.2024, S. 9).
Dem aktuellen Länderinformationsblatt ist betreffend eine Einziehung zum Wehrdienst der syrischen Armee zu entnehmen, dass für männliche syrische Staatsbürger im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend ist. Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Art. 4 lit. b gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren. Ausnahmen von der Wehrpflicht bestehen für Studenten, Staatsangestellte, aus medizinischen Gründen und für Männer, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Wehrbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Junge Männer werden an Kontrollstellen (Checkpoints) sowie unmittelbar an Grenzübergängen festgenommen und zwangsrekrutiert, wobei es in den Gebieten unter Regierungskontrolle zahlreiche Checkpoints gibt. Die intensiven Kontrollen erhöhen das Risiko für Militärdienstverweigerer, verhaftet zu werden. Auch geflüchtete Syrer, die nach Syrien zurückkehren, müssen mit Zwangsrekrutierung rechnen. Generell hat sich das Maß der Willkür in Syrien im Zuge des Konflikts erhöht und hat auch die syrische Regierung das syrische Militärdienstgesetz während des Konflikts mehrfach geändert, um die Zahl der Rekruten zu erhöhen. Der Personalbedarf des syrischen Militärs bleibt aufgrund von Entlassungen langgedienter Wehrpflichtiger und zahlreicher Verluste durch Kampfhandlungen unverändert hoch (vgl. 1.3.4.1.).
Der Beschwerdeführer fällt mit seinen XXXX Jahren ins wehrdienstpflichtige Alter. Beim Beschwerdeführer haben sich im Verfahren auch keine Befreiungsgründe ergeben, da er weder der einzige Sohn seiner Familie noch Student oder Staatsangestellter ist und auch keine medizinischen Gründe vorliegen. Seine jeweils auf ein Jahr befristeten Wehrdienstaufschübe sind bereits im Jahr 2021 abgelaufen.
Wehrdienstentzug wird gemäß dem Militärstrafgesetzbuch bestraft, in Kriegszeiten drohen bis zu fünf Jahre Haft. Die Berichte der verschiedenen Quellen divergieren, bei einer allfälligen Rückkehr nach Syrien drohen dem Beschwerdeführer jedoch Haft, der sofortige Einzug in den Wehrdienst oder im schlimmsten Fall Folter bzw. der Tod (vgl. 1.3.4.2.). Laut Einschätzung des Auswärtigen Amtes unterliegen Personen, die unter dem Verdacht stehen, sich oppositionell zu engagieren oder als regimekritisch wahrgenommen werden, einem besonders hohen Folterrisiko. Menschenrechtsaktivisten, die Commission of Inquiry für Syrien der UN (COI) und lokale NGOs berichten von Tausenden glaubwürdigen Fällen, in denen die Behörden des Regimes Folter, Missbrauch und Misshandlungen zur Bestrafung wahrgenommener Oppositioneller einsetzen, auch bei Verhören - eine systematische Praxis des Regimes, die während des gesamten Konflikts und bereits vor 2011 dokumentiert wurde. Die willkürlichen Festnahmen, Misshandlungen, Folter und Verschwindenlassen durch syrische Sicherheitskräfte und regierungsfreundliche Milizen betreffen auch Rückkehrer (vgl. 1.3.7.).
Der Beschwerdeführer hat zwar bereits die Musterung absolviert und auch ein Wehrdienstbuch erhalten, er hat jedoch bislang noch keine konkrete Einberufung zur Ableistung des Wehrdienstes erhalten (vgl. AS 123, 124, 125; Niederschrift vom 19.08.2024, S. 7). Hierzu von der belangten Behörde befragt gab der Beschwerdeführer an, dass er einen „Zettel“ erhalten habe. Darin sei vermerkt gewesen, dass er sich bis 15.03.2021 bei der Militärbehörde „stellen“ müsse. Da er sich jedoch einen Reisepass ausstellen habe lassen und eine Ausreiseerlaubnis gehabt habe, sei sein letzter Wehrdienstaufschub bis 15.09.2021 verlängert worden (vgl. AS 129). Auch in der mündlichen Verhandlung brachte der Beschwerdeführer vor, dass „ein Schreiben an [s]einen Vater ausgefolgt“ worden sei, „welches beleg[e], dass [er] hingehen soll[e]“. Dieses Schreiben habe der Beschwerdeführer jedoch in der Türkei verloren (vgl. Niederschrift vom 19.08.2024, S. 8). Er könne sich erinnern, dass es von einem General namens XXXX abgestempelt worden sei. Der Beschwerdeführer hätte sich beim nächstgelegenen Militärstützpunkt „stellen müssen“ (vgl. Niederschrift vom 19.08.2024, S. 10). Inwiefern dieses Schreiben bereits einen Einberufungsbefehl darstellt, wenn es lediglich eine Aufforderung zum Erscheinen bei der Militärbehörde beinhaltet, lässt sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht eruieren. Zudem bezog sich das Schreiben auf das Ende seines letzten Wehrdienstaufschubes (15.03.2021) und war somit bereits am Tag des Vorfalls vom 20.06.2021 hinfällig. Des Weiteren konnte er seinen Wehrdienstaufschub problemlos aufgrund seines ausgestellten Reisepasses und einer Ausreiseerlaubnis bis 15.09.2021 verlängern (vgl. AS 129). Dass seine Familie ein neuerliches Schreiben oder gar einen Einberufungsbefehl erhalten hätte, brachte der Beschwerdeführer nicht vor. Der Beschwerdeführer hat sich somit auch zu keinem Zeitpunkt einer persönlich an ihn gerichteten Einberufung entzogen oder einer solchen nicht Folge geleistet. Der Beschwerdeführer brachte auch nicht vor, dass ihm die Ausreise aus Syrien im Jahr 2021 Probleme bereitete.
Zu allfälligen Übergriffen vonseiten der syrischen Regierung brachte der Beschwerdeführer folgendes vor:
In der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde gab er hierzu an, dass die Militärpolizei einmal im Juni 2021 bei ihm zu Hause gewesen sei, er wisse aber nicht warum, sein militärischer Aufschub sei noch drei Monate gültig gewesen. Der Beschwerdeführer vermute, dass sie wegen seines verstorbenen Bruders gekommen seien. Er sei zu dem Zeitpunkt bei Freunden gewesen und habe einen Anruf von seiner Mutter bekommen, die ihn dann auch zu seinen Großeltern gebracht habe. Zehn Tage nach dem Vorfall sei er über Idlib in die Türkei gereist. Bereits 2016 seien sie zu ihnen nach Hause gekommen und hätten seinen Bruder gesucht. Als sie ihn nicht gefunden hätten, hätten sie den Beschwerdeführer geschlagen und ihm den Unterarm gebrochen. Daraufhin sei er zu einer arabischen Heilpraktikerin gegangen, die ihm einen Gips angelegt habe, da er aufgrund des syrischen Regimes nicht ins Krankenhaus gehen habe können (vgl. AS 127, 128). Im Jahr 2015 sei er auf seinem Motorrad unterwegs gewesen und von drei syrischen Soldaten angehupt worden, er habe jedoch nicht ausweichen können, deswegen hätten sie ihn mit ihrem Auto angefahren. Daraufhin sei er hingefallen und die Soldaten seien ausgestiegen und hätten ihn geschlagen, damals sei er XXXX Jahre alt gewesen (vgl. AS 129).
In der schriftlichen Beschwerde brachte er abermals vor, dass er 2016 grundlos von Soldaten des syrischen Regimes geschlagen und erniedrigt worden sei (vgl. AS 526).
Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wiederholte er seine bereits vorgebrachte Fluchtgeschichte und gab an, dass „sie“ am 20.06.2021 bei ihm zu Hause gewesen seien und nach ihm gesucht hätten. Er wisse jedoch, dass sie „nicht wegen des Militärdienstes“ bei seinen Eltern gewesen seien, weil der Beschwerdeführer einen gültigen Aufschub bis zum 15.09.2021 gehabt habe. Er wisse nicht, warum „sie“ bei ihnen gewesen seien (vgl. Niederschrift vom 19.08.2024, S. 8). Auf Nachfrage der erkennenden Richterin gab er wenig später zu Protokoll, dass „die Militärpolizei“ bei seinen Eltern gewesen sei. Sie hätten seinen Vater nach dem Aufenthalt des Beschwerdeführers befragt und gesagt, dass er seine Kinder schlecht erzogen habe, da sich die Kinder dem Militärdienst entzogen hätten (vgl. Niederschrift vom 19.08.2024, S. 9).
Hinsichtlich etwaiger Protokollierungsfehler gab der Beschwerdeführer am Anfang der mündlichen Verhandlung an, dass es zu Fehlern bei der Erstbefragung und der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde gekommen sei. Als das syrische Regime am 20.06.2021 bei ihm zu Hause gewesen sei habe er auf die Frage, ob er wisse ob das Regime wegen seines Bruders bei ihnen gewesen sei, geantwortet: „Ich weiß es nicht.“. Im Protokoll stehe aber: „Er glaubt, dass das Regime wegen seines Bruders gekommen ist.“ (vgl. Niederschrift vom 19.08.2024, S. 4). Auch die Rechtsvertretung gab an, dass es sich bei dem zitierten Satz im Bescheid – „Ich vermute, das war wegen meinem verstorbenen Bruder.“ (vgl. AS 179) – um zwei verschiedene Geschichten gehandelt habe und es sein könne, dass beim Protokollieren die beiden Geschichten vermischt worden seien (vgl. Niederschrift vom 19.08.2024, S. 5).
Dem Protokoll der niederschriftlichen Einvernahme ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer den Besuch der Militärpolizei am 20.06.2021 im Zuge seiner freien Erzählung detailliert vorbrachte. Im Protokoll lässt sich folgende Passage wiederfinden: „[…] Als das Regime zu meinen Eltern nach Hause gekommen ist, war mein militärischer Aufschub noch 3 Monate gültig. Ich wusste nicht, warum sie zu uns gekommen sind. Ich vermute, das war wegen meinem verstorbenen Bruder. Einmal im Jahr 2016 ist das Regime zu uns nach Hause gekommen […]“ (vgl. AS 128). Wenn der Beschwerdeführer diesbezüglich moniert, dass seine Antwort („Ich weiß es nicht“) nicht protokolliert worden sei, ist diesem Vorbringen mit Verweis auf die wiedergegebene Passage ausdrücklich zu widersprechen. Weiters ist dem Protokoll, wie von der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers vorgebracht, auch keine Vermischung der Vorfälle aus den Jahren 2016 und 2021 zu entnehmen, zumal der Beschwerdeführer laut Protokollschrift während seiner Erzählung auch nicht von der Leiterin der Amtshandlung mit etwaigen Fragen unterbrochen wurde. Dem Bundesverwaltungsgericht erscheint es auch unerklärlich, aus welchen Gründen der Beschwerdeführer diese vorgeblichen Protokollierungsfehler nicht bereits mit der schriftlichen Beschwerde, sondern erstmals in der mündlichen Verhandlung vorbrachte. Zudem ist dem Protokoll zu entnehmen, dass die gesamte Niederschrift um 12:20 wortwörtlich rückübersetzt wurde und die Amtshandlung um 12:50, nach kurzer Nachfrage, ob alles korrekt übersetzt worden sei und er eine Ausfolgung einer Kopie der Niederschrift wünsche, endete (vgl. AS 133). Der Beschwerdeführer gab an, dass „alles korrekt“ protokolliert worden sei, „alles gepasst“ und er „nichts mehr hinzuzufügen“ habe. Dass dem Beschwerdeführer für eine Korrektur nicht ausreichend Zeit gelassen wurde, ist der protokollierten Niederschrift somit nicht zu entnehmen. Auch die pauschale Vermutung der Rechtsvertretung („Es kann sein, dass beim Protokolieren die beiden Geschichten vermischt wurden.“) vermag nichts am bis zur mündlichen Verhandlung unwidersprochenen Protokoll zu ändern.
Bezugnehmend auf den Besuch der Militärpolizei in seinem Elternhaus widersprecht sich der Beschwerdeführer. Einerseits gibt er mehrere Male an, dass er nicht wisse, warum die Militärpolizei bei ihnen zu Hause gewesen sei, da ja auch sein Wehrdienstaufschub noch ca. drei Monate gültig gewesen sei – „Was ich weiß, sie waren nicht wegen des Militärdienstes bei uns, weil ich schon einen gültigen Aufschub bis 15.09. hatte. Ich weiß jedoch nicht, warum sie bei uns waren.“ (vgl. Niederschrift vom 19.08.2024, S. 8) – während er andererseits vorbringt, dass die Militärpolizei seinem Vater vorgeworfen habe, dass bereits zwei seiner Kinder sich dem Militärdienst entziehen hätten wollen (vgl. Niederschrift vom 19.08.2024, S. 9: „Sie haben nach mir gefragt und als mein Vater ihnen gesagt hat, dass er nicht weiß, wo ich bin, wurde mein Vater beleidigt, es wurde zu ihm gesagt, dass er seine Kinder schlecht erzogen hat, weil die Kinder sich dem Militärdienst entziehen wollen. Sie haben zu meinem Vater gesagt: Dein erster Sohn hat den Militärdienst verweigert und ist mittlerweile tot und jetzt tut der zweite Sohn das Gleiche.“). Unter Berücksichtigung, dass der Beschwerdeführer bereits vor der belangten Behörde angab, dass er nicht wisse warum sie bei ihnen zu Hause gewesen seien und er vermute, dass es wegen seines verstorbenen Bruders gewesen sei, ist den Aussagen des Beschwerdeführers somit vielmehr zu entnehmen, dass er schlicht nicht weiß, warum Personen der syrischen Behörden bzw. der Militärpolizei bei seinen Eltern zu Hause gewesen sind. Ein Zusammenhang mit seinem Wehrdienst kann daraus nicht geschlossen worden, zumal er selbst zu Protokoll brachte, dass er dies ausschließen könne.
Hinsichtlich des weiters vorgebrachten Vorfalls im Jahr 2014 gab der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung erstmals an, dass er Splitterverletzungen bei seiner linken Augenbraue und zwischen seinen Augen davongetragen habe. Er sei auf seinem Motorrad unterwegs gewesen und sei von Splittern einer Bombe getroffen worden. Im Jahr 2015 sei er von drei Soldaten geschlagen worden. 2016 seien im Verletzung an seiner linken Hand vom syrischen Regime zugefügt worden. Die Personen seien genervt gewesen, dass sie seinen Bruder nicht gefunden hätten und hätten den Beschwerdeführer daraufhin geschlagen (vgl. Niederschrift vom 19.08.2024, S. 11, 12).
Weder der Vorfall im Jahr 2014 (Splitterverletzungen aufgrund einer nahe erfolgten Bombardierung) noch der Vorfall im Jahr 2015 (Prügel von drei syrischen Soldaten), vermögen eine konkrete persönliche Bedrohung des Beschwerdeführers zu belegen, da er bei beiden Vorfällen „zufällig“ verletzt wurde. Auch der Vorfall im Jahr 2016, als Soldaten des syrischen Regimes bei ihm zu Hause waren und nach seinem Bruder suchten, belegt keine konkret gegen den Beschwerdeführer gerichtete Bedrohung, da auch hier nicht der Beschwerdeführer im Fokus der syrischen Soldaten stand (vgl. Niederschrift vom 19.08.2024, S. 11: „Im Jahr 2016 waren sie bei uns und haben nach meinem Bruder gesucht.“), zumal der Beschwerdeführer nach diesem Vorfall weiterhin bis 2021 in seinem Herkunftsgebiet leben konnte, ohne dass es erwähnenswerte Vorfälle gegeben hätte.
Schließlich haben sich auch im konkreten Einzelfall des Beschwerdeführers – wie bereits ausgeführt – keine glaubhaften Anhaltspunkte ergeben, welche auf eine erhöhte Gefährdungslage wegen einer dem Beschwerdeführer, der von der syrischen Armee bislang keine Einberufung zur Ableistung des Wehrdienstes erhalten hat, unterstellten oppositionellen Gesinnung schließen lassen würden. Es haben sich somit im Verfahren keine Hinweise darauf ergeben, dass die syrische Regierung dem Beschwerdeführer konkret und individuell eine oppositionelle Gesinnung unterstellen würde. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Aus den vorliegenden Länderberichten ergibt sich gerade kein Automatismus, dass jedem im Ausland lebenden Syrer, der seinen Wehrdienst nicht abgeleistet hat, im Herkunftsstaat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt und deswegen eine unverhältnismäßige Bestrafung drohen würde. Danach wird Wehrdienstverweigerung nämlich, auch wenn Wehrdienstverweigerer zuweilen „inoffiziell als Verräter gesehen werden“, „da sie sich ins Ausland gerettet haben, statt ihr Land zu verteidigen“, nicht unbedingt als oppositionsnahe gesehen (vgl. 1.3.4.2.). Das syrische Regime ist sich der Tatsache bewusst, dass viele junge Männer das Land verlassen haben, einfach um nicht zu sterben. Daher wurde die Möglichkeit geschaffen, sich frei zu kaufen, damit die Regierung zumindest Geld in dieser Situation einnehmen kann. Ein für eine internationale Forschungsorganisation mit Schwerpunkt auf den Nahen Osten tätiger Syrienexperte, der allerdings angibt, dazu nicht eigens Forschungen durchgeführt zu haben, geht davon aus, dass das syrische Regime möglicherweise am Anfang des Konflikts, zwischen 2012 und 2014, Wehrdienstverweigerer durchwegs als oppositionell einstufte, inzwischen allerdings nicht mehr jeden Wehrdienstverweigerer als oppositionell ansieht (vgl. VwGH vom 26.06.2024, Ra 2024/20/0154-11: „In Bezug auf die - auch im vorliegenden Fall maßgebliche - Situation in Syrien hat der Verwaltungsgerichtshof weiters festgehalten, dass sich aus den Länderberichten ein differenziertes Bild der Haltung des syrischen Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern ergibt und aus dieser Berichtslage nicht mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden könne, dass jedem den Militärdienst verweigernden Syrer eine oppositionelle Haltung unterstellt werde. Der Verwaltungsgerichtshof hat ferner bereits ausgeführt, nach der Berichtslage lasse sich gerade kein Automatismus dahin als gegeben annehmen, dass jedem im Ausland lebenden Syrer, der seinen Wehrdienst nicht abgeleistet hat, im Herkunftsstaat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt und deswegen eine unverhältnismäßige Bestrafung drohen würde.“).
Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch darauf, dass sich auch die Ausführungen in früheren Fassungen des Länderinformationsblattes (vgl. die Version 8 vom 29.12.2022), wonach die syrische Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen „terroristische“ Bedrohungen zu schützen, im aktuellen Länderinformationsblatt (vgl. die Version 11 vom 27.03.2024) nicht mehr wiederfinden.
Darüber hinaus ist den Angaben des Beschwerdeführers aber auch keine glaubhafte verinnerlichte politische Überzeugung gegen die syrische Regierung oder gegen den Dienst an der Waffe an sich zu entnehmen:
Die Feststellung, dass sich der Beschwerdeführer weder in Syrien noch in Österreich jemals politisch betätigt und etwa an Demonstrationen teilgenommen hat, entspricht seinen eigenen Angaben bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Weder in der polizeilichen Erstbefragung, seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde noch in der schriftlichen Beschwerde erwähnte der Beschwerdeführer politische Aktivitäten oder die Teilnahme an Demonstrationen in Syrien oder in Österreich. Vor der belangten Behörde verneinte der Beschwerdeführer explizit die Frage, ob er jemals Mitglied einer politischen Gruppierung oder Partei gewesen oder jemals wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt worden sei (vgl. AS 128). Ebenso gab er in der mündlichen Verhandlung an, dass er niemals Mitglied einer politischen Partei oder einer anderen politisch aktiven Bewegung oder Gruppierung gewesen sei (vgl. Niederschrift vom 19.08.2024, S. 7, 8). Auf Nachfrage der erkennenden Richterin, ob der Beschwerdeführer jemals offen gegen das syrische Regime aufgetreten sei, brachte er folgendes zu Protokoll:
„Offen kann man das nicht machen. In der Stadt XXXX kann man das nicht machen. Vielleicht in XXXX schon, da kann man das machen. Die Stadt XXXX wird dicht vom Regime kontrolliert, nicht wie in XXXX .“ (vgl. Niederschrift vom 19.08.2024, S. 10).
Im weiteren Verlauf der mündlichen Verhandlung brachte er sodann erstmals vor, dass er 2013 „nur in XXXX “ an Demonstrationen in Syrien teilgenommen habe. Auf die Frage, ob er auch in Österreich an Demonstrationen teilnehme, gab der Beschwerdeführer an, dass es in Tirol keine Demonstrationen gebe. Es hätten ein oder zwei Demonstrationen „dort“ (Anm.: gemeint ist damit laut der vom Beschwerdeführer eingebrachten Einwendung gegen die Niederschrift Wien und nicht Tirol) stattgefunden, daran habe er teilgenommen. Ansonsten gebe es keine Demonstrationen. Er werde aber natürlich an Demonstrationen teilnehmen, wenn es welche gebe. Auf Nachfrage der erkennenden Richterin, an welcher Art von Demonstrationen er in „Tirol“ (Anm.: laut der vom Beschwerdeführer eingebrachten Einwendung gegen die Niederschrift wurde „Tirol“ nicht rückübersetzt und der Beschwerdeführer ging von Demonstrationen in Wien aus) teilgenommen habe, brachte er vor, dass er am 18.03.2023 an einer Demonstration teilgenommen habe, an das andere Datum könne er sich nicht erinnern (vgl. Niederschrift vom 19.08.2024, S. 10). Bei der Demonstration im März 2023 hätten sie „Plakate gehalten“, diese seien beschriftet gewesen mit „Der Mörder muss bestraft werden“, „Nein für Bashar“ und „solche Sachen“ (vgl. Niederschrift vom 19.08.2024, S. 11).
Abgesehen von den äußerst pauschal gehaltenen Umschreibungen der österreichischen Demonstrationen erscheint es unerklärlich, warum der Beschwerdeführer sowohl seine Demonstrationsteilnahmen in Syrien im Jahr 2013 als auch jene in Österreich weder in der polizeilichen Erstbefragung, in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde noch in seiner schriftlichen Beschwerde vorbrachte, obwohl er von der belangten Behörde sowohl zu seinem Leben in Syrien als auch in Österreich eingehend befragt wurde (vgl. AS 128: „F: Waren Sie in Ihrer Heimat jemals Mitglied einer politischen Gruppierung oder Partei? A: Nein. F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer politischen Gesinnung verfolgt? A: Nein.“). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein gesteigertes Vorbringen im Allgemeinen nicht als glaubhaft anzusehen. Vielmehr muss grundsätzlich den ersten Angaben des Asylwerbers ein erhöhter Wahrheitsgehalt zuerkannt werden. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass Angaben, die in zeitlich geringerem Abstand zu den darin enthaltenen Ereignissen gemacht werden, der Wahrheit in der Regel am nächsten kommen (vgl. VwGH 11.11.1998, 98/01/0261, mwH). In einer Gesamtschau der beweiswürdigenden Erwägungen und unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung konnte der Beschwerdeführer daher nicht glaubhaft machen, in Syrien und in Österreich an Demonstrationen teilgenommen zu haben und deswegen von dem syrischen Regime gesucht zu werden, weshalb diesbezüglich eine Negativfeststellung zu treffen war.
Selbst bei Wahrunterstellung der Demonstrationsteilnahmen in Syrien erschließt sich dem erkennenden Gericht jedoch nicht, inwiefern der Beschwerdeführer derart in das Visier der syrischen Regierung gerückt sein sollte, dass die syrischen Behörden elf Jahre später weiterhin aufgrund dessen nach ihm suchen, zumal er auch bis 2021 in seinem Herkunftsgebiet (mit Ausnahme des Bürgerkrieges) problemlos leben konnte. Auch seine Demonstrationsteilnahmen in Österreich stellen bei einer Wahrheitsunterstellung keine Bedrohung für den Beschwerdeführer dar, da er weder öffentlichkeitswirksam auftrat noch sonst irgendwelche Fotos oder dergleichen vorlegte, die belegen würden, dass er in das Visier der syrischen Regierung geraten wäre.
Hinsichtlich seiner vorgebrachten Weigerung den Wehrdienst abzuleisten, gab der Beschwerdeführer in seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde pauschal an, dass er „gegen die Waffen“ sei (vgl. AS 129). In seiner schriftlichen Beschwerde führte er weiters aus, dass er es aus Gewissensgründen ablehne an Handlungen teilzunehmen, die gegen Menschen- und Völkerrechte verstoßen könnten (vgl. AS 527). Auf Nachfrage seiner Rechtsvertretung gab der Beschwerdeführer am Ende der mündlichen Verhandlung an, dass er niemals den Wehrdienst antreten würde. Er würde keinen „einzigen Meter Richtung des Militärs gehen“. Es gebe tausende Familien, denen es gleich gehe wie seiner Familie. Es sei eine Diktatur und ein verbrecherisches Regime. Das Regime sei bereit allen Arten des Verbrechens nachzugehen, um seine Funktion und seine Macht zu beschützen (vgl. Niederschrift vom 19.08.2024, S. 12). Wenngleich diese moralische Einstellung bzw. Bedenken des Beschwerdeführers nachvollziehbar erscheinen, stellt diese Ansicht keine tiefgreifend verinnerlichte politische (gegenüber dem syrischen Regime oppositionelle) Überzeugung dar, die sich nach außen manifestiert und ihn somit ins Visier der syrischen Regierung gerückt hätte.
In Bezugnahme auf die in der Beschwerde rudimentär vorgebrachte „persönliche Gewissensüberzeugung“ und die „aufgrund seines familiären Hintergrundes bereits im jungen Alter verinnerlichte oppositionellen Gesinnung“ ist darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer diese Gewissensgründe, abgesehen von pauschalen Stehsätzen, nicht einmal annähernd erläuterte (vgl. AS 538, 539).
Zudem brachte der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde erstmals vor, dass er aus dem Gouvernement XXXX stamme, welches laut der UNHCR Richtlinie als ehemaliges Oppositionsgebiet genannt sei und die belangte Behörde dies bei ihrer Entscheidungsfindung ebenfalls hätte berücksichtigen müssen (vgl. AS 532). Wie sich aus den Länderberichten und den Leitlinien von UNCHR und EUAA ergebe, würden gerade Personen, welche aus Gebieten stammen würden, die vormals von der Opposition kontrolliert worden seien, besonders in Verdacht stehen Gegner der syrischen Regierung zu sein (vgl. AS 539). Hinsichtlich des in dem Zusammenhang vorgebrachten Verweises auf das Länderinformationsblatt ist darauf hinzuweisen, dass der erste zitierte Absatz – „[…] das Regime hegt auch ein tiefes Misstrauen bezüglich des Herkunftsgebiets […]“ – sich auf Amnestien im Allgemeinen bezieht und somit nicht auf den gegenständlichen Fall abzustellen ist. Jedoch ist auch den weiteren zitierten Textpassagen keinesfalls eine generelle Bedrohung jedes Wehrdienstentziehers aus ehemaligen Oppositionsgebieten zu entnehmen, vielmehr belegt es höchstens einen erhöhenden Gefährdungsfaktor (vgl. AS 531). Auch UNHCR führt in seinen Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, aus, dass Personen, die tatsächliche oder vermeintliche Gegner der Regierung sind, einschließlich Zivilpersonen, die aus Gebieten stammen oder in Gebieten wohnen, die derzeit oder früher von bewaffneten oppositionellen Gruppen kontrolliert werden bzw. wurden, wahrscheinlich internationalen Flüchtlingsschutz benötigen, je nach den Umständen des Einzelfalls.
Wenn der Beschwerdeführer auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 04.10.2023, E 65/2023, verweist (vgl. AS 539), ist diesbezüglich auszuführen, dass im gegenständlichen Verfahren keinesfalls verkannt wird, dass der Beschwerdeführer aus einem ehemaligen Oppositionsgebiet stammt und nach den Länderfeststellungen zufolge die Wahrscheinlichkeit der Einberufung einer Person entscheidend von deren Herkunftsregion mitbestimmt wird. Unter Zugrundelegung sämtlicher Angaben des Beschwerdeführers ist dennoch festzustellen, dass dem Beschwerdeführer allein aufgrund seiner Wehrdienstverweigerung und seiner Abstammung aus einem ehemaligen oppositionellen Gebiet keine politische oppositionelle Gesinnung (zumindest) unterstellt wird. Auch die Länderberichte verdeutlichen, dass jeweils auf den Einzelfall abzustellen ist und nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit jedem Wehrdienstentzieher aus einem ehemaligen Oppositionsgebiet eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird.
Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass sich aus den Länderberichten nicht ableiten lässt, dass sämtliche Zivilisten aus (ehemals) von oppositionellen Gruppierungen besetzten Gebieten von Verfolgungshandlungen durch das syrische Regime aufgrund einer ihnen unterstellten regierungsfeindlichen Haltung betroffen sind. Wie zuvor aufgezeigt, hat der Beschwerdeführer nicht glaubhaft gemacht, dass er Handlungen gesetzt hat, die zur Zuschreibung einer oppositionellen politischen Gesinnung durch das syrische Regime führen würden. Auch entsprechende Aktivitäten seiner Familiengehörigen brachte er während des gesamten Verfahrens nicht vor, sodass auch unter Berücksichtigung seiner Herkunft nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, dass das syrische Regime ihm eine oppositionelle politische Haltung zuschreiben würde.
Wenn der Beschwerdeführer weiters in der schriftlichen Beschwerde vorbringt, dass insbesondere jungen sunnitischen Männern eine oppositionelle Haltung zugeschrieben werde (vgl. AS 539), ist auf das aktuelle Länderinformationsblatt zu verweisen. Demnach ist die Zusammensetzung der syrisch-arabischen Armee ein Spiegelbild der syrischen Bevölkerung und aufgrund dessen sind die Wehrpflichtigen mehrheitlich sunnitische Araber, die vom Regime laut einer Quelle als „Kanonenfutter“ im Krieg eingesetzt wurden. Die sunnitisch-arabischen Soldaten waren (ebenso wie die alawitischen Soldaten und andere) gezwungen, den größeren Teil der revoltierenden sunnitisch-arabischen Bevölkerung zu unterdrücken. Auch die alawitischen Soldaten verzeichneten eine hohe Anzahl an Todesopfern (vgl. 1.3.4.2.). Dass insbesondere sunnitischen Wehrpflichtigen eine oppositionelle Haltung zugeschrieben werde, kann den Länderberichten somit nicht entnommen werden. In der vom Beschwerdeführer angeführten Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Syrien „Wehrdienst“ vom 27.01.2022 wird zwar angeführt, dass „junge Männer, vor allem sunnitische, besonders bei den Behörden unter Verdacht“ stehen würden, aber auch, dass die „Bestrafungen ziemlich gleich [seien] für alle Wehrdienstverweigerer“. Auch dieser Anfragebeantwortung ist somit keine pauschale gegen jeden jungen, sunnitischen Wehrdienstverweigerer gerichtete Bedrohung zu entnehmen.
Ansonsten ist dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Gesamten vielmehr zu entnehmen, dass er aufgrund der seit 2011 andauernden volatilen Lage nicht zurück nach Syrien will. In Bezugnahme auf seinen Fluchtgrund gab er bereits in der polizeilichen Erstbefragung an, dass er aufgrund des Bürgerkriegs und aufgrund des Militärdienstes Syrien verlassen habe (vgl. AS 15). Auch in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde brachte er vor, dass er „lieber sterben [würde] als dorthin zurückzukehren“ (vgl. AS 129). Zudem gab er am Ende der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage der erkennenden Richterin auf die Frage, was ihm konkret passieren würde, wenn er jetzt wieder nach Syrien zurückkehren müsste, pauschal an, dass er dort sterben müsste (vgl. Niederschrift vom 19.08.2024, S. 11: „Ich werde wirklich sterben, wirklich.“). Auf die weitere Frage, aus welchem Grund er sterben müsse, brachte er vor, dass er das Gebiet nicht verlassen hätte, wenn es eine Möglichkeit gegeben hätte weiterhin dort zu leben. Wenngleich das Vorbringen des Beschwerdeführers menschlich absolut verständlich und nachvollziehbar ist, begründet dies keine konkret gegen den Beschwerdeführer gerichtete Bedrohung, sondern begründet vielmehr, warum er den Status eines Subsidiär Schutzberechtigten erhielt.
Zusammengefasst lässt sich dem Vorbringen des Beschwerdeführers keine explizit gegen den Beschwerdeführer gerichtete Bedrohung entnehmen. Es ist auch nicht glaubhaft, dass er in Syrien und in Österreich an Demonstrationen teilgenommen hat und aufgrund dessen in das Visier der syrischen Regierung geraten ist. Eine gegen die syrische Regierung gerichtete, verinnerlichte politische Gesinnung ist dem Vorbringen des Beschwerdeführers damit insgesamt nicht zu entnehmen. Aus den Schilderungen des Beschwerdeführers ergibt sich vielmehr, dass er – durchaus nachvollziehbar – schlicht nicht kämpfen und nicht töten bzw. auch selbst nicht getötet werden möchte. Daraus ergibt sich jedoch noch keine politisch-oppositionelle Gesinnung des Beschwerdeführers. Es wird ihm aufgrund dessen auch keine oppositionelle politische Gesinnung vom syrischen Regime (zumindest) unterstellt. Der Beschwerdeführer ist damit jedenfalls keine politisch exponierte Person. Dem Beschwerdeführer droht daher auch aus diesem Grund im Fall einer Rückkehr in sein Herkunftsgebiet kein Eingriff in seine körperliche Integrität durch die syrische Regierung.
2.2.2.1. Zur vorgebrachten Bedrohung aufgrund seiner Familienzugehörigkeit zum Märtyrer namens XXXX :
Am Ende der mündlichen Verhandlung brachte der Beschwerdeführer erstmals vor, dass seine Familie im Jahr 2011 gegen das Regime „aufgestanden“ sei. Der erste Märtyrer der syrischen Revolution stamme aus seiner Familie, er heiße XXXX . Man könne dies im Internet nachlesen. Das Regime sehe seitdem seine Familie als Feind an, vor allem nachdem das Regime versucht habe der Familie Geld zu zahlen und diese die Annahme verweigert habe (vgl. Niederschrift vom 19.08.2024, S. 12).
Den vorliegenden Länderberichten lassen sich keine Informationen über einen „Märtyrer“ mit dem genannten Namen entnehmen. Im Zuge einer amtswegigen Internetrecherche zu dem Namen lassen sich einigen Webseiten entnehmen, dass sich im Jahr 2011 mehrere hunderte Demonstranten in der Stadt XXXX versammelten und im Zuge dessen XXXX junge Männer, unter anderem ein XXXX , von der syrischen Polizei erschossen wurden (vgl. auszugsweise XXXX jeweils abgerufen am 27.09.2024). In Anbetracht dessen ist das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers – bezugnehmend auf die Existenz einer Person mit diesem Namen – grundsätzlich als glaubhaft zu bewerten. Dem erkennenden Gericht erschließt sich jedoch nicht, inwiefern der Beschwerdeführer samt Familie bis 2021 in seinem Herkunftsgebiet leben konnte, wenn die ganze Familie angeblich von der syrischen Regierung als Feind angesehen wird. Der Beschwerdeführer brachte auch im gesamten Verfahren niemals vor, dass er aufgrund seines Namens Probleme gehabt hätte, zumal alle seine vorgebrachten Vorfälle auf den seit 2011 andauernden Kriegszustand zurückzuführen sind und keine gezielten Angriffe gegen seine Familie darstellten. Auch sein Neffe, Schwager und Bruder sind aufgrund von Bombardierungen verstorben und nicht, weil sie als Familie gezielt bedroht oder getötet wurden (vgl. Niederschrift vom 19.08.2024, S. 9; AS 130: „Im Jahr 2015 ist mein Neffe aufgrund des Lärms, den die Bomben gemacht haben, verstorben. Er war zwei Monate alt und die Bombe explodierte in der Nähe des Hauses meines Bruders. Mein Bruder ist am 17.02.2017 bei einem Raketenangriff an seinem Haus verstorben. Der Mann meiner Schwester ist im Juni 2017 bei einem Flugzeugangriff an seinem Haus verstorben.“). Zudem konnte der Beschwerdeführer nicht einmal erklären in welchem Verwandtschaftsgrad er zu dem getöteten jungen Mann angeblich steht (vgl. bezugnehmend auf eine allfällige Reflexverfolgung aufgrund der Familienangehörigkeit Unterpunkt 2.2.2.2.).
Eine Bedrohung aufgrund dessen ist nicht maßgeblich wahrscheinlich.
2.2.2.2. Zur vorgebrachten Reflexverfolgung aufgrund seiner Familienzugehörigkeit zu seinem Onkel:
Der Beschwerdeführer konnte sein Fluchtvorbringen, er werde aufgrund seiner Familienzugehörigkeit zu seinem Onkel vonseiten der syrischen Regierung bedroht, nicht glaubhaft machen. Der Beschwerdeführer gab weder in der polizeilichen Erstbefragung noch in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde eine allfällige Bedrohung aufgrund seines Onkels an. Erstmals in der schriftlichen Beschwerde führte der vertretene Beschwerdeführer aus, dass sein Onkel in Österreich den Status eines Asylberechtigten habe und Familienangehörige von Personen, die als regierungsfeindlich wahrgenommen werden, vom syrischen Regime verfolgt werden würden und die oppositionelle Gesinnung auch Familienangehörigen zugeschrieben werden würde. Dies auch vor dem Hintergrund, dass in Syrien auch nach Personen aufgrund von Namensgleichheit gefahndet werde (vgl. AS 534, 535). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs sei eine Verfolgung aufgrund der Familienangehörigeneigenschaft asylrelevant (vgl. AS 542).
In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht erstattete der Beschwerdeführer selbst kein eigenes Vorbringen in diese Richtung. Erst auf Nachfrage der erkennenden Richterin, ob er wisse warum sein Onkel den Status als Asylberechtigten in Österreich erhalten habe, brachte der Beschwerdeführer vor, dass sein Onkel mütterlicherseits Zahnarzt gewesen sei und sich gut mit Erste Hilfe auskenne und als Sanitäter bei Bombardierungen und Luftangriffen die Verletzten versorgt habe. Die Verwundeten hätten damals nicht in das Krankenhaus können, weil das syrische Regime an der Macht gewesen sei. Außerdem sei der Freund seines Onkels inhaftiert worden, aus diesem Grund habe er Syrien verlassen (vgl. Niederschrift vom 19.08.2024, S. 9).
Den vorliegenden Länderberichten lässt sich jedoch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Bedrohung aufgrund seiner Familienangehörigeneigenschaft entnehmen:
UNHCR weist in seinen Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen darauf hin, dass das syrische Regime im Wege der „Sippenhaftung“ bzw. „Reflexverfolgung“ auch mit Bedrohungen, Schikanen, willkürlichen Verhaftungen, Folter, Zwangsverschleppungen und Verschwindenlassen gegen Familienangehörige von Oppositionellen vorgeht, gerade auch wenn sich diese nicht mehr in Syrien aufhalten, dies insbesondere um Vergeltung zu üben oder die im Ausland aufhältigen Oppositionellen zur Rückkehr nach Syrien zu bewegen (vgl. UNHCR, S. 108 ff).
Auch EUAA verweist in seinem Country Guidance darauf, dass Familienangehörige von politisch und/ oder bewaffneten Oppositionellen und Aktivisten von der syrischen Regierung anvisiert wurden. Syrer wurden von der Regierung gesucht und aus den unterschiedlichsten Gründen willkürlich inhaftiert, bspw., weil sie einen ähnlichen Namen wie eine oppositionelle Person trugen und manchmal auch ohne ersichtlichen Grund (vgl. EUAA 2, S. 29 ff). Auch Personen mit tatsächlichen oder vermeintlichen familiären Verbindungen zu politischen Dissidenten und Aktivisten wurden Berichten zufolge von den syrischen Behörden verhaftet und gefoltert (vgl. EUAA 2, S. 34). EUAA zufolge wurden seit 2011 auch vermehrt medizinisches Personal bedroht und getötet. Im Juli 2018 wurden auch mehrere Hunderte Mitglieder der Weißhelme (englisch: White Helmets) evakuiert, die syrische Regierung stuft die Weißhelme als terroristische Organisation ein (vgl. EUAA 2, S. 69).
Dem aktuellen Länderinformationsblatt ist zu entnehmen, dass die syrische Regierung immer wieder gegen Personen, die sich abweichend oder oppositionell geäußert haben, unter anderem durch willkürliche Inhaftierung, Folter und Schikanen gegen Kritiker und ihre Angehörigen, vorgegangen ist (vgl. 1.3.7.). Zudem betrachtet die syrische Regierung medizinisches Personal als Staatsfeinde, wenn dieses diskriminierungsfrei medizinische Versorgung in Gebieten, die außerhalb der Regierungskontrolle liegen, anbietet, und auch sonst sind Mitarbeiter des Gesundheitssektors spezifische Ziele wegen ihres Berufs oder ihrer tatsächlichen oder angenommenen medizinischen Versorgung von Oppositionellen (vgl. 1.3.6.).
Unter Zugrundelegung der vorliegenden Länderinformationen lässt sich allein aus dem Umstand, dass sein Onkel angeblich ein Zahnarzt in Syrien gewesen sei und als Sanitäter bei Bombardierungen und Luftangriffen Verletzte versorgt habe und nun in Österreich lebt, ohne Hinzutreten weiterer risikoerhöhender Faktoren, kein persönliches Bedrohungsrisiko für den Beschwerdeführer ableiten. Der Beschwerdeführer steht zu seinem Onkel nicht in Verwandtschaft ersten Grades, stellt somit keinen nahen Angehörigen dar, und ergibt sich auch aus dem restlichen Vorbringen keine erhöhte Bedrohungslage. Den Länderinformationen ist zu entnehmen, dass die syrische Regierung teilweise gegen medizinisches Fachpersonal und Familienangehörige von Oppositionellen vorgeht. Der Beschwerdeführer selbst ist jedoch kein medizinisches Fachpersonal, dass jeder entfernte Familienangehörige ebenfalls bedroht werde, lässt sich den Länderinformationen nicht entnehmen. Des Weiteren ist es der Familie des Beschwerdeführers, bestehend aus seinen Eltern, seinem 17-jährigen Bruder und zwei Schwestern, weiterhin möglich im Herkunftsgebiet des Beschwerdeführers zu leben. Befragt zur Situation seiner Familie in Syrien gab er am Ende der mündlichen Verhandlung lediglich an, dass seine Eltern „zu alt“ seien, sein Bruder lerne und Wehrdienstaufschübe erhalte und Frauen (Anm.: in Bezugnahme auf seine zwei Schwestern) „auch keine Probleme [hätten], weil sie nicht zum Militärdienst“ müssten (vgl. Niederschrift vom 19.08.2024, S. 12, 13). In seiner Antwort bezog er sich trotz expliziter Frage der erkennenden Richterin, wie seine Familie unbehelligt in seinem Herkunftsgebiet leben könne, wenn das syrische Regime gegen seine Familie sei, lediglich auf allfällige Bedrohungen aufgrund des Militärdienstes und ließ Bedrohungen aufgrund seiner Familienangehörigkeit zu angeblichen Märtyrern oder asylberechtigten Verwandten außen vor. Zudem ist noch einmal darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer bis 2021 problemlos (mit Ausnahme der bereits behandelten Vorfälle) in seinem Herkunftsgebiet leben konnte und auch niemals aufgrund seines Onkels bedroht wurde. Weiters kommt hinzu, dass der Vater des Beschwerdeführers pensionierter Beamter ist und für das Unternehmen namens XXXX (zuständig für Bauarbeiten an Straßen und Brücken) arbeitete und somit dem syrischen Regime als ehemaliger Beamter zumindest bekannt ist. Zudem brachte der Beschwerdeführer weder in seiner polizeilichen Erstbefragung, in seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde noch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht jemals eine konkrete Bedrohung aufgrund seiner Familienangehörigeneigenschaft vor. Überdies ist nicht anzunehmen, dass die Asylzuerkennung seines Onkels den syrischen Behörden bekannt ist, zumal es den österreichischen Behörden untersagt ist, diesbezüglich Daten an die syrischen Behörden weiterzuleiten.
Das Bundesverwaltungsgericht verkennt, wie bereits oben ausgeführt wurde, keineswegs, dass eine tatsächliche oder regierungskritische Haltung einer Person häufig auch Familienmitgliedern zugeschrieben wird (vgl. VwGH vom 22.06.2023, Ra 2023/18/0012; VwGH vom 07.03.2023, Ra 2022/18/0290; VwGH vom 29.08.2023, Ra 2022/18/0193; VfGH vom 27.11.2023, E 2497/2023; VwGH vom 07.05.2024, Ra 2023/19/0415). Eine derart exponierte Stellung der gesamten Familie und insbesondere des Beschwerdeführers, dass dieser konkret persönlich bedroht wird, konnte aus den Angaben des Beschwerdeführers nicht eruiert werden. Wieso genau der Beschwerdeführer persönlich in das Visier des syrischen Regimes geraten sollte, erschließt sich dem erkennenden Gericht nicht.
Aufgrund seines vagen und undetaillierten Vorbringens konnte der Beschwerdeführer keine persönliche Bedrohung beziehungsweise Gefährdung geltend machen. Der Beschwerdeführer wird nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit vom syrischen Regime bedroht. Ihm droht daher aus diesen Gründen im Fall einer Rückkehr in sein Herkunftsgebiet kein Eingriff in seine körperliche Integrität, weswegen die entsprechende Feststellung zu treffen war.
2.2.3. Zu einer vorgebrachten Bedrohung aufgrund seiner illegalen Ausreise, seiner Herkunft aus einem ehemals oppositionellen Gebiet und seiner Asylantragstellung im Ausland:
Als weitere Fluchtgründe brachte der Beschwerdeführer erstmals in seiner Beschwerde vor, dass aufgrund der kumulativen Gefährdungsfaktoren Wehrdienstverweigerung, illegale Ausreise, Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz in Österreich, Abstammung aus einem als oppositionell angesehenen Gebiet und Sippenhaftung jedenfalls davon auszugehen sei, dass er bei einer Rückkehr nach Syrien als in Opposition zur Regierung stehend angesehen werden würde und ihm somit Verfolgung im Sinne der GFK drohe (vgl. AS 526, 527). Auch am Ende der mündlichen Verhandlung betonte er, dass er als Verräter angesehen werde, weil er sein Heimatland verlassen habe, obwohl dort Krieg herrsche (vgl. Niederschrift vom 19.08.2024, S. 12).
Der Beschwerdeführer konnte keine ihm aus diesen Gründen – von der bereits behandelten Wehrdienstverweigerung, Abstammung aus einem ehemaligen Oppositionsgebiet und der Sippenhaftung abgesehen – drohende Verfolgung aber durch Verweis auf entsprechende Länderberichte belegen. Den Länderberichten ist nicht zu entnehmen, dass Personen, sofern sie nicht politisch exponiert sind, allein aufgrund ihrer illegalen Ausreise, Asylantragsstellung im Ausland oder Abstammung aus einem als oppositionell angesehenen Gebiet Verfolgung durch die syrische Regierung zu befürchten hätten. Rückkehrern wird von der Regierung und Teilen der Bevölkerung zwar mit Misstrauen und Ablehnung begegnet, tatsächliche Repressalien richten sich aber insbesondere gegen jene, die als oppositionell oder regimekritisch bekannt sind (vgl. 1.3.7.).
Er entspricht auch sonst keinem Risikoprofil (beispielsweise Journalisten, Menschenrechtsaktivisten, Mediziner, die im von der Regierung besetzten Oppositionsgebiet gearbeitet haben), das vermehrt oder mit höherer Wahrscheinlichkeit Repressalien seitens der Regierung ausgesetzt ist. Es ist daher nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass dem Beschwerdeführer allein aufgrund seiner Ausreise oder seiner Abstammung aus einem oppositionell kontrollierten Gebiet Sanktionen wegen einer (ihm unterstellten) politischen Gesinnung drohen. Ebenso wenig führt eine Asylantragstellung in Österreich zu Sanktionen, weil die Antragstellung den syrischen Behörden nicht bekannt ist, zumal es den österreichischen Behörden untersagt ist, diesbezüglich Daten an die syrischen Behörden weiterzuleiten.
Dem Beschwerdeführer droht daher auch aus diesen Gründen im Fall einer Rückkehr in sein Herkunftsgebiet kein Eingriff in seine körperliche Integrität durch die syrische Regierung.
Da für den Beschwerdeführer keine konkret gegen seine Person gerichtete Bedrohung durch das syrische Regime besteht, ist es ihm möglich, über sämtliche offene Grenzübergänge nach Syrien einzureisen, insbesondere über den Flughafen in Damaskus, der unter der Kontrolle des Regimes steht, wie sich aus den angeführten Karten und Länderberichten ergibt.
2.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Länderberichte. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche bieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der herangezogenen Länderinformationen zu zweifeln. Die den Feststellungen zugrundeliegenden Länderberichte sind in Bezug auf die Sicherheits- und Versorgungslage in Syrien aktuell.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides – Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten
3.1.1. § 3 Asylgesetz 2005 (AsylG) lautet auszugsweise:
„Status des Asylberechtigten
§ 3 (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.
(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn 1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder 2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.
…“
3.1.2. Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG liegt es am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.
Nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr kann relevant sein, diese muss im Entscheidungszeitpunkt vorliegen. Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).
3.1.3. Wie festgestellt leistete der XXXX -jährige-Beschwerdeführer seinen verpflichtenden Wehrdienst beim syrischen Militär bislang nicht ab. Der Beschwerdeführer erhielt bis 2021 jeweils auf ein Jahr befristete Wehrdienstaufschübe aufgrund seines Studiums. Er wurde jedoch niemals vonseiten der syrischen Regierung konkret aufgefordert einen Wehrdienst abzuleisten. Er erhielt bislang auch keinen Einberufungsbefehl,
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar, sondern könnte nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen (vgl. VwGH 26.06.2024, Ra 2024/20/0154-11). Die Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung kann asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen – wie etwa der Anwendung von Folter – jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine „bloße“ Gefängnisstrafe eine asylrelevante Verfolgung darstellen (vgl. VwGH 04.07.2023, Ra 2023/18/0108; 21.05.2021, Ro 2020/19/0001; VwGH 13.11.2019, Ra 2019/18/0274, mwN; EuGH 26.02.2015, C-472/13, Shepherd).
Für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft kommt es nicht bloß auf die tatsächliche politische Gesinnung an, auch die seitens der Verfolger dem Asylwerber unterstellte politische Gesinnung ist asylrechtlich relevant (vgl. VwGH 28.02.2024, Ra 2023/20/0619 mwN). Ein Automatismus, wonach jedem im Ausland lebenden Syrer, der seinen Wehrdienst nicht abgeleistet hat, im Herkunftsstaat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt und deswegen eine unverhältnismäßige Bestrafung drohen würde, liegt jedoch nicht vor (vgl. VwGH 26.06.2024, Ra 2024/20/0154-11; VwGH 08.11.2023, Ra 2023/20/0520). Nichts anderes gilt für die Frage, ob ein den Militärdienst ableistender syrischer Staatsangehöriger sich dazu gezwungen sähe, zu Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen beizutragen (vgl. wiederum VwGH 28.02.2024, Ra 2023/20/0619 mwN).
Auch UNHCR führt in seinen Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, aus, dass Wehrdienstentziehern regelmäßig eine regierungsfeindliche Gesinnung unterstellt werde, ein Automatismus, dass dies bei jedem Wehrdienstverweigerer wäre, lässt sich dem Bericht jedoch eben nicht entnehmen. Der UNHCR Bericht stützt sich unter anderem auf eine Fußnote, die ebenso belegt, dass Wehrdienstentzieher wahrscheinlich die Wahrnehmung verstärken, dass sie eine gegen die Regierung gerichtete Haltung haben (vgl. UNHCR, S. 102, FN 461). UNHCR führt bei beiden Risikoprofilen aus, dass Personen mit diesen Profilen „wahrscheinlich internationalen Flüchtlingsschutz benötigen, je nach den Umständen des Einzelfalls aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen politischen Meinung und/oder anderer maßgeblicher Gründe“ (vgl. UNHCR, S. 123, 138). UNHCR verweist dabei aber wiederum maßgeblich auf das Urteil des EuGH vom 19.11.2020 in der Rechtssache EZ/Deutschland. Dem zitierten Urteil des EuGH ist jedoch gerade keine – abschließende – Beurteilung hinsichtlich der Verknüpfung zum Asylgrund der politischen Gesinnung zu entnehmen. So führte der EuGH im gegenständlichen Urteil zwar aus, dass eine starke Vermutung dafürspricht, dass die Verweigerung des Militärdienstes unter den in Art. 9 Abs. 2 lit. e Statusrichtlinie genannten Voraussetzungen mit einem der fünf in Art. 10 dieser Richtlinie aufgezählten Gründe in Zusammenhang steht (vgl. EuGH 19.11.2020, C-238/19, Rs. EZ). Wie nachfolgend ausgeführt, liegen im gegenständlichen Fall die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. e Statusrichtlinie aufgrund der bestehenden legalen Möglichkeit der Befreiung vom Wehrdienst aber nicht vor. Im Übrigen ist es – wie der EuGH weiters ausführte – auch Sache der zuständigen nationalen Behörden, in Anbetracht sämtlicher in Rede stehender Umstände die Plausibilität der Verknüpfung mit einem der in Art. 10 Statusrichtlinie aufgezählten Gründe zu prüfen (vgl. EuGH 19.11.2020, C-238/19, Rs. EZ).
Nun führte zwar die EUAA zur Verknüpfung einer zu prognostizierenden begründeten Furcht vor Verfolgung wegen einer Wehrdienstverweigerung aus, dass die (verfügbaren) Informationen es indizieren („indicate“) könnten, dass solche Verfolgungshandlungen sehr wahrscheinlich („highly likely“) wegen einer unterstellten politischen Gesinnung erfolgen würden (vgl. EUAA 2, S. 46 ff). In diesem Zusammenhang lässt die EUAA – mit Ausnahme des Verweises auf das Urteil des EuGH vom 19.11.2020, C-238/19, Rs. EZ – aber eine nähere Begründung für diese Beurteilung vermissen und führt auch aus, dass es Sache der nationalen Behörden sei, im Einzelfall zu prüfen, ob ein Zusammenhang nach Art. 10 Statusrichtlinie plausibel sei, dies im Lichte der relevanten aktuellen Informationen über die Situation im Herkunftsland und die persönlichen Umstände des Antragstellers.
Es bedarf sohin unter Bedachtnahme auf die Verhältnisse in Syrien immer einer Beurteilung unter Einbeziehung aller konkreten Umstände des Einzelfalls, ob im Fall der Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes eine Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus asylrechtlich relevanten Gesichtspunkten droht. Da nach der Rechtsprechung die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung nicht genügt, ist es für die Gewährung von Asyl nicht ausreichend, derselben eine bloß theoretisch denkbare Möglichkeit eines Verfolgungsszenarios zugrunde zu legen.
Es ist für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten für sich genommen auch nicht ausreichend, wenn der asylwerbende Fremde, der in der Verhandlung angegeben hat, dass er keine Waffe tragen und keine Menschen töten wolle, Gründe, warum er den Militärdienst nicht ableisten möchte, ins Treffen führt, die Ausdruck einer politischen oder religiösen Gesinnung sein können. Nach der oben wiedergegebenen Rechtsprechung müssen nämlich, damit der Status des Asylberechtigten zuerkannt werden kann, die Verfolgungshandlungen aus asylrechtlich relevanten Gesichtspunkten drohen.
Im Zusammenhang mit syrischen Staatsangehörigen, die ihren Militärdienst nicht abgeleistet haben, dient die Gewährung von subsidiärem Schutz dem Schutz vor (mit realem Risiko drohenden) willkürlichen Zwangsakten bei Fehlen eines kausalen Konnexes zu einem in der GFK genannten Grund (vgl. zum Ganzen wiederum VwGH 28.02.2024, Ra 2023/20/0619).
Wie sich aus den obigen Feststellungen und der zugehörigen Beweiswürdigung – auf welche verwiesen wird – ergibt, ist der Beschwerdeführer gesund und befindet sich im wehrfähigen Alter. In Anbetracht der vorliegenden Länderinformationen droht dem Beschwerdeführer im Falle seiner (hypothetischen) Rückkehr nach Syrien eine unverhältnismäßige Strafverfolgung wegen der Verweigerung des Wehrdienstes, weil dafür gesetzlich eine mehrjährige Haftstrafe vorgesehen ist, jedenfalls aber eine hohe Wahrscheinlichkeit einer längeren Haftdauer mit Folter besteht. Es besteht im vorliegenden Fall für den Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat sohin eine maßgebliche Gefahr einer Verfolgungshandlung seitens des syrischen Regimes.
Jedoch ist (mittlerweile) von einer differenzierten Haltung der syrischen Regierung Wehrdienstverweigerern gegenüber auszugehen, weshalb jedenfalls nicht mehr von einer automatischen Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung aufgrund der Verweigerung des Wehrdienstes ausgegangen werden kann.
Zwar würde der Beschwerdeführer den Wehrdienst in der syrischen Armee (vermutlich) verweigern, jedoch konnte er im gesamten Verfahren keine glaubwürdig verinnerlichte Abneigung bzw. politisch-oppositionelle Haltung der syrischen Regierung gegenüber darlegen. Auch konnte er keine glaubhaften religiösen Gründe bzw. Gewissengründe gegen den Dienst an der Waffe an sich darlegen. Darüber hinaus ist es nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass dem Beschwerdeführer von der syrischen Regierung – trotz einer Wehrdienstverweigerung – eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werden würde.
Der Beschwerdeführer betätigte sich, wie festgestellt, niemals politisch, konnte nicht glaubhaft machen, dass er jemals an Demonstrationen teilnahm und geriet aufgrund dessen auch niemals in das Visier der syrischen Regierung. Ihm wird auch nicht von der syrischen Regierung eine oppositionelle politische Tätigkeit oder Gesinnung (zumindest) aufgrund der Asylberechtigung seines Onkels mütterlicherseits unterstellt.
Zudem führt auch die Eigenschaft als sunnitischer Araber für sich genommen nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu gezielter Verfolgung (vgl. EUAA 2, S. 73).
Bei einer Rückkehr in sein Herkunftsgebiet in Syrien droht ihm daher aus diesen Gründen individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität.
3.1.4. Der Beschwerdeführer konnte nicht glaubhaft machen, dass ihm eine politische oppositionelle Gesinnung aufgrund einer angeblichen Verwandtschaft zum „Märtyrer XXXX “ oder aufgrund einer Namensgleichheit von der syrischen Regierung zumindest unterstellt wird.
3.1.5. Wie ebenfalls bereits beweiswürdigend erläutert, ist eine Gefährdung des Beschwerdeführers und die Unterstellung einer oppositionellen politischen Gesinnung aufgrund der ärztlichen Tätigkeit seines Onkels und der Asylgewährung in Österreich nicht maßgeblich wahrscheinlich. Dem Beschwerdeführer droht demnach keine asylrelevante Verfolgung als Familienangehöriger.
3.1.6. Schließlich droht einer politisch nicht exponierten Person wie dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in sein Herkunftsgebiet in Syrien auch nicht bloß wegen seiner illegalen Ausreise, der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz in Österreich oder der Abstammung aus einem als oppositionell angesehenen Gebiet Lebensgefahr oder ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch die syrische Regierung.
Es liegt beim Beschwerdeführer keine Verfolgungsgefahr aus einem Konventionsgrund vor.
3.1.7. Die Durchsicht der aktuellen Länderberichte zur Herkunftsregion des Beschwerdeführers erlaubt es auch nicht anzunehmen, dass gegenständlich sonstige mögliche Gründe für die Befürchtung einer entsprechenden Verfolgungsgefahr vorliegen.
3.1.8. Im Ergebnis droht dem Beschwerdeführer aus den von ihm ins Treffen geführten oder sonstigen Gründen im Herkunftsstaat keine asylrelevante Verfolgung.
3.1.9. Die Beschwerde war daher betreffend Spruchpunkt I. und somit – da sie sich ausdrücklich nur gegen diesen richtete (vgl. AS 526) – zur Gänze als unbegründet abzuweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.
In der Beschwerde findet sich kein Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Entscheidung folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.