Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner sowie die Hofräte Dr. Schwarz und Dr. Terlitza als Richterin und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Vonier, über die Revision des I H in W, vertreten durch Mag. Stefan Errath, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Untere Viaduktgasse 6/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. September 2022, W297 2249426 1/4E, betreffend Angelegenheiten nach dem Asylgesetz 2005 und dem Fremdenpolizeigesetz 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),
1. zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird insoweit, als damit ein Einreiseverbot für die Dauer von drei Jahren erlassen wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
2. den Beschluss gefasst:
Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
1 Der 1972 geborene Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Nordmazedonien, heiratete am 23. Mai 2017 eine österreichische Staatsangehörige. Am 20. August 2018 beantragte der Revisionswerber einen Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“, der durch Ausfolgung der Karte am 21. Mai 2019 erteilt wurde. Er hält sich seit Mai 2019 durchgehend im Bundesgebiet auf. Am 24. April 2020 stellte der Revisionswerber einen Verlängerungsantrag bei der Niederlassungsbehörde.
2 Mit Bescheid der Niederlassungsbehörde vom 19. Mai 2020 wurde das Verfahren zur Ersterteilung eines Aufenthaltstitels wiederaufgenommen und der Antrag vom 20. August 2018 sowie der Verlängerungsantrag vom 24. April 2020 aufgrund des Vorliegens einer Aufenthaltsehe gemäß § 11 Abs. 1 Z 4 iVm § 30 Abs. 1 NAG abgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 20. November 2020 abgewiesen.
3 Mit Bescheid der belangten Behörde vom 6. Oktober 2021 wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass die Abschiebung nach Nordmazedonien zulässig sei, eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt und ein Einreiseverbot für die Dauer von drei Jahren erlassen.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde die dagegen gerichtete Beschwerde des Revisionswerbers ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt A) und ausgesprochen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt B).
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die außerordentliche Revision nach Einleitung des Vorverfahrens eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
5 Liegen wie hier trennbare Absprüche vor, so ist die Zulässigkeit einer dagegen erhobenen Revision auch getrennt zu überprüfen (vgl. z.B. VwGH 7.4.2022, Ra 2019/17/0110, mwN).
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, sind gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist nach § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.
9 Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof ausschließlich im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 Im Revisionspunkt erachtet sich der Revisionswerber durch das angefochtene Erkenntnis „in seinem subjektiven Recht auf Erlassung eines Einreiseverbotes nur bei Vorliegen der hierfür notwendigen gesetzlichen Voraussetzungen sowie der notwendigen Dauer desselben“ verletzt.
11 Gemäß § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG hat die Revision die Bezeichnung der Rechte, in dem die revisionswerbende Partei verletzt zu sein behauptet (Revisionspunkte), zu enthalten. Durch die von der revisionswerbenden Partei vorgenommene Bezeichnung der Revisionspunkte wird der Prozessgegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens festgelegt und der Rahmen abgesteckt, an den der Verwaltungsgerichtshof bei Prüfung des angefochtenen Erkenntnisses oder des angefochtenen Beschlusses gemäß § 41 VwGG gebunden ist. Demnach hat der Verwaltungsgerichtshof nicht zu prüfen, ob durch die angefochtene Entscheidung irgendein subjektives Recht der revisionswerbenden Partei verletzt wurde, sondern nur zu prüfen, ob jenes Recht verletzt wurde, dessen Verletzung sie behauptet. Der in § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG geforderten Angabe der Revisionspunkte kommt für den Prozessgegenstand des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof insoweit entscheidende Bedeutung zu, als der Revisionswerber jenes subjektive Recht herauszuheben hat, dessen behauptete Verletzung die Legitimation zur Revisionserhebung erst begründet. Wird der Revisionspunkt unmissverständlich ausgeführt, so ist er einer Auslegung aus dem Gesamtzusammenhang der Revision nicht zugänglich (vgl. VwGH 5.1.2022, Ra 2020/17/0123 bis 0125, mwN).
12 Die Revision war, soweit sie sich auch gegen die Nichterlassung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung, dass die Abschiebung nach Nordmazedonien zulässig sei, sowie die Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise wendet, daher schon mangels eines vom Revisionswerber geltend gemachten Revisionspunktes gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
13 Soweit sich die Revision hingegen gegen die Verhängung und Dauer des Einreiseverbots wendet, ist sie in Bezug auf ihr Zulässigkeitsvorbringen zum Abweichen des Verwaltungsgerichts von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen für ein Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA Verfahrensgesetz (BFA VG) zulässig und begründet.
14 Gemäß dem im vorliegenden Fall anzuwendenden § 21 Abs. 7 BFA VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind zur Beurteilung, ob der Sachverhalt im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA VG geklärt erscheint und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach dieser Bestimmung unterbleiben kann, folgende Kriterien beachtlich:
Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018, sowie aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 14.12.2022, Ra 2021/17/0046, mwN).
15 In der Beschwerde führte der Revisionswerber erkennbar in Erwiderung auf die „Annahme über das Vorliegen einer Aufenthaltsehe“ durch die belangte Behörde im Bescheid vom 6. Oktober 2021 aus, „dass [die Ehegatten] tatsächlich ein Familienleben iSd Art 8 EMRK führen“ und der Revisionswerber seine schwer erkrankte Ehegattin „in dieser Zeit gepflegt“ habe; er beantragte u.a. die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
Ein eindeutiger Fall lag gegenständlich unter diesen Umständen nicht vor, weil die Erstellung einer aktualisierten (und unter Berücksichtigung dieses vom Revisionswerber in der Beschwerde behaupteten Sachverhalts) Gefährdungsprognose auch angesichts des in Rede stehenden, mehrere Jahre zurückliegenden Fehlverhaltens des Revisionswerbers die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung erforderte (zur Verhandlungspflicht bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen vgl. etwa VwGH 18.11.2021, Ra 2021/22/0148; 24.2.2022, Ra 2020/21/0241, 0242; jeweils mwN). Ein geklärter Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA VG lag demnach nicht vor.
16 Das angefochtene Erkenntnis war daher insoweit, als damit ein Einreiseverbot für die Dauer von drei Jahren erlassen wurde, gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
17 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 27. Juni 2023