JudikaturVwGhRo 2022/14/0003

Ro 2022/14/0003 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
29. April 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer und die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel, Dr. in Sembacher, Mag. I. Zehetner und Mag. Bayer als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Prendinger, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Mai 2022, W261 1242924 3/21E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (mitbeteiligte Partei: M K in D, vertreten durch Mag. Hubert Wagner, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Wattmanngasse 8/6), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

1 Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, stellte am 4. Juli 2003 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem AsylG 1997, der mit Bescheid des (damals zuständigen) Bundesasylamtes vom 30. September 2003 abgewiesen und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 8 AsylG 1997 für zulässig erklärt wurde.

2 Mit Bescheid des (damals zuständigen) Unabhängigen Bundesasylsenats vom 19. Jänner 2004 wurde der gegen den Bescheid vom 4. Juli 2003 erhobenen Berufung stattgegeben, dem Mitbeteiligten der Asylstatus gemäß § 7 AsylG 1997 gewährt und festgestellt, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

3 Begründend zog der Unabhängige Bundesasylsenat im Wesentlichen die Teilnahme des Mitbeteiligten im Tschetschenien Krieg als Freiheitskämpfer heran und die damit einhergehenden drohenden Repressalien und Verfolgungsgefahr von erheblicher Intensität bei einer Rückkehr in die Russische Föderation.

4 Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 10. Juli 2017 wurde dem Mitbeteiligten über ein amtswegig eingeleitetes Aberkennungsverfahren der zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme. Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 wurde dem Mitbeteiligten der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt, kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt und gegen den Mitbeteiligten ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

5 Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, der Lebensmittelpunkt des Mitbeteiligten sei in Tschetschenien bzw. der Russischen Föderation zu verorten. Der Mitbeteiligte habe sich freiwillig unter den Schutz seines Herkunftsstaates gestellt, wo er keiner Verfolgung ausgesetzt sei. Rechtlich folgerte es daraus, dass der Mitbeteiligte den Tatbestand des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 (iVm Art. 1 Abschnitt C Z 1 GFK) erfülle.

6 In der dagegen vom Mitbeteiligten am 27. Juli 2017 erhobenen Beschwerde bestritt er, sich wieder unter den Schutz seines Herkunftsstaates gestellt zu haben.

7 Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Oktober 2017 wurde der vom Mitbeteiligten gegen den Bescheid vom 10. Juli 2017 erhobenen Beschwerde gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.

8 Begründend führte das Verwaltungsgericht soweit für das Revisionsverfahren von Interesse aus, aus dem Verwaltungsakt würden sich keine hinreichenden Belege dafür ergeben, dass sich der Mitbeteiligte unter den Schutz seines Herkunftsstaates gestellt oder sich neuerlich auf dessen Territorium niedergelassen habe, für die Annahme des Art. 1 Abschnitt C Z 1 GFK lägen demgemäß keine substantiierten Anhaltspunkte vor. Aufgrund des Ermittlungsstandes scheine nicht ausgeschlossen, dass kein Aberkennungsbescheid ergehe. Darüber hinaus fehle es an einer Grundlage, um eine geeignete Prognose hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 zu treffen, weil sich das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu keinem Zeitpunkt mit den konkreten individuellen Gründen, die zur Zuerkennung des Status des Asylberechtigten geführt hätten, auseinandergesetzt habe. Dem Mitbeteiligten komme aufgrund der Behebung des Bescheides weiterhin der Asylstatus zu.

9 In Folge leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 23. August 2018 neuerlich ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten ein.

10 Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 20. März 2020 wurde dem Mitbeteiligten der ihm mit Bescheid vom 19. Jänner 2004 zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 erneut aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme. Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 wurde dem Mitbeteiligten der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt, kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt und gegen den Mitbeteiligten ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

11 Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl soweit für das Revisionsverfahren von Interesse aus, die Lage im Herkunftsstaat des Mitbeteiligten habe sich seit Zuerkennung des Status des Asylberechtigten maßgeblich und nachhaltig geändert. Der Mitbeteiligte müsse nicht befürchten, Opfer etwaiger gegen ihn persönlich gerichteter Verfolgungshandlungen zu werden. Seit zumindest 2011 gebe es keine Verfolgung von Veteranen der Tschetschenienkriege oder deren Angehörigen durch staatliche Behörden mehr. Das Vorbringen des Mitbeteiligten zur Blutrache stelle sich deutlich geringer dar, als von ihm dargelegt. Sein Bruder lebe offenbar unbehelligt mit dessen Familie in der Russischen Föderation. Nach Angaben des Mitbeteiligten sei es seit dem Jahr 2016 zu keinen Bedrohungshandlungen mehr gekommen.

12 Mit dem nunmehr in Revision gezogenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts gab dieses der Beschwerde des Mitbeteiligten gegen den Bescheid vom 20. März 2020 statt und behob diesen ersatzlos. Gleichzeitig sprach es aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zulässig sei.

13 Begründend führte es zusammengefasst aus, das Bundesverwaltungsgericht habe mit Erkenntnis vom 25. Oktober 2017 eine Aberkennung und auch wenn die Begründung fehle eine Lageänderung verneint. Der für die Beurteilung eines Wegfalls der fluchtbegründenden Umstände maßgebliche Vergleichszeitpunkt sei grundsätzlich jener der ursprünglichen Asylgewährung. Im vorliegenden Fall erweise sich aber als entscheidend, dass dem Mitbeteiligten der Status des Asylberechtigten schon mit Bescheid der belangten Behörde vom 10. Juli 2017 gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aberkannt und einer dagegen erhobenen Beschwerde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Oktober 2017 zur Gänze stattgegeben worden sei. „Sache“ des mit Erkenntnis vom 25. Oktober 2017 abgeschlossenen Beschwerdeverfahrens seien sämtliche in § 7 AsylG 2005 vorgesehenen Aberkennungsgründe gewesen (mit Hinweis auf VwGH 29.6.2020, Ro 2019/01/0014). Interpretiere man den Spruch des Erkenntnisses, mit dem der Beschwerde „gemäß [...] § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG“ stattgegeben worden sei, als in dieser Hinsicht einschränkend, seien „Sache“ zumindest die in § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 genannten Endigungsgründe der GFK. Mit diesem Erkenntnis habe das Bundesverwaltungsgericht somit rechtskräftig verneint, dass zu diesem Zeitpunkt betreffend den Mitbeteiligten ein Aberkennungsgrund (gegebenenfalls: ein solcher nach § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005) erfüllt gewesen sei. An diese Beurteilung sei das Gericht auch im gegenständlichen Verfahren gebunden, weshalb als Vergleichszeitpunkt für die Beurteilung eines Wegfalls der Umstände der 25. Oktober 2017 heranzuziehen sei. Verglichen mit diesem Zeitpunkt hätten sich die dargelegten fluchtbegründenden Umstände zum nunmehrigen Entscheidungszeitpunkt nicht erheblich und dauerhaft geändert. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe als Vergleichszeitpunkt das Jahr 2003 „bzw.“ 2004 herangezogen und sich mit der Frage von Veränderungen seit 2017 nicht auseinandergesetzt. Eine Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK erweise sich somit als nicht berechtigt. Auch Hinweise für das Vorliegen anderer Aberkennungsgründe seien im Verfahren nicht hervorgekommen. Zwar sei der Mitbeteiligte in Österreich siebenmal strafgerichtlich verurteilt worden, der Asylausschlussgrund des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 könne dadurch jedoch nicht verwirklicht sein, weil all diese Verurteilungen ausschließlich wegen Vergehen erfolgt seien. Es bestünden keine Anhaltspunkte, dass der Mitbeteiligte iSd § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstelle.

14 Eine ordentliche Revision sei zulässig, weil es an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu fehle, welcher der maßgebliche Vergleichszeitpunkt zur Prüfung eines Wegfalls der fluchtbegründenden Umstände (oder eines anderen Aberkennungsgrundes) sei, wenn das Vorliegen von Aberkennungsgründen bereits in einer vorangegangenen rechtskräftigen Entscheidung verneint wurde, in der dieser Aberkennungsgrund aber entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht geprüft worden sei. Alternativ zur dargestellten Rechtsansicht des Bundesverwaltungsgerichts sei etwa auch denkbar, dass die wenngleich verfehlte rechtliche Beurteilung im Erkenntnis vom 25. Oktober 2017, nicht sämtliche Aberkennungsgründe prüfen zu dürfen, ebenfalls in Rechtskraft erwachse.

15 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, die vom Bundesverwaltungsgericht samt den Verfahrensakten nach Durchführung des Verfahrens nach § 30a VwGG vorgelegt wurde. Der Mitbeteiligte brachte eine Revisionsbeantwortung ein, in der er die Ab bzw. Zurückweisung der Revision beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:

16 Die Revision schloss sich in ihrer Zulässigkeitsbegründung zunächst den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts an und führte auch näher aus, weshalb sich nach Ansicht der revisionswerbenden Behörde die Beurteilung des Verwaltungsgerichts als rechtswidrig erweise.

17 Die Revision ist zur Klärung der Rechtslage zulässig. Sie ist im Ergebnis auch berechtigt.

18 § 7 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, lautet:

§ 7. Aberkennung des Status des Asylberechtigten

(1) Der Status des Asylberechtigten ist einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn

1. ein Asylausschlussgrund nach § 6 vorliegt;

2. einer der in Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Endigungsgründe eingetreten ist oder

3. der Asylberechtigte den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat.“

19 Art. 1 Abschnitt C der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955 in der Fassung BGBl. III Nr. 27/2022, (GFK) lautet auszugsweise:

„C. Dieses Abkommen wird auf eine Person, die unter die Bestimmungen des Abschnittes A fällt, nicht mehr angewendet werden, wenn sie

1. sich freiwillig wieder unter den Schutz ihres Heimatlandes gestellt hat; oder

2. die verlorene Staatsangehörigkeit freiwillig wieder erworben hat; oder

3. eine andere Staatsangehörigkeit erworben hat und den Schutz ihres neuen Heimatlandes genießt; oder

4. sich freiwillig in dem Staat, den sie aus Furcht vor Verfolgung verlassen oder nicht betreten hat, niedergelassen hat; oder

5. wenn die Umstände, auf Grund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und sie es daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen.

6. staatenlos ist und die Umstände, auf Grund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen, sie daher in der Lage ist, in ihr früheres Aufenthaltsland zurückzukehren.

...“

20 § 28 Abs. 5 VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 138/2017, lautet:

§ 28 Erkenntnisse

...

(5) Hebt das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid auf, sind die Behörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.“

21 § 7 Abs. 1 AsylG 2005 erfasst nach seinem klaren Wortlaut in den Z 1 bis 3 unterschiedliche Fälle, die von Amts wegen zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten zu führen haben. Jede der darin genannten Konstellationen stellt einen Grund für die Aberkennung dar, ohne dass es auf die Erfüllung eines in einer anderen Ziffer enthaltenen Tatbestands ankäme (arg. „oder“ am Ende d. Z 2) (vgl. VwGH 12.9.2023, Ra 2023/20/0420 bis 0423, mwN).

22 Gegenstand des Verfahrens vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und sohin auch des Beschwerdeverfahrens ist zunächst die nach § 7 AsylG 2005 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu entscheidende Angelegenheit die Aberkennung des Status des Asylberechtigten als solches und umfasst damit sämtliche in § 7 AsylG 2005 vorgesehene Aberkennungsgründe. Dementsprechend ist die „Sache“ des verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens nicht nur die Klärung der Frage, ob der vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl angenommene Aberkennungsgrund (nach § 7 Abs. 1 Z 1 bis 3 AsylG 2005) tatsächlich vorlag, sondern sie umfasst sämtliche in § 7 AsylG 2005 vorgesehene Aberkennungsgründe. Es ist dem Verwaltungsgericht daher nicht verwehrt, bei Verneinung einer der Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 AsylG 2005 die anderen Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 AsylG 2005 zu prüfen (vgl. etwa VwGH 29.6.2020, Ro 2019/01/0014, Rn. 19).

23 Gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ist einem Fremden von Amts wegen der Status eines Asylberechtigten mit Bescheid abzuerkennen, wenn einer der in Art. 1 Abschnitt C der GFK angeführten Endigungsgründe eingetreten ist.

24 Die sogenannten „Beendigungsklauseln“ des Art. 1 Abschnitt C Z 1 bis 6 des Abkommens definieren die Umstände, unter denen ein Flüchtling aufhört, ein Flüchtling zu sein. Diese Klauseln beruhen auf der Überlegung, dass internationaler Schutz nicht mehr gewährt werden sollte, wo er nicht mehr erforderlich oder nicht mehr gerechtfertigt ist (vgl. VwGH 31.1.2019, Ra 2018/14/0121 bis 0126, Rn. 16, mit Hinweis auf das dort näher bezeichnete Handbuch des UNHCR).

25 Nach Art. 1 Abschnitt C Z 1 GFK ist dieses Abkommen auf Personen, die unter die Bestimmungen des Abschnittes A fallen, nicht mehr anzuwenden, wenn sie sich freiwillig erneut dem Schutz des Landes, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, unterstellen.

26 In rechtlicher Hinsicht erfordert die Heranziehung dieses Aberkennungstatbestandes, dass sich der Asylberechtigte dem Schutz seines Herkunftsstaates freiwillig und mit einer entsprechenden Unterschutzstellungsabsicht unterstellt hat und dort auch tatsächlich Schutz erhalten hat (vgl. VwGH 10.12.2021, Ra 2021/18/0274, Rn. 18, mwN).

27 Nach Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK ist dieses Abkommen auf Personen, die unter die Bestimmungen des Abschnittes A fallen, nicht mehr anzuwenden, wenn die Umstände, auf Grund derer sie als Flüchtling anerkannt worden sind, nicht mehr bestehen und sie es daher nicht weiterhin ablehnen können, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen.

28 Ausgehend von dieser Rechtslage können nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings darf es sich dabei nicht nur um vorübergehende Veränderungen handeln (vgl. neuerlich VwGH 31.1.2019, Ra 2018/14/0121 bis 0126, Rn. 26, mwN).

29 Die revisionswerbende Behörde legte ihrem Asylaberkennungsbescheid vom 10. Juli 2017 zu Grunde, dass hinsichtlich des Mitbeteiligten ein Asylendigungsgrund gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 eingetreten sei, weil sich der Mitbeteiligte freiwillig unter Schutz seines Herkunftsstaates im Sinne des Art. 1 Abschnitt C Z 1 GFK gestellt habe. Weitere Aberkennungstatbestände prüfte die Behörde nicht.

30 Dieser Bescheid wurde über Beschwerde des Mitbeteiligten mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Oktober 2017 ersatzlos behoben.

31 Mit Bescheid der revisionswerbenden Behörde vom 20. März 2020 wurde dem Mitbeteiligten der zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aberkannt, weil sich die Lage im Herkunftsstaat des Mitbeteiligten im Sinne des Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK seit der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten maßgeblich geändert habe.

32 Das Bundesverwaltungsgericht ging im angefochtenen Erkenntnis davon aus, dass das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Oktober 2017 insofern eine Bindungswirkung entfalte, als dass „Sache“ dieses Beschwerdeverfahrens (alle) in § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 genannten Endigungsgründe der GFK gewesen seien. Das Bundesverwaltungsgericht habe somit rechtskräftig verneint, dass zu diesem Zeitpunkt betreffend den Mitbeteiligten ein Aberkennungsgrund erfüllt gewesen sei. Als Vergleichszeitpunkt für den Wegfall der Umstände im Sinne des Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK sei nunmehr der 25. Oktober 2017 und nicht wie von der revisionswerbenden Behörde im Bescheid vom 20. März 2020 angenommen der Zeitpunkt der Zuerkennung des Asylstatus heranzuziehen.

33 Mit dieser Begründung geht das Bundesverwaltungsgericht erkennbar davon aus, dass im Erkenntnis vom 25. Oktober 2017 der Aberkennungstatbestand betreffend § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK („Wegfall der Umstände“) implizit geprüft und rechtskräftig verneint wurde.

34 Gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG ist die Behörde an die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtes gebunden und darf bei gleich gebliebenem Sachverhalt nicht zu einem anderen Ergebnis kommen (vgl. VwGH 17.11.2015, Ra 2015/22/0076, mit Hinweis auf Eder/Martschin/Schmid , Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, § 28 VwGVG, K 17; Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren, § 28 VwGVG, Anm. 19).

35 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann eine Bindung der Behörde an die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts nur insoweit bestehen, als die Rechtsansicht für die Aufhebung des angefochtenen Bescheides maßgebend, das heißt „tragende Begründung“ war (vgl. zur Bindungswirkung iSd § 28 Abs. 5 VwGVG VwGH 17.11.2015, Ra 2015/22/0076, sowie in diesem Zusammenhang zu § 63 VwGG, wonach die Bindung auf die tragenden Aufhebungsgründe begrenzt ist, VwGH 17.9.1997, 93/13/0064).

36 Der Bescheid der revisionswerbenden Behörde vom 10. Juli 2017 enthält keine Ausführungen zu einer allfällig maßgeblich geänderten Lage im Herkunftsstaat des Mitbeteiligten im Sinne des Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK, sondern stützte sich dieser ausschließlich auf den Aberkennungstatbestand des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 1 GFK (freiwillige Unterschutzstellung seines Herkunftsstaates).

37 Nun wäre es dem Bundesverwaltungsgericht nach der oben dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wonach die „Sache“ des Beschwerdeverfahrens sämtliche in § 7 AsylG 2005 vorgesehene Aberkennungsgründe erfasst nicht verwehrt gewesen, bei Verneinung einer der Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 AsylG 2005 die anderen Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 AsylG 2005 zu prüfen (vgl. erneut VwGH 29.6.2020, Ro 2019/01/0014, Rn. 19). Das Bundesverwaltungsgericht setzte sich aber in seinem Erkenntnis vom 25. Oktober 2017 nicht mit den weiteren Aberkennungstatbeständen des § 7 Abs. 1 AsylG 2005 auseinander und prüfte daher auch nicht das Vorliegen des Wegfalls der Umstände, auf Grund derer ein Fremder als Flüchtling anerkannt worden ist (Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK).

38 Der Wegfall der Umstände nach Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK war für die Aufhebung des dort angefochtenen Bescheides nicht maßgebend und somit keine „tragende Begründung“ des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Oktober 2017. Nach dem oben Gesagten kann daher im Hinblick auf den Aberkennungsgrund des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK keine Bindung an die Rechtsansicht des Bundesverwaltungsgerichts bestehen.

39 Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass sich die revisionswerbende Behörde in ihrem Bescheid vom 10. Juli 2017 spruchgemäß nur auf § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 stützte und sich das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Oktober 2017 spruchgemäß ebenfalls lediglich auf § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 bezog, weil sich aus dem Spruch des Erkenntnisses vom 25. Oktober 2017 im Zusammenhang mit dessen Begründung ergibt, dass das Bundesverwaltungsgericht lediglich über § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 1 GFK abgesprochen hat (zur Auslegung des Spruches einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung vgl. etwa VwGH 28.5.2019, Ra 2018/05/0195, mwN).

40 Daraus folgt entgegen der vom Bundesverwaltungsgericht vertretenen Auffassung , dass im vorliegenden Fall keine Bindungswirkung in Hinblick auf von der Behörde und vom Bundesverwaltungsgericht nicht geprüfte Aberkennungsgründe eintritt.

41 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 29. April 2024

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