JudikaturVwGH

Ra 2021/21/0288 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
19. Mai 2022

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher und den Hofrat Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Eraslan, über die Revision des A F, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Singerstraße 6/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 4. August 2021, W155 2244780 1/11E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der unter verschiedenen Alias Identitäten in anderen europäischen Ländern aufhältig gewesene Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Algeriens, reiste seinen Angaben zufolge im Oktober 2017 nach Österreich ein und wurde nach der Begehung von Einbruchsdiebstählen am 6. Dezember 2017 fest und anschließend in Untersuchungshaft genommen. Mit rechtskräftigem Urteil vom 25. Juni 2018 wurde er dann vom Landesgericht für Strafsachen Wien vor allem wegen des Verbrechens (zum Teil versuchter) schwerer gewerbsmäßiger Diebstähle durch Einbruch in Wohnstätten zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt, die bis zu seiner bedingten Entlassung am 4. Juni 2021 vollzogen wurde.

2 Mit Bescheid vom 5. April 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) einen vom Revisionswerber während der Anhaltung in Untersuchungshaft am 21. Dezember 2017 gestellten Antrag auf internationalen Schutz vollinhaltlich ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Algerien zulässig sei. Weiters erließ das BFA gegen den Revisionswerber mit Bezug auf sein strafbares Verhalten ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot. Eine gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 16. Mai 2019 als unbegründet ab.

3 Am 28. Jänner 2021 beantragte das BFA bei der Botschaft Algeriens die Ausstellung eines mangels gültiger Reisepapiere des Revisionswerbers für seine Abschiebung erforderlichen Ersatzreisedokuments („Heimreisezertifikat“).

4 Mit Bescheid vom 28. Mai 2021 ordnete das BFA gegen den Revisionswerber nach Einräumung von Parteiengehör gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung an. Die Rechtsfolgen dieses Bescheides sollten nach seiner Entlassung aus der erwähnten Strafhaft das war dann der 4. Juni 2021 eintreten.

5 In seiner Begründung hielt das BFA zum Ersatzreisedokument fest, dass dessen Ausstellung bei der algerischen Botschaft am 28. April 2021 urgiert worden sei, worauf jedoch noch keine Rückmeldung erfolgt sei. Die Ausstellung des Heimreisezertifikates sei daher zum jetzigen Zeitpunkt nicht absehbar; dies sei im Stadium der Festnahme noch nicht möglich. Die für die Abschiebung notwendigen Erfordernisse seien aber bereits eingeleitet worden und würden laufend und wiederkehrend beobachtet sowie „gegebenenfalls urgierenden Prozessen“ unterzogen, damit die erforderliche Anhaltung so kurz wie möglich gehalten werden könne. Auf jeden Fall stünden dadurch neu zum Vorschein kommende Umstände „im stetigen behördlichen Blickfeld“; eine Verhältnismäßigkeitsprüfung finde laufend und wiederkehrend statt.

Daran anschließend begründete das BFA in der rechtlichen Beurteilung noch näher das hohe Risiko eines Untertauchens des Revisionswerbers und verwies darauf, dass seine erhebliche Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an der Effektivität seiner baldigen Abschiebung maßgeblich vergrößere. Unter Berücksichtigung vor allem seiner Mittellosigkeit und der mangelnden Verfügbarkeit über eine Unterkunft erscheine die Anordnung gelinderer Mittel als nicht ausreichend, um dem Sicherungszweck wirksam zu begegnen.

6 Der Revisionswerber wurde vom 4. Juni 2021 bis 2. November 2021 in Schubhaft angehalten.

7 Am 29. Juni 2021 hatte der Revisionswerber während dieser Anhaltung neuerlich die Gewährung von internationalem Schutz beantragt. Dazu hielt das BFA mit näher begründetem Aktenvermerk vom selben Tag fest, dass iSd § 76 Abs. 6 FPG Gründe zur Annahme bestünden, der Antrag auf internationalen Schutz sei zur Verzögerung der Vollstreckung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt worden. Die Anhaltung in Schubhaft bleibe aufrecht, da ihre Voraussetzungen vorlägen; für die Höchstdauer gelte § 80 Abs. 5 FPG.

8 Mit Eingabe vom 28. Juli 2021 erhob der Revisionswerber Beschwerde gegen seine „Anhaltung in Schubhaft seit Beginn“. Darin machte er geltend, das BFA versuche seit Jänner 2021, für ihn ein Heimreisezertifikat zu erlangen; es liege aber bis heute - nach unbeantworteter Urgenz - nicht vor. Die Behörde habe schon bei Erlassung des Schubhaftbescheides gewusst, dass ein solches Ersatzreisedokument nicht vorliegen werde. Seine Abschiebung sei - jedenfalls in absehbarer Zeit - nicht zu bewerkstelligen, weil Algerien im Regelfall keine Heimreisezertifikate ausstelle. Aufgrund der hieraus folgenden Unmöglichkeit seiner Abschiebung erweise sich die Haft als unnötig und daher als rechtswidrig.

9 Im Rahmen der Aktenvorlage an das BVwG brachte das BFA am 29. Juli 2021 zu diesem Thema vor, auf Grund der „weltweit existierenden Pandemie Restriktionen durch das Corona Virus“ könne gegenwärtig nicht prognostiziert werden, ob die Erlangung eines Heimreisezertifikats „in absehbarer Zeit bzw. innerhalb der gesetzlich möglichen Schubhaftdauer möglich sein“ werde.

10 Über ergänzende Anfrage des BVwG führte das BFA betreffend die generelle Zusammenarbeit mit der algerischen Vertretungsbehörde in einer Eingabe vom 30. Juli 2021 aus, dass bei Fehlen von Dokumenten wie im gegenständlichen Fall die Identifizierung des Fremden bei einem Interviewtermin vor der algerischen Botschaft erfolge. Die dabei gewonnenen Informationen würden den zuständigen Behörden in Algier zur weiteren Prüfung übermittelt. Liege eine positive Identifizierung vor, beantrage das BFA die Ausstellung eines Heimreisezertifikats unter Vorlage einer Flugbuchung. „Aufgrund der weltweiten Pandemie, den Lockdowns in Wien und einigen Corona Fällen in der alg. Botschaft“ habe jedoch bis Ende Mai 2021 kein Interviewtermin mit der algerischen Vertretungsbehörde in Wien organisiert werden können. Gemeinsam mit dem Innenministerium werde jedoch daran gearbeitet, dass wieder Interviewtermine stattfänden, auch habe es „diesbezüglich ein höherrangiges Gespräch“ gegeben. Aufgrund dessen, dass sich der algerische Konsul „im Moment“ nicht in Österreich aufhalte, sei zu erwarten, dass ein Interviewtermin für Anfang September organisiert werden könne. Sollte der Revisionswerber beim Interviewtermin genaue Angaben und Daten bekanntgeben, könne davon ausgegangen werden, dass es nach zwei bis drei Monaten „zu einer Identifizierung aus Algier kommen könnte“. Danach könne ein Flug mit einer „Vorlaufzeit von ca. 3 Wochen“ gebucht werden und das Heimreisezertifikat werde zeitnah vor dem Flug ausgestellt werden.

11 Dazu äußerte sich der Revisionswerber am 31. Juli 2021. Er bestritt, dass ein Interviewtermin im September 2021 absehbar sei. Er beantragte dazu die Befragung des Ministeriumsmitarbeiters, der an den vom BFA erwähnten „höherrangigen Gesprächen“ beteiligt gewesen sei, im Rahmen einer mündlichen Verhandlung vor dem BVwG zum Beweisthema, „inwiefern mich und mein Abschiebefall die höherrangigen Gespräche überhaupt betroffen haben“.

12 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 4. August 2021 wies das BVwG die Beschwerde als unbegründet ab und erklärte die Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft seit 4. Juni 2021 für rechtmäßig. Weiters stellte das BVwG fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt seiner Entscheidung vorlägen. Es traf diesem Verfahrensergebnis entsprechende Kostenaussprüche. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG noch aus, dass eine Revision (gemeint: nach Art. 133 Abs. 4 B VG) nicht zulässig sei.

13 In seiner Begründung stellte das BVwG soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung auf Basis der Ausführungen des BFA in der Anfragebeantwortung vom 30. Juli 2021 fest, es sei zu erwarten, dass bei der algerischen Botschaft ein Interviewtermin für Anfang September 2021 möglich sein werde. Entsprechend dieser Feststellung ging das BVwG dann in der rechtlichen Beurteilung davon aus, dass eine Abschiebung des Revisionswerbers innerhalb der höchstmöglichen Schubhaftdauer, die gemäß § 80 Abs. 4 Z 1 und 2 FPG im vorliegenden Fall 18 Monate betrage, realistisch erwartet werden könne. Aktuell bestünden Flugverbindungen zwischen Algier und einigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, eine Wiederaufnahme direkter Flüge nach Österreich sei in Bälde zu erwarten. Hinweise dafür, dass eine Außerlandesbringung des Revisionswerbers innerhalb der höchstmöglichen Schubhaftdauer dennoch nicht möglich wäre, lägen nicht vor. Die Aufrechterhaltung der (erst) seit zwei Monaten bestehenden Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft sei im Hinblick auf das wegen seiner gravierenden Straffälligkeit bestehende hohe öffentliche Interesse an seiner Außerlandesbringung und auch im Hinblick darauf, dass er bislang keine Dokumente vorgelegt habe und das BFA die Erlangung eines Heimreisezertifikates laufend mit Nachdruck betreibe, verhältnismäßig.

Von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung habe Abstand genommen werden können, weil sich der entscheidungsrelevante Sachverhalt als hinreichend geklärt erwiesen habe.

14 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.

15 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

16 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

17 In dieser Zulässigkeitsbegründung bemängelt der Revisionswerber nur die Unterlassung der Durchführung der im Beschwerdeverfahren beantragten mündlichen Verhandlung, in der die Zeugeneinvernahme des „informierten höherrangigen Mitarbeiters“ hätte durchgeführt werden müssen.

18 Dazu ist zunächst anzumerken, dass diese Rüge von vornherein nur den Ausspruch über die Zulässigkeit der Fortsetzung der Schubhaft betreffen kann, bezieht sie sich doch auf eine Replik des Revisionswerbers zu einem vom BFA erstmals im Beschwerdeverfahren erstatteten Vorbringen. Im Übrigen war die Verhängung der Schubhaft gegen den Revisionswerber im Anschluss an den Vollzug der Strafhaft bei der gegebenen Ausgangslage unangemeldeter Aufenthalt in Österreich zur Begehung von Straftaten, keine Unterkunftsmöglichkeit und Mittellosigkeit, großes öffentliches Interesse an der Effektuierung der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot im Hinblick auf die Straffälligkeit vertretbar und dem BFA ein weiterer Versuch zur Erlangung eines Heimreisezertifikates zuzubilligen.

19 Bei dem in Rn. 17 wiedergegebenen Revisionsvorbringen wird vom Revisionswerber aber vor allem außer Acht gelassen, dass die ursprünglich zur Sicherung der Abschiebung gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG nach Stellung des Asylfolgeantrags gemäß § 76 Abs. 6 FPG aufrechterhaltene Schubhaft primär der Verfahrenssicherung diente (vgl. dazu etwa VwGH 27.4.2020, Ra 2020/21/0116, Rn. 12, mwN) und die Schubhafthöchstdauer allein bis zur (neuerlichen) Erlassung einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach § 80 Abs. 5 FPG zehn Monate betrug. Die Frage, ob wovon das BVwG ausging mit einem zeitnahen Interviewtermin bei der algerischen Botschaft im September 2021 und danach mit einer Abschiebung etwa bis zum Jahresende zu rechnen gewesen wäre, stellte sich daher in dem hier zu beurteilenden frühen Stadium der Schubhaft und des Asylverfahrens noch nicht. Abgesehen davon wurde vom Revisionswerber das Führen von „höherrangigen“ Gesprächen zur Wiederaufnahme von Interviewterminen nach der Rückkehr des Botschafters im Beschwerdeverfahren nicht in Abrede gestellt, sondern nur als klärungsbedürftig erachtet, „inwiefern mich und mein Abschiebefall die höherrangigen Gespräche überhaupt betroffen haben“. Darauf kommt es aber nach dem Gesagten nicht entscheidungswesentlich an, sodass die Unterlassung dieser Beweisaufnahme keinen relevanten Verfahrensmangel begründete.

20 Soweit in der Zulässigkeitsbegründung der Revision auch noch die Unterlassung der Einvernahme des Revisionswerbers in einer mündlichen Verhandlung zur Verschaffung eines persönlichen Eindrucks von seiner „Glaubwürdigkeit“ bzw. „Vertrauenswürdigkeit“ in Bezug auf ein gelinderes Mittel als Verfahrensmangel geltend gemacht wird, genügt es zu erwidern, dass aus den in Rn. 18 genannten Gründen das Nichtausreichen gelinderer Mittel evident war (vgl. dazu, dass es zur Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit nicht in allen Fällen einer mündlichen Verhandlung bedarf, etwa VwGH 5.11.2020, Ra 2020/21/0287, Rn. 19, unter Hinweis auf VwGH 20.8.2020, Ra 2019/21/0397, [Rn. 16]).

21 In der Revision, in der wie auch schon im Beschwerdeverfahren weder der vertretbaren Annahme von Fluchtgefahr noch der ebenso vertretbaren Annahme der missbräuchlichen Stellung des Asylfolgeantrags erst am 29. Juni 2021 ausreichend konkret entgegengetreten wird, werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.

22 Von der in der Revision beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte in diesem Fall gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 19. Mai 2022

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