JudikaturVwGH

Ra 2020/08/0185 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
09. Mai 2022

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Kienesberger, über die Revision der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Oberwart gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Oktober 2020, W255 2222323 1/13E, betreffend Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe (mitbeteiligte Partei: M H in V, im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vertreten durch T R in V), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

1 Mit Bescheid vom 20. März 2019 sprach die revisionswerbende regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Oberwart (AMS) aus, dass die Mitbeteiligte gemäß § 38 iVm. § 10 AlVG den Anspruch auf Notstandshilfe für den Zeitraum von 13. März 2019 bis 7. Mai 2019 verloren habe. Eine Nachsicht werde nicht erteilt.

2 Mit Beschwerdevorentscheidung vom 9. Juli 2019 gab das AMS der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde der Mitbeteiligten mit der Maßgabe keine Folge, dass die Mitbeteiligte den Anspruch auf Notstandshilfe im Zeitraum von 12. März 2019 bis 6. Mai 2019 verloren habe.

3 Begründend führte das AMS im Wesentlichen aus, der Mitbeteiligten sei der Auftrag erteilt worden, an einer Wiedereingliederungsmaßnahme mit Beginn am 12. März 2019 teilzunehmen. Im Einladungsschreiben sei auf die Rechtsfolgen einer Verweigerung bzw. Vereitelung dieser Maßnahme hingewiesen worden. Inhalt dieser Wiedereingliederungsmaßnahme („Vorbereitungsphase“) wäre insbesondere das Erstellen eines Persönlichkeitsprofiles, einer Stärken- und Schwächenanalyse, eines Berufsziels und Karriereplans, eines Lebenslaufes und von Bewerbungsunterlagen sowie Selbstpräsentation und Kommunikation gewesen. Das Ziel der maximal 5 Wochen andauernden Vorbereitungsphase die auch die Teilnahme an einem Workshop gemeinsam mit anderen Teilnehmern und Einzelcoachings umfasst hätte sei eine Arbeitsaufnahme im Rahmen einer gemeinnützigen Arbeitskräfteüberlassung. Die Mitbeteiligte habe die Teilnahme an dieser Wiedereingliederungsmaßnahme ohne nachvollziehbaren Grund verweigert.

4 Die Mitbeteiligte stellte einen Vorlageantrag.

5 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis hob das Bundesverwaltungsgericht - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Beschwerdevorentscheidung des AMS ersatzlos auf und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

6 Das Bundesverwaltungsgericht stellte auf das Wesentliche zusammengefasst fest, die Mitbeteiligte stehe zuletzt seit dem Jahr 2010 durchgehend im Bezug von Notstandshilfe. In einem am 18. Februar 2019 verbindlich vereinbarten und ausgefolgten Betreuungsplan sei die Mitbeteiligte einer Wiedereingliederungsmaßnahme am 12. März 2019 zugewiesen worden. Darin sei festgehalten worden, dass die Verweigerung der Teilnahme zum Verlust des Leistungsanspruches führen könne. Im Betreuungsplan sei nicht festgehalten worden, dass die Kenntnisse und Fähigkeiten der Mitbeteiligten für die Erlangung bzw. Vermittlung einer zumutbaren Beschäftigung am Arbeitsmarkt nicht ausreichen würden und es deshalb einer Wiedereingliederungsmaßnahme bedürfe. Im Betreuungsplan sei weiters nicht festgehalten worden, welche Kenntnisse und Fähigkeiten sich die Mitbeteiligte aneignen hätte sollen. Nach Vereinbarung des Betreuungsplans seien der Mitbeteiligten weitere Stellenangebote durch das AMS zugeschickt worden. Am 12. März 2019 habe die Wiedereingliederungsmaßnahme stattgefunden, wobei die Mitbeteiligte und ihr gewillkürter Vertreter erschienen seien, aber noch vor Beginn der Veranstaltung die Räumlichkeiten wieder verlassen hätten.

7 In rechtlicher Hinsicht folgerte das Bundesverwaltungsgericht, aufgrund der im Betreuungsplan festgelegten Verpflichtung der Mitbeteiligten, Blindbewerbungen vorzunehmen und selbständige Aktivitäten zur Erlangung einer neuen Arbeitsstelle zu setzen, komme klar zum Ausdruck, das AMS habe die Ansicht vertreten, dass die Mitbeteiligte in der Lage sei, sofort eine Arbeit aufzunehmen. Da das AMS nicht konkretisiert habe, welche Fähigkeiten und Kenntnisse ihr fehlen würden, habe die Mitbeteiligte nicht klar erkennen können, warum die Wiedereingliederungsmaßnahme erforderlich gewesen sei. Aus diesen Gründen erweise sich die Zuweisung zur Wiedereingliederungsmaßnahme als verfehlt bzw. fehle es an einem zwingenden Tatbestandselement für die Sanktionierung der Weigerung, daran teilzunehmen.

8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision des AMS, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens in dem von der Mitbeteiligten keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

9 Zur Zulässigkeit der Revision wird geltend gemacht, das angefochtene Erkenntnis weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, weil das Bundesverwaltungsgericht eine Begründungspflicht des AMS vor der Zuweisung zu einer Wiedereingliederungsmaßnahme angenommen habe. Weiters fehle Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob wie vom Bundesverwaltungsgericht angenommen eine Zuweisung zu einer Wiedereingliederungsmaßnahme nur bei Unvermittelbarkeit einer Person erfolgen darf.

10 Die Revision ist zulässig und berechtigt.

11 Nach § 9 Abs. 1 AlVG ist arbeitswillig, wer unter anderem bereit ist, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen.

12 Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AlVG verliert eine arbeitslose Person, die ohne wichtigen Grund die Teilnahme an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt verweigert oder den Erfolg der Maßnahme vereitelt, für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden sechs Wochen bzw. unter näher umschriebenen Voraussetzungen acht Wochen den Anspruch auf Arbeitslosengeld.

13 Diese Bestimmungen sind gemäß § 38 AlVG auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

14 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes steht es nicht im freien Belieben des AMS, Arbeitslosen (Langzeitarbeitslosen) entweder eine Arbeitsstelle zu vermitteln oder sie zu einer Nach- oder Umschulung oder zu einer Wiedereingliederungsmaßnahme zuzuweisen. Für die Zuweisung zu einer solchen Maßnahme ist vielmehr Voraussetzung, dass die Kenntnisse des Arbeitslosen für die Vermittlung einer zumutbaren Beschäftigung nach Lage des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes nicht ausreichend sind. Eine Wiedereingliederungsmaßnahme ist nur dann erforderlich und zumutbar im Sinne des § 9 AlVG, wenn sie allein oder gemeinsam mit anderen Maßnahmen im Hinblick auf eine tatsächliche Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt Erfolg versprechend erscheint (vgl. VwGH 31.7.2014, 2013/08/0279, mwN).

15 Gemäß § 9 Abs. 8 AlVG hat das AMS bei Maßnahmen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt der arbeitslosen Person die Gründe anzugeben, die eine Teilnahme an einer derartigen Maßnahme als zur Verbesserung der Wiederbeschäftigungschancen notwendig oder nützlich erscheinen lassen, soweit diese nicht auf Grund der vorliegenden Umstände wie insbesondere einer längeren Arbeitslosigkeit in Verbindung mit bestimmten bereits z.B. im Betreuungsplan (§ 38c AMSG) erörterten Problemlagen, die einer erfolgreichen Arbeitsaufnahme entgegen stehen, als bekannt angenommen werden können. Daraus ergibt sich, dass - bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen - eine (ausführlichere) Begründung der Maßnahme vor Zuweisung entfallen und sohin die Begründung der Notwendigkeit oder auch Nützlichkeit der Maßnahme noch im Verwaltungsverfahren nachgeholt werden kann. Ein Ausschluss vom Bezug der Geldleistung setzt aber jedenfalls voraus, dass entsprechende Gründe für die Zuweisung zu einer Maßnahme vorliegen (vgl. erneut VwGH 31.7.2014, 2013/08/0279, mwN).

16 Im vorliegenden Fall ist angesichts der mehr als zehnjährigen Abwesenheit der Mitbeteiligten vom Arbeitsmarkt sowie der zahlreichen erfolglosen Vermittlungsversuche des AMS davon auszugehen, dass eine (ausführlichere) Begründung der verfahrensgegenständlichen Wiedereingliederungsmaßnahme vor der Zuweisung gemäß § 9 Abs. 8 AlVG entfallen konnte (vgl. zum Fall einer mehr als fünfjährigen Arbeitslosigkeit VwGH 14.11.2012, 2010/08/0023).

17 Wie in der Revision zutreffend ausgeführt wird, hat das AMS in der Beschwerdevorentscheidung vom 9. Juli 2019 - mit Hinweis auf das anlässlich des Kontrolltermins am 18. Februar 2019 gemeinsam mit dem Betreuungsplan ausgehändigte Informationsschreiben (in der Beschwerdevorentscheidung als „Merkblatt“ bezeichnet) über die „Vorbereitungsphase“ ausführlich die Inhalte der zugewiesenen Wiedereingliederungsmaßnahme sowie die damit verfolgten Ziele dargelegt. Als Begründung für die Zuweisung zur verfahrensgegenständlichen Wiedereingliederungsmaßnahme wurde angeführt, dass die Mitbeteiligte seit 10 Jahren im Bezug von Notstandshilfe stehe, gesundheitliche Vermittlungseinschränkungen und eine eingeschränkte Mobilität habe und sämtliche Vermittlungsversuche des AMS sowie die in Eigeninitiative getätigten Bewerbungen zu keiner Arbeitsaufnahme geführt hätten. Als Inhalte der zugewiesenen Wiedereingliederungsmaßnahme wurden das Erstellen eines Persönlichkeitsprofiles, einer Stärken- und Schwächenanalyse, eines Berufsziels und Karriereplans, eines Lebenslaufes und von Bewerbungsunterlagen sowie Selbstpräsentation und Kommunikation im Rahmen einer intensiven, von professionellen Trainern geleiteten und maximal 5 Wochen andauernden „Vorbereitungsphase“ mit dem Ziel einer anschließenden (gemeinnützigen) Arbeitskräfteüberlassung angegeben.

18 Vor dem unstrittigen Hintergrund, dass trotz jahrelanger Betreuung durch das AMS die Wiedereingliederung der Mitbeteiligten in den ersten Arbeitsmarkt nicht erreicht werden konnte, und angesichts der Inhalte der zugewiesenen Maßnahme bestehen entgegen der Ansicht der Bundesverwaltungsgerichtes - auch keinerlei Bedenken hinsichtlich deren Notwendigkeit, zumal es notorisch ist und keiner näheren Begründung bedarf, dass eine langjährige Absenz vom Arbeitsmarkt den arbeitsplatzbezogenen Einordnungs- und Kommunikationsfähigkeiten eines potentiellen Mitarbeiters in der Regel nicht förderlich ist, was wiederum in den Augen von Arbeitgebern einen Bewerbungsnachteil zur Erlangung eines regulären Dienstverhältnisses am ersten Arbeitsmarkt bei sonst durchaus gleicher Qualifikation darstellen kann (vgl. VwGH 11.12.2013, 2012/08/0313, mwN).

19 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 9. Mai 2022

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