Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger, Hofrat Dr. Mayr, Hofrätin Mag. Hainz Sator sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision der S GmbH in K, vertreten durch die SchneideR'S Rechtsanwalts KG in 1010 Wien, Ebendorferstraße 10/6b, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. November 2018, Zl. W219 2118882 1/7E, betreffend Feststellung der Kosten, der Zielvorgaben und des Mengengerüsts gemäß § 69 Gaswirtschaftsgesetz 2011 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Vorstand der Energie Control Austria für die Regulierung der Elektrizität und Erdgaswirtschaft; mitbeteiligte Parteien: Wirtschaftskammer Österreich in 1045 Wien, Wiedner Hauptstraße 63; Bundesarbeiterkammer in 1040 Wien, Prinz Eugen Straße 20 22), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
I.
1 1. Die revisionswerbende Partei ist eine für ein näher bezeichnetes Gebiet in der Steiermark konzessionierte Verteilernetzbetreiberin im Sinn des § 7 Abs. 1 Z 72 Gaswirtschaftsgesetz 2011 (GWG 2011).
2 Das gegenständliche Revisionsverfahren betrifft die durch Bescheid der belangten Behörde (Vorstand der Energie Control Austria für die Regulierung der Elektrizitäts und Erdgaswirtschaft [E Control]) gegenüber der revisionswerbenden Partei erfolgte Festsetzung der Kosten, der Zielvorgaben und des Mengengerüsts gemäß § 69 GWG 2011.
3 Mit Bescheid vom 7. Oktober 2015 stellte die belangte Behörde in einem von Amts wegen eingeleiteten Verfahren gegenüber der revisionswerbenden Partei den Kostenanpassungsfaktor mit 5,30 % (Spruchpunkt 1.), die Kosten für das Systemnutzungsentgelt für das Jahr 2016 (Spruchpunkt 2.), das der Entgeltermittlung für die Netznutzung zu Grunde zu legende Mengengerüst (Spruchpunkt 3.) sowie die Mengenbasis für den Bezug aus dem vorgelagerten Netz und für zusätzlich vorgelagerte Netzkosten (Spruchpunkt 4.) fest und wies die von den festgestellten Kosten und Werten abweichenden Anträge ab (Spruchpunkt 5.).
4 2.1. Die dagegen erhobene Beschwerde der revisionswerbenden Partei wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 8. November 2018 als unbegründet ab und erklärte die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof für zulässig.
5 2.2. In seiner Begründung legte das Bundesverwaltungsgericht zunächst den Verfahrensgang dar und führte daran anschließend aus, dass das gegenständliche Unternehmen der revisionswerbenden Partei (Gas Verteilernetzbetreiber) zuerst von der Stadtgemeinde K geführt worden und im Jahr 2001 mit seinen Mitarbeitern auf die revisionswerbende Partei, eine juristische Person des Privatrechts, übertragen worden sei. Die revisionswerbende Partei habe das gesamte Personal des eingebrachten Teilbetriebs „Gasversorgung“ aus dem Betrieb der Stadtgemeinde K mit Einbringungsvertrag und Personalübereinkommen vom 6. September 2001 übernommen. Mitübernommen worden sei auch die Verpflichtung zur Tragung der mit diesem Personal zusammenhängenden Kosten.
6 § 79 Abs. 6 Z 4 GWG 2011 lasse erkennen, dass es bei der Frage, ob Kosten, die im unmittelbaren Zusammenhang mit „Ausgliederungen“ von Netzbetreibern stünden, als unbeeinflussbar gelten sollen, genau darauf ankomme, ob diese Kosten auf Grund einer Verpflichtung nach einem Gesetz anfielen, das spezielle Regelungen über diesen Ausgliederungsvorgang treffe. Dass eine ohne gesetzliche Regelung erfolgte Ausgliederung bereits Kosten verursacht habe, genüge so das Bundesverwaltungsgericht nicht, um diese Kosten nach dieser Bestimmung als unbeeinflussbar anzusehen.
7 Im vorliegenden Fall sei die Ausgliederung nicht auf Grund einer gesetzlichen Verpflichtung, sondern auf Grund einer vertraglichen Vereinbarung erfolgt. Die Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens oder Betriebsteilen sehe zwar gewisse Pflichten des Übernehmers eines Betriebes vor, die auch in Fällen von Ausgliederungen anwendbar sein mögen. Diese Richtlinie sei allerdings eindeutig keine spezielle, verpflichtende Regelung der hier in Rede stehenden Ausgliederung.
Die Beschwerde, die sich gegen die Nichtanerkennung der Personalkosten als unbeeinflussbare Kosten wendet, sei daher abzuweisen gewesen.
8 Die ordentliche Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht für zulässig, weil zu § 79 Abs. 6 Z 4 GWG 2011 und der Frage der Anerkennung bestimmter Personalkosten in Zusammenhang mit einer Ausgliederung als unbeeinflussbare Kosten keine Rechtsprechung vorliege und die genannte Bestimmung auch nicht als eindeutig anzusehen sei.
9 4. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Revision.
10 Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Abweisung der Revision beantragt.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
11 1. Die Revision verweist zur Begründung ihrer Zulässigkeit auf die vom Verwaltungsgericht angeführte grundsätzliche Rechtsfrage und rügt, dass die vom Bundesverwaltungsgericht herangezogene Auslegung des § 79 Abs. 6 Z 4 GWG 2011 zu eng sei, weil damit der Anwendungsbereich dieser Bestimmung auf einen einzigen Fall (nämlich die Ausgliederung der Wiener Stadtwerke) beschränkt wäre.
12 Die Übernahme des Personals des Betriebes gewerblicher Art der Stadtgemeinde durch das Personalübereinkommen vom 6. September 2001 ergebe sich zwingend aus der Richtlinie 2001/23/EG. Diese sehe in Art. 3 vor, dass die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis im Zuge des Übergangs eines Unternehmens, Betriebes, oder Unternehmens oder Betriebsteiles auf den Erwerber übergehen würden. Diese Richtlinie sei unmittelbar anwendbar, weil Österreich mit der Umsetzung in Verzug geraten sei. Für die revisionswerbende Partei habe daher die Pflicht bestanden, das Personalübereinkommen zur Übernahme aller im Betrieb beschäftigten Dienstnehmer mit deren Ansprüchen zu übernehmen. Da die revisionswerbende Partei beim Abschluss des Personalübereinkommens faktisch über keinen Spielraum verfügt habe und die Stadtgemeinde die Ausgliederung ohne Übernahme aller Dienstnehmer durch die revisionswerbende Partei nicht vorgenommen hätte, seien die aus der Übernahme resultierenden Personalkosten unbeeinflussbare Kosten im Sinn des § 79 Abs. 6 Z 4 GWG 2011 und somit bei der Ermittlung der Zielvorgaben außer Acht zu lassen.
13 2. Die Revision erweist sich in Hinblick auf die vom Bundesverwaltungsgericht und von der revisionswerbenden Partei aufgeworfene Rechtsfrage als zulässig und aus nachstehenden Erwägungen auch als berechtigt.
14 3.1. § 69 und § 79 Gaswirtschaftsgesetz 2011 (GWG 2011), BGBl. I Nr. 107, beide in der Fassung BGBl. I Nr. 174/2013, lauten (auszugsweise) wie folgt:
„Feststellung der Kostenbasis
§ 69. (1) Die Regulierungsbehörde hat die Kosten, die Zielvorgaben und das Mengengerüst von Verteilernetzbetreibern von Amts wegen periodisch mit Bescheid festzustellen.
(2) Die Regulierungsbehörde hat die vom Fernleitungsnetzbetreiber gemäß § 82 eingereichten Methoden auf Antrag des Fernleitungsnetzbetreibers oder von Amts wegen periodisch mit Bescheid zu genehmigen. Die Genehmigung ist zu befristen.
(3) Der Wirtschaftskammer Österreich, der Landwirtschaftskammer Österreich, der Bundesarbeitskammer und dem Österreichischen Gewerkschaftsbund ist vor Abschluss des Ermittlungsverfahrens Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die Regulierungsbehörde hat deren Vertretern Auskünfte zu geben und Einsicht in den Verfahrensakt zu gewähren. Wirtschaftlich sensible Informationen, von denen die Vertreter bei der Ausübung ihrer Einsichtsrechte Kenntnis erlangen, sind vertraulich zu behandeln. Die Wirtschaftskammer Österreich sowie die Bundesarbeitskammer können gegen Entscheidungen der Regulierungsbehörde gemäß Abs. 1 und 2 wegen Verletzung der in § 73 bis § 82 geregelten Vorgaben Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht sowie in weiterer Folge gemäß Art. 133 B VG Revision an den Verwaltungsgerichtshof erheben.
Kostenermittlung für Verteilernetzbetreiber
§ 79. (1) Die den Entgelten zugrunde liegenden Kosten haben dem Grundsatz der Kostenwahrheit zu entsprechen und sind differenziert nach Netzebenen zu ermitteln. Dem Grunde und der Höhe nach angemessene Kosten sind zu berücksichtigen. Der Netzsicherheit, der Versorgungssicherheit unter Berücksichtigung von Qualitätskriterien, der Marktintegration sowie der Energieeffizienz ist Rechnung zu tragen. Die Bestimmung der Kosten unter Zugrundelegung einer Durchschnittsbetrachtung, die von einem rationell geführten, vergleichbaren Unternehmen ausgeht, ist zulässig. Investitionen sind in angemessener Weise ausgehend von den historischen Anschaffungskosten sowie den Finanzierungskosten zu berücksichtigen. Außerordentliche Aufwendungen oder Erträge können über einen mehrjährigen Zeitraum anteilig verteilt werden. Die bei einer effizienten Implementierung neuer Technologien entstehenden Kosten sind in den Entgelten unter Berücksichtigung der beschriebenen Grundsätze und der Nutzung von Synergieeffekten angemessen zu berücksichtigen. Die Kosten des Verteilernetzbetreibers für das Netznutzungsentgelt im Fernleitungsnetz gemäß § 74 sind als Kosten der Netzebene 1 zu berücksichtigen.
(2) Für die Ermittlung der Kosten sind Zielvorgaben zugrunde zu legen, die sich am Einsparungspotential der Unternehmen, der strukturellen Entwicklung der Versorgungsaufgabe und des Marktanteils im jeweiligen Netzgebiet orientieren. Dabei sind die festgestellten Kosten sowohl um generelle Zielvorgaben, die sich an Produktivitätsentwicklungen orientieren, als auch um die netzbetreiberspezifische Teuerungsrate anzupassen. Individuelle Zielvorgaben können aufgrund der Effizienz der Netzbetreiber berücksichtigt werden. Die dabei anzuwendenden Methoden haben dem Stand der Wissenschaft zu entsprechen. Bei der Ermittlung der individuellen Zielvorgaben können neben einer Gesamtunternehmensbetrachtung bei sachlicher Vergleichbarkeit auch einzelne Teilprozesse herangezogen werden. Dabei ist sicher zu stellen, dass für die Verteilernetzbetreiber Anreize bestehen, die Effizienz zu steigern und notwendige Investitionen angemessen durchführen zu können.
(3) und (4) [...]
(5) Zur Abdeckung der netzbetreiberspezifischen Teuerungsrate ist ein Netzbetreiberpreisindex zu berücksichtigen. Dieser setzt sich aus veröffentlichten Teilindices zusammen, die die durchschnittliche Kostenstruktur der Netzbetreiber repräsentieren.
(6) Zielvorgaben gemäß Abs. 2 sowie die netzbetreiberspezifische Teuerungsrate gemäß Abs. 5 wirken ausschließlich auf die vom Unternehmen beeinflussbaren Kosten. Nicht beeinflussbare Kosten sind insbesondere Kosten:
1. für die Nutzung funktional verbundener Netze im Inland sowie für den Verteilergebietsmanager;
2. für Landesabgaben zur Nutzung öffentlichen Grundes (Gebrauchsabgabe);
3. zur Deckung von Netzverlusten auf Basis transparenter und diskriminierungsfreier Beschaffung;
4. aufgrund gesetzlicher Vorschriften im Zuge von Ausgliederungen, welche dem Grunde nach zum Zeitpunkt der Vollliberalisierung des Erdgasmarktes mit 1. Oktober 2002 bestanden haben. Die näheren Kostenarten sind spätestens nach Ablauf von 3 Monaten ab Inkrafttreten dieses Gesetzes durch eine Verordnung der Regulierungskommission festzulegen.
(7) und (8) [...]“
15 3.2. Die Verordnung der Regulierungskommission der E Control, mit der nähere Kostenarten gemäß § 79 Abs. 6 Z 4 GWG 2011 bestimmt werden (GAS NBK VO), BGBl. II Nr. 39/2012, normiert in ihrem § 2, dass Personalkosten und Finanzierungskosten zu den Kostenarten der nicht beeinflussbaren Kosten zählen.
16 Damit sind unter anderem langfristige Verpflichtungen im Personalbereich, insbesondere Pensionsverpflichtungen, angesprochen (vgl. Helmreich/Kuhlmann , Kostenverfahren in zweiter Instanz was bisher geschah ..., ZTR 2013, 220 [225]).
17 4.1. Wie der Verwaltungsgerichtshof zuletzt in einem Verfahren gemäß § 48 ElWOG 2010 und der Frage der Anerkennung bestimmter Personalkosten in Zusammenhang mit einer Ausgliederung als unbeeinflussbare Kosten zum insoweit gleichlautenden § 59 Abs. 6 Z 6 ElWOG 2010 ausgesprochen hat, ist mit „gesetzlichen Vorschriften“ im Sinn dieser Bestimmung nicht ausschließlich das betreffende Ausgliederungsgesetz, also ein die Ausgliederung regelndes Maßnahmengesetz, gemeint.
18 Ein bloßes Abstellen auf jene Vorschriften, die aus Anlass einer konkreten Ausgliederung erlassen wurden und dem Ausgliederungsvorgang zu Grunde liegen, ergibt sich weder aus dem Wortlaut des § 59 Abs. 6 Z 6 ElWOG 2010 (arg: „aufgrund gesetzlicher Vorschriften im Zuge von Ausgliederungen, welche dem Grunde nach zum Zeitpunkt der Vollliberalisierung des Elektrizitätsmarktes mit 1. Oktober 2001 bestanden haben“) noch aus den Gesetzesmaterialien (vgl. RV 994 BlgNR 24. GP 23). Vielmehr sprechen dem Regulierungssystem zu Grunde liegende Sachlichkeitserwägungen, wonach Produktivitätsabschläge nur Kosten betreffen dürfen, die die regulierten Unternehmen auch tatsächlich beeinflussen können, und somit hinsichtlich der nicht beeinflussbaren Kosten keine Zielvorgaben festgelegt werden dürfen, dafür, dass mit § 59 Abs. 6 Z 6 ElWOG 2010 auch (generell abstrakte) Vorschriften angesprochen sind, die im Zuge einer Ausgliederung berücksichtigt werden müssen und damit zu Kostenpositionen führen können, die vom Netzbetreiber nicht beeinflussbar sind (vgl. zu alldem VwGH 18.3.2022, Ro 2018/04/0021).
19 4.2. Dies gilt in gleicher Weise für Verfahren gemäß § 69 GWG 2011 und die hier zur Anwendung kommende, idente Parallelbestimmung des § 79 Abs. 6 Z 4 GWG 2011.
20 Das Bundesverwaltungsgericht hätte daher auch im vorliegenden Fall das Vorbringen der revisionswerbenden Partei, ihr sei beim Abschluss des Personalübereinkommens angesichts der Vorgaben der Richtlinie 2001/23/EG faktisch kein Spielraum zugekommen, weshalb die aus der Übernahme resultierenden Personalkosten als unbeeinflussbare Kosten anzusehen seien, prüfen müssen und es nicht bereits mit der Begründung abvotieren dürfen, dass die Richtlinie 2001/23/EG keine spezielle, verpflichtende Regelung der gegenständlichen Ausgliederung bilde und damit nicht als gesetzliche Vorschrift im Sinn des § 79 Abs. 6 Z 4 GWG 2011 gelte.
21 5. Indem das Bundesverwaltungsgericht dies verkannte und schon aus diesem Grund die gegenständlichen Personalkosten nicht als unbeeinflussbare Kosten im Sinn des § 79 Abs. 6 Z 4 GWG 2011 ansah, hat es seine Entscheidung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.
22 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
23 Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 23. Juni 2022