Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser sowie Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des O S in B, vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 48, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. September 2018, Zl. W246 2136653-1/15E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - in der Sache den Antrag des Revisionswerbers, eines Staatsangehörigen Afghanistans, auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status sowohl des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte die Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan fest, setzte eine Frist von zwei Wochen für die freiwillige Ausreise und sprach aus, dass eine Revision nicht zulässig sei.
2 Begründend zu der im Revisionsverfahren wesentlichen Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führte das BVwG aus, dass dem, der Volksgruppe der Tadschiken zugehörigen Revisionswerber sunnitischen Glaubens im Falle einer Rückkehr nach Kabul keine reale Gefahr einer gegen Art. 2 und 3 EMRK verstoßenden Behandlung drohe. Ausgehend von den Länderfeststellungen sei die Sicherheitslage in der Stadt Kabul zwar angespannt und habe sich langfristig betrachtet verschlechtert. Für sich alleine betrachtet, führe die Zunahme von Terroranschlägen noch nicht zur Schlussfolgerung, dass eine Ausweisung in einen von Terroranschlägen betroffenen Staat bzw. in ein bestimmtes Staatsgebiet automatisch eine Verletzung des Art. 3 EMRK nach sich ziehe und für den Betroffenen unzumutbar sei. Die Gefährdungsquellen in der Stadt Kabul seien in reinen Wohngebieten nicht in einem solchen Ausmaß anzunehmen, dass die Lage im gesamten Gebiet der Stadt Kabul als nicht ausreichend sicher zu bewerten sei.
Beim Revisionswerber handle es sich um einen gesunden, erwachsenen Mann im erwerbsfähigen Alter mit Schulbildung und Berufserfahrung, bei dem die Möglichkeit der Teilnahme am Erwerbsleben in Kabul vorausgesetzt werden könne und der im Falle seiner Rückkehr für seinen eigenen Lebensunterhalt aufkommen könne, zumal er in Kabul aufgewachsen und dort den überwiegenden Teil seines Lebens verbracht habe sowie dort über familiäre Anknüpfungspunkte verfüge. Es sei daher nicht zu befürchten, dass der Revisionswerber im Falle seiner Rückkehr Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse nicht befriedigen zu können bzw. in eine ausweglose Situation zu geraten. 3 Ausschließlich gegen die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten sowie die Rückkehrentscheidung und der damit in Zusammenhang stehenden Absprüche nach § 52 Abs. 9 und § 55 FPG richtet sich die vorliegende Revision.
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen vor, das BVwG habe sich zwar ausführlich mit den entsprechenden UNHCR-Richtlinien vom 19. April 2016 zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender beschäftigt, jedoch dabei die zum Entscheidungszeitpunkt bereits veröffentlichten, aktuellen UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 außer Acht gelassen. In diesen aktuellen Richtlinien sei UNHCR zur Auffassung gelangt, dass die Stadt Kabul wegen der dort herrschenden prekären Sicherheitslage für eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht in Frage komme. Mit Verweis auf aktuelle Länderberichte werde dargelegt, dass wiederholt die höchste Anzahl von zivilen Opfern in der Provinz Kabul verzeichnet worden sei und Zivilisten in Kabul bereits durch die Teilnahme am täglichen wirtschaftlichen und sozialen Leben dem Risiko, Opfer der allgemeinen Gewalt zu werden, unterliegen würden. Das BVwG wäre entsprechend näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verpflichtet gewesen, sich mit diesen aktuellen UNHCR-Richtlinien auseinanderzusetzen, zumal die dortigen Ausführungen klar gegen jene vom BVwG angenommene Einschätzung sprechen würden, die Sicherheitslage in Kabul sei nicht so prekär, dass eine Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit des Revisionswerbers im Fall seiner Rückkehr dorthin anzunehmen wäre. Wenn nach Auffassung von UNHCR in Kabul ein hohes Risiko bestehe, Opfer von allgemeiner bzw. willkürlicher Gewalt zu werden, lägen die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes vor.
8 Da der Revisionswerber nach den unbestrittenen Feststellungen des BVwG in Kabul geboren und dort aufgewachsen ist sowie vor seiner Ausreise dort gelebt hat, war Kabul vom BVwG nicht als zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative iSd § 11 AsylG 2005 zu prüfen, sondern die Möglichkeit der Abschiebung des Revisionswerbers nach Kabul als seine Heimatregion gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005.
9 Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
10 Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (vgl. VwGH 21.2.2017, Ra 2016/18/0137, Rn. 26; 25.4.2017, Ra 2017/01/0016, Rn. 14; bzw. 1.3.2018, Ra 2017/19/0425, Rn. 15).
11 Das BVwG verneinte diese Voraussetzungen in Bezug auf die Stadt Kabul ausgehend von den auf Basis zum Entscheidungszeitpunkt aktueller Länderberichte getroffenen Feststellungen zur dortigen Sicherheitslage unter Auseinandersetzung mit den UNHCR-Richtlinien zu Afghanistan vom 19. April 2016.
12 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist den Richtlinien des UNHCR besondere Beachtung zu schenken ("Indizwirkung") (vgl. etwa VwGH 7.6.2019, Ra 2019/14/0114, Rn. 9, mwN). Die Verpflichtung zur Beachtung der sowohl vom UNHCR als auch von der EASO herausgegebenen Richtlinien ergibt sich aus dem einschlägigen Unionsrecht (vgl. VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533, Rn. 21ff). Gemäß Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie) sind zwecks angemessener Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz genaue und aktuelle Informationen aus verschiedenen Quellen, wie etwa EASO und UNHCR sowie einschlägigen internationalen Menschrechtsorganisationen einzuholen, die Aufschluss über die allgemeine Lage insbesondere in den Herkunftsstaaten der Antragsteller geben. Speziell im Zusammenhang mit der Prüfung des internen Schutzes im Sinne von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) ordnet Art. 8 Abs. 2 dieser Richtlinie an, dass unter anderem bei der Prüfung der Frage, ob die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht, die Mitgliedstaaten sicherzustellen haben, dass genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, eingeholt werden. Demnach kommt den von UNHCR und EASO herausgegebenen Richtlinien und den darin enthaltenen Ausführungen zur allgemeinen Lage vor allem für die Feststellung der allgemeinen Sicherheitslage im Herkunftsstaat des Asylwerbers als wesentliche Grundlage für die rechtliche Beurteilung des Bestehens einer tatsächlichen Gefahr iSd § 8 Abs. 1 AsylG 2005 Bedeutung zu. In dieser Hinsicht haben die Asylbehörden die Richtlinien von UNHCR und EASO in ihren Entscheidungen zu beachten (vgl. zum Erfordernis der Auseinandersetzung mit den UNHCR-Richtlinien VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533, Rn. 20, bzw. jüngst 7.6.2019, Ra 2019/14/0114, Rn. 9).
13 Die Asylbehörden sind jedoch nicht an entsprechende Empfehlungen von UNHCR und EASO gebunden (vgl. wiederum VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533, Rn. 20, bzw. jüngst 7.6.2019, Ra 2019/14/0114, Rn. 9).
14 Insoweit der Revisionswerber im konkreten Fall moniert, das BVwG habe sich bei der Prüfung einer realen Gefahr iSd § 8 Abs. 1 AsylG 2005 im Falle seiner Rückkehr nach Kabul nicht mit den aktuellen UNHCR-Richtlinien zu Afghanistan vom 30. August 2018 auseinandergesetzt, macht er einen Verfahrensfehler geltend. Werden Verfahrensmängel - wie hier Ermittlungs- und Begründungsmängel - als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulassungsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis erzielt werden könne, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 7.6.2019, Ra 2019/14/0114, Rn. 11). 15 Die Revision verweist in ihrem Zulässigkeitsvorbringen dazu im Wesentlichen auf die Einschätzung von UNHCR in dessen Richtlinien vom 30. August 2018, wonach unter anderem wegen des hohen Risikos in Kabul Opfer von allgemeiner bzw. willkürlicher Gewalt zu werden, Kabul nicht als innerstaatliche Fluchtbzw. Neuansiedlungsalternative in Frage komme. Dass diese Einschätzung auf andere, insbesondere aktuellere Lageinformationen beruht, als das BVwG seinen Feststellungen zur Sicherheitslage in Kabul zugrunde legte, wurde vom Revisionswerber nicht moniert. 16 Bedenken gegen die im Gegensatz zum UNHCR aus derselben Informationslage vom BVwG abgeleitete unterschiedliche Einschätzung der allgemeinen Sicherheitslage für den Lebensalltag von Zivilisten in der Stadt Kabul vermag der Revisionswerber im Zulässigkeitsvorbringen mit dem bloßen Hinweis auf die anderslautende Einschätzung in der aktuellen UNHCR-Richtlinie vom 30. August 2018 nicht darzulegen.
17 Ausgehend davon ist die Annahme des BVwG, dass in Bezug auf den gesunden, erwachsenen und erwerbsfähigen Revisionswerber, der über Schulbildung und Berufserfahrung sowie aufrechte familiäre Anknüpfungspunkte in Kabul verfügt, im Falle seiner Rückkehr in seine Heimatregion, der Stadt Kabul, keine reale Gefahr der Verletzung von Art. 3 EMRK besteht, und die Voraussetzungen für die Gewährung von subsidiärem Schutz in Bezug auf den Revisionswerber nicht vorliegen, nicht zu beanstanden. 18 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 30. September 2019