JudikaturVwGH

Ro 2016/16/0004 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
24. Januar 2017

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte Dr. Mairinger, Dr. Thoma und Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Baumann, über die Revision der S AG in W, vertreten durch die Ernst Young Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft m.b.H. in 1220 Wien, Wagramer Straße 19, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom 28. September 2015, Zl. RV/7102334/2012, betreffend Gesellschaftsteuer (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Finanzamt für Gebühren, Verkehrsteuern und Glücksspiel), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird dahin abgeändert, dass sein Spruch lautet:

"Der bekämpfte Bescheid des Finanzamtes für Gebühren, Verkehrsteuern und Glücksspiel vom 15. Mai 2012, Erfassungsnummer 10-256.896/2006, über die Festsetzung von Gesellschaftsteuer wird aufgehoben."

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von 1.346,40 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Im Gefolge einer Kapitalerhöhung der revisionswerbenden Aktiengesellschaft (Revisionswerberin) im November 2006 berechnete der Parteienvertreter der Revisionswerberin (§ 10a KVG) die Gesellschaftsteuer für diesen Rechtsvorgang selbst, nahm dabei die Steuerbefreiung nach § 6 Abs. 1 Z 3 KVG in Anspruch und legte die Anmeldung des selbstberechneten Rechtsvorganges dem Finanzamt vor.

2 Mit "Gesellschaftsteuerbescheid Festsetzung gemäß § 201 BAO" vom 4. Februar 2011 setzte das Finanzamt gegenüber der Revisionswerberin eine gemäß § 2 Z 1 KVG entstandene Gesellschaftsteuer für die erwähnte Kapitalerhöhung vom 8. November 2006 in näher angeführter Höhe fest. Zur Begründung führte das Finanzamt aus:

"Die Mittelzuführungen bei der (Revisionswerberin) unterliegen der Gesellschaftsteuer, da die (V GmbH) offenbar nur gegründet wurde, um die Kapitalerhöhung bei der (Revisionswerberin) zu übernehmen und in den Genuss der Begünstigung gemäß § 6 Abs. 1 Z 3 KVG gelangen zu können, die andernfalls nicht zu gewähren gewesen wäre.

Die (V GmbH) übt so gut wie keine eigene Geschäftstätigkeit aus. Hätte die (Ö AG) die bei der (Revisionswerberin) durchzuführende Kapitalerhöhung als Großmutter übernommen, so wäre es, unabhängig von der mittelbaren Gesellschafterstellung, bei der (Revisionswerberin) zum Anfall einer Gesellschaftsteuer gekommen. Die Abgabenbehörde ist berechtigt und verpflichtet, bei der Erhebung der Abgaben von der Gestaltung der Vertragsparteien abzugehen.

Die Zeichnung der Kapitalerhöhung unterliegt daher in wirtschaftlicher Betrachtungsweise der Gesellschaftsteuer."

3 Dagegen berief die Revisionswerberin mit Schriftsatz vom 22. Februar 2011. Die V GmbH habe ihr gesamtes Vermögen als Sacheinlage in die Revisionswerberin eingebracht und als Gegenleistung 177.121 Stück auf Namen lautende Vorzugsaktien zu einem näher genannten Ausgabepreis erhalten. Daher sei die Selbstberechnung der Gesellschaftsteuer "im Hinblick auf § 6 Abs 1 Z 3 EStG" (gemeint wohl: § 6 Abs. 1 Z 3 KVG) vorgenommen worden. Aus der Bescheidbegründung sei erkennbar, dass das Finanzamt nicht den gewählten Sachverhalt, sondern eine Kapitalerhöhung unmittelbar durch die Ö AG zugrunde lege, weil die V GmbH nur zum Genuss der Begünstigung nach § 6 Abs. 1 Z 3 KVG gegründet worden wäre und deshalb die Kapitalerhöhung bei der Revisionswerberin übernommen hätte.

4 Mit einer mit 15. Mai 2012 datierten, der Revisionswerberin am 18. Mai 2012 zugestellten Berufungsvorentscheidung hob das Finanzamt den Bescheid vom 4. Februar 2011 auf und wies darauf hin, die Auswirkungen der Bescheidaufhebung mögen dem Abgabenkonto der beiliegenden Buchungsmitteilung entnommen werden. Zur Begründung führte das Finanzamt an, die Aufhebung erfolge aus formellen Gründen, denn die zwingende Angabe des Wiederaufnahmegrundes sei im Bescheidspruch nicht enthalten gewesen.

5 Mit einem ebenfalls mit 15. Mai 2012 datierten, der Revisionswerberin am 22. Mai 2012 zugestellten Bescheid setzte das Finanzamt gegenüber der Revisionswerberin gemäß § 201 BAO (neuerlich) Gesellschaftsteuer für die erwähnte Kapitalerhöhung vom 8. November 2006 in derselben Höhe wie mit Bescheid vom 4. Februar 2011 fest. Die Zahlungsfrist und der zu entrichtende Betrag mögen der gesondert zugehenden Buchungsmitteilung entnommen werden.

Zur Begründung führte das Finanzamt aus:

"Die Mittelzuführung bei der (Revisionswerberin) unterliegt der Gesellschaftsteuer, da die (V GmbH) offenbar nur gegründet wurde, um die Kapitalerhöhung bei der (Revisionswerberin) zu übernehmen unter Inanspruchnahme der Gesellschaftsteuerbefreiung nach § 6(1)3 KVG (Einbringung des gesamten Vermögens). Bei der (Revisionswerberin) erfolgte die Erhöhung des Grundkapitals um (EUR .....), wobei die (V GmbH) zur Zeichnung der gesamten Emission zugelassen wurde. In wirtschaftlicher Betrachtung handelt es sich hier nicht um die Einbringung des gesamten Vermögens, sondern um eine Mittelzufuhr von der (Ö AG), sodass § 6(1)3 KVG nicht zur Anwendung kommt.

Die Festsetzung erfolgt gemäß § 201 Abs. 2 Z 3 BAO, da die Voraussetzungen des § 303 Abs. 4 BAO (Hervorkommen neuer Tatsachen) gegeben sind. Anlässlich einer Überprüfung der Selbstberechnung hat das Finanzamt davon Kenntnis erlangt, dass in wirtschaftlicher Betrachtung keine Einbringung des gesamten Vermögens vorliegt, sondern eine Mittelzufuhr von der (Ö AG). Somit kommt die Befreiung gemäß § 6(1)3 KVG nicht in Betracht. Damit sind jedoch Umstände neu hervorgekommen, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens rechtfertigen.

Bei Ermessensübung ....."

6 Gegen die (neuerliche) Festsetzung der Gesellschaftsteuer durch den Bescheid vom 15. Mai 2012 erhob die Revisionswerberin mit Schriftsatz vom 4. Juni 2012 Berufung. Sie brachte u.a. vor, das Finanzamt habe bereits mit Bescheid vom 4. Februar 2011 in derselben Angelegenheit eine Abgabenfestsetzung vorgenommen. Aus der Begründung dieses Bescheides sei erkennbar, weshalb das Finanzamt von einer Gesellschaftsteuerpflicht ausgehe. Demnach sei dem Finanzamt nach Durchführung der Selbstberechnung ein Sachverhalt bekannt geworden, der seiner Meinung nach unter Anwendung des § 201 Abs. 2 Z 3 BAO eine Festsetzung der Gesellschaftssteuer rechtfertige. Nach Aufhebung eines Wiederaufnahmebescheides dürfte eine neuerliche Wiederaufnahme nur aus anderen Gründen geschehen, sonst liege entschiedene Sache vor. Was "Sache" sei, orientiere sich am angezogenen Wiederaufnahmegrund. Diese Grundsätze gälten auch im Anwendungsbereich des § 201 Abs. 3 Z 2 BAO. Dem bekämpften Bescheid vom 15. Februar 2012 liege derselbe Wiederaufnahmegrund wie dem Bescheid vom 4. Februar 2011 zu Grunde.

7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht, auf welches gemäß Art. 151 Abs. 51 Z 8 B-VG die Zuständigkeit zur Weiterführung des Verfahrens übergegangen war, die als Beschwerde behandelte Berufung vom 4. Juni 2012 als unbegründet ab und sprach aus, dass eine Revision nach Ar. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei. Nach Schilderung des Verwaltungsgeschehens stellte das Bundesfinanzgericht einen Sachverhalt fest, den es nach Wiedergabe rechtlicher Bestimmungen der Festsetzung der Gesellschaftsteuerpflicht zu Grunde legte und der eine Befreiung nach § 6 Abs. 1 Z 3 KVG ausschließe.

8 Dem Einwand der Revisionswerberin, es liege entschiedene Sache vor, hielt das Bundesfinanzgericht entgegen, dem Gesellschaftsteuerbescheid vom 4. Februar 2011 mangle es am konkreten Verfahrenstitel, welcher die erstmalige Festsetzung rechtfertige; jener Bescheid stütze sich nicht ausdrücklich auf § 201 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 3 zweiter Fall BAO. So sei nicht ausgesprochen worden, dass es sich bei den Gründen, die eine Festsetzung von Gesellschaftsteuer rechtfertigten, um neu hervorgekommene Tatsachen im Sinn des § 303 BAO handle. Im Anwendungsbereich des § 201 Abs. 2 Z 3 zweiter Fall BAO sei das Unterlassen der Anführung des maßgeblichen Wiederaufnahmetatbestandes im Spruch des Festsetzungsbescheides im Rechtsmittelverfahren nicht mehr sanierbar. Daher sei der Gesellschaftsteuerbescheid vom 4. Februar 2011 zu Recht aufgehoben worden und stehe dieser (Aufhebungs )Bescheid einer neuerlichen Festsetzung nicht entgegen.

9 Die dagegen erhobene Revision legte das Bundesfinanzgericht unter Anschluss der Akten des Verfahrens und einer Revisionsbeantwortung des Finanzamtes für Gebühren, Verkehrsteuern und Glücksspiel dem Verwaltungsgerichtshof vor.

10 Die Revisionswerberin erachtet sich im Recht auf Gesellschaftsteuerbefreiung nach § 6 Abs. 1 Z 3 KVG sowie im Recht auf Nichterlassung eines Festsetzungsbescheides nach § 201 BAO verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

11 Gemäß § 2 des Kapitalverkehrsteuergesetzes (KVG)

unterliegen dort näher angeführte Vorgänge der Gesellschaftsteuer.

12 Von der Besteuerung sind gemäß § 6 Abs. 1 Z 3 KVG der

Erwerb von Gesellschaftsrechten oder deren Erhöhung ausgenommen,

wenn und soweit auf die Kapitalgesellschaft als Gegenleistung das

gesamte Vermögen, ein Betrieb oder Teilbetrieb einer anderen

Kapitalgesellschaft übertragen wird. Dies gilt nicht, wenn die

Kapitalgesellschaft, an der Gesellschaftsrechte erworben werden,

für die übernommenen Sacheinlagen bare Zahlungen oder sonstige

Leistungen von mehr als 10 % des Nennwertes der

Gesellschaftsrechte leistet oder gewährt.

13 Über Rechtsvorgänge, die der Gesellschaftsteuer unterliegen, ist gemäß § 10 Abs. 1 KVG bis zum 15. Tag des auf den Kalendermonat, in dem der Rechtsvorgang stattgefunden hat, zweitfolgenden Monats, beim Finanzamt eine Abgabenerklärung vorzulegen. Dies gilt auch für Rechtsvorgänge, die von der Besteuerung ausgenommen sind.

14 Gemäß § 10a Abs. 1 KVG sind Rechtsanwälte, Notare und Wirtschaftstreuhänder (Parteienvertreter) nach Maßgabe der Abs. 1 bis 5 leg. cit. befugt, die Steuer für die im § 2 leg. cit. bezeichneten Rechtsvorgänge auch vor Entstehung des Abgabenanspruches als Bevollmächtigte eines Steuerschuldners selbst zu berechnen, wenn die Selbstberechnung innerhalb der Frist für die Vorlage der Abgabenerklärung erfolgt. Parteienvertreter haben gemäß § 10a Abs. 2 KVG für Rechtsvorgänge, für die sie eine Selbstberechnung vornehmen, spätestens am 15. Tag (Fälligkeitstag) des auf den Kalendermonat (Anmeldungszeitraum), in dem die Selbstberechnung erfolgt, zweitfolgenden Kalendermonats eine Anmeldung über die selbstberechneten Rechtsvorgänge beim Finanzamt für Gebühren, Verkehrsteuern und Glücksspiel vorzulegen.

15 § 201 der Bundesabgabenordnung (BAO) lautet:

"§ 201. (1) Ordnen die Abgabenvorschriften die Selbstberechnung einer Abgabe durch den Abgabepflichtigen an oder gestatten sie dies, so kann nach Maßgabe des Abs. 2 und muss nach Maßgabe des Abs. 3 auf Antrag des Abgabepflichtigen oder von Amts wegen eine erstmalige Festsetzung der Abgabe mit Abgabenbescheid erfolgen, wenn der Abgabepflichtige, obwohl er dazu verpflichtet ist, keinen selbst berechneten Betrag der Abgabenbehörde bekannt gibt oder wenn sich die bekanntgegebene Selbstberechnung als nicht richtig erweist."

16 § 201 Abs. 2 und 3 BAO idF des Abgabenverwaltungsreformgesetzes (AbgVRefG), BGBl. I Nr.20/2009, lautete:

"(2) Die Festsetzung kann erfolgen,

1. von Amts wegen innerhalb eines Jahres ab Bekanntgabe des

selbstberechneten Betrages,

2. wenn der Antrag auf Festsetzung spätestens ein Jahr ab

Bekanntgabe des selbstberechneten Betrages eingebracht ist,

3. wenn kein selbstberechneter Betrag bekannt gegeben wird

oder wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 303 Abs. 4 die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vorliegen würden,

(3) Die Festsetzung hat zu erfolgen,

1. wenn der Antrag auf Festsetzung binnen einer Frist von

einem Monat ab Bekanntgabe des selbst berechneten Betrages eingebracht ist,

2. wenn bei sinngemäßer Anwendung der §§ 303 bis 304 die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens auf Antrag der Partei vorliegen würden,

3. wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 295 die Voraussetzungen für eine Änderung vorliegen würden."

17 § 201 Abs. 2 und 3 BAO idF des FVwGG 2012, BGBl. I Nr. 14/2013 und des BG BGBl. I Nr. 70/2013 lautet:

"(2) Die Festsetzung kann erfolgen,

1. von Amts wegen innerhalb eines Jahres ab Bekanntgabe des

selbstberechneten Betrages,

2. wenn der Antrag auf Festsetzung spätestens ein Jahr ab

Bekanntgabe des selbstberechneten Betrages eingebracht ist,

3. wenn kein selbstberechneter Betrag bekannt gegeben wird

oder wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 303 die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vorliegen würden,

(3) Die Festsetzung hat zu erfolgen,

1. wenn der Antrag auf Festsetzung binnen einer Frist von

einem Monat ab Bekanntgabe des selbst berechneten Betrages eingebracht ist,

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