Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie den Hofrat Mag. Straßegger und die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Ortner, über die Revision des F R S, vertreten durch Dr. Christian Schmaus, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Chwallagasse 4/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. März 2015, Zl. W155 1434411- 1/16E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005, zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, stellte am 14. August 2012 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, dass er für die Amerikaner als Bäcker gearbeitet habe. Mitglieder der Taliban hätten ihn mittels Drohbrief aufgefordert, das Brot der Amerikaner zu vergiften und ihm bei Weigerung mit dem Tode gedroht. Infolgedessen sei er von diesen am linken Bein angeschossen worden.
Mit Bescheid vom 25. März 2013 wies das Bundesasylamt (nunmehr: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) den Antrag auf internationalen Schutz sowohl gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab und sprach gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 die Ausweisung des Revisionswerbers aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan aus (Spruchpunkt III.).
Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Asylgerichtshof.
Das beim Asylgerichtshof anhängige Verfahren wurde ab 1. Jänner 2014 vom Bundesverwaltungsgericht weitergeführt (§ 75 Abs. 19 AsylG 2005).
Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 3 Abs. 1 und § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 als unbegründet ab, verwies die Angelegenheit zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 an die Verwaltungsbehörde zurück und sprach aus, dass die Revision gegen diese Entscheidung gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
Das Bundesverwaltungsgericht stellte hinsichtlich der Person des Revisionswerbers fest, dieser sei Staatsangehöriger Afghanistans, stamme aus dem Dorf Q, Distrikt W in der Provinz K, gehöre der Volksgruppe der Paschtunen an und sei sunnitischmuslimischen Glaubens. Der Revisionswerber verfüge über keine Schulbildung und habe zunächst als Elektriker und Bauarbeiter und zuletzt als Bäcker gearbeitet. In Bezug auf das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers habe nicht festgestellt werden können, dass dieser Afghanistan aufgrund einer asylrelevanten, konkret gegen ihn gerichteten Bedrohung durch die Taliban verlassen habe und ihm eine solche Verfolgung im Falle seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohe.
Darüber hinaus traf das Bundesverwaltungsgericht Feststellungen zum Herkunftsstaat des Revisionswerbers unter Einbeziehung einer kursorischen Ausführung zur Provinz K und zu der allgemeinen Sicherheitslage im Raum Kabul. Zum Fluchtvorbringen führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass der Revisionswerber dieses zwar im Kern im gesamten Verfahren wiederholt habe, die Schilderungen der fluchtbezogenen Vorgänge jedoch widersprüchlich, unplausibel und nicht nachvollziehbar ausgeschmückt habe (Steigerung). Zusätzlich wies das Bundesverwaltungsgericht auch darauf hin, dass es das vom Revisionswerber angegebene Camp der Amerikaner laut Auskunft der Staatendokumentation vom 21. März 2013 nicht gebe.
Rechtlich folgerte das Bundesverwaltungsgericht daraus, dass die Beschwerde des Revisionswerbers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mangels Glaubhaftmachung einer asylrelevanten Verfolgung abzuweisen sei. In Bezug auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde ausgeführt, dass nicht ersichtlich sei, warum dem Revisionswerber eine Existenzsicherung in Afghanistan, insbesondere in seiner Heimatprovinz, nicht möglich oder zumutbar sein sollte. Allfälligen Übergriffen oder Bedrohungen seitens der Taliban könnte der Revisionswerber durch Verlegung seines Wohnsitzes in einen anderen Landesteil Afghanistans, etwa nach Kabul, entgehen.
Die Revision sei nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhänge, der grundsätzliche Bedeutung zukomme. Weder weiche die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung der Höchstgerichte ab, noch fehle es an einer Rechtsprechung, weiters sei die vorliegende Rechtsprechung auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch würden keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.
Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der vom Revisionswerber erhobenen Beschwerde gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 2. März 2015 mit Beschluss vom 12. Juni 2015, E 814/2015-5, ab und trat sie mit Beschluss vom 6. August 2015, E 814/2015-7, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die nunmehr eingebrachte außerordentliche Revision nach Vorlage derselben sowie der Verfahrensakten durch das Bundesverwaltungsgericht und nach Einleitung des Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Der Revisionswerber macht zur Zulässigkeit der Revision unter anderem geltend, eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stelle sich im Hinblick auf die vorliegenden identitätsbezeugenden Unterlagen des Revisionswerbers, welche ohne jegliche Erklärung durch das Bundesverwaltungsgericht nicht gewürdigt worden seien (Verweis auf das hg. Erkenntnis vom 17. September 2003, 2001/20/0324). Das Bundesverwaltungsgericht wäre jedenfalls dazu verpflichtet gewesen, sich mit dem Beweis zur Feststellung der Identität des Revisionswerbers auseinander zu setzen; gleiches gelte für den vorliegenden Dienstausweis der amerikanischen Militärbasis F. Durch das Ignorieren der vorliegenden Beweismittel und der mangelnden Auseinandersetzung mit deren Bedeutung für das Verfahren sei das Bundesverwaltungsgericht von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes in eklatanter Weise abgewichen. Gleiches gelte für die unreflektierte Annahme einer inländischen Fluchtalternative.
Die Revision erweist sich als zulässig. Sie ist auch begründet.
Nach ständiger Rechtsprechung ist der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz tätig, zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt - als Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - allerdings dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 2. September 2015, Ra 2015/19/0091 bis 0092, mwN).
Die Beweiswürdigung ist damit nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorganges (nicht aber die konkrete Richtigkeit) handelt bzw. darum, ob die Beweisergebnisse, die in diesem Denkvorgang gewürdigt wurden, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind (siehe das hg. Erkenntnis vom 9. September 2015, Ra 2014/04/0036, mwN). Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 2. September 2015).
Im vorliegenden Fall begründet das Bundesverwaltungsgericht die Annahme der Unglaubwürdigkeit des Revisionswerbers unter anderem damit, dass die von ihm bezeichnete US-Militärbasis (F) nicht existiere. Diese Überlegung erweist sich insofern als aktenwidrig, als sich aus der vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 21. März 2013 im Gegenteil ergibt, dass sich in der Provinz Nangarhar der oben genannte Stützpunkt befindet. Ausgehend von dieser - aktenwidrigen - Überlegung geht das Bundesverwaltungsgericht auch begründungslos über vorgelegte Beweismittel, konkret einen Dienstausweis ebendieser Militärbasis, hinweg. Vor dem Hintergrund, dass es sich bei der Beschäftigung als Bäcker auf diesem US-Militärstützpunkt - auf diese Tätigkeit ist seine Furcht vor Verfolgung durch die Taliban zurückzuführen - um den Kern des Fluchtvorbringens des Revisionswerbers handelt, erweist sich die Beweiswürdigung als nicht schlüssig im Sinne der oben zitierten hg. Judikatur.
In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass die weiteren diesbezüglichen Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts - es sei nicht nachvollziehbar und daher unglaubwürdig, dass der Revisionswerber eine gesicherte Berufssituation als Elektriker aufgegeben hätte, um als Bäcker in einem internationalen Militärcamp zu arbeiten - in Widerspruch zu den der Entscheidung zugrunde gelegten Feststellungen stehen, wonach der Revisionswerber zunächst als Elektriker, Bauarbeiter und zuletzt als Bäcker gearbeitet habe. Von diesem Sachverhalt ausgehend erweist sich die angesprochene Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts zur Ausübung der Tätigkeit als Bäcker ebenso als unschlüssig.
Schließlich vermag auch die Hilfsbegründung des Bundesverwaltungsgerichts, der Revisionswerber könne Bedrohungen seitens der Taliban durch Verlegung seines Wohnsitzes nach Kabul entgehen, die angefochtene Entscheidung nicht zu tragen. Zunächst ist das Bundesverwaltungsgericht - abgesehen von einem bloß allgemeinen Verweis auf die "trotz sicherheitsrelevanter Vorfälle relativ gut gesichert(e)" Hauptstadt Kabul - nicht auf die Berichtslage zu den für die Entscheidung maßgeblichen Verhältnissen im Herkunftsstaat des Revisionswerbers eingegangen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. April 2015, Ra 2014/20/0151). In den vom Bundesverwaltungsgericht getroffenen Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat des Revisionswerbers wird darauf hingewiesen, dass im Falle einer Verfolgung durch regierungsfeindliche Akteure berücksichtigt werden müsse, ob diese den Betroffenen auch im Neuansiedlungsgebiet verfolgen würden; angesichts des großen Wirkungsradius der regierungsfeindlichen Kräfte erscheine eine interne Schutzalternative für diesen Personenkreis nicht sinnvoll. Eine fallbezogene Auseinandersetzung mit der Frage, ob dem Revisionswerber in Kabul (keine) Verfolgungshandlungen vonseiten der Taliban drohen würden, ist der Entscheidung jedoch nicht zu entnehmen.
Darüber hinaus lässt das angefochtene Erkenntnis auch eine ausreichende Beschäftigung mit dem der innerstaatlichen Fluchtalternative innewohnenden Zumutbarkeitskalkül vermissen, welches nähere Feststellungen über die zu erwartende konkrete Lage des Revisionswerbers in dem in Frage kommenden Gebiet erfordert hätte (vgl. wiederum das hg. Erkenntnis vom 29. April 2015, Ra 2014/20/0151, mwN). Das Bundesverwaltungsgericht begnügt sich in diesem Zusammenhang damit, dass der Revisionswerber über "soziale Anknüpfungspunkte (Freunde)" in Kabul verfüge. Diesbezügliche Feststellungen enthält die angefochtene Entscheidung nicht. Ebenso wenig hat sich das Bundesverwaltungsgericht mit dem Beschwerdevorbringen sowie den Angaben des Revisionswerbers in der mündlichen Verhandlung auseinandergesetzt, er verfüge über keinerlei familiäre Anknüpfungspunkte in Kabul und habe dort niemanden, der ihn und seine Familie unterstützen könne.
Ausgehend davon ist die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts hinsichtlich der Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative mangelhaft begründet und vermag daher die gegenständliche Entscheidung für sich nicht zu tragen.
Das angefochtene Erkenntnis war somit - aufgrund der rechtlich aufeinander aufbauenden Entscheidung auch hinsichtlich der übrigen Spruchpunkte - wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. a, b und c VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 23. Februar 2016