JudikaturBVwG

G312 2290740-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
10. Oktober 2024

Spruch

G312 2290740-1/26E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Manuela WILD über die Beschwerde des serbischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch die BBU GmbH und Queer Base, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.08.2024, zu Recht:

A) I. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und der beschwerdeführenden Partei gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat SERBIEN zuerkannt. II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass der beschwerdeführenden Partei damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. III. Der beschwerdeführenden Partei kommt somit gemäß § 3 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter mit einer Gültigkeit von drei Jahren zu.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF) stellte am XXXX den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA bzw. belangte Behörde) vom XXXX wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs.1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG sein Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Serbien abgewiesen (Spruchpunkt II.), eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Serbien zulässig ist (Spruchpunkt V.), gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.) und einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG aberkannt (Spruchpunkt VII.).

Der Bescheid wurde zusammengefasst damit begründet, dass der BF in Serbien keiner Verfolgung durch staatliche Organe oder Privatpersonen unterliege. Eine asylrelevante Verfolgung seiner Person habe nicht glaubhaft gemacht werden können. Weiters habe nicht festgestellt werden können, dass der BF im Falle seiner Rückkehr nach Serbien einer asylrelevanten Verfolgung oder sonstigen Gefährdung ausgesetzt wäre. In Anbetracht der Länderfeststellungen könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Sicherheitsbehörden Serbien gänzlich schutzunfähig oder –willig seien. Die vom BF geäußerten Befürchtungen würden nicht das Ausmaß einer Erniedrigung im Sinne des Art. 3 EMRK erreichen. Serbien sei zudem ein sicherer Herkunftsstaat.

Gegen sämtliche Spruchpunkte dieses Bescheides richtet sich die Beschwerde des BF mit den Anträgen eine mündliche Beschwerdeverhandlung anzuberaumen, den angefochtenen Bescheid zu beheben und dem BF den Asylstatus gem. § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen, in eventu den Status eines subsidiär Schutzberechtigten gem. § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG zuzuerkennen, in eventu die Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig zu erklären und dem BF einen Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK zu erteilen, in eventu den Bescheid zu beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückzuverweisen. Zudem wurde die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung angeregt und ein Antrag nach § 20 AsylG gestellt, jedoch beantragt, dass die Beschwerde einer weiblichen Richterin zugewiesen und der Verhandlung eine weibliche Dolmetscherin beigezogen wird.

Zusammengefasst wird in der Beschwerde begründend ausgeführt, dass der BF und sein Ehepartner (die Beschwerdeführer) aufgrund ihrer Medienauftritte eine exponierte Stellung haben. Auf dem sozialen Netzwerk „TikTok“ würden sie als queeres Paar auftreten, eine große Reichweite haben, sich am politischen Diskurs beteiligen und auf sehr viel Hass treffen. In Serbien seien sie privaten Verfolgungshandlungen ausgesetzt und schütze die Polizei hiervor nicht bzw verfolge – erst durch Mediendruck aufgenommene – Anzeigen nicht ernsthaft. Die serbische Polizei sei nicht gewillt Schutz zu bieten, sondern gebe dem BF und seinem Ehepartner die Schuld an den Übergriffen bzw. habe diese verhöhnt. Bereits im Länderinformationsbericht (Jänner 2024) werde klar von starker Diskriminierung gegen die LGBTIQA+-Community sowie die mangelnde Schutzwilligkeit staatlicher Behörden bis hin zur Regierung berichtet. Selbiges gelte für Berichte der USDOS und der ILGA-Europe. Im Bericht der letztgenannten Organisation werde sogar auf den Angriff auf den BF und seinen Ehepartner eingegangen „In April, the home of a same-gender couple was attacked in Grocka“. Es bestehe der Verdacht auf eine Posttraumatische Belastungsstörung. Der BF befinde sich in Psychotherapie und nehme Medikamente ein. Der Cousin des BF – dieser sei Mitglied des Geheimdienstes BIA – habe ihm mit einer Freiheitsstrafe und dem Einschlagen seiner Beine gedroht. Zudem sei das Haus des BF aufgrund dessen exponierter Stellung – unter anderem durch die neo-faschistische Organisation „Levijatan“ – regelmäßig angegriffen worden und habe es Morddrohungen und körperliche Angriffe gegeben. Außerdem sei der BF bei einem Grenzübertritt von einem Grenzbeamten gewürgt worden. Im Übrigen werde auf die Stellungnahme der Organisation Queer Base vom 27.10.2023 (Beilage ./1) verwiesen. Neu in der Beschwerde vorgebracht wurde, dass der BF aufgrund seines äußeren Erscheinungsbildes Diskriminierungen und Beleidigungen ausgesetzt gewesen sei, da er fälschlicherweise für eine Zugehörige der Bevölkerungsgruppe Roma gehalten worden sei. Bislang sei dies aus Angst vor dem Vorhalt, dass sie gar keine Roma sei, nicht vorgebracht worden. Bei einer Rückkehr habe der BF Furcht vor Verfolgung aufgrund seiner sexuellen Orientierung bzw. geschlechtlichen Identität. Die Verfolgung gründe auf Gründen der politischen Gesinnung, der Religion sowie Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der homosexuellen bzw. transidentitären Personen bzw. der Gruppe der LGBTIAQ+ Personen in Serbien. Im Sinne der Rechtsprechung des VfGH könne nicht erwartet werden, dass ein Asylwerber in seinem Herkunftsland seine Homosexualität geheim halte, um eine Verfolgung zu vermeiden. Ein offenes Ausleben der Homosexualität in Serbien sei unmöglich. Letztlich bestehe keine Möglichkeit ein selbstbestimmtes Leben, ohne Beeinträchtigung der körperlichen Integrität zu führen, weshalb eine Überstellung nach Serbien die in Art. 8 EMRK geschützten Rechte verletze. Zusammengefasst sei das Ermittlungsverfahren und die Beweiswürdigung der belangten Behörde mangelhaft und der Bescheid inhaltlich rechtswidrig.

Mit Teilerkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG), G312 2290740-1/11Z, vom 03.05.2024 wurde der Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung stattgegeben und der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Am 19.08.2024 fand vor dem BVwG eine öffentliche, mündliche Verhandlung statt, an der der BF, dessen Rechtsvertreterin, eine Dolmetscherin für die Sprache Serbisch und der Ehepartner des BF, XXXX , geb. XXXX , als Zeuge teilnahmen. Die belangte Behörde erklärte ihren Teilnahmeverzicht.

Die gegenständliche Beschwerde und Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem BVwG mit Schreiben vom 23.04.2024, eingelangt am 26.04.2024, vom BFA vorgelegt und zugleich die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF ist ein am XXXX in XXXX geborener serbischer Staatsangehöriger. Er ist ohne Bekenntnis, homosexuell, verheiratet und kinderlos. Seinen Ehepartner, XXXX , StA: Bosnien und Herzegowina, lernte er 2020 oder 2021 über die Plattform „TikTok“ kennen und heiratete ihn am XXXX in XXXX . Auch bei ihm handelt es sich um einen Asylwerber (Beschwerdeverfahren, G308 2290741-2).

Ab seiner Geburt lebte der BF im Ort Grocka nahe Belgrad, Serbien. Dort lebte er zuletzt auch mit seinem nunmehrigen Ehepartner zusammen. In Serbien leben die Eltern des BF und dessen zwei Jahre älterer Bruder. Zuerst lebte der BF in Grocka mit seinen Eltern zusammen, als sich diese scheiden ließen – der BF war damals 15 Jahre alt – lebte er bei seinem Vater in dessen Haus, welches aktuell leer steht. Im Alter von 18 Jahren lebte er eine Zeit lang alleine. Sein Vater zog zu seiner neuen Freundin und seine Mutter zu deren Eltern nach Bajina Basta (ca. 180 km von Grocka entfernt). Nun lebt der Vater in Smederevo, die Mutter nahe Belgrad und der Bruder des BF in Grocka. Er spricht Serbisch als Muttersprache, Englisch und lernt aktuell Deutsch. In Serbien besuchte der BF 8 Jahre die Grundschule, 3 Jahre die Berufsschule und erlernte den Beruf des Friseurs. Er arbeitete ein Jahr lang als Friseur und war danach in unterschiedlichen Bereichen beruflich tätig, zuletzt als Metzger im Dezember 2021. Er verfügt über keinerlei Vermögen bzw. finanzielle Mittel.

Zunächst reiste der BF mit seinem nunmehrigen Ehepartner im Dezember 2021 nach Bosnien und Herzegowina, um dort bei den Eltern seines Ehepartners zu leben, kehrte jedoch nach drei Monaten wieder nach Grocka, Serbien zurück. Nach einem Aufenthalt in Belgrad kehrten sie erneut nach Grocka zurück und reisten am XXXX von Serbien kommend über Ungarn nach Österreich ein, wo sie noch am selben Tag in Salzburg ankamen. Den Entschluss zur Ausreise aus Serbien fasste der BF im September 2022. Am XXXX stellte er den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Nachdem dieser Antrag mit dem nun angefochtenen Bescheid abgewiesen wurde, war der BF zunächst rückkehrwillig und stellte am XXXX einen Antrag auf unterstützte freiwillige Rückkehr. Die Organisation der freiwilligen Rückkehr und die Übernahme der Heimreisekosten wurden genehmigt, sodann wurde jedoch mit Schreiben vom 25.04.2024 das Rückkehrverfahren widerrufen, da der BF seine Meinung änderte, nicht mehr freiwillig ausreisen und mit dem Asylverfahren weitermachen wollte.

In Österreich hat der BF keine Verwandten, sondern lediglich Bekannte und Freunde sowie eine Anbindung an die LGBTIQA+-Organisation Queerbase. Auch in anderen europäischen Staaten hat der BF keine Familienangehörigen. Aktuell wohnt der BF gemeinsam mit seinem Ehepartner in Wien in einer Wohnung, welche die Diakonie zur Verfügung stellt. Hierzu besteht seit XXXX eine aufrechte Hauptwohnsitzmeldung. Von der Diakonie erhält er auch Zuwendungen für Essen. In Österreich ging der BF keiner Erwerbstätigkeit nach, half jedoch mit seinem Ehepartner im Rahmen der Diakonie Wohnungen auszumalen und zu reparieren. Der BF ist in Österreich nicht Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation.

Im Strafregister der Republik Österreich scheinen keine Verurteilung auf, der BF ist unbescholten.

Schon seit dem Kindergarten fühlte sich der BF anders. Zunächst bemerkte er, dass ihn nicht Frauen, sondern Männer anziehen. So lehnte er es ab mit Mädchen zu spielen und wandte sich Burschen zu, verstand jedoch noch nicht warum. Im Alter zwischen 12 und 14 Jahren stellte er fest, dass er anders ist und wusste schließlich mit 14 Jahren, dass er homosexuell ist. Bis zum Alter von 20 Jahren versuchte der BF dies zu verleugnen bzw sich anzupassen. Seinen Eltern vertraute sich der BF, aus Angst verstoßen zu werden, nie an. Etwa ein Jahr bevor er seinen Ehepartner kennenlernte erfolgte sein Outing. Die Eltern des BF und dessen Bruder hatten für seine sexuelle Orientierung kein Verständnis. Nun ist der BF mit seinem Vater in telefonischen Kontakt und wurde von diesem finanziell unterstützt. Die Mutter erkundigt sich ab und zu nach dem Befinden des BF.

Der BF befindet sich in einem Prozess einer geschlechtsanpassenden Behandlung. In diesem Zusammenhang liegt ein Befund des Instituts für psychologische Diagnostik, Mag. Dr. XXXX vom 25.07.2024 vor. In diesem wird zusammenfassend befundet, dass keine klinisch relevante depressive Symptomatik, jedoch eine erhöhte aktuelle Ängstlichkeit sowie eine generelle Nervositäts- und Ängstlichkeitsneigung ersichtlich ist. Des Weiteren, dass eine erhöhte aktuelle Belastungssituation besteht und das Screening auf Posttraumatische Belastungsstörung stark auffällig ist und eine dahingehende Diagnose durch die Testwerte bestätigt wird. Zudem, dass der BF eine hohe Ablehnung des eigenen Körpers zeigt und sich in diesem unwohl fühlt. Aus klinisch-psychologischer Sicht werden geschlechtsangleichende Maßnahmen befürwortet.

Der BF ist in psychotherapeutischer Behandlung und nimmt Medikamente ein – nämlich Antidepressiva und Schlaftabletten. Bei ihm besteht der Verdacht auf eine Posttraumatische Belastungsstörung und wurde zudem die Krankheit Hashimoto festgestellt. Der BF ist jedoch grundsätzlich gesund und arbeitsfähig.

Ihre Beziehung sowie die Zugehörigkeit zur LGBTQ-Community machen der BF und sein Ehepartner über soziale Netzwerke, insbesondere „TikTok“ unter dem Benutzernamen „ XXXX “ bzw „ XXXX “ publik. Dem Benutzerkonto „ XXXX “ folgen mehr als 6.400 Personen und hat dieses über 108.000 Likes. Manche ihrer Beiträge bzw. Videos erreichten hohe Aufrufzahlen zwischen 355.000 und 247.000 Aufrufen. Zumeist sind der BF und dessen Ehepartner gemeinsam auf den geposteten Beiträgen zu sehen, teils auch mit Regenbogenfahnen. So sind sie auch in dem Beitrag mit 355.000 Aufrufen auf der „Belgrade Pride 2021“ in einer Interviewsituation mit Regenbogenfahne zu sehen. In einem anderen Beitrag ist ersichtlich, dass sich der BF und sein Ehepartner vor dem Parlament in Wien befinden. Auf den Screenshots der „TikTok LIVE Videos“ ist erkennbar, dass ihre Videos bis zu 357 Live-Zuseher verfolgen.

Im Rahmen der „TikTok LIVE Videos“ kommt es immer wieder zu Anfeindungen bzw. Hasskommentaren unter anderem mit Todesdrohungen gegenüber dem BF und dessen Ehepartner. So kam es etwa zu folgenden Drohungen bzw. Hasskommentaren: „Wenn ich dich auf der Straße sehe, schwöre ich, dass ich dich töten werde […]“, „Man müsste dich den ganzen Tag und die ganze Nacht durchprügeln“, „Der da gehört so schnell wie möglich aus unseren Landen vertrieben“, „Jetzt werde ich kommen, um euch mit einem Hackbeil in Stücke zu schneiden und den Hunden zum Fraß vorzuwerfen, und eure Mütter werde ich tot aufspießen!“, „Hallo, ich werde zu eurer Adresse kommen und euch zu Tode prügeln. Ich werde auch ein Fleischerbeil mitnehmen“, „Almir, du wirst mit einer Axt geschlachtet werden“ und „Ich werde dich abschlachten!“.

Festgestellt wird auch, dass sich im Akt der Screenshot eines TikTok-Beitrages mit der Überschrift „ XXXX !!!!!!“ („ XXXX “) befindet. In diesem ist XXXX , der Chef des „Leviathan Movement“ – eine neo-faschistische politische Organisation in Serbien (https://en.wikipedia.org/wiki/Leviathan_Movement, abgefragt am 26.08.2024) – gemeinsam mit einem Ausschnitt aus einem Video des BF und dessen Ehepartner zu sehen. Diese sind auf dem Ausschnitt zu sehen.

Über den BF und dessen Ehepartner wurde auch von diversen Medien berichtet. So etwa in einem Online-Artikel der Nachrichtenplattform „Telegraf“ vom XXXX mit dem Titel „ XXXX , beleidigt, Fenster und Türen werden zerbrochen, Flaschen werden geworfen“ (https://www.telegraf.rs/vesti/srbija/3491752-jovan-i-almir-zbog-ljubavi-trpe-mrznju-i-napade-prete-nam-vredjaju-lome-prozore-i-vrata-bacaju-flase, abgefragt am 26.08.2024). In diesem berichtet der BF unter anderem von Verfolgung und Übergriffen gegen ihn und seinen Ehepartner. So seien sie bei einem Spaziergang in Grocka von Männern aus einem Auto heraus beleidigt bzw. bedroht worden und sei auf den BF eingeschlagen worden. Seit sein Freund nach Grocka gekommen sei und sie angefangen haben TikTok-Videos zu machen, würden sie angegriffen, beleidigt und auf der Straße angespuckt werden. Ihre Fenster seien schon fünfmal eingeschlagen und abends gegen die Türe getreten worden. Ständig würden Autos um sein Wohnhaus herumfahren und Flaschen geworfen werden. In dem Artikel ist auch ein Lichtbild eines eingeschlagenen bzw -geworfenen Fensters und die Aufnahmen einer Überwachungskamera zu sehen. In der Videoaufnahme ist ersichtlich, wie am 03.04.2022, 00:49 Uhr, 6 vermummte Personen zum Haus des BF gehen und 3 von ihnen wenige Momente später wieder in dieselbe Richtung flüchten. Weiters berichtet der BF, dass beim Einkaufen immer wieder eine Gruppe von Menschen auftauche, die sie beschimpfe und es schon öfters zu körperlichen Auseinandersetzungen gekommen wäre, wenn sie nicht weggelaufen wären. Nachbarn hätten der Mutter des BF gesagt, dass ihnen irgendwelche Leute mit Schlagstöcken gefolgt seien. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis etwas Gefährliches passiere. Er habe der Polizei auch gesagt, dass ständig Autos um das Haus fahren würden und man sich fragen müsse, wann diese Leute dann auch in dieses eindringen. Weiters werden in dem Artikel Aussagen des Ehepartners des BF wiedergegeben, wonach sie nach Erstattung einer Anzeige wegen Bedrohungen und Übergriffen auf Sacheigentum nie ein Protokoll von den zuständigen Behörden erhalten haben. Es wird des Weiteren berichtet, dass auf den der Nachrichtenagentur übergegeben Aufnahmen der Überwachungskamera, in welche diese Einsicht nehmen habe können, zwar zu sehen sei, dass die Polizei zur Adresse des Tatorts kam, jedoch – nach inoffiziellen Informationen von Telegraf.rs – keine einzige, diesbezügliche protokollierte Anzeige vorliege. Weiters wird vom BF und seinem Ehepartner ausgeführt, dass man auf der Straße nicht mehr Händchen halte und sich auch nicht küsse und sie an einem Punkt angelangt seien, an dem man nicht mehr wisse was man tun solle und die einzige Rettung darin gesehen werde, irgendwohin wegzuziehen.

Des Weiteren wird festgestellt, dass derartige Berichte auch von den Nachrichtenplattformen „b92“, „CRNA HRONIKA“, „N1“, „PRVA“ existieren. Im Artikel von „Radio Slobodna Evropa“ vom 18.09.2021 mit dem Titel „Seitens „PRIDE“ wurde ein Gesetz über gleichgeschlechtliche Partnerschaften in Serbien gefordert – LGBT-Flagge von Rechtsextremisten angezündet“ ist auch ein kurzes Statement des BF, in welchem er ein Gesetz über gleichgeschlechtliche Partnerschaften fordert, abgedruckt. In einem in den Bericht eingebettetem Video ist das Interview des BF zu sehen (https://www.slobodnaevropa.org/a/srbija-beograd-prajd-lgbt/31465291.html, abgefragt am 28.08.2024) . Im Übrigen wird in dem Artikel berichtet, dass– zeitgleich zur Pride-Parade – eine Kundgebung rechtspopulistischer Verbände stattgefunden habe. Bei dieser seien Beleidigungen gegen Angehörige der LGBTI+ Community geäußert und eine LGBTI+-Flagge angezündet worden. Einige Teilnehmer der Versammlung hätten zum Tod von LGBTI+-Personen aufgerufen und versucht nach dem PRIDE-Marsch zu dem Ort des Konzerts zu gelangen, seien jedoch von der Polizei daran gehindert worden. Die diesjährige Pride-Veranstaltung finde 20 Jahre nach dem ersten Marsch in der serbischen Hauptstadt statt, der von Gewalttaten rechtsextremer und gewalttätiger Gruppen gegen PRIDE-Teilnehmer geprägt gewesen sei.

Festgestellt wird, dass der BF und sein Ehepartner sich als Aktivisten für die Rechte Homosexueller in Serbien einsetzten bzw. einsetzen. Dies vor allem über soziale Netzwerke wie TikTok.

Am 03.04.2022, gegen 00:49 Uhr, gingen 6 vermummte Personen zum Haus des BF in Grocka und 3 von ihnen flüchteten wenige Momente später wieder in dieselbe Richtung. Hierbei wurde zumindest ein Fenster des Hauses, in welchem der BF mit seinem Ehepartner wohnte, eingeschlagen. Auch zuvor wurden bereits viermal Fenster des Hauses eingeschlagen. Auch gegen die Haustüre des BF wurde getreten und diese hierdurch beschädigt.

Der BF war im alltäglichen Leben mit seinem Ehepartner in Serbien, aufgrund seiner sexuellen Orientierung, Anfeindungen ausgesetzt und wurde bedroht. So wurden der BF und dessen Ehepartner beispielsweise bei einem Spaziergang von Personen aus einem Auto beschimpft. Das Auto hielt an, Personen stiegen aus und bedrohten den BF und seinen Ehepartner aufgrund ihrer sexuellen Orientierung mit dem Tode.

Auch bei einem Grenzübertritt von Bosnien-Herzegowina kommend war der BF auf serbischer Seite der Grenze einem Übergriff durch Grenzbeamte ausgesetzt So wurde er am Hals gepackt und an die Wand gedrückt.

Nach der medialen Berichterstattung über den BF und seinen Ehepartner, wurden diese auch vom Cousin des BF mit Verletzungen am Körper bedroht und forderte dieser deren Auszug aus dem Haus des Vaters des BF.

Festgestellt wird auch, dass der BF eine Strafanzeige vom 09.06.2022 gegen unbekannte Täter wegen des Vergehens der Gefährdung der Sicherheit unter Bedachtnahme darauf, dass die Straftat aus Hassmotiven aufgrund sexueller Orientierung begangen wurde, an die Staatsanwaltschaft Belgrad richtete. Der Anzeige wurden Fotos von TikTok-Profilen, von denen sie beleidigt und bedroht worden seien sowie – gegenständlich nicht vorliegende – Aufnahmen von Live-Übertragungen, auf denen konkrete Drohungen und Beleidigungen dieser Personen zu hören seien, angeschlossen.

Von Seiten der serbischen Polizei erhielt der BF keine angemessene Hilfe. So kam die Polizei nach dem oben angeführten Vorfall bei dem Spaziergang– nachdem mit dem Einschalten der Medien gedroht wurde – zwar zum Haus des BF, nahm letztlich jedoch keine Anzeige auf. Auch bei dem Übergriff durch einen Grenzbeamten erfolgte keine Protokollierung der Rötungen am Hals des BF.

Zur aktuellen Situation – insbesondere für Homosexuelle – in Serbien:

Politische Lage

Serbien ist eine parlamentarische Demokratie mit kompetitiven Mehrparteienwahlen, aber in den letzten Jahren hat die regierende Serbische Fortschrittspartei (SNS) die politischen Rechte und bürgerlichen Freiheiten kontinuierlich eingeschränkt und Druck auf unabhängige Medien, die politische Opposition und zivilgesellschaftliche Organisationen ausgeübt (FH 10.3.2023; vgl. LPB o.D.). Seit Jahren wird im Land immer wieder gegen den autokratischen Regierungsstil von Präsident Vučić demonstriert. Die Opposition in Serbien ist schwach und zersplittert (LPB o.D.). 1 Die 250 Abgeordneten des Parlaments werden für vier Jahre gewählt. Der Präsident wird für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt und die Amtszeit des Präsidenten ist auf maximal zwei Amtsperioden begrenzt (OSZE 29.12.2021).

Die Volksvertretung der Republik Serbien ist ein Einkammerparlament (Narodna Skupština, 250 Abgeordnete). Der aktuelle Staatspräsident Aleksandar Vučić verfügt über eine sehr starke Stellung gegenüber Parlament und Regierung und hat de facto ein Präsidialsystem geschaffen. Strategisches Ziel Serbiens ist der Beitritt zur EU. Gleichzeitig pflegt Serbien seine engen Beziehungen zu China und Russland, auch wenn die serbische Regierung Letztere seit dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine auf den Prüfstand stellt. 2007 hat sich Serbien durch Parlamentsbeschluss zur militärischen Neutralität verpflichtet. Serbien beteiligt sich am von der Bundesregierung 2014 initiierten Berlin-Prozess, der die regionale Kooperation, u. a. durch wirtschaftliche Zusammenarbeit vertieft. Haupthindernis bleibt die aus serbischer Sicht ungelöste Kosovo-Frage: Nachdem Serbien den sogenannten Ahtisaari-Plan im Rahmen einer internationalen Vermittlung abgelehnt hatte, erklärte die Republik Kosovo am 17.2.2008 ihre Unabhängigkeit von Serbien. Serbien betrachtet „Kosovo und Metochien“ gemäß Verfassung von 2006 weiter als autonome serbische Provinz. Maßgebliches Verhandlungsformat für eine umfassende Normalisierung des Verhältnisses ist der Normalisierungsdialog zwischen Kosovo und Serbien, in dem der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) seit 2011/13 vermittelt. Seit 2.4.2020 gibt es einen Sonderbeauftragten für den Normalisierungsdialog (AA 9.10.2023). Am 3.4.2022 fanden in Serbien u. a. Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen statt. Die von der Serbischen Fortschrittspartei (SNS) geführte Liste „Aleksandar Vučić - Gemeinsam können wir alles schaffen“ gewann die Parlamentswahlen mit 42,9 % der Stimmen. Die Präsidentschaftswahlen gewann Aleksandar Vučić mit 58,8 % (KAS 5.2022; vgl. BPB 5.4.2022). Aufgrund von Beschwerden ordnete die Republikanische Wahlkommission (RIK) eine Wiederholung der Präsidentschaftswahlen in 54 Wahllokalen und der Parlamentswahlen in 35 Wahllokalen an (KAS 5.2022). Eine Delegation der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) hat bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Serbien am 3.4.2022 eine Reihe von Unregelmäßigkeiten und Defiziten im gesamten Wahlprozess festgestellt (Euractiv 21.6.2022; vgl. OSCE 2022).

Der serbische Präsident Aleksandar Vučić, dem vorgeworfen wird mit autoritären Methoden zu regieren und über Vertraute Medien, Justiz und Verwaltung größtenteils zu kontrollieren, löste im Herbst 2023 das Parlament auf und setzte für den 17.12.2023 vorgezogene Wahlen an. Vorgezogene Neuwahlen sind in Serbien häufig (Zeit 13.10.2023; vgl. EN 4.11.2023; DS 1.11.2023). Die SNS von Präsident Vučić gewann die Wahl deutlich mit 46 % der Stimmen. Damit hätte sie mit 128 von 250 Mandaten eine absolute Mehrheit in der Volksversammlung (Skupstina) erreicht (FR 18.12.2023). Eine internationale Beobachtermission aus Vertretern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), des EU-Parlaments und des Europarats stellte eine Reihe von Unregelmäßigkeiten fest, darunter Fälle von Gewalt, Stimmenkauf und gefälschte Stimmzettel (Zeit 18.12.2023; vgl. DS 18.12.2023; FR 18.12.2023). Der derzeitige Premierminister Milos Vucevic ist seit 02.05.2024 im Amt (https://de.wikipedia.org/wiki/Ministerpr%C3%A4sident_(Serbien), abgefragt am 26.08.2024). Ihm vorausgegangen ist Ivica Dacic und Ana Babic. Letztere wurde nach Neuwahlen am 21.06.2020 am 3.4.2022 und am 26.10.2022 bereits zum dritten Mal im Amt bestätigt. Ihre Regierung bekannte sich zum EU-Kurs des Landes, betonte aber auch ein gutes Verhältnis zu Russland und China (AA 11.8.2023). Sie bekannte sich auch offen zu ihrer gleichgeschlechtlichen sexuellen Orientierung (https://www.zeit.de/politik/ausland/2017-06/ana-brnabic-serbien-regierungschefin-homosexualitaet/seite-2, abgefragt am 26.08.2024).

Am 21.1.2014 wurden EU-Beitrittsverhandlungen mit Serbien aufgenommen (AA 11.8.2023). Der EU‐Fortschrittsbericht vom 12.10.2022 konstatiert – wie auch in den Jahren davor – nur mäßige Ergebnisse Serbiens in der Annäherung an den EU Aquis (ER-REU 18.1.2023; vgl. VB 14.4.2023).

Sicherheitslage

Die politische Lage ist stabil (AA 1.12.2023; vgl. EDA 6.6.2023). Das Risiko von terroristischen Anschlägen kann auch in Serbien nicht ausgeschlossen werden (EDA 6.6.2023).

Zwei Amokläufe im Mai 2023 mit 18 Toten haben wöchentliche Demonstrationen gegen die Regierung ausgelöst. Die Menschen werfen den von Vučić kontrollierten Medien vor, im Lande ein Klima des Hasses und der Gewaltverherrlichung zu schüren (MDR 6.11.2023; vgl. Zeit 4.6.2023; Merkur 13.10.2023).

Als Reaktion auf die beiden Amokläufe hat Präsident Vučić eine Verschärfung des Waffenrechtes angekündigt. Eine 30‐tägige Amnestie bei freiwilliger Abgabe von illegalen Waffen und Sprengmittel wurden verfügt (VB 5.12.2023).

Darüber hinaus löste Vučić das Parlament im Herbst 2023 auf und kündigte für Dezember 2023 vorgezogene Wahlen an. Diese fanden am 17.12.2023 statt (DS 1.11.2023; vgl. MDR 6.11.2023; DS 18.12.2023). Die serbischen Oppositionsparteien und zivilgesellschaftlichen Organisationen setzten am 28. Oktober 2023 ihre wöchentlichen Proteste gegen die Regierung und gegen Gewalt im Land fort, nachdem sie sich auf die Teilnahme an den vorgezogenen Wahlen im Dezember 2023 auf einer gemeinsamen Liste geeinigt hatten (VB 5.12.2023; vgl. MDR 6.11.2023).

Die im Norden der Republik Serbien gelegene Provinz Vojvodina zeichnet sich durch eine eigenständige, durch jahrhundertealte Koexistenz der Serben mit verschiedenen nationalen Minderheiten (u. a. Ungarn, Rumänen, Ruthenen, Kroaten, Deutschen) geprägte Tradition aus (AA 11.8.2023).

In der teils mehrheitlich von der albanischen Volksgruppe bewohnten Grenzregion Südserbiens zu Kosovo und Nordmazedonien im Preševo-Tal (Gebiet der Gemeinden Bujanovac, Preševo, Medvedja) ist die Lage stabil. Die albanische Bevölkerung Südserbiens orientiert sich teils stark nach Kosovo. Mitunter wird über etwaige Grenzanpassungen spekuliert, die das Gebiet betreffen würden (AA 11.8.2023).

Die Beziehungen Serbiens zu seinen Nachbarn sind nach wie vor angespannt (BICC 7.2023).

Zwischen Serbien und dem Kosovo schwelt seit der einseitigen Unabhängigkeitserklärung ein offener Grenzkonflikt (BICC 7.2023; vgl. AA 1.12.2023; EDA 6.6.2023). Die Spannungen halten bis heute an und führen trotz der Bemühungen seitens der EU um eine Beilegung der Streitigkeiten, immer wieder zum Aufflammen des Konflikts wie jüngst im Streit um Autokennzeichen und Ausweispapiere oder im Falle von bewaffneten Auseinandersetzungen im Dezember 2022 oder im Laufe des Jahres 2023. Aktuell wirft die kosovarische Regierung der serbischen Armee vor, Militär und Polizeieinheiten entlang der Grenze zum Kosovo verlegt zu haben. Auch die USA beobachteten eine neuerliche große Militärpräsenz Serbiens an den Grenzen zum Kosovo und forderten die serbische Regierung auf, ihre dort stationierten Truppen abzuziehen (LPB o.D.a; vgl. LPD o.D.b). Zu diesem Spannungs- und Konfliktpotenzial kommt die Befürchtung von vermehrten russischen hybriden Destabilisierungsversuchen im Zuge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine (B90 26.5.2023).

Zwischen Serbien und Kroatien gab es gleichfalls ungelöste Grenzfragen. Nach kontinuierlicher Verbesserung der Beziehung zwischen den beiden Ländern konnte im Juni 2016 ein als historisch bezeichneter Pakt beschlossen werden, durch den die Grenzkonflikte beigelegt wurden und den jeweiligen Minderheiten in den Ländern mehr Rechte zugesprochen werden sollen. Die Beziehung gilt jedoch weiterhin als angespannt und die langfristige Anerkennung der Einigung als ungewiss (BICC 7.2023).

Bosnien und Herzegowina und Serbien streiten sich ebenfalls über ungelöste Grenz- und Territorialfragen entlang der Flüsse Drina und Lim. Serbien hat einen Landtausch vorgeschlagen, eine Einigung konnte aber noch nicht gefunden werden (BICC 7.2023).

Im Zusammenhang mit den Migrationsbewegungen nach Europa kam es vermehrt auch zu Spannungen zwischen Ungarn und Serbien (BICC 7.2023).

Serbien hat ein gewisses Maß an Vorbereitung bei der Umsetzung des Rechtsbestands der EU unter anderem im Bereich Sicherheit erreicht. Serbien trägt als Transitland weiterhin erheblich zur Steuerung der gemischten Migrationsströme in die EU bei (EK 12.10.2022).

Rechtsschutz und Justizwesen

Die Verfassung und die Gesetze sehen das Recht auf einen fairen und öffentlichen Prozess vor, und die Justiz setzt dieses Recht im Allgemeinen durch (USDOS 20.3.2023; vgl. FH 10.3.2023).

Prinzipiell kann sich jede Person in Serbien, die sich privaten Verfolgungshandlungen ausgesetzt sieht, sowohl an die Polizei wenden als auch direkt bei der Staatsanwaltschaft persönlich oder schriftlich Anzeige erstatten. Auch können entsprechende Beschwerden an die Institutionen des Ombudsmanns gerichtet werden. Darüber hinaus besteht auch für Personen, die sich an den Ombudsmann gewandt haben, die Möglichkeit der Aufnahme in das Zeugen- bzw. Opferschutzprogramm. Die Bevölkerung hat die Möglichkeit, sich wegen rechtswidrigem Verhalten der Sicherheitsbehörden an den serbischen Ombudsmann oder den serbischen Datenschutzbeauftragten zu wenden. Ohne Einschränkung haben in Serbien lebende Personen, unabhängig von Staatsbürgerschaft und Ethnie, den gleichen Zugang zu Justiz-, Verwaltungs- und Sicherheitsbehörden. Rechtsmittel gegen polizeiliche Übergriffe sind vorgesehen und gesetzlich verankert. Bei rechtswidrigem Verhalten wird gegen die Beamten Strafanzeige erstattet und/oder ein Disziplinarverfahren durchgeführt. Bei Übergriffen gegen Minderheiten (z. B. Roma oder Sinti) bestehen keine Ausnahme- oder Sonderregelungen. Sie sind wie alle anderen Staatsbürger vor dem Gesetz gleichgestellt (VB 14.4.2023).

Trotz verfassungsmäßiger und anderer gesetzlicher Bestimmungen zur Unabhängigkeit der Justiz berichten Aufsichtsgremien, internationale und nationale NGOs, dass die Justiz anfällig für Korruption und politische Einflussnahme ist (USDOS 20.3.2023; vgl. FH 10.3.2023).

Darüber hinaus sind die Justiz- und Strafverfolgungsbehörden in Serbien nicht in der Lage, Korruptionsfälle auf hoher Ebene neutral und operativ unabhängig zu untersuchen und zu verfolgen. Zu den Haupthindernissen in diesem Bereich gehören das durchsetzungsstarke Vorgehen der Regierung und Handlungsspielraum der Gerichtspräsidenten und Leiter der Staatsanwaltschaften bei der Arbeit der einzelnen Richter und stellvertretenden Staatsanwälten (OCI 2023). Regierungsbeamte und Parlamentsabgeordnete äußerten sich weiterhin öffentlich zu laufenden Ermittlungen, Gerichtsverfahren oder zur Arbeit einzelner Richter und Staatsanwälte. Dadurch entsteht der Eindruck der politischen Einflussnahme auf die Gerichte (USDOS 20.3.2023; vgl. FH 10.3.2023; OCI 2023). Akteure des Privatsektors genießen je nach ihren Beziehungen zu hochrangigen PolitikerInnen häufig Schutz vor Gericht, da sie entweder das Gerichtsverfahren in die Länge ziehen oder günstige Gerichtsentscheidungen erwirken (OCI 2023).

Dennoch waren in den letzten Jahren einige Fortschritte zu verzeichnen, da der Rückstand bei den Vollstreckungsverfahren abgebaut und Mechanismen zur Harmonisierung der Gerichtspraxis eingeführt wurden. Darüber hinaus wurden die operativen Kapazitäten der Sonderstaatsanwaltschaft durch Schulungen und maßgeschneiderte Lehrpläne gestärkt, die hauptsächlich von internationalen Organisationen wie der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSCE) finanziert wurden, sowie durch die internationale Zusammenarbeit mit Eurojust (OCI 2023)

Nach einer Volksabstimmung im Jahr 2021 wurden vom Nationalparlament im Februar 2022 Verfassungsänderungen verabschiedet, mit denen diverse Aspekte des Justizwesens an die EU-Standards angepasst wurden. Die Änderungen sehen beispielsweise vor, dass die Richter und Staatsanwälte nicht mehr vom Parlament, sondern vom Hohen Justizrat und vom Hohen Rat der Staatsanwälte gewählt werden. Darüber hinaus beinhalten sie die Umbenennung des Obersten Kassationsgerichts in Oberster Gerichtshof. Gewählt wurden außerdem auch der Vorsitzende und die Mitglieder der Republikanischen Wahlkommission (RIK), sowie 29 stellvertretende Staatsanwälte und 16 Richter (B92.net 9.2.2022; vgl. SN 16.1.2022; EK 12.10.2022). Kritiker bemängeln, dass die Reform nicht weit genug gehe, um eine wirklich unabhängige Justiz zu schaffen (EN 17.1.2022; vgl. USDOS 20.3.2023).

Das Humanitarian Law Center, eine NGO zur Überwachung von Kriegsverbrechen, stellte im Mai 2022 veröffentlichten Jahresbericht über Kriegsverbrecherprozesse im Land fest, dass das Büro des für Kriegsverbrechen zuständigen Staatsawaltes (OWCP) untätig war. Die regionale Zusammenarbeit bei der Aufarbeitung von Kriegsverbrechen bleibt begrenzt. Die Regierung setzte die Umsetzung ihrer nationalen Strategie für Verfolgung von Kriegsverbrechen 2021- 2026 fort; internationale und nationale Überwachungsgremien berichteten jedoch, dass die Schnelligkeit und der Umfang der Ermittlungen und Strafverfolgungen unzureichend sind. Die Behörden bieten verurteilten oder mutmaßlichen Kriegsverbrechern weiterhin Unterstützung und öffentlichen Raum und reagieren nur langsam auf Hassrede oder auf die Leugnung von Kriegsverbrechen. Menschenrechtsorganisationen kritisieren die andauernde Verherrlichung von Kriegsverbrechern und historischem Revisionismus in Bezug auf die Konflikte der 1990er Jahre im ehemaligen Jugoslawien (USDOS 20.3.2023; vgl. AI 27.3.2023).

Sicherheitsbehörden

Die Tätigkeit der Polizei (Aufsicht des Innenministeriums), des Sicherheitsdienstes und der Streitkräfte (Verteidigungsministerium) erfolgen auf rechtsstaatlicher Basis und sind gesetzlich geregelt (AA 11.8.2023; vgl. USDOS 20.3.2023). Ohne Einschränkung haben in Serbien lebende Personen, unabhängig von Staatsbürgerschaft und Ethnie, den gleichen Zugang zu Justiz-, Verwaltungs- und Sicherheitsbehörden. Rechtsmittel gegen polizeiliche Übergriffe sind vorgesehen und gesetzlich verankert (VB 14.4.2023). Die Bevölkerung hat die Möglichkeit, sich wegen rechtswidriger Akte der Sicherheitsbehörden oder des Militärs an die Gerichte oder auch den Ombudsmann oder den Beauftragten für Datenschutz und freien Informationszugang zu wenden (AA 11.8.2023). Bei rechtswidrigem Verhalten wird gegen die Beamten Strafanzeige erstattet und/oder ein Disziplinarverfahren durchgeführt. Bei Übergriffen gegen Minderheiten (z. B. Roma oder Sinti) bestehen keine Ausnahme- oder Sonderregelungen. Sie sind wie alle anderen Staatsbürger vor dem Gesetz gleichgestellt. Es kommt jedoch in Einzelfällen immer noch vor, dass die Sicherheitsbehörden ihre Befugnisse überschreiten oder Anträge und Anfragen nicht ordnungsgemäß bearbeiten (VB 14.4.2023).

Die Zivilbehörden übten eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte aus. Im Laufe des Jahres 2022 stellten Experten der Zivilgesellschaft fest, dass sich die Qualität der polizeilichen internen Ermittlungen weiter verbessert hat (USDOS 20.3.2023).

Gegenwärtig unterstehen die etwa 28.000 Polizisten des Landes dem Innenministerium und sind u. a. unterteilt in Zoll, Kriminalpolizei, Grenzpolizei sowie zwei Anti-Terroreinheiten, die Special Antiterrorist Unit und die Counterterrorist Unit (BICC 7.2023).

Die Strafverfolgung wird in Serbien hauptsächlich von der Polizei durchgeführt. Eine wesentliche Schwäche der Strafverfolgungskapazitäten ist der häufige Wechsel in der Leitung der Ermittlungsbehörden, der auf politische Loyalität und Einflussnahme zurückzuführen ist. Der Posten des Polizeidirektors ist seit fast zwei Jahren nicht besetzt. Darüber hinaus erschweren die weitverbreitete Korruption und die Verbindungen zwischen kriminellen Netzwerken und Behörden die Ermittlungsbemühungen gegen den Privatsektor und die Wirtschaft. Es gibt keine eigenständige unabhängige zivile Polizeiaufsichtsbehörde. Beschwerden gegen die Polizei werden von der Abteilung für interne Kontrolle der Polizei bearbeitet (OCI 2023).

Misshandlungen durch die Polizei sind weiterhin ein Problem. Berichten zufolge gab es Fälle von Folter und anderen Formen von Misshandlung durch Polizeibeamte gegenüber Festgenommenen (CoE 10.3.2022; vgl. CoE o.D.; CoE-CPT 10.3.2022). Darüber hinaus wird der Polizei unnötige und übermäßige Gewalt gegen Demonstranten vorgeworfen (AI 4.2023).

In den ersten acht Monaten des Jahres 2022 hat die Abteilung für interne Kontrolle des Innenministeriums drei Strafanzeigen gegen Polizeibeamte wegen des begründeten Verdachts der Misshandlung und Folter erstattet. Im gleichen Zeitraum erstattete die Abteilung 128 Strafanzeigen und sieben Zusatzklagen gegen Polizeibeamte und zivile Mitarbeiter des Ministeriums ohne die Einzelheiten dieser Anzeigen zu veröffentlichen (USDOS 20.3.2023).

Neben dem Militär sind insbesondere die Polizei und der Geheimdienst Gegenstand der Sicherheitssektorreform. Derzeit verfügt Serbien über drei Geheimdienste: einen zivilen, den Security Information Service (BIA), und zwei militärische, den Military Intelligence Service (VOA) und die Military Security Agency (VBA). Eine Reform des Geheimdienstes ist weiterhin aufgrund der gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen nur äußerst begrenzt möglich. Durch eine unsystematische Umsetzung der Reform, ohne größeren Plan und Strategie, sind die eigentlichen Ziele, die Polizei zu de-kriminalisieren, de-politisieren, de-militarisieren de-zentralisieren, bis heute nur bedingt erreicht (BICC 7.2023).

Außer den staatlichen Sicherheitskräften gibt es ebenfalls einen großen Markt privater Sicherheitsanbieter, der im letzten Jahrzehnt deutlich gewachsen ist. Mit dem Beginn der Sicherheitssektorreformen und der damit verbundenen Verkleinerung der Streitkräfte und der Polizei drängten viele Menschen auf den Markt, um ihre Fähigkeiten anzubieten. Schätzungen zufolge gibt es derzeit etwa 3.000 private Sicherheitsunternehmen, die annähernd 30.000 Menschen beschäftigen (BICC 7.2023).

Folter und unmenschliche Behandlung

Seit 2006 ist Folter im serbischen Strafgesetzbuch ein Straftatbestand (AA 11.8.2023; vgl. BCHR 2023). Obwohl die Verfassung solche Praktiken verbietet, gab es Berichte darüber, dass die Polizei Gefangene schlug und Verdächtigte schikanierte (USDOS 20.3.2023; vgl. AA 11.8.2023). In einzelnen Fällen wurden die Polizisten vom Dienst suspendiert. In mehreren Fällen wurde Folteropfern von serbischen Gerichten staatliche Entschädigung zugesprochen (AA 11.8.2023)

Der Ombudsmann führte Besuche im Rahmen des nationalen Präventionsmechanismus gegen Folter in den relevanten Einrichtungen durch. Außerdem wurden Schulungen zur Methodologie der Ermittlung von Folterfällen fortgesetzt (EK 12.10.2022).

Der Europäische Ausschuss zur Verhütung von Folter (CPT) berichtete nach seinem Besuch serbischer Polizeistationen und Gefängnisse im Jahr 2021 von anhaltenden Misshandlungen durch die Polizei, die teilweise Folter gleichkamen, sowie vom Fehlen wirksamer Maßnahmen zur Umsetzung früherer Empfehlungen des CPT (CoE-CPT 10.3.2022; vgl. CoE 10.3.2022; BCHR 2023; AI 27.3.2023). Der CPT stellte auch fest, dass die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen in sehr vielen Fällen nicht den Effizienzkriterien der 2018 angenommenen Methodik für die Untersuchung von Misshandlungsfällen entsprachen. Weiters äußerte er Bedenken hinsichtlich der milden Strafen gegen Polizeibeamte, die wegen Misshandlung verurteilt wurden (CoE-CPT 10.3.2022).

Das Belgrader Zentrum für Menschenrechte erklärte im Juni 2022, dass Straftaten, die angeblich mit Folter und anderen Formen des Missbrauchs verbunden sind, in Serbien in hohem Maße straffrei bleiben (USDOS 20.3.2023).

Im Laufe des Jahres 2022 stellten Experten der Zivilgesellschaft fest, dass sich die Qualität der internen polizeilichen Ermittlungen weiter verbessert hat. In den ersten acht Monaten des Jahres erhob die Abteilung für interne Kontrolle des Innenministeriums drei Strafanzeigen gegen Polizisten, die im begründeten Verdacht standen, ein Missbrauchs- oder Folterverbrechen begangen zu haben. Im gleichen Zeitraum erstattete die Abteilung weitere 128 Strafanzeigen und sieben zusätzliche Anzeigen gegen Polizeibeamte und andere zivile Mitarbeiter des Ministeriums, ohne Einzelheiten zu veröffentlichen (USDOS 20.3.2023).

NGOs und Menschenrechtsaktivisten

Seit 2010 existiert in Serbien eine Regierungsstelle für die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft (AA 11.8.2023). Landesweit bestehen zahlreiche NGOs, welche sich mit Rechtsschutz befassen, u. a. Helsinki Committee for Human Rights, The Humanitarian Law Centre, The Lawyers Committee for Human Rights, Belgrade Centre for Human Rights, als auch zahlreiche Roma Organisationen (VB 14.4.2023). Die Zusammenarbeit zwischen zivilgesellschaftlichen Gruppen und staatlichen Institutionen bleibt jedoch begrenzt (USDOS 20.3.2023).

Ausländische und inländische NGOs können im Allgemeinen frei arbeiten, aber diejenigen, die offen kritische Positionen gegenüber der Regierung vertreten oder sich mit sensiblen oder kontroversen Themen befassen, wurden in den letzten Jahren bedroht und schikaniert. Daneben sind zivilgesellschaftliche Gruppen und einzelne Aktivisten weiterhin Kritik, Ermittlungen und Drohungen seitens einiger Staatsbeamter und nicht staatlicher Akteure ausgesetzt, darunter auch regierungsnahe Medien und mehrere mutmaßlich von der Regierung unterstützte NGOs. Hinzu kommt die anhaltende Straffreiheit bei Drohungen und Angriffen gegenüber Aktivisten. 2022 registrierte das Anwaltskomitee für Menschenrechte (YUCOM) insgesamt 43 Vorfälle, bei denen Personen und Organisationen, die sich für die Menschenrechte einsetzten, von Angriffen und Schikanen betroffen waren (FH 10.3.2023; vgl. CoE-CommDH 6.9.2023; USDOS 20.3.2023; BCHR 2023).

Im Februar 2022 hat Serbien seine Strategie 2022-2030 zur Schaffung eines attraktiven Umfelds für die Entwicklung der Zivilgesellschaft sowie einen entsprechenden Aktionsplan verabschiedet. Einige prominente NGOs verweigerten jedoch die Mitwirkung daran (CoE-CommDH 6.9.2023; vgl. USDOS 20.3.2023; BCHR 2023) und bezeichneten die Strategie als Versuch der Regierung ihr internationales Image zu verbessern (BCHR 2023).

Es fanden landesweit mehrere themenspezifische Sitzungen in Kooperation mit NGOs statt; es wurden Leitlinien vom zuständigen Ministerium für die Konsultation von NGOs zu bevorstehenden Gesetzesinitiativen entwickelt; es wurde über die Praxis informiert, wobei darum geht, in den Berichten der Regierungsbehörden, die internationalen Menschenrechtsgremien vorgelegt werden, Stellungnahmen von NGOs beizufügen (CoE-CommDH 6.9.2023).

Allgemeine Menschenrechtslage

Serbiens Verfassung von 2006 garantiert Menschenrechte und Grundfreiheiten, die mit ca. einem Drittel der Bestimmungen breiten Raum einnehmen (AA 11.8.2023; vgl. EK 12.10.2022; BICC 7.2023). Serbien muss seine Menschenrechtsinstitutionen stärken, indem es die erforderlichen finanziellen und personellen Ressourcen bereitstellt und Verfahren einführt, welche die Einhaltung der Maßnahmen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, einschließlich einstweiliger Maßnahmen, gewährleisten (EK 12.10.2022; vgl. BCHR 2023).

Anzeichen für staatliche Repressionen liegen nicht vor. Seit 2020 gibt es ein Ministerium für Menschenrechte, Minderheitenrechte und Dialog, welches derzeit von einem Vertreter der kroatischen Minderheit geführt wird, jedoch mit wenig Personal ausgestattet ist (AA 11.8.2023).

Probleme existieren in Bezug auf die Unabhängigkeit der Justiz, die Korruption in der Regierung, den Minderheitenschutz, den Kampf gegen Diskriminierung, die Missachtung von Rechten durch die Polizei und in den staatlichen Gefängnissen. Hinzu kommen Einschränkungen der freien Meinungsäußerung und der Pressefreiheit einschließlich des unzureichenden Schutzes von Journalisten und Menschenrechtsaktivisten (BICC 7.2023; vgl. FH 10.3.2023; AI 27.3.2023; USDOS 20.3.2023).

In Serbien befinden sich derzeit im Rahmen der OSZE-Mission ausländische Kräfte zur Unterstützung in den Bereichen Demokratisierung, Menschenrechte, Minderheitenschutz und Entwicklung der Medienlandschaft (BICC 7.2023).

Ethnische Minderheiten

[…] Die Verfassung garantiert allen in der Republik Serbien lebenden Menschen (insbesondere Minderheiten) alle Rechte, im Einklang mit internationalen Standards. Hierbei bestehen zusätzliche Rechte, die es Minderheiten ermöglichen, über einzelne Fragen bezüglich ihrer Kultur, Ausbildung und amtlichen Verwendung der Sprache und Schrift zu entscheiden (VB14.4.2023). […]

In der serbischen Öffentlichkeit sind Vorbehalte und Vorurteile gegen Angehörige bestimmter Minderheiten (Roma, Albaner, Bosniaken, Muslime, LGBTI) unverändert weit verbreitet (AA 11.8.2023). Die Regierung unternahm gewisse Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt und Diskriminierung gegen Personen, die einer Minderheit angehören (USDOS 21.3.2023). Allerdings sind in bestimmten Bereichen auch Fortschritte zu verzeichnen (z. B. höhere Einschulungsquote von Roma-Kindern, Einsatz pädagogischer Assistenten und Roma-Mediatorinnen oder Anerkennung von Schulbüchern in Minderheitensprachen) (AA 11.8.2023).

Homosexuelle

Homosexuelle Handlungen sind nicht strafbar (USDOS 20.3.2023; vgl. AA 11.8.2023). Es gibt einige Hinweise darauf, dass die Gesetze über die guten Sitten überproportional auf LGBTQI-Personen angewendet werden (USDOS 20.3.2023)

Zwischen Jänner und September 2022 verzeichnete die NGO Da Se Zna! 30 durch Hass motivierte Vorfälle gegen LGBTQI-Personen, darunter zehn körperliche Angriffe (HRW 12.1.2023). Der im Mai 2022 veröffentlichte Bericht der NGO Let it Be Known dokumentierte 83 Vorfälle im Jahr 2021, die sich gegen LGBTQI-Personen richteten (ein Anstieg von 37 % gegenüber 2020). Bei 23 % der Vorfälle handelte es sich um körperliche Angriffe. Dem Bericht zufolge gab es einen Anstieg der Zahl der LGBTQI-Personen unter 18 Jahren, die Ziel dieser Angriffe waren. Darüber hinaus ist dem Report zu entnehmen, dass mehr als 80 % der dokumentierten Vorfälle den zuständigen staatlichen Stellen nicht gemeldet wurden – die Hälfte davon aus Misstrauen gegenüber den Behörden. Laut führenden Vertretern der LGBTQI-Community untersucht die Polizei Hassverbrechen gegen LGBTQI-Personen nicht adäquat, obwohl die Zahl der strafrechtlichen Verfolgungen von Hassdelikten zunimmt (USDOS 20.3.2023; vgl. EK 12.10.2022).

Das Gesetz verbietet zwar die Diskriminierung durch staatliche und nichtstaatliche Akteure aufgrund der sexuellen Orientierung, der Geschlechtsidentität, usw., es beschreibt jedoch keine spezifischen Bereiche, in denen solche Diskriminierung verboten ist. Die Gesetzgebung wird im Allgemeinen so ausgelegt, dass sie für das Wohnungswesen, die Beschäftigung, die Staatsangehörigkeitsgesetze und den Zugang zu staatlichen Dienstleistungen wie beispielsweise der Gesundheitsversorgung gilt. Die Regierung setzte diese Gesetze nicht wirksam durch. Gewalt und Diskriminierung gegen LGBTQI-Personen sind ein ernstes Problem. Den bisher vorliegenden Forschungsergebnissen zufolge berichtet die Mehrheit der LGBTQI-Personen über psychische Probleme, körperliche Angriffe sowie Diskriminierung durch ihre Familien, Mischüler, Arbeitskollegen und die Öffentlichkeit. Darüber hinaus gaben sie an, unter Depressionen und Angstzuständen zu leiden und Morddrohungen zu erhalten. Die Täter werden trotz der Gesetze zur Bekämpfung von Hassverbrechen und Diskriminierung nur selten bestraft (USDOS 20.3.2023; vgl. FH 10.3.2023; EK 12.10.2022). Darüber hinaus fehlen weiterhin die einheitlichen offiziellen Daten über Hassverbrechen, die nach den unterschiedlichen Motiven aufgeschlüsselt sind. Der Mangel an adäquaten Dienstleistungen im Bereich der psychischen Gesundheit ist nach wie vor ein Problem (EK 12.10.2022).

m Innenministerium gibt es speziell ausgebildete Vertrauenspersonen für Fragen, die LGBTQI-Personen betreffen (GOS/OHCHR-UN 3.10.2022).

In Serbien ist weder eine gleichgeschlechtliche Ehe noch eine eingetragene Partnerschaft gesetzlich zugelassen (USDOS 20.3.2023; vgl. EK 12.10.20

Das Gesetz über das Geburtenregister ermöglicht die rechtliche Anerkennung des Geschlechts ohne chirurgische(n) Umwandlung/Eingriff (USDOS 20.3.2023). Vor allem in kleineren Gemeinden gibt es nach wie vor Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Gesetzesänderungen betreffend des Geburtenregisters, die die Eintragung der Daten über Geschlechtsänderungen ins Register ermöglichen (EK 12.10.2022). Für nicht-binäre oder intersexuelle Personen gibt es keinen gesonderten Mechanismus (USDOS 20.3.2023); sie bleiben sowohl gesellschaftlich als auch rechtlich weiterhin unsichtbar (EK 12.10.2022).

Es gibt keine Informationen über unfreiwillige oder zwangsweise medizinische oder psychologische Praktiken, die sich gegen LGBTQI-Personen richten. Berichten zufolge wurden einige nicht notwendige Operationen an intersexuellen Menschen durchgeführt, vor allem an Babys kurz nach der Geburt (USDOS 20.3.2023).

Unter dem Missfallen von Regierung und Behörden ist am 17.9.2022 in Belgrad die Europride-Parade gefeiert worden. Die ca. 1.000 Teilnehmer demonstrierten für die Rechte von Homosexuellen, Lesben und anderen Angehörigen der LGBTIQ-Community. Die Polizei schuf für die Parade einen abgesicherten Korridor entlang der Marschroute, um rechtsextreme und ultra-klerikale Gegendemonstranten, die in der Unterzahl waren, auf Distanz zu halten. Allerdings kam es zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und rechten Gruppen, die versuchten, den Marsch zu stören. Dabei wurden 10 Polizeibeamte leicht verletzt und über 80 Demonstranten verhaftet (VB 14.4.2023; vgl. DS 17.9.2022; FH 24.5.2023; HRW 12.1.2023; ILGA 20.2.2023). Dennoch wurden mehrere Teilnehmer der EuroPride-Parade und des Konzerts nach den Veranstaltungen körperlich angegriffen, wobei zwei ins Krankenhaus eingeliefert wurden. Zivilgesellschaftliche Organisationen warfen der Polizei vor, nicht sofort auf Hilferufe reagiert und die Gruppe der Angreifer trotz angeblicher Möglichkeit dazu nicht festgenommen zu haben (USDOS, 20.03.2023, 2022 Country Report on Human Rights Practices: Serbia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089125.html, abgefragt am 26.08.2024).

LGBT+-Personen sind weiterhin Hassreden, Bedrohungen und körperlicher Gewalt ausgesetzt, und die Täter werden trotz Gesetzen gegen Hasskriminalität und Diskriminierung selten bestraft (Freedom House, Freedom in the World 2024 – Serbia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2105056.html, abgefragt am 26.08.2024).

Hassverbrechen fanden im Jahr 2023 weiterhin regelmäßig statt und blieben weitgehend straflos. In seinem jährlichen Bericht über Hassverbrechen dokumentierte „Da se zna!“ die höchste Anzahl von anti-LGBT-Vorfällen seit 2017: 83 Fälle von anti-LGBT-Hassverbrechen, Hassreden und Diskriminierung im Jahr 2021, was einen Anstieg von 38 % im Vergleich zu 2020 (52 Fälle) darstellt. Die Zahl der Hassverbrechen stieg im August und September stark an, nachdem politische und religiöse Führungspersonen eine Reihe von hasserfüllten Aussagen gemacht hatten. EuroPride-Werbetafeln wurden vandalisiert. Das Belgrade Pride Info Centre wurde im Februar und Oktober erneut angegriffen. Zum ersten Mal verurteilte ein Politiker, der stellvertretende Bürgermeister von Belgrad, Goran Vesić, die Gewalt. Keiner der Täter in den 14 Angriffen wurde strafrechtlich verfolgt. Im April wurde das Haus eines gleichgeschlechtlichen Paares in Grocka angegriffen. Im August wurden fünf Männer verhaftet, nachdem sie mehrere Männer zu Dates gelockt, sie in einen Wald gebracht und dort vergewaltigt, geschlagen oder ausgeraubt hatten. Mehrere Personen wurden während, direkt nach und in den Wochen nach der EuroPride angegriffen (ILGA, Annual review oft he human rights situation of lesbian, gay, bisexual, trans, and intersex people covering 2022, https://www.ecoi.net/en/file/local/2087591/annual-review-2023.pdf, abgefragt 26.08.2024).

Bewegungsfreiheit

[…] In Bezug auf Reiseverbindungen bestehen derzeit keine Einschränkungen. Die Kontrollen an den serbischen Grenzübergängen und bei den benachbarten Staaten sind aufgrund der Migrationssituation und der Bemühungen angrenzender Staaten mit Blick auf den Beitritt zum Schengener Abkommen verstärkt worden (AA 25.5.2023). […]

Medizinische Versorgung

[…] Es gibt nur sehr wenige Erkrankungen, die in Serbien nicht oder nur schlecht behandelt werden können. Gut ausgebildetes medizinisches Personal ist trotz Personalengpässen grundsätzlich vorhanden. Überlebensnotwendige Operationen sind in der Regel durchführbar (AA 11.8.2023). […]

Psychische Krankheiten werden in Serbien vorwiegend medikamentös behandelt. Es besteht jedoch (wenn auch in begrenztem Umfang) auch die Möglichkeit anderer Therapieformen, so gibt es z. B. für die Teilnahme an Gruppenpsychotherapie Wartelisten. Therapiezentren existieren u. a. in Novi Sad, Vranje, Leskovac und Bujanovac (Südserbien). Es gibt Kliniken für die Behandlung von Suchtkrankheiten. Schulen für Schüler mit Gehör- und Sprachschädigung sind in Serbien vorhanden. Die Grundversorgung mit häufig verwendeten, zunehmend auch mit selteneren Medikamenten, ist gewährleistet. Spezielle (insbesondere ausländische) Präparate sind jedoch in staatlichen Apotheken nicht immer verfügbar, können aber innerhalb weniger Tage auch aus dem Ausland bestellt werden, wenn sie für Serbien zugelassen sind. Für Patienten fällt bei Vorlage eines vom Allgemeinarzt ausgestellten Rezeptes lediglich eine Beteiligungsgebühr von 50,00 RSD an. (ca. 0,45 EUR). Es gibt jedoch auch Medikamente, für die von Patienten eine Beteiligungsgebühr von 10 bis 90 % des Anschaffungspreises gezahlt werden muss (AA 11.8.2023).

Rückkehr

Serbische Staatsangehörige, die zurückgeführt wurden, können nach ihrer Ankunft problemlos in ihre Heimatstädte fahren. Eine Befragung durch die Polizei u. ä. findet nicht statt, sofern nicht in Serbien aus anderen Gründen Strafverfahren anhängig sind. Sanktionen wegen der Stellung eines Asylantrags im Ausland gibt es weder de iure noch de facto. Als erste Anlaufstelle für Rückkehrer dient ein Wiederaufnahmezentrum für Rückgeführte am Flughafen Belgrad, das eine Informationsbroschüre auf Deutsch, Serbisch und Romanes bereithält, die u. a. Fragen zur Registrierung und den dafür erforderlichen Unterlagen sowie Kontakttelefonnummern enthält. Rückkehrende Personen können, wie alle anderen Bürger, frei über ihren Wohnort entscheiden und einen Wohnsitz anmelden. Der Verbleib von rückkehrenden Personen wird weder erfasst noch in sonstiger Weise kontrolliert. Erfahrungsgemäß kehren sie oftmals an ihren letzten Wohnsitz zurück. Das Meldegesetz, das seit Ende 2011 in Kraft ist, regelt die Voraussetzungen für die Anmeldung des Wohnsitzes. Fälle, in denen Rückkehrenden die Anmeldung verweigert wurde, wurden in letzter Zeit nicht mehr bekannt. Eine online verfügbare mehrsprachige Broschüre des serbischen Flüchtlingskommissariats informiert über die Rechte und Pflichten von Rückkehrenden (https://kirs.gov.rs/cir/readmisija/prirucnici) (AA 11.8.2023).

Eine vorübergehende Unterkunft für bis zu 14 Tage für serbische Rückkehrende wird durch das Zentrum für die dringende Aufnahme von Rückkehrenden in Bela Palanka bereitgestellt. Die Unterbringung im Zentrum für die dringende Aufnahme von Rückkehrenden erfolgt auf der Grundlage der Anweisungen des serbischen Kommissariats für Flüchtlinge und Migration. Familien oder Einzelpersonen, die eine Erklärung behaupten/unterzeichnen, dass sie nach ihrer Rückkehr nach Serbien keine Unterkunft oder Unterkunftsmöglichkeiten haben, können im Zentrum untergebracht werden. Der Kontakt mit dem Zentrum ist über das Kommissariat für Flüchtlinge und Migration möglich. Soziale Zuschüsse für den Wohnungsbau in Form der Zuweisung von Baumaterialien und Hilfe beim Kauf von Häusern vor allem in ländlichen Gebieten sind manchmal über ein örtliches Treuhandbüro/den Rat für Migration erhältlich, sofern Projekte erlauben. Die Hilfe besteht in der Bereitstellung von Wohngeld, der Zuweisung von Baumaterialpaketen zur Anpassung von Häusern oder dem Kauf von Häusern auf dem Land. Eine vollständige Liste aller Büros in jeder Gemeinde in Serbien ist auf der Website des Kommissariats für Flüchtlinge und Migration verfügbar: http://www.kirs.gov.rs/. Das Zentrum für Sozialarbeit stellt auch eine vorübergehende Unterkunft für gefährdete Gruppen wie unbegleitete Kinder und Menschenhandelsopfer zur Verfügung. Das Zentrum stellt eine Unterkunft in einem sicheren Haus oder einer Unterkunft zur Verfügung, sobald eine Person als Menschenhandelsopfer oder unbegleitetes Kind identifiziert wird, die Hilfe benötigt (IOM CFS 12.2022).

Die Kontrollen an den serbischen Grenzübergängen und bei den benachbarten Staaten sind aufgrund der Flüchtlingssituation und der Bemühungen angrenzender Staaten mit Blick auf den Beitritt zum Schengener Abkommen verstärkt worden (AA 1.12.2023).

Der BF ist in Serbien keiner Verfolgung durch den Staat ausgesetzt. Jedoch ist er aufgrund seiner sexuellen Orientierung – somit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe – einer Verfolgung durch nicht-staatliche Akteure ausgesetzt, welcher er auch bei einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.

Im Falle von Serbien ist grundsätzlich von der Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates, bei Verfolgung durch nicht-staatliche Kräfte auszugehen. Im gegenständlichen Einzelfall des BF kann jedoch nicht von einer ausreichenden Schutzfähigkeit des serbischen Staates vor privaten Verfolgungshandlungen ausgegangen werden.

2. Beweiswürdigung:

Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem unbedenklichen Inhalt der Akten des Verwaltungsverfahrens und des Beschwerdeverfahrens vor dem BVwG, insbesondere aus den – im Wesentlichen glaubhaften, nachvollziehbaren und mit keinen nennenswerten Widersprüchen behafteten – Angaben des BF vor dem BFA und in der mündlichen Beschwerdeverhandlung.

Name, Geburtsdatum und Staatsangehörigkeit des BF ergeben sich aus dem unstrittigen Akteninhalt. Die Identität des BF konnte schon im Rahmen der Erstbefragung am XXXX anhand eines vorgelegten Reisepasses festgestellt werden und befindet sich eine unbedenkliche Kopie desselben im Akt.

Die Feststellungen zu den familiären, persönlichen und beruflichen Verhältnissen in Österreich und Serbien beruhen auf den insoweit plausiblen und glaubhaften Angaben des BF anlässlich der niederschriftlichen Befragung vor dem BFA, in der mündlichen Verhandlung und der Beschwerde. Im gesamten Verfahren kamen keinerlei Zweifel an der sexuellen Orientierung bzw. Homosexualität des BF auf und wird dies durch seine glaubhaften Angaben zu seiner sexuellen Entwicklung und seinem Outing untermauert. Zudem wird die in Österreich geschlossene Ehe des BF zu einem bosnischen Staatsbürger durch eine unbedenkliche, aktenkundige Heiratsurkunde belegt. Dass er mit seinem nunmehrigen Ehepartner zusammen in Grocka gelebt hat, wird durch entsprechende Meldezettel belegt.

Die Wohnsitzmeldung in XXXX geht aus einer Abfrage im Zentralen Melderegister (ZMR) hervor. Die Feststellung zur Unbescholtenheit des BF basiert auf der aktenkundigen Strafregisterauskunft.

Die Feststellungen zur kurzzeitigen Rückkehrwilligkeit des BF basiert auf dem aktenkundigen Antrag auf unterstützte freiwillige Rückkehr vom XXXX . Angesichts dessen, dass der entsprechende Widerruf bereits am 25.04.2024 und somit zwei Tage später erfolgte, kann nach Ansicht des erkennenden Gerichts hierdurch noch nicht gegen eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung geschlussfolgert werden.

Die Feststellung, dass sich der BF im Prozess einer geschlechtsanpassenden Behandlung befindet basiert auf dem Vorbringen in der Beweismittelvorlage vom 14.08.2024 und wird die Ablehnung des eigenen Körpers durch einen unbedenklichen psychologischen Befund des Instituts für psychologische Diagnostik, Mag. Dr. XXXX vom 25.07.2024 und Screenshots von TikTok-LIVE-Videos des BF dokumentiert.

Dass beim BF der Verdacht auf eine posttraumatische Belastungsstörung besteht, geht ebenfalls aus dem genannten psychologischen Befund sowie einer fachärztlichen Kurzmitteilung der psychosozialen Dienste Wien vom 04.05.2023 hervor. Im Übrigen basieren die Feststellungen zur Medikamenteneinnahme und der Krankheit Hashimoto auf den glaubhaften Angaben des BF. Auch in der fachärztlichen Kurzmitteilung wird eine medikamentöse Therapieempfehlung abgegeben. Dass der BF grundsätzlich gesund und arbeitsfähig ist ergibt sich aus dessen Erwerbstätigkeit in Serbien und wurde nichts Gegenteiliges vorgebracht.

Die Feststellungen zur Aktivität des BF und seines Ehepartners auf sozialen Netzwerken basiert auf den zahlreichen authentischen und aktenkundigen Screenshots ihrer Profile und Beiträge auf TikTok und Instagram. Aus den Screenshots geht auch die Anzahl der Follower, Likes und Live-Zuseher sowie die Aufrufzahlen der Beiträge hervor. Hierdurch wird ersichtlich, dass der BF auf sozialen Netzwerken über eine nennenswerte Reichweite verfügt. Dass die Livestreams regelmäßig von 12.000 Personen angeschaut werden, geht aus den Screenshots der TikTok-LIVE-Videos nicht hervor. Die zugehörigen Feststellungen zu den Hasskommentaren, Anfeindungen und Drohungen konnten aufgrund der auf den Screenshots sichtbaren – und übersetzten – Kommentare getroffen werden.

Die Feststellung zum TikTok-Beitrag mit der Überschrift „ XXXX “ („ XXXX “) konnte ebenfalls anhand eines authentischen, aktenkundigen Screenshots getroffen werden. Dass, es sich bei der hierauf ersichtlichen Person, um XXXX handelt und dieser der Chef des „Leviathan Movement“, also einer neo-faschistischen politischen Organisation ist, konnte anhand eines plausiblen Wikipedia-Artikels festgestellt werden. Bei einem Vergleich des Mannes auf dem Screenshot, mit dem Bild von XXXX auf Wikipedia wird deutlich, dass es sich um diesen handelt.

Die Feststellungen zur medialen Berichterstattung über den BF und dessen Ehepartner in Serbien gründen sich auf die vorgelegten und unbedenklichen Ausdrucke der entsprechenden Artikel bzw. Berichte.

Die in dem Artikel der Nachrichtenplattform „Telegraf“ vom 30.04.2022 abgebildeten Lichtbilder zeigen eindeutig ein eingeschlagenes bzw. -geworfenes Fenster. Die Feststellung, dass das Fenster durch Angreifer beschädigt wurde konnte in Zusammenschau mit den ebenfalls unbedenklichen und im genannten Artikel abrufbaren Videoaufnahmen – welche das erkennende Gericht online sichten konnte – getroffen werden. Aufgrund dieser vorgelegten Beweise erscheint auch das Vorbringen des BF, wonach die Fenster schon zuvor viermal zerschlagen worden seien, plausibel. Lediglich das Vorbringen, wonach das Haus des BF durch die Organisation „Levijatan“ angegriffen worden sei, konnte mangels Anhaltspunkten hierfür nicht festgestellt werden, wenngleich dies auch nicht ausgeschlossen werden kann. Im Übrigen konnte das erkennende Gericht bei einer Durchsicht der Website der Nachrichtenplattform „Telegraf“ keine Anhaltspunkte für eine mangelnde Seriosität bzw. dafür erkennen, dass die sonstigen Angaben im Artikel – wie etwa, dass nach inoffiziellen Informationen der Nachrichtenplattform keine diesbezüglich protokollierte Anzeige vorliegt –als unglaubwürdig einzustufen sind.

Die Feststellung, dass sich der BF als Aktivist für die Rechte Homosexueller in Serbien einsetzt gründet sich auf das Auftreten und die Beiträge des BF auf sozialen Netzwerken – so ist er dort etwa mit Regenbogenfahnen zu sehen – in Verbindung mit der medialen Berichterstattung über seine Person. So forderte der BF im Artikel von „Radio Slobodna Evropa“ vom 18.09.2021 etwa öffentlich, dass es ein Gesetz über gleichgeschlechtliche Partnerschaften brauche. Das entsprechende Video konnte vom erkennenden Gericht gesichtet werden.

Die Feststellung, dass der BF aufgrund seiner sexuellen Orientierung in Serbien gemeinsam mit seinem Ehemann Anfeindungen und Übergriffen ausgesetzt war sowie die konkreten Feststellungen zu diesen – so etwa zu den Drohungen beim Spaziergang – basieren auf dem glaubhaften Vorbringen des BF in der mündlichen Verhandlung und der schriftlichen Einvernahme vor dem BFA. Insbesondere in Zusammenschau mit den Länderfeststellungen zur Lage Homosexueller in Serbien und dem nachweislich erfolgten Angriff auf das Haus des BF durch Vermummte sind die entsprechenden Angaben als glaubhaft einzustufen. Im Übrigen ist es im Laufe des Verfahrens keine nennenswerten, das Fluchtvorbringen des BF betreffenden, Widersprüche hervorgekommen und konnten in Serbien erfolgte Übergriffe auch durch die glaubhaften zeugenschaftlichen Angaben des Ehepartners des BF bestätigt werden.

Die Feststellung, dass der BF zu keine angemessene Hilfe seitens der serbischen Polizei erhielt, basiert auf den diesbezüglich glaubhaften Angaben des BF und seines Ehepartners. Insbesondere in Zusammenschau mit den vorliegenden Länderberichten und den detailreichen Ausführungen hinsichtlich der von der Polizei gezeigten Reaktionen ist von der Richtigkeit des Vorbringens auszugehen. Diese Annahme wird durch den Umstand, dass sich der BF zur direkten Erstattung einer Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Belgrad veranlasst sah, erhärtet. Die vom BF eingebrachte Strafanzeige vom 09.06.2022 ist aktenkundig.

Die Feststellungen zur Lage in Serbien beruhen auf den Länderinformationen der Staatendokumentation, die unter detaillierter Angabe der jeweiligen Quellen in den angefochtenen Bescheid aufgenommen wurden. Dabei wurden Berichte verschiedener allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt, die ein übereinstimmendes Gesamtbild ohne entscheidungswesentliche Widersprüche ergeben. Es besteht kein Grund, an der Richtigkeit und Aktualität dieser Angaben zu zweifeln. Die im angefochtenen Bescheid enthaltenen Länderfeststellungen werden in dieser Entscheidung nur auszugsweise, soweit entscheidungswesentlich, wiedergegeben. Zu den Quellenangaben im Einzelnen wird auf den angefochtenen Bescheid verwiesen. Die vom BFA herangezogenen Länderinformationen (Stand 09.01.2024) stammen aus vertrauenswürdigen Quellen und sind ausreichend aktuell, weshalb kein Grund besteht an den entsprechenden Angaben zu zweifeln. Lediglich hinsichtlich des Premierministers wurde vom erkennenden Gericht unter Angabe der entsprechenden Quellen eine Aktualisierung vorgenommen. Im gegenständlichen Fall wurden die Länderinformationen vom erkennenden Gericht um die in der Beschwerde angeführte – ebenfalls als vertrauenswürdig einzustufende – Quellen ergänzt. So etwa um einen Bericht der ILGA Europe (International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association) aus dem Jahr 2023, in welchem auch der Angriff auf das Haus des BF Erwähnung findet.

Aus den Länderfeststellungen ergibt sich, dass Homosexualität in Serbien zwar nicht strafbar ist und das Gesetz Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität verbietet, es aber dennoch zu Gewalt, Morddrohungen und Hass motivierten Vorfällen gegen LGBTQI-Personen kommt. Zudem, dass die serbische Öffentlichkeit nach wie vor Vorbehalte gegenüber LGBTI-Angehörige hegt. Außerdem geht aus den Länderbericht hervor, dass von Vertretern der LGBTQI-Community berichtet wird, dass die Polizei Hassverbrechen gegen LGBTQI-Personen nicht adäquat untersucht, auch wenn die Zahl der strafrechtlichen Verurteilungen von Hassdelikten zunimmt. Zudem, dass die Regierung die Gesetze gegen Diskriminierung nicht wirksam durchsetzt und Täter nur selten bestraft werden. Zwar wurden Pride-Paraden in Belgrad durchgeführt und diese von der Polizei abgesichert, doch kam es dennoch zu Angriffen auf Pride-Teilnehmer und wurde der Polizei vorgeworfen, nicht sofort auf Hilferufe reagiert zu haben. Auch vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen erwies sich das Fluchtvorbringen des BF zur Verfolgung und zum unzureichendem polizeilichen Schutz als plausibel und war von dessen Richtigkeit und Glaubhaftigkeit auszugehen.

Das BFA hat dem BF die maßgeblichen Feststellungen zur allgemeinen Lage in seinem Herkunftsstaat zur Kenntnis gebracht und ihm die Möglichkeit eingeräumt, dazu eine Stellungnahme abzugeben. In seiner Stellungnahme vom 27.10.2023 brachte der BF unter anderem vor, dass die in den Länderberichten angegebenen Informationen – obwohl ausgewogen und objektiv – nur die Mindestanzahl der Übergriffe darstellen können, da notwendigerweise eine oft erhebliche Dunkelziffer bleibt. Den Länderfeststellungen wonach, es bloß vereinzelt zu verbalen Angriffen auf Repräsentanten der LGBTI-Gemeinsacht sowie auf offen gelebte Homosexualität kommt, wird widersprochen. Der BF und dessen Ehepartner seien aufgrund ihres Aktivismus und ihrer Bekanntheit besonders vulnerabel. Wenngleich Belgrad eine der zwei tolerantesten Städte in Serbien sein mag, sei es dort für den BF und seinen Ehepartner aufgrund ihrer Bekanntheit nicht sicher, was auch den Rest Serbiens als Wohnort ausschließe. Es handelt sich bei der Stellungnahme im Wesentlichen um Ergänzungen zu den Länderfeststellungen, den Länderfeststellungen selbst wird jedoch nicht substantiiert entgegengetreten, da auch in diesen von durch Gewalt, Morddrohungen und durch Hass motivierten Vorfällen gegen LGBTQI-Personen, den nicht adäquaten polizeilichen Untersuchungen und Straflosigkeit die Rede ist.

In einer Gesamtschau der dargelegten Erwägungen konnte sich das erkennende Gericht nicht der Beurteilung der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid anschließen, wonach keine asylrelevante Verfolgung des BF glaubhaft gemacht werden konnte. Vielmehr konnte eine solche glaubhaft gemacht werden und war als solche festzustellen. Daher ist zusammenfassend festzuhalten, dass das Vorbringen des BF zu den Fluchtgründen bzw zur behaupteten Furcht vor Verfolgung im Fall der Rückkehr letztlich den an die Glaubhaftmachung im Sinne der GFK gestellten Anforderungen genügte, um auch mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit vom Vorliegen einer aktuellen Verfolgungsgefahr bzw. asylrelevanten Gefährdung auszugehen.

Wie die belangte Behörde grundsätzlich zutreffend feststellte ist den Länderberichten nicht zu entnehmen, dass die Sicherheitsbehörden Serbiens gänzlich schutzunfähig oder –unwillig sind bzw. im gesamten Staatsgebiet mit Schutzverweigerung oder mangelnder Schutzgewährung aufgrund der Ineffizienz der staatlichen Sicherheitsbehörden zu rechnen ist. Ebenfalls zutreffend wurde festgestellt, dass nicht verlangt werden kann, dass ein Staat in jedem Fall in der Lage sein muss, alle möglichen Angriffe Dritter zu verhindern. Somit ist von der grundsätzlichen Schutzfähigkeit und –willigkeit des serbischen Staates gegenüber Homosexuellen auszugehen.

Die Feststellung, dass im Einzelfall des BF jedoch von keiner ausreichenden Schutzfähigkeit Serbiens auszugehen ist gründet sich auf folgende Erwägungen:

Der BF lebt offen homosexuell und ist politisch aktiv, weshalb bei ihm von einer besonderen Vulnerabilität auszugehen ist. Im gegenständlichen Fall ist der BF – vor allem aufgrund seiner Bekanntheit durch soziale Netzwerke, seinem Einsatz für die Rechte Homosexueller und der medialen Berichterstattung über ihn – in einem außergewöhnlichen Maß Anfeindungen, Drohungen und Angriffen ausgesetzt. Dies zeigt sich etwa in wiederholten Angriffen auf sein Haus oder dem Umstand, dass sich ein bekannter Anführer einer neo-faschistischen Organisation mit dem BF – in missbilligender Art und Weise – auseinandersetzte. In Kombination mit einer generellen Tendenz im serbischen Sicherheits- bzw. Polizeiapparat, Hassverbrechen gegen LGBTQI-Personen nicht adäquat nachzugehen, konnte im Fall des BF nicht von einer ausreichenden Schutzfähigkeit bzw. –willigkeit des serbischen Staates ausgegangen werden. Vielmehr ist im Falle des BF trotz der grundsätzlichen Schutzfähigkeit und Schuztwilligkeit Serbiens mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Eintritt eines – asylrechtliche Intensität erreichenden – Nachteils aus der oben beschriebenen Verfolgung zu erwarten.

An dieser Stelle sei nochmals betont, dass es sich dabei um einen außerordentlichen Einzelfall handelt und ansonsten grundsätzlich von einer ausreichenden Schutzfähigkeit und -willigkeit Serbiens – auch gegenüber Homosexuellen – auszugehen ist.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl Nr 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl Nr 78/1974, kurz GFK) droht.

Flüchtling im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlands befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Lands zu bedienen (VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0113). Die Aufzählung der sogenannten „Konventionsgründe“ ist abschließend.

Unter „Verfolgung“ ist ein ungerechtfertigter Eingriff in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen (VwGH 22.03.2017, Ra 2016/19/0350), dessen Intensität es dem Betroffenen unzumutbar macht, den Schutz seines Heimatstaats in Anspruch zu nehmen (VwGH 08.06.2000, 99/20/0092).

Zentraler Aspekt der Verfolgung im Herkunftsstaat iSd Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Dabei ist der reale Hintergrund der vom Asylwerber vorgetragenen Fluchtgeschichte zu berücksichtigen und die Glaubwürdigkeit seiner Behauptungen auch im Vergleich zur einschlägigen Berichtslage zu messen (VwGH 16.02.2016, Ra 2014/20/0165).

Im gegenständlichen Fall erreichen die erfolgten Übergriffe (Morddrohungen, wiederholtes Einwerfen der Fenster etc.) – anders als von der belangten Behörde beurteilt – die für die Asylgewährung erforderliche Eingriffintensität und sind nicht bloß als „persönlich unangenehm“ anzusehen. Zudem liegen im gegenständlichen Fall kumulative Momente der Diskriminierung vor. In einem solchen Fall ist von Verfolgung auszugehen, auch wenn jedes einzelne Moment noch nicht für die Begründung von Verfolgung ausreicht (Vgl. Gachowetz/Schmidt/Simma/Urban, Asyl- und Fremdenrecht im Rahmen der Zuständigkeit des BFA, 128). Außerdem besteht jedenfalls ein ausreichender zeitlicher Zusammenhang zwischen den Vorfällen und der Ausreise bzw. Antragstellung des BF. Außer Frage steht, dass sich eine mit Vernunft begabte Person, die sich in der Situation des BF befindet, fürchten würde und daher von wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung auszugehen ist. Als entsprechendes Indiz für eine tatsächlich vorliegende wohlbegründete Furcht vor Verfolgung ist der befundete Verdacht auf eine Posttraumatische Belastungsstörung zu werten, wenngleich der BF – wie ebenfalls befundet – eine generelle Ängstlichkeitsneigung aufweist.

Eine gegen den BF gerichtete Verfolgung aus asylrelevanten Gründen im Sinne der GFK wurde im Verfahren vor dem BVwG – wie in der Beweiswürdigung dargelegt wurde – glaubhaft gemacht. Konkret wird der BF aus dem in Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Konventionsgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt.

Bei dem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Asylgrund der "Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe" handelt es sich um einen Auffangtatbestand, der sich in weiten Bereichen mit den Gründen "Rasse, Religion und Nationalität" überschneidet, jedoch weiter gefasst ist als diese. Unter Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe wird eine - nicht sachlich gerechtfertigte - Repression verstanden, die nur Personen trifft, die sich durch ein gemeinsames soziales Merkmal auszeichnen, die also nicht verfolgt würden, wenn sie dieses Merkmal nicht hätten (VwGH 27.09.2022, Ra 2021/01/0305). Die Rechtsprechung legt den Konventionsgrund somit als Auffangtatbestand relativ weit aus und kennt eine Vielzahl verschiedener sozialer Gruppen. Je nach den Gegebenheiten im Herkunftsland kann als bestimmte soziale Gruppe auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet (vgl. Gachowetz/Schmidt/Simma/Urban, Asyl- und Fremdenrecht im Rahmen der Zuständigkeit des BFA, 157.) – also auch Homosexuelle.

Die glaubhaft gemachte Verfolgung geht – wie den Feststellungen entnommen werden kann – jedoch nicht vom Herkunftsstaat selbst, sondern von Privatpersonen aus. Sie kann dem Herkunftsstaat auch nicht zugerechnet werden. Auch wenn ein Übergriff durch einen serbischen Grenzbeamten stattgefunden hat, vermag dies allein keine staatliche Verfolgung zu begründen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 16.11.2016, Ra 2016/18/0233). Es ist daher zu prüfen, ob der serbische Staat willens und in der Lage ist, den BF vor Übergriffen von Privatpersonen aufgrund seiner Homosexualität zu schützen.

Dies ist grundsätzlich bei Einrichtung eines entsprechenden staatlichen Sicherheitssystems, an dem der Asylwerber wirksam teilhaben kann, gewährleistet, wenn also der Herkunftsstaat geeignete Schritte einleitet, um die Verfolgung oder ernsthaften Schaden zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung der Verfolgungshandlungen, und der Asylwerber Zugang zu diesem Schutz hat (VwGH 16.11.2016, Ra 2016/18/0233). Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staats kann nicht schon dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines – asylrechtliche Intensität erreichenden – Nachteils aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (VwGH 10.08.2017, Ra 2017/20/0153).

Serbien gilt – wie von der belangten Behörde zutreffend angeführt – als sicherer Herkunftsstaat gem. § 1 Z 6 Herkunftsstaaten-Verordnung, was für die Annahme einer grundsätzlich bestehenden staatlichen Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit der serbischen Behörden spricht, zumal bei der Festlegung sicherer Herkunftsstaaten insbesondere auf das Bestehen oder Fehlen von staatlicher Verfolgung, Schutz vor privater Verfolgung und Rechtsschutz gegen erlittene Menschenrechtsverletzungen Bedacht zu nehmen ist (VwGH 10.08.2017, Ra 2017/20/0153).

Die Einführung einer Liste sicherer Herkunftsstaaten führte zu keiner Umkehr der Beweislast zu Ungunsten eines Antragstellers, sondern ist von einer normativen Vergewisserung auszugehen, soweit seitens des Antragstellers kein gegenteiliges Vorbringen substantiiert erstattet wird. Wird ein solches Vorbringen erstattet, hat die Behörde bzw. das Gericht entsprechende einzelfallspezifische, amtswegige Ermittlungen durchzuführen.

Im gegenständlichen Fall wurde Seitens des BF ein konkretes Vorbringen erstattet, welches im gegenständlichen Einzelfall gegen die Sicherheit Serbiens spricht. Das Vorbringen des BF war geeignet einen Sachverhalt zu bescheinigen, welcher die Annahme zulässt, dass ein von der Vorbeurteilung der Sicherheit für den Regelfall abweichender Sachverhalt vorliegt.

Aus den Länderfeststellungen ergibt sich zwar, dass Menschen mit gleichgeschlechtlicher sexueller Orientierung in Serbien nach wie vor Vorurteilen, Diskriminierung und Übergriffen bis hin zu Gewalttaten ausgesetzt sind. Den Berichten ist aber nicht zu entnehmen, dass diese Handlungen von öffentlicher Seite geduldet oder gefördert werden oder gar von staatlichen Institutionen selbst vorgenommen werden. So kam es in der Vergangenheit auch zur Ernennung einer offen lesbischen Frau zur Premierministerin. Von staatlicher Seite werden vielmehr Maßnahmen zur Hintanhaltung der Diskriminierung von LGBT-Personen getroffen, z.B. das – wenngleich von der Regierung nicht wirksam durchgesetzte – gesetzliche Verbot der Diskriminierung auf Grundlage von sexueller Orientierung und Genderidentität, Polizeischutz für LGBT-Veranstaltungen, insbesondere die „Pride Parade“ in Belgrad. Dies zeigt, dass der Staat grundsätzlich nicht nur willens, sondern auch in der Lage ist, Homosexuellen Schutz zu bieten. Selbst ein allfälliges Untätigbleiben einzelner Organwalter belegt noch keine generell fehlende Schutzwilligkeit des serbischen Staats.

Aufgrund der bestehenden Gesetze (Straflosigkeit homosexueller Handlungen, Diskriminierungsverbot) steht die grundsätzliche Schutzwilligkeit der serbischen Behörden außer Zweifel, obwohl derzeit keine Möglichkeit einer Ehe oder eingetragenen Partnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare existiert. Auch wenn bei der Umsetzung dieses rechtlichen Rahmens noch deutlicher Verbesserungsbedarf besteht, ist auch von einer ausreichenden Schutzfähigkeit gegenüber Homosexuellen auszugehen. Ein lückenloser Schutz vor Diskriminierung und vor Übergriffen wegen der sexuellen Orientierung ist weder in Österreich noch in Serbien möglich.

Die grundsätzliche Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit ist auch trotz der aus den Länderfeststellungen hervorgehenden Tendenz im serbischen Sicherheits- bzw. Polizeiapparat, Hassverbrechen gegen LGBTQI-Personen nicht adäquat nachzugehen, anzunehmen.

Zwar ist Homophobie trotz etlicher Verbesserungen ein verbreitetes und ernstzunehmendes Problem in Serbien, doch besteht ein im Großen und Ganzen wirksames System zum Schutz homosexueller Menschen. Trotz bestehender Mängel gibt es keine Hinweise darauf, dass Mitgliedern der LGBT-Gemeinschaft bei Übergriffen durch Privatpersonen, auch aus dem Familienkreis, systematisch staatlicher Schutz verweigert würde.

Dennoch konnte der BF im gegenständlichen Einzelfall darlegen, dass ihm in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Menschen mit gleichgeschlechtlicher sexueller Orientierung droht und im vorliegenden Einzelfall von keiner ausreichenden Schutzfähigkeit Serbiens auszugehen ist.

So wurde bereits in der Beweiswürdigung erläutert, dass der BF offen homosexuell lebt und politisch aktiv ist, weshalb bei ihm von einer besonderen Vulnerabilität auszugehen ist. Im gegenständlichen Fall ist der BF – vor allem aufgrund seiner Bekanntheit durch soziale Netzwerke, seinem Einsatz für die Rechte Homosexueller und der medialen Berichterstattung über ihn – in einem außergewöhnlichen Maß Anfeindungen, Drohungen und Angriffen ausgesetzt. Dies zeigt sich etwa in wiederholten Angriffen auf sein Haus oder dem Umstand, dass sich ein bekannter Anführer einer neo-faschistischen Organisation missbilligend mit dem BF auseinandersetzte. In Kombination mit einer generellen Tendenz im serbischen Sicherheits- bzw. Polizeiapparat, Hassverbrechen gegen LGBTQI-Personen nicht adäquat nachzugehen und dem Umstand, dass der BF bei den sich gegen ihn ereigneten Vorfällen keine angemessene polizeiliche Hilfe erfuhr, konnte im Fall des BF nicht von einer auch für seine konkrete Person bestehenden ausreichenden Schutzfähigkeit bzw. –willigkeit des serbischen Staates ausgegangen werden. Vielmehr ist im Falle des BF trotz der grundsätzlichen Schutzfähigkeit und Schuztwilligkeit Serbiens mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Eintritt eines – asylrechtliche Intensität erreichenden – Nachteils aus der oben beschriebenen Verfolgung zu erwarten.

Erneut wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich dabei um einen außerordentlichen Einzelfall handelt und ansonsten von einer ausreichenden Schutzfähigkeit und -willigkeit Serbiens auszugehen ist.

Bei alldem wird nicht verkannt, dass ein lückenloser Schutz vor privater Verfolgung naturgemäß nicht gewährleistet werden kann, weshalb dem Fehlen eines solchen keine Asylrelevanz zukommt (VwGH 04.05.2000, Zl. 99/20/0177; 13.11.2008, Zl. 2006/01/0191).

Es ist davon auszugehen, dass die Homosexualität des BF im Fall einer Rückkehr nach Serbien seiner Umgebung erneut offenkundig wird, womit der BF mit hoher Wahrscheinlichkeit Opfer diskriminierender Praktiken bzw. Übergriffe wird, die eine für die Asylgewährung erforderliche Intensität erreichen. Im konkreten Einzelfall ist nicht von einer ausreichenden Schutzfähigkeit bzw. –willigkeit des serbischen Staates auszugehen ist.

Im Fall einer Rückkehr wäre der BF der Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt und würde dieser maßgeblichen Einschränkungen in seinem Beziehungs- und Sexualleben unterliegen. Der BF wäre gezwungen, seine sexuelle Orientierung nicht offen auszuleben, um sich nicht der Gefahr von Diskriminierung oder Angriffen auszusetzen. Dies ist mit der Rechtsprechung des EuGH, des VfGH sowie des VwGH nicht vereinbar, wonach vom BF nicht erwartet werden kann, dass er seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim haltet oder Zurückhaltung hinsichtlich seiner sexuellen Ausrichtung übt ("l'expression de son orientation sexuelle"), um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden (siehe dazu auch VfGH 21.06.2017, E3074/2016; VfGH 18.09.2014, E910/2014).

Eine solche Behandlung droht dem BF in ganz Serbien, weil davon auszugehen ist, dass die Maßnahmen gegen ihn überall gesetzt werden könnten. Eine inländische Fluchtalternative besteht daher nicht.

Im vorliegenden Fall sind somit die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gegeben und war spruchgemäß zu entscheiden.

Gem. § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Gem. § 3 Abs. 4 AsylG 2005 kommt einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Bis zur rechtskräftigen Aberkennung des Status des Asylberechtigten gilt die Aufenthaltsberechtigung weiter. Mit Rechtskraft der Aberkennung des Status des Asylberechtigten erlischt die Aufenthaltsberechtigung.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

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