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W105 2290690-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
01. April 2025

Spruch

W105 2290690-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. BENDA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.03.2024, Zl. 1330134203/223334962, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte am 20.10.2022 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz in Österreich und wurde am folgenden Tag vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt.

Hierbei gab er an, afghanischer Staatsangehöriger zu sein sowie der Volksgruppe der Hazara und dem moslemischen Glauben schiitischer Ausrichtung anzugehören sowie am XXXX geboren zu sein. Er sei ledig und habe keine Kinder. In Afghanistan würden noch seine Mutter und zwei Geschwister leben. Hinsichtlich seiner Fluchtgründe führte er an, dass er aufgrund der Armut und der schlechten Wirtschafts- und Sicherheitslage das Land verlassen habe.

Befragt nach seinen Rückkehrbefürchtungen gab er an, dass er Armut fürchte und keine Zukunft habe.

Ein seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) aufgrund aufgetretener Zweifel hinsichtlich des vom Beschwerdeführer angegebenen Geburtsdatums veranlasstes multifaktorielles medizinisches Sachverständigengutachten kam zum Ergebnis, dass eine Minderjährigkeit des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Asylantragstellung ausgeschlossen werden könne (vgl. AS 77).

Mit Verfahrensanordnung vom 11.01.2023 wurde das im Spruch angeführt Geburtsdatum des Beschwerdeführers festgestellt.

Am 15.02.2024 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Befragt zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer an, dass die Probleme, die ihn gezwungen hätten, von Afghanistan wegzugehen, alle wegen seines Vaters gewesen wären. Dieser sei Kommandant an einem Militärposten gewesen und sei es im Jahr 2016 zu Kampfhandlungen zwischen den dort stationierten Truppen und den Taliban gekommen. Dabei sei ein wichtiges Talibanmitglied namens XXXX auch festgenommen und dessen Sohn getötet worden. XXXX sei dann jahrelang im Gefängnis gewesen und seien, nachdem die Taliban gekommen seien, alle Häftlinge freigelassen worden. XXXX sei dann persönlich zum Haus des damaligen Stellvertreters seines Vaters gegangen und habe er den Stellvertreter seines Vaters erschossen. Davon hätte der Beschwerdeführer von der Tochter seines Nachbarn erfahren. Es hätten dann alle Leute in der Gegend gewusst, dass XXXX nun Rache am Vater des Beschwerdeführers für den Tod seines Sohnes verüben würde. Zwei Tage später sei XXXX im Haus der Familie des Beschwerdeführers gewesen. Da die Familie des Beschwerdeführers nicht zu Hause gewesen sei, habe er die Bauern von den Feldern der Familie des Beschwerdeführers vertrieben und die Felder für sich beansprucht. Der Onkel des Beschwerdeführers habe diesen dann nach Europa geschickt.

Mit am 23.02.2024 eingebrachter Stellungnahme brachte der Beschwerdeführer zusammenfassend vor, dass nach der Machtübernahme der Taliban die gesamte Macht in die Hände der Paschtunen gefallen sei und das Leben für Angehörige der Hazara nun schwieriger geworden sei. Diejenigen, die unter er früheren Regierung Afghanistans gestanden seien, seien geflohen, jedoch würden ihre Familien von den Taliban verfolgt.

2. Das BFA hat mit dem angefochtenen Bescheid den gegenständlichen Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm wurde eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).

Die Behörde stellte fest, dass nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan der Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung ausgesetzt sei. In der Beweiswürdigung führte die Behörde aus, dass der Beschwerdeführer in der Erstbefragung zu seinem Fluchtgrund lediglich angegeben habe, dass er wegen der schlechten Wirtschafts- und Sicherheitslage Afghanistan verlassen habe und Armuts- und Zukunftsbedenken habe. Ausgehend davon, dass der Beschwerdeführer in der Erstbefragung sohin die Taliban bzw. persönliche Probleme mit diesen mit keinem Wort erwähnt habe, würde die Glaubwürdigkeit seine Angaben vor dem BFA, wonach der Beschwerdeführer aufgrund des Racheaktes am seinerzeitigen Stellvertreter seines Vaters durch XXXX durch diesen eine Bedrohung fürchte, erheblich geschmälert. Bei seinen Angaben bezüglich der vermeintlichen Bedrohung durch die genannte Person handle es sich daher um einen Steigerungsversuch und sei es ihm in einer Gesamtschau nicht gelungen, ein mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohendes gegen seine Person gerichtetes Bedrohungsszenario geltend zu machen. Insgesamt betrachtet seien seine Ausführungen nicht geeignet gewesen, ihm den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, zumal keine individuell gegen seine Person aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe etc. Verfolgung zu erkennen gewesen sei. Rechtlich folge daraus, dass keine Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK vorliege, weswegen es nicht zur Zuerkennung des Status des Asylberechtigten kommen könne. Eine Rückkehr komme für den Beschwerdeführer aufgrund der derzeitigen schlechten Wirtschafts- und Versorgungslage nicht in Frage, weshalb ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen sei.

3. Mit Schriftsatz vom 08.04.2024 brachte der Beschwerdeführer durch seinen bevollmächtigten Vertreter das Rechtsmittel der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des genannten Bescheids ein, worin eine inhaltliche Rechtswidrigkeit und die Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wurden. Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer Gegner der Taliban wäre. Ebenso sei der Vater des Beschwerdeführers Gegner der Taliban gewesen, was sich aus seiner Tätigkeit bei der Dorfpolizei auch ableiten lasse. Der Beschwerdeführer fürchte aufgrund der Position seines Vaters und dem Vorfall mit dem Talib asylrelevante Verfolgung und sei sicher, dass er bei einer Rückkehr weiterer Verfolgung ausgesetzt wäre. Er würde bei einer Rückkehr von den Taliban mit Sicherheit getötet oder inhaftiert werden, da ihm seitens der Taliban eine oppositionelle Gesinnung unterstellt würde. Das BFA habe auch unzureichende Ermittlungen zur Volksgruppenzugehörigkeit der Sadat und zum Schiitentum des Beschwerdeführers geführt. In den UNHCR-Richtlinien vom Februar 2023 zum internationalen Schutzbedarf von Personen, die aus Afghanistan fliehen, würden Afghanen, die mit der ehemaligen Regierung oder der internationalen Gemeinschaft verbunden seien, als Risikoprofil angeführt. UNHCR merke in den Richtlinien an, dass Familienangehörige und andere Personen, die mit den von Verfolgung bedrohten Personen eng verbunden seien, häufig einem eigenen Risiko ausgesetzt seien. Der Beschwerdeführer wäre als Angehöriger der Volksgruppe der Hazara sowie des schiitischen Glaubens auch aus diesem Grund im Falle der Rückkehr nach Afghanistan systematischer Diskriminierung bis hin zur Gefahr der Ermordung durch die nunmehrige Talibanregierung ausgesetzt sei. Dem Beschwerdeführer drohe auch seine Verfolgung, da er als Rückkehr aus dem Ausland als „verwestlicht“ wahrgenommen würde. Es wurde die Anberaumung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung beantragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer führt den im Spruch genannten Namen, ist Staatsangehöriger Afghanistans, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und des islamischen Glaubens schiitischer Ausrichtung. Seine Identität steht nicht fest.

Er stammt aus der Provinz Baghlan, wo er bis zu seiner Ausreise nach Europa lebte. Seine Muttersprache ist Dari. Der Beschwerdeführer hat für acht Jahre lang die Grundschule in Afghanistan besucht. Die Mutter sowie und eine Schwester und ein Bruder des Beschwerdeführers leben im Iran. Der Vater des Beschwerdeführers ist bereits verstorben.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich subsidiär schutzberechtigt und zum Zeitpunkt dieser Entscheidung strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zu den geltend gemachten Fluchtgründen:

Der Beschwerdeführer war im Herkunftsstaat weder einer individuellen gegen ihn gerichteten Verfolgung ausgesetzt noch hätte er dies im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan zu befürchten.

Der Beschwerdeführer ist in Afghanistan weder vorbestraft noch wurde er dort jemals inhaftiert. Der Beschwerdeführer war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an.

Weiters wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer nicht ohne Hinzutreten weiterer wesentlicher individueller Merkmale mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine gegen ihn gerichtete Verfolgung oder Bedrohung durch staatliche Organe oder von staatlichen Organen geduldete Verfolgung durch Private, sei es vor dem Hintergrund seiner ethnischen Zugehörigkeit (Hazara), seiner Religionszugehörigkeit (islamisches Schiitentum), Nationalität (Afghanistan), Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung zu erwarten hätte.

Es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer nicht aufgrund der Tatsache, dass er sich nunmehr seit dem Jahr 2022 in Europa aufhält, im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan psychischer und/oder physischer Gewalt oder anderen erheblichen Eingriffen ausgesetzt wäre. Er hat keine "westliche Lebenseinstellung" angenommen, welche im Widerspruch zur Gesellschaftsordnung in Afghanistan steht.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Sicherheitslage

Letzte Änderung 2024-04-05 15:33

Seit der Machtübernahme der Taliban in Kabul am 15.8.2021 ist das allgemeine Ausmaß des Konfliktes zurückgegangen (UNGA 28.1.2022, vgl. UNAMA 27.6.2023). Nach Angaben der Vereinten Nationen gab es beispielsweise weniger konfliktbedingte Sicherheitsvorfälle wie bewaffnete Zusammenstöße, Luftangriffe und improvisierte Sprengsätze (IEDs) (UNGA 28.1.2022) sowie eine geringere Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung (UNAMA 27.6.2023; vgl. UNAMA 7.2022). Die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) hat jedoch weiterhin ein erhebliches Ausmaß an zivilen Opfern durch vorsätzliche Angriffe mit improvisierten Sprengsätzen (IEDs) dokumentiert (UNAMA 27.6.2023).

UNAMA registrierte im Zeitraum 15.08.2021 - 30.05.2023 mindestens 3.774 zivile Opfer, davon 1.095 Tote (UNAMA 27.6.2023; vgl. AA 26.6.2023) und vom 20.5.2023 bis 22.10.2023 mindestens 344 zivile Opfer, davon 96 Tote (UNGA 18.9.2023; vgl. UNGA 1.12.2023). Im Vergleich waren es in den ersten sechs Monaten nach der Machtübernahme der Taliban 1.153 zivile Opfer, davon 397 Tote, während es in der ersten Jahreshälfte 2021 (also vor der Machtübernahme der Taliban) 5.183 zivile Opfer, davon 1.659 Tote gab. In der Mehrzahl handelte es sich um Anschläge durch Selbstmordattentäter und IEDs. Bei Anschlägen auf religiöse Stätten wurden 1.218 Opfer, inkl. Frauen und Kinder, verletzt oder getötet. 345 Opfer wurden unter den mehrheitlich schiitischen Hazara gefordert. Bei Angriffen auf die Taliban wurden 426 zivile Opfer registriert (AA 26.6.2023).

Im Jahr 2023 war ein Rückgang der von ACLED (Armed Conflict Location Event Data Project) und UCDP (Uppsala Conflict Data Program) erfassten sicherheitsrelevanten Vorfälle zu verzeichnen. Die Zahl der von ACLED bis September 2023 erfassten Ereignisse ging im Vergleich zum selben Zeitraum im Jahr 2022 um 34,8 % zurück (1.979 gegenüber 689 Ereignissen), während die UCDP-Daten für denselben Zeitraum einen Rückgang um 48,2 % anzeigten (720 gegenüber 347 Ereignissen) (EUAA 12.2023; vgl. ACLED 17.10.2023).

E12.2023; vgl. ACLED 17.10.2023

Nach Angaben der Vereinten Nationen entwickelten sich die sicherheitsrelevanten Vorfälle seit der Machtübernahme der Taliban folgend:

19.8.2021 - 31.12.2021: 985 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 91 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 28.1.2022)

1.1.2022 - 21.5.2022: 2.105 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 467 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 15.6.2022)

22.5.2022 - 16.8.2022: 1.642 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 77,5 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 14.9.2022)

17.8.2022 - 13.11.2022: 1.587 sicherheitsrelevante Vorfälle (Anstieg von 23 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 7.12.2022)

14.11.2022 - 31.1.2023: 1.088 sicherheitsrelevante Vorfälle (Anstieg von 10 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 27.2.2023)

1.2.2023 - 20.5.2023: 1.650 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 1 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 20.6.2023)

25.5.2023 - 31.7.2023: 1.259 sicherheitsrelevante Vorfälle (Anstieg von 1 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 18.9.2023)

1.8.2023 - 21.10.2023: 1.414 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 2 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 1.12.2023)

Ende 2022 und während des Jahres 2023 nehmen die Zusammenstöße zwischen bewaffneten Gruppierungen und den Taliban weiter ab (UNGA 27.2.2023; vgl. UNGA 20.6.2023, UNGA 18.9.2023, UNGA 20.6.2023), wobei diese nach Einschätzung der Vereinten Nationen den Taliban die Kontrolle über ihr Gebiet nicht streitig machen können (UNGA 1.12.2023). Die dem Taliban-Verteidigungsministerium unterstehenden Sicherheitskräfte führten weiterhin Operationen gegen Oppositionskämpfer durch, darunter am 11.4.2023 eine Operation gegen die Afghanische Freiheitsfront (AFF) im Distrikt Salang in der Provinz Parwan, bei der Berichten zufolge acht Oppositionskämpfer getötet wurden (UNGA 20.6.2023).

Ca. 50 % der sicherheitsrelevanten Vorfälle des Jahres 2023 entfielen auf die Regionen im Norden, Osten und Westen wobei die Provinzen Nangarhar, Kunduz, Herat (UNGA 20.6.2023), Takhar (UNGA 18.9.2023) und Kabul am stärksten betroffen waren (UNGA 1.12.2023).

Die Vereinten Nationen berichten, dass Afghanistan nach wie vor ein Ort von globaler Bedeutung für den Terrorismus ist, da etwa 20 terroristische Gruppen in dem Land operieren. Es wird vermutet, dass das Ziel dieser Terrorgruppen darin besteht, ihren jeweiligen Einfluss in der Region zu verbreiten und theokratische Quasi-Staatsgebilde zu errichten (UNSC 25.7.2023). Die Grenzen zwischen Mitgliedern von Al-Qaida und mit ihr verbundenen Gruppen, einschließlich TTP (Tehreek-e Taliban Pakistan), und der Gruppierung Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP) sind zuweilen fließend, wobei sich Einzelpersonen manchmal mit mehr als einer Gruppe identifizieren und die Tendenz besteht, sich der dominierenden oder aufsteigenden Macht zuzuwenden (UNSC 25.7.2023).

Hatten sich die Aktivitäten des ISKP nach der Machtübernahme der Taliban zunächst verstärkt (UNGA 28.1.2022; vgl. UNGA 15.6.2022, UNGA 14.9.2022, UNGA 7.12.2022), so nahmen auch diese im Lauf der Jahre 2022 (UNGA 7.12.2022; vgl. UNGA 27.2.2023) und in 2023 wieder ab (UNGA 20.6.2023; vgl. UNGA 18.9.2023, UNGA 1.12.2023). Die Gruppe verübte weiterhin Anschläge auf die Zivilbevölkerung, insbesondere auf die schiitischen Hazara (HRW 12.1.2023; vgl. UNAMA 22.1.2024). Die Taliban-Sicherheitskräfte führten Operationen zur Bekämpfung des ISKP durch, unter anderem in den Provinzen Kabul, Herat, Balkh, Faryab, Jawzjan, Nimroz, Parwan, Kunduz und Takhar (UNGA 20.6.2023).

Mit Verweis auf das United Nations Department of Safety and Security (UNDSS) berichtet IOM (International Organization for Migration), dass organisierte Verbrechergruppen in ganz Afghanistan an Entführungen zur Erlangung von Lösegeld beteiligt sind. 2023 wurden 21 Entführungen dokumentiert, 2024 waren es, mit Stand Februar 2024, zwei. Anscheinend werden nicht alle Entführungen gemeldet, und oft zahlen die Familien das Lösegeld. Die meisten Entführungen (soweit Informationen verfügbar waren) fanden in oder in der Nähe von Wohnhäusern statt und nicht auf der Straße. Von den 21 im Jahr 2023 gemeldeten Entführungen ereigneten sich vier in Kabul. Zwei der Vorfälle in Kabul betrafen die Entführung ausländischer Staatsangehöriger, wobei nur wenige Einzelheiten über die Umstände der Entführungen bekannt wurden. Die Taliban-Sicherheitskräfte reagierten aktiv auf Entführungsfälle. Im Juni 2023 leiteten die Taliban beispielsweise in Kabul eine erfolgreiche Rettungsaktion eines entführten ausländischen Staatsangehörigen. In der Provinz Balkh führte eine Reaktion der Taliban gegen die Entführer im Februar 2023 zum Tod eines Entführers und zur Festnahme von zwei weiteren Personen (IOM 22.2.2024).

Im Zuge einer im Auftrag der Staatendokumentation von ATR Consulting im November 2021 in Kabul-Stadt, Herat-Stadt und Mazar-e Sharif durchgeführten Studie gaben 68,3 % der Befragten an, sich in ihrer Nachbarschaft sicher zu fühlen. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass diese Ergebnisse nicht auf die gesamte Region oder das ganze Land hochgerechnet werden können. Die Befragten wurden gefragt, wie sicher sie sich in ihrer Nachbarschaft fühlen, was sich davon unterscheidet, ob sie sich unter dem Taliban-Regime sicher fühlen oder ob sie die Taliban als Sicherheitsgaranten betrachten, oder ob sie sich in anderen Teilen ihrer Stadt oder anderswo im Land sicher fühlen würden. Das Sicherheitsgefühl ist auch davon abhängig, in welchem Ausmaß die Befragten ihre Nachbarn kennen und wie vertraut sie mit ihrer Nachbarschaft sind und nicht darauf, wie sehr sie sich in Sachen Sicherheit auf externe Akteure verlassen. Nicht erfasst wurde in der Studie, inwieweit bei den Befragten Sicherheitsängste oder Bedenken in Hinblick auf die Taliban oder Gruppen wie den ISKP vorliegen. In Bezug auf Straßenkriminalität und Gewalt gaben 70,7 % bzw. 79,7 % der Befragen an, zwischen September und Oktober 2021 keiner Gewalt ausgesetzt gewesen zu sein. An dieser Stelle ist zu beachten, dass die Ergebnisse nicht erfassen, welche Maßnahmen der Risikominderung von den Befragten durchgeführt werden, wie z. B.: die Verringerung der Zeit, die sie außerhalb ihres Hauses verbringen, die Änderung ihres Verhaltens, einschließlich ihres Kaufverhaltens, um weniger Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, sowie die Einschränkung der Bewegung von Frauen und Mädchen im Freien (ATR/STDOK 18.1.2022).

Im Dezember 2022 wurde von ATR Consulting erneut eine Studie im Auftrag der Staatendokumentation durchgeführt. Diesmal ausschließlich in Kabul-Stadt. Hier variiert das Sicherheitsempfinden der Befragten, was laut den Autoren der Studie daran liegt, dass sich Ansichten der weiblichen und männlichen Befragten deutlich unterscheiden. Insgesamt gaben die meisten Befragten an, sich in ihrer Nachbarschaft sicher zu fühlen, wobei die relativ positive Wahrnehmung der Sicherheit und die Antworten der Befragten, nach Meinung der Autoren, daran liegt, dass es vielen Befragten aus Angst vor den Taliban unangenehm war, über Sicherheitsfragen zu sprechen. Sie weisen auch darauf hin, dass die Sicherheit in der Nachbarschaft ein schlechtes Maß für das Sicherheitsempfinden der Menschen und ihre Gedanken über das Leben unter dem Taliban-Regime ist (ATR/STDOK 3.2.2023).

Verfolgungspraxis der Taliban, neue technische Möglichkeiten

Letzte Änderung 2024-04-03 14:28

Trotz mehrfacher Versicherungen der Taliban, von Vergeltungsmaßnahmen gegenüber Angehörigen der ehemaligen Regierung und Sicherheitsbehörden abzusehen (AA 26.6.2023; vgl. USDOS 20.3.2023), wurde nach der Machtübernahme der Taliban berichtet, dass diese auf der Suche nach ehemaligen Mitarbeitern der internationalen Streitkräfte oder der afghanischen Regierung von Tür zu Tür gingen und deren Angehörige bedrohten. Ein Mitglied einer Rechercheorganisation, welche einen (nicht öffentlich zugänglichen) Bericht zu diesem Thema für die Vereinten Nationen verfasste, sprach von einer "schwarzen Liste" der Taliban und großer Gefahr für jeden, der sich auf dieser Liste befände (BBC 20.8.2021a; vgl. DW 20.8.2021). Im Zuge der Machtübernahme im August 2021 hatten die Taliban Zugriff auf Mitarbeiterlisten der Behörden (HRW 1.11.2021; vgl. NYT 29.8.2021), unter anderem auf eine biometrische Datenbank mit Angaben zu aktuellen und ehemaligen Angehörigen der Armee und Polizei bzw. zu Afghanen, die den internationalen Truppen geholfen haben (Intercept 17.8.2021). Auch Human Rights Watch (HRW) zufolge kontrollieren die Taliban Systeme mit sensiblen biometrischen Daten, die westliche Geberregierungen im August 2021 in Afghanistan zurückgelassen haben. Diese digitalen Identitäts- und Gehaltsabrechnungssysteme enthalten persönliche und biometrische Daten von Afghanen, darunter Irisscans, Fingerabdrücke, Fotos, Beruf, Wohnadressen und Namen von Verwandten. Die Taliban könnten diese Daten nutzen, um vermeintliche Gegner ins Visier zu nehmen, und Untersuchungen von Human Rights Watch deuten darauf hin, dass sie die Daten in einigen Fällen bereits genutzt haben könnten (HRW 30.3.2022). So wurde beispielsweise berichtet, dass ein ehemaliger Militäroffizier nach seiner Abschiebung von Iran nach Afghanistan durch ein biometrisches Gerät identifiziert wurde und danach von den Taliban gewaltsam zum Verschwinden gebracht wurde. Ein weiterer Rückkehrer aus Iran berichtet, dass im Zuge der Abschiebung aus Iran Daten der Rückkehrer vom iranischen Geheimdienst an die Taliban weitergegeben werden (KaN 18.10.2023).

Die Taliban sind in den sozialen Medien aktiv, unter anderem zu Propagandazwecken. Die Gruppierung nutzt soziale Medien und Internettechnik jedoch nicht nur für Propagandazwecke und ihre eigene Kommunikation, sondern auch, um Gegner des Taliban-Regimes aufzuspüren (Golem 20.8.2021; vgl. BBC 20.8.2021a, 8am 14.11.2022), was dazu führt, dass Afghanen seit der Machtübernahme der Taliban in den sozialen Medien Selbstzensur verüben, aus Angst und Unsicherheit (Internews 12.2023). So wurde beispielsweise ein afghanischer Professor verhaftet, nachdem er die Taliban via Social Media kritisierte (FR24 9.1.2022), während ein junger Mann in der Provinz Ghor Berichten zufolge nach einer Onlinekritik an den Taliban verhaftet wurde (8am 14.11.2022). Einem afghanischen Journalisten zufolge verwenden die Taliban soziale Netzwerke wie Facebook und LinkedIn, um jene Afghanen zu identifizieren, die mit westlichen Gruppen und der US-amerikanischen Hilfsagentur USAID zusammengearbeitet haben (ROW 20.8.2021). Ein hochrangiges Mitglied der ehemaligen Streitkräfte berichtet, dass ihm vor seiner Rückkehr verschiedene Versprechen gemacht wurden, er bei Ankunft auf dem Flughafen in Kabul jedoch wie ein Feind behandelt wurde. Er wurde sofort erkannt, da die Taliban sein Bild und weitere Informationen zu seiner Person über die sozialen Medien verbreiteten. Mit Stand Oktober 2023 lebt er in Kabul, sein Haus wurde mehrfach durch die Taliban durchsucht und sein Bankkonto gesperrt. Ein anderes Mitglied der ehemaligen Streitkräfte gab an, dass seine Informationen vor seiner Rückkehr auf Twitter [Anm.: jetzt X] verbreitet wurden und ein weiterer Rückkehrer berichtete, dass er eine biometrische Registrierung durchlaufen musste (KaN 18.10.2023).

Im Sommer 2023 wurde berichtet, dass die Taliban ein groß angelegtes Kameraüberwachungsnetz für afghanische Städte aufbauen (AI 5.9.2023; vgl. VOA 25.9.2023), das die Wiederverwendung eines Plans beinhalten könnte, der von den Amerikanern vor ihrem Abzug 2021 ausgearbeitet wurde, so ein Sprecher des Taliban-Innenministeriums. Die Taliban-Regierung hat sich auch mit dem chinesischen Telekommunikationsausrüster Huawei über eine mögliche Zusammenarbeit beraten, sagte der Sprecher (VOA 25.9.2023; vgl. RFE/RL 1.9.2023), wobei Huawei bestritt, beteiligt zu sein (RFE/RL 1.9.2023). Beobachter befürchten jedoch, dass die Taliban ihr Netz von Überwachungskameras auch dazu nutzen werden, abweichende Meinungen zu unterdrücken und ihre repressive Politik durchzusetzen (RFE/RL 1.9.2023), einschließlich der Einschränkung des Erscheinungsbildes der Afghanen, der Bewegungsfreiheit, des Rechts zu arbeiten oder zu studieren und des Zugangs zu Unterhaltung und unzensierten Informationen (RFE/RL 1.9.2023).

Zentrale Akteure

Taliban

Letzte Änderung 2024-04-05 15:33

Die Taliban sind eine überwiegend paschtunische, islamisch-fundamentalistische Gruppe (CFR 17.8.2022), die 2021 nach einem zwanzigjährigen Aufstand wieder an die Macht in Afghanistan kam (CFR 17.8.2022; vgl. USDOS 20.3.2023). Die Taliban bezeichnen ihre Regierung als das "Islamische Emirat Afghanistan" (USDOS 20.3.2023; vgl. VOA 1.10.2021), den Titel des ersten Regimes, das sie in den 1990er-Jahren errichteten, und den sie während ihres zwei Jahrzehnte andauernden Aufstands auch für sich selbst verwendeten. Das Emirat ist um einen obersten Führer, den Emir, herum organisiert, von dem man glaubt, dass er von Gott mit der Autorität ausgestattet ist, alle Angelegenheiten des Staates und der Gesellschaft zu beaufsichtigen (USIP 17.8.2022).

Die Taliban-Regierung weist eine starre hierarchische Struktur auf, deren oberstes Gremium die Quetta-Shura ist (EER 10.2022), benannt nach der Stadt in Pakistan, in der Mullah Mohammed Omar, der erste Anführer der Taliban, und seine wichtigsten Helfer nach der US-Invasion Zuflucht gesucht haben sollen. Sie wird von Mawlawi Hibatullah Akhundzada geleitet (CFR 17.8.2022; vgl. Rehman A./PJIA 6.2022), dem obersten Führer der Taliban (Afghan Bios 7.7.2022a; vgl. CFR 17.8.2022, Rehman A./PJIA 6.2022). Er gilt als die ultimative Autorität in allen religiösen, politischen und militärischen Angelegenheiten (EUAA 8.2022; vgl. Afghan Bios 7.7.2022a, REU 7.9.2021a).

Nach der Machtübernahme versuchten die Taliban sich von "einem dezentralisierten, flexiblen Aufstand zu einer staatlichen Autorität" zu entwickeln (EUAA 8.2022; vgl. NI 24.11.2021). Im Zuge dessen herrschten Berichten zufolge zunächst Unklarheiten unter den Taliban über die militärischen Strukturen der Bewegung (EUAA 8.2022; vgl. DW 11.10.2021) und es gab in vielen Fällen keine erkennbare Befehlskette (EUAA 8.2022; vgl. REU 10.9.2021). Dies zeigte sich beispielsweise in Kabul, wo mehrere Taliban-Kommandeure behaupteten, für dasselbe Gebiet oder dieselbe Angelegenheit zuständig zu sein. Während die frühere Taliban-Kommission für militärische Angelegenheiten das Kommando über alle Taliban-Kämpfer hatte, herrschte Berichten zufolge nach der Übernahme der Kontrolle über das Land unter den Kämpfern vor Ort Unsicherheit darüber, ob sie dem Verteidigungsministerium oder dem Innenministerium unterstellt sind (EUAA 8.2022; vgl. DW 11.10.2021).

Haqqani-Netzwerk

Das Haqqani-Netzwerk hat seine Wurzeln im Afghanistan-Konflikt der späten 1970er-Jahre. Mitte der 1980er-Jahre knüpfte Jalaluddin Haqqani, der Gründer des Haqqani-Netzwerks (GSSR 12.11.2023), eine Beziehung zum Führer von al-Qaida, Osama bin Laden (UNSC o.D.c; vgl. FR24 21.8.2021). Jalaluddin schloss sich 1995 der Taliban-Bewegung an (UNSC o.D.c; vgl. ASP 1.9.2020), behielt aber seine eigene Machtbasis an der Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan (UNSC o.D.c). Der Kern der Ideologie der Gruppe ist eine antiwestliche, regierungsfeindliche und "sunnitisch-islamische Deobandi"-Haltung, die an die Einhaltung orthodoxer islamischer Prinzipien glaubt, die durch die Scharia geregelt werden, und die den Einsatz des Dschihad zur Erreichung der Ziele der Gruppe befürwortet. Die Haqqanis lehnen äußere Einflüsse innerhalb des Islams strikt ab und fordern, dass die Scharia das Gesetz des Landes ist (GSSR 12.11.2023).

Nach dem Sturz der Taliban im Jahr 2001 übernahm Jalaluddins Sohn, Sirajuddin Haqqani, die Kontrolle über das Netzwerk (UNSC o.D.c, vgl. VOA 4.8.2022). Er ist seit 2015 auch einer der Stellvertreter des Taliban-Anführers Haibatullah Akhundzada (FR24 21.8.2021; vgl. UNSC o.D.c). Das Haqqani-Netzwerk gilt dank seiner finanziellen und militärischen Stärke - und seines Rufs als skrupelloses Netzwerk - als halbautonom (FR24 21.8.2021), auch wenn es den Taliban angehört (UNSC 21.11.2023; vgl. FR24 21.8.2021).

Das Netzwerk unterhält Verbindungen zu al-Qaida und, zumindest zeitweise bis zur Machtübernahme der Taliban, der Gruppierung Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP) (VOA 30.8.2022; vgl. UNSC 26.5.2022). Es wird angemerkt, dass nach der Machtübernahme und der Eskalation der ISKP-Angriffe kein Raum mehr für Unklarheiten in der strategischen Konfrontation der Taliban mit ISKP bestand und es daher nicht im Interesse der Haqqanis lag, solche Verbindungen zu pflegen (UNSC 26.5.2022). Zudem wird vermutet, dass auch enge Verbindungen zum pakistanischen Geheimdienst (VOA 30.8.2022; vgl. DT 7.5.2022) und den Tehreek-e-Taliban (TTP), den pakistanischen Taliban, bestehen (UNSC 26.5.2022).

Ethnische Gruppen

Letzte Änderung 2024-03-28 12:04

In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 34,3 (NSIA 4.2022) und 38,3 Millionen Menschen (8am 30.3.2022; vgl. CIA 1.2.2024). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (STDOK 7.2016; vgl. CIA 1.2.2024), da die Behörden des Landes nie eine nationale Volkszählung durchgeführt haben. Es ist jedoch allgemein anerkannt, dass keine der ethnischen Gruppen des Landes eine Mehrheit bildet, und die genauen prozentualen Anteile der einzelnen Gruppen an der Gesamtbevölkerung Schätzungen sind und oft stark politisiert werden (MRG 5.1.2022).

Die größten Bevölkerungsgruppen sind Paschtunen (32-42 %), Tadschiken (ca. 27 %), Hazara (ca. 9-20 %) und Usbeken (ca. 9 %), gefolgt von Turkmenen und Belutschen (jeweils ca. 2 %) (AA 26.6.2023).

Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 20.3.2023).

Die Taliban gehören mehrheitlich der Gruppe der Paschtunen an. Seit der Machtübernahme der Taliban werden nicht-paschtunische Ethnien in staatlichen Stellen zunehmend marginalisiert. So gibt es in der Taliban-Regierung z. B. nur wenige Vertreter der usbekischen und tadschikischen Minderheit sowie lediglich einen Vertreter der Hazara (AA 26.6.2023).

Die Taliban haben wiederholt erklärt, alle Teile der afghanischen Gesellschaft zu akzeptieren und ihre Interessen berücksichtigen zu wollen. Aber selbst auf lokaler Ebene werden Minderheiten, mit Ausnahmen in ethnisch von Nicht-Paschtunen dominierten Gebieten vor allem im Norden, kaum für Positionen im Regierungsapparat berücksichtigt, da diese v. a. paschtunischen Taliban-Mitgliedern vorbehalten sind. Darüber hinaus lässt sich keine klare, systematische Diskriminierung von Minderheiten durch die Taliban-Regierung feststellen, solange diese den Machtanspruch der Taliban akzeptieren (AA 26.6.2023).

Hazara

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 9 bis 15 % der afghanischen Bevölkerung aus (AA 20.7.2022; vgl. BAMF 5.2022). Die Mehrheit der Hazara lebt im Hazarajat (oder "Land der Hazara") (MRG 5.1.2022; vgl. EB o.D., BAMF 5.2022), das im zerklüfteten zentralen Bergland Afghanistans liegt und eine Fläche von etwa 50.000 Quadratkilometern umfasst. Die Region erstreckt sich auf die Provinzen Bamyan und Daikundi sowie mehrere angrenzende Distrikte in den Provinzen Ghazni, Uruzgan, (Maidan) Wardak, Parwan, Baghlan, Samangan und Sar-e Pul. Es gibt auch sunnitische Hazara-Gemeinschaften in den Provinzen Badghis, Ghor, Kunduz, Baghlan, Panjsher und anderen Gebieten im Nordosten Afghanistans (MRG 5.1.2022). Ethnische Hazara sind mehrheitlich Zwölfer-Schiiten (JP o.D.; vgl. BAMF 5.2022), auch bekannt als Jaafari Schiiten (USDOS 2.6.2022). Eine Minderheit der Hazara ist ismailitisch (USDOS 2.6.2022; vgl. MRG 5.1.2022). Ismailitische Hazara leben in den Provinzen Parwan, Baghlan und Bamyan. Darüber hinaus sind sowohl schiitische als auch sunnitische Hazara in erheblicher Zahl in mehreren städtischen Zentren Afghanistans vertreten, darunter Kabul, Mazar-e Sharif und Herat (MRG 5.1.2022).

Nach ihrer Machtübernahme im August 2021 haben die Taliban insbesondere den Hazara, die während des ersten Taliban-Regimes benachteiligt und teilweise verfolgt wurden, Zusicherungen gemacht (AA 20.7.2022). Dennoch berichtete AI (Amnesty International) im Juli 2021 über die Tötung von neun Angehörigen der Hazara in der Provinz Ghazni (AI 19.8.2021; vgl. BBC 20.8.2021b) und im August 2021 sollen nach Angaben der NGO in der Provinz Daikundi 13 Angehörige der Hazara-Minderheit, darunter ein 17-jähriges Mädchen, von den Taliban getötet worden sein (AI 5.10.2021; vgl. BBC 5.10.2021).

Es gibt weiters Berichte, dass Angehörige der Taliban beschuldigt werden, Zwangsumsiedlungen, vor allem unter Angehörigen der schiitischen Hazara, vorzunehmen, um das Land unter ihren eigenen Anhängern aufzuteilen. Die Quellen verweisen auf Vertreibungen in Daikundi, Uruzgan, Kandahar, Helmand und Balkh (HRW 22.10.2021). In der Provinz Daikundi sollen im September 2021 ca. 400 Hazara-Familien gewaltsam von ihrem Land vertrieben worden sein. Laut Erkenntnissen der UN konnten die meisten mittlerweile wieder zurückkehren (AA 20.7.2022). In Helmand und Balkh wurden Anfang Oktober "Hunderte von Hazara-Familien", und in 14 Dörfern in Daikundi und Uruzgan im September mindestens 2.800 Hazara-Bewohner vertrieben (HRW 22.10.2021; vgl. USDOS 12.4.2022a). Nach Einschätzung von HRW beruht die Diskriminierung von Hazara bei illegaler Landnahme v. a. auf lokalen Konflikten, wird aber von der Taliban-Führung toleriert (AA 20.7.2022). So kam es auch im Frühjahr 2022 dazu, dass Hazara ihre Häuser nach Streitigkeiten mit Nomaden verlassen mussten (AAN 11.1.2023).

Auch sind Hazara weiterhin besonders gefährdet, Opfer von Anschlägen des Islamischen Staats Khorasan Provinz (ISKP) zu werden (AA 20.7.2022: vgl. HRW 25.10.2021). So kam es auch im Jahr 2022 zu Angriffen des ISKP, welche auf Hazara abgezielt haben (AA 20.7.2022; vgl. UNGA 14.9.2022, HRW 12.1.2023). Beispielsweise wurden bei einem Anschlag auf eine schiitische Moschee in Mazar-e Sharif im April 2022 mindestens 31 Menschen getötet (UNGA 15.6.2022; vgl. PAN 23.4.2022). Am 24.1.2022 wurden bei einem ISKP-Anschlag im Hazara-Viertel Haji Abbas in Herat sieben Menschen getötet und zehn Weitere verletzt (8am 24.1.2022; vgl. REU 23.1.2022). Ebenso in Herat kam es am 1.4.2022 im Hazara-Viertel Jebrail zu einem Bombenanschlag, bei dem 12 junge Männer getötet und 25 weitere verletzt wurden (8am 6.4.2022; vgl. TN 24.1.2023). Mindestens 26 junge Hazara wurden bei zwei Angriffen auf Bildungseinrichtungen in Kabul am 19.4.2022 getötet (8am 20.10.2022; vgl. AN 19.4.2022). Acht Menschen wurden im August in Kabul getötet, als eine Bombe in der Nähe einer schiitischen Moschee explodierte (VOA 5.8.2022; vgl. REU 5.8.2022).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, der Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers, zu seiner Herkunft und seiner Schulbildung gründen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben und hat das Bundesverwaltungsgericht keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Angaben zu zweifeln. Die Identität des Beschwerdeführers konnte mangels der Vorlage unbedenklicher Dokumente nicht festgestellt werden. Die Feststellung zur Volljährigkeit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem von der Behörde eingeholten medizinischen multifaktoriellen Sachverständigengutachten (AS 61 ff.), demzufolge eine Minderjährigkeit des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Asylantragstellung ausgeschlossen werden habe können.

Dass der Beschwerdeführer in Österreich subsidiär schutzberechtigt ist, ist dem angefochtenen Bescheid des BFA zu entnehmen. Seine strafgerichtliche Unbescholtenheit ergibt sich aus einem aktuellen Strafregisterauszug.

2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

2.2.1. Zur vorgebrachten Verfolgungsgefahr in Afghanistan:

Wie das BFA im angefochtenen Bescheid zutreffend erkannt hat, vermochte der Beschwerdeführer eine aktuelle wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Herkunftsstaat nicht glaubhaft darzutun: Zunächst ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer vor den Behörden insofern verschleiernde Angaben zu seiner Person zu erstatten versuchte, als er in der Erstbefragung ein Geburtsdatum angegeben hatte, demzufolge er bei der Antragstellung auf internationalen Schutz noch minderjährig gewesen wäre (AS 19). Dass diese Angaben zum Geburtsdatum nicht wahren Umständen entsprechen und der Beschwerdeführer tatsächlich bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung auf internationalen Schutz volljährig war, wurde sodann mittels eines multifaktoriellen medizinische Gutachtens zur Altersfeststellung festgestellt (AS 61 ff.). Schon durch den Umstand, dass der Beschwerdeführer sohin bestrebt war, sich wider besseren Wissens vor den Behörden als minderjährig darstellen, wird für das Bundesverwaltungsgericht evident, dass dieser keine Scheu zeigt, Angaben zu erstatten, wie es ihm opportun erscheint, um Vorteile im Verfahren zu erlangen und wird seine Glaubwürdigkeit als Person für das Gericht daher massiv geschmälert. Soweit der Beschwerdeführer erstinstanzlich das ursprünglich von ihm angegebene Geburtsdatum damit zu rechtfertigen versuchte, dass dieses falsch protokolliert worden sei und keine Rückübersetzung erfolgt wäre (AS 143 f.), ist dies klar aktenwidrig, da seine Angaben in der Erstbefragung ihm sehr wohl rückübersetzt wurden und der Beschwerdeführer die Richtigkeit seiner Angaben durch seine Unterschrift bestätigt hatte (AS 31).

Zu Recht hält die belangte Behörde dem Beschwerdeführer entgegen, dass seine Angaben zu den Fluchtgründen auch deshalb nicht glaubhaft sind, da auch sein diesbezügliches Vorbringen widersprüchlich ist. Während er nämlich etwa in der Erstbefragung zu seinen Fluchtgründen angegeben hatte, dass er aufgrund der schlechten Wirtschafts- und Sicherheitslage das Land verlassen habe und für den Fall seiner Rückkehr Armut fürchte und dass er keine Zukunft habe (AS 29), gab er demgegenüber in der Einvernahme vor dem BFA an, dass sein Vater Kommandant bei einem Militärposten gewesen sei, bei welchen es zu Kampfhandlungen mit den Taliban gekommen sei und ein höherrangiges Talibanmitglied festgenommen und dessen Sohn getötet worden seien. Nach der Freilassung der inhaftierten Taliban infolge der Machtübernahme der Taliban habe dieses höherrangige Talibanmitglied den Stellvertreter des Vaters des Beschwerdeführers aus Rache für die Tötung seines Sohnes getötet und habe der Beschwerdeführer aus diesem Grund Afghanistan verlassen (AS 150 f.). Diesbezüglich ist dem BFA zuzustimmen, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers in der Einvernahme vor der Behörde zu seinen Fluchtgründen schon deshalb völlig unglaubhaft ist, da der Beschwerdeführer gänzlich andere Fluchtgründe in seiner Erstbefragung angegeben hatte. Hierbei hatte er, wie oben angeführt, ausschließlich die schlechte Wirtschafts- und Sicherheitslage generell als fluchtauslösend angegeben, ohne aber die Furcht seiner Familie vor der Rache der Taliban aufgrund der beruflichen Tätigkeit seines Vaters als Militärkommandant und der Tötung des Sohnes eines Talibanmitgliedes im Zuge von Kämpfen zu nennen. Es wäre der allgemeinen Lebenserfahrung zufolge zu erwarten, dass der Beschwerdeführer ein derartiges Bedrohungsszenario in der Erstbefragung zumindest kurz umrissen hätte, wenn sich dieses tatsächlich zugetragen hätte. Hierbei wird nicht verkannt, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung wiederholt Bedenken gegen die unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen der Erstbefragung erhoben hat, weil sich diese Einvernahme nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat. Jedoch hat der Verwaltungsgerichtshof gleichwohl betont, dass es nicht generell unzulässig ist, sich auf eine Steigerung des Fluchtvorbringens zwischen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der weiteren Einvernahme eines Asylwerbers zu stützen (vgl. etwa VwGH 21.11.2019, Ra 2019/14/0429). Der Beschwerdeführer versuchte auch diese Unstimmigkeit zwischen seinen Angaben in der Erstbefragung und der Einvernahme vor dem BFA dadurch zu erklären, dass er behauptete, dass seine Angaben zu den Fluchtgründen falsch protokolliert worden seien (AS 144), was wie oben dargelegt, nicht wahren Umständen entspricht und eine reine Schutzbehauptung darstellt, um seine widersprüchlichen Aussagen zu rechtfertigen. Schon an dieser Stelle wird daher evident, dass die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Fluchtgeschichte eine oberflächlich eingelernte und erfundene Rahmengeschichte darstellt, die jedoch keinen wahren Hintergrund hat.

Der Beschwerdeführer verwickelte sich bezüglich der vor dem BFA ins Treffen geführten Fluchtgeschichte insofern in weitere Widersprüche, als er erstinstanzlich ausdrücklich mehrmals angegeben hatte, dass sein Vater „eine Militärperson“ bzw. Kommandant eines Militärpostens gewesen sei (AS 146 u. 150), während er dem entgegenstehend in der mündlichen Verhandlung angab, dass sein Vater bei der Polizei gewesen sei (VH-Prot., S. 9). Auf diesen Widerspruch in der Verhandlung seitens des erkennenden Richters angesprochen, zog sich der Beschwerdeführer schließlich nur darauf zurück, dass sein Vater bei der Militärpolizei gewesen sei. Dies stellt erkennbar einen Unterschied zu seinen erstinstanzlichen Aussagen dar und gab der Beschwerdeführer dazu erklärend in der Verhandlung auch nur aktenwidrig an, dass er das erstinstanzlich „dort auch gesagt“ habe. Weiters stellt es einen Widerspruch dar, dass der Beschwerdeführer das höherrangige Talibanmitglied, von dem die Gefahr für seine Familie ausgegangen sein soll, erstinstanzlich als XXXX bezeichnet hatte (AS 150 f.), er jedoch vor dem Bundesverwaltungsgericht behauptete, dass der volle Name des Mannes XXXX wäre (VH-Prot., S. 9). Eine weitere Divergenz in seinen Angaben ergibt sich daraus, dass der Beschwerdeführer erstinstanzlich angegeben hatte, dass er nach dem Tod seines Vaters für ein Jahr von 2021 bis 2022 als Taxifahrer tätig gewesen sei (AS 148), er aber in der mündlichen Verhandlung behauptete, dass er nach der Machtübernahme der Taliban, dh. nach dem August 2021, „nicht mehr als Taxifahrer gearbeitet“ habe und zu Hause gewesen sei (VH-Prot. S. 9). Auf diesen Widerspruch angesprochen behauptete der Beschwerdeführer schließlich erneut, dass er nach dem Tod seines Vaters ein Jahr als Taxifahrer gearbeitet und damit aufgehört habe, als die Taliban gekommen sein. Soweit er auf Nachfrage dann dazu erklärte, dass sein Vater im Mai 2019 verstorben sei und seine einjährige Tätigkeit als Taxifahrer von 2019 bis 2020 stattgefunden habe, sind diese Angaben wiederum dazu unstimmig, dass er unter einem erklärte, dass er seine Tätigkeit mit der Machtübernahme der Taliban und somit mit August 2021 beendet habe. Der Umstand, dass der behauptete Überfall durch die Taliban frei erfunden ist, ergibt sich überdies dadurch, dass der Beschwerdeführer in der Verhandlung die Nachfrage, ob er selbst jemals selbst Probleme mit den Taliban gehabt habe, ausdrücklich verneinte (AS 151). Auch verneinte er in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage ausdrücklich, dass es zu irgendeinem Zeitpunkt eine Bedrohung gegeben habe (VH-Prot., S. 10). Insgesamt betrachtet gelang es dem Beschwerdeführer daher nicht, die behauptete Fluchtgeschichte glaubhaft zu machen.

Zum auch in der Beschwerde geäußerten Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach ehemalige Angehörige der Sicherheitskräfte sowie deren Familienangehörige einem erhöhten Verfolgungsrisiko durch die Taliban ausgesetzt seien, wird nicht verkannt, dass Angehörige der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) schon laut UNHCR in dessen Richtlinien vom 30.08.2018 („Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge“, Abschnitt III. A. 1. lit.a und lit.b) als besonders gefährdet galten, von regierungsfeindlichen Kräften verfolgt zu werden. Explizit wurden von UNHCR dabei auch Familienangehörige ehemaliger Angehöriger der nationalen oder internationalen Sicherheitskräfte als eigenes Risikoprofil in den genannten Richtlinien angeführt (Abschnitt III. A. 1. lit. k). Diese Einschätzung ist nach den aktuellen UNHCR-Leitlinien zum internationalen Schutzbedarf von Personen, die aus Afghanistan fliehen – Update 1 vom Februar 2023, Rz. 16, aufrecht. Diesbezüglich ist jedoch zu betonen, dass auch vor dem Hintergrund der genannten Richtlinien von UNCHR nicht unbedingt und ausnahmslos von einer Verfolgungsgefahr der darin genannten Personen allein wegen der Erfüllung des entsprechenden Risikoprofils ausgegangen werden kann, sondern ist eine konkrete Einzelfallbetrachtung geboten. Vor dem Hintergrund, dass der gesamten Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers die Glaubhaftigkeit zu versagen war, kann eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass gerade er für die Taliban von derart erhöhtem Interesse wäre, nicht erkannt werden.

Ebenso wenig hat er im Verfahren ein konkretes Vorbringen dahingehend erstattet, dass er eine den Einstellungen der Talibanbewegung als derzeitige defacto-Machthaber entgegenstehende politische Überzeugung geäußert oder durch eventuelle Aktivitäten zur Förderung einer solchen Überzeugung die nachteilige Aufmerksamkeit der defacto-Machthaber im Herkunftsstaat erweckt habe. Dem Beschwerdeführer war es offenkundig auch problemlos möglich, nach der Machtübernahme der Taliban aus Afghanistan auszureisen und er hat keine Probleme bezüglich etwaiger durch die Taliban im Zuge der Ausreise erfolgter Kontrollen angegeben. Auf dieser Grundlage ist die Behörde zu Recht davon ausgegangen, dass beim Beschwerdeführer keine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung bestehen könne.

Es ist dem BFA daher zuzustimmen, dass der Beschwerdeführer keine konkret gegen ihn gerichtete Verfolgungsgefahr glaubhaft machen konnte.

2.2.2. Zu allfälligen weiteren Fluchtgründen:

Auch aus seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara ergibt sich laut den vorliegenden Länderberichten, auch unter Berücksichtigung der kürzlich erfolgten Machtübernahme der Taliban im gesamten Staatsgebiet kein Risiko einer dem Beschwerdeführer individuell drohenden Verfolgung. So geht aus den dem angefochtenen Bescheid zu Grunde liegenden Länderfeststellungen hervor, dass sich die Lage der Hazara, die während der ersten Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, sich zur erneuten Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 grundsätzlich verbessert hat, wobei Hazara weiterhin am Arbeitsmarkt diskriminiert wurden. Es wird nicht verkannt, dass den Länderinformationen dennoch zu entnehmen ist, dass Hazara nach wie vor besonders gefährdet sind, Opfer von Anschlägen des ISKP zu werden. Eine systematische Verfolgung von Angehörigen der Hazara ist der Berichtslage jedoch nicht zu entnehmen, gleichwohl die Taliban auch den Berichten zufolge nicht bereit sind, diese zu beschützen. Die in den Länderfeststellungen des angefochtenen Bescheids und auch in weiteren in der Beschwerde zitierten Ausschnitten aus Länderberichten dargestellten gewaltsamen Anschläge und Übergriffe gegen Hazara erfolgen nicht in einer solchen Häufigkeit und Systematik, die eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit von Verfolgungsgefahr für den Beschwerdeführer begründen würde. Der Beschwerdeführer hat in den Verfahren letztlich auch keinerlei konkrete Vorverfolgung aus solchen Gründen behauptet.

Es liegen auf Basis der vorliegenden Berichtslage auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass sein Aufenthalt in Europa den Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan der Gefahr einer gezielten Verfolgung durch die Taliban aussetzen würden. Der Beschwerdeführer hat auch weder mit seinem eigenen Vorbringen im Verfahren noch in der Beschwerde unternommen, konkrete Tatsachen oder persönliche Eigenschaften darzulegen, welche dazu führen könnten, dass er im Falle einer Rückkehr wegen eines Vorwurfes der „Verwestlichung“ einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt sein sollte.

Angesichts persönlichen Umständen des Beschwerdeführers ist demnach auszuschließen, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan konkret von Verfolgung bedroht ist. Es ist dem BFA sohin zuzustimmen, dass der Beschwerdeführer keine konkret gegen ihn gerichtete Verfolgungsgefahr glaubhaft machen konnte.

2.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Die getroffenen Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation in Afghanistan stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese in Bezug auf die geltend gemachten Fluchtgründe des Beschwerdeführers nach wie vor aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht (wesentlich) geändert haben.

Diesen Feststellungen zur Lage in Afghanistan wird in der Beschwerde nicht entgegengetreten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A) I. Abweisung der Beschwerde:

3.1. Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ist einem Fremden, der in Österreich einen (zulässigen) Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht (vgl auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU) verweist). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offensteht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0080, mwN).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH vom 05.09.2016, Ra 2016/19/0074). Die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung muss zudem in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen stehen (VwGH vom 22.03.2017, Ra 2016/19/0350).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, VwGH vom 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG liegt es am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren. Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (VwGH 16.11.2016, Ra 2016/18/0233, mwN).

3.1.1. Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt, konnte der Beschwerdeführer eine gegen ihn individuell gerichtete erfolgte oder drohende Verfolgungsgefahr in Afghanistan nicht glaubhaft machen.

3.1.2. In Ermangelung von dem Beschwerdeführer individuell drohenden Verfolgungshandlungen bleibt im Lichte der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu prüfen, ob er im Herkunftsland aufgrund generalisierender Merkmale unabhängig von individuellen Aspekten einer über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehenden „Gruppenverfolgung“ ausgesetzt wäre. Für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung ist zwar nicht entscheidend, dass sich die Verfolgung gezielt gegen Angehörige nur einer bestimmten Gruppe und nicht auch gezielt gegen andere Gruppen richtet (VwGH 17.12.2015, Ra 2015/20/0048, mit Verweis auf VfGH 18.09.2015, E 736/2014).

Der Beschwerdeführer ist Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, wobei Anhaltspunkte für eine Gruppenverfolgung von Hazara in Afghanistan im Verfahren nicht hervorgekommen sind. Auch die aktuellen UNHCR-Leitlinien vom Februar 2023 zum internationalen Schutzbedarf von Personen, die aus Afghanistan fliehen, sprechen zwar hinsichtlich Mitgliedern ethnischer oder religiöser Minderheiten, inklusive Hazara, von einem verglichen zur Situation vor den Ereignissen vom 15.08.2021 erhöhtem internationalen Schutzbedarf, beschreiben jedoch nicht die Gefahr einer Gruppenverfolgung für Hazara. Der Beschwerdeführer hat auch im Verfahren keinerlei Vorverfolgung aus diesem Grund behauptet.

Hinsichtlich einer möglichen Verfolgung als Rückkehrer (aus Europa) hat der Beschwerdeführer weder konkrete Angaben gemacht noch sind sonst von Amts wegen aufzugreifende Umstände hervorgekommen, die eine individuelle und konkret gegen ihn gerichtete Verfolgung als Rückkehrer glaubhaft machen.

3.2. Es ist dem Beschwerdeführer insgesamt nicht gelungen, eine asylrelevante Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention in seinem Herkunftsstaat glaubhaft darzutun. Daher ist die Beschwerde gegen den Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen.

Es bleibt darauf hinzuweisen, dass einer (nicht asylrelevanten) Gefährdung des Beschwerdeführers in Bezug auf Afghanistan durch die Gewährung von subsidiärem Schutz durch die belangte Behörde hinreichend Rechnung getragen wurde.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

Rückverweise