JudikaturVwGH

Ra 2015/07/0063 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
25. Oktober 2017

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie die Hofräte Dr. N. Bachler und Mag. Haunold als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schubert-Zsilavecz, über die Revision des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 16. März 2015, LVwG-AV-56/001-2014, betreffend Feststellung gemäß § 10 Altlastensanierungsgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Melk; mitbeteiligte Partei: B GmbH in P, vertreten durch die Doralt Seist Csoklich Rechtsanwalts-Partnerschaft in 1090 Wien, Währinger Straße 2-4), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Melk (BH) vom 24. Juni 2013 wurde gemäß § 10 Altlastensanierungsgesetz (ALSAG) festgestellt, dass es sich bei den (Anmerkung: von der mitbeteiligten Partei) im Zeitraum März bis April 2012 auf dem Grundstück Nr. 237/5, KG B., abgelagerten 680 t Betondachsteinbruch "Flächenbefestigungsmaterial" und 113 t Baurestmassen um Abfall im Sinne des Abfallwirtschaftsgesetzes 2002 (AWG 2002) handle und dieser Abfall gemäß § 3 ALSAG auch dem Altlastenbeitrag unterliege. Ebenfalls wurde festgestellt, dass damit eine beitragspflichtige Tätigkeit vorliege und die Abfallkategorien gemäß § 6 Abs. 1 lit. b (Baurestmasse) und § 6 Abs. 1 lit. c (Betondachsteinbruch) ALSAG vorlägen.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich (LVwG) vom 16. März 2015 wurde der von der mitbeteiligten Partei gegen den Bescheid der BH (eingeschränkt auf die Bekämpfung der Feststellungen betreffend den Betondachsteinbruch "Flächenbefestigungsmaterial") erhobenen Beschwerde Folge gegeben. In Abänderung des erstinstanzlichen Bescheides wurde festgestellt, dass es sich bei dem im Zeitraum März bis April 2012 auf dem Grundstück Nr. 237/5 abgelagerten Betondachsteinbruch "Flächenbefestigungsmaterial" im Ausmaß von 680 t nicht um Abfall im Sinne des AWG 2002 handle, dieses Material nicht dem Altlastenbeitrag unterliege, keine beitragspflichtige Tätigkeit vorliege und die Feststellung, dass bei Betondachsteinbruch die Abfallkategorie gemäß § 6 Abs. 1 lit. c ALSAG vorliege, ersatzlos zu entfallen habe. Eine ordentliche Revision gegen dieses Erkenntnis wurde für nicht zulässig erklärt.

3 In seinen Erwägungen hielt das LVwG im Wesentlichen fest, in einem nach dem ALSAG abzuhandelnden Feststellungsverfahren treffe das erkennende Gericht die Obliegenheit, materiellrechtlich jene Rechtslage anzuwenden, die zu dem Zeitpunkt gegolten habe, zu dem der die Beitragspflicht auslösende Sachverhalt verwirklicht worden sei. Der Feststellungsantrag der potentiellen Beitragsschuldnerin habe sich auf einen von März bis Ende April 2012 verwirklichten Sachverhalt bezogen, sodass im verfahrensgegenständlichen Fall nach § 7 Abs. 1 ALSAG jene Rechtslage anzuwenden sei, welche am 31. März 2012 gegolten habe.

4 Im konkreten Fall liege (jedoch) zur Rechtsfrage, ob verfahrensgegenständlich ein Nebenprodukt oder Abfall gelagert worden sei, mit dem Feststellungsbescheid der BH vom 27. März 2014 ein rechtskräftiger, die Abfalleigenschaft verneinender Feststellungsbescheid nach § 6 Abs. 1 AWG 2002 vor. Derartige Feststellungsbescheide seien auch für die das ALSAG vollziehende Behörde bindend. Das LVwG habe seine Entscheidung an der zu diesem Zeitpunkt maßgeblichen Sach- und Rechtslage auszurichten. Es habe daher bei seiner Sachentscheidung die nach Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides von der BH getroffene, rechtskräftige Entscheidung zu berücksichtigen, wonach das verfahrensgegenständliche Flächenbefestigungsmaterial nicht als Abfall, sondern als Nebenprodukt anzusprechen sei.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliege außerordentliche Amtsrevision des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 In der vorliegenden Amtsrevision wird zur Zulässigkeit ausgeführt, das LVwG habe auf den zwischen der Entscheidung der BH vom 24. Juni 2013 und der Entscheidung des LVwG gemäß § 6 Abs. 1 Z 1 AWG 2002 ergangenen Feststellungsbescheid vom 27. März 2014 derart Bedacht genommen, dass es eine Bindung an die in diesem Bescheid getroffene Feststellung der Nichtabfalleigenschaft angenommen und eine selbständige Prüfung der Frage der Abfalleigenschaft unterlassen habe. Damit sei das LVwG von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur maßgeblichen Sach- und Rechtslage in einem Feststellungsverfahren nach § 10 ALSAG abgewichen. Die im Entscheidungszeitpunkt bestehende Sach- und Rechtslage sei grundsätzlich dann nicht maßgeblich, wenn der Gesetzgeber eine andere Regelung getroffen habe (z.B. Übergangsregelung) oder wenn sich aus dem Regelungsgegenstand der Norm, um deren Auslegung es gehe, anderes ergebe. Letzteres sei gegenständlich der Fall. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sei in einem Feststellungsverfahren nach § 10 ALSAG nicht nach jener Sach- und Rechtslage zu entscheiden, die im Zeitpunkt der Entscheidung gelte, sondern nach jener Sach- und Rechtslage, die zu dem Zeitpunkt gegolten habe, zu dem der die Beitragspflicht auslösende Sachverhalt verwirklicht worden sei. Das vom LVwG zitierte Erkenntnis VwGH vom 21.10.2014, Ro 2014/03/0076, stelle (lediglich) klar, dass dann, wenn die Verwaltungsbehörde ihrer Entscheidung die zum Zeitpunkt der Entscheidung bestehende Sach- und Rechtslage zugrunde zu legen gehabt habe, diesfalls auch das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung die zum Zeitpunkt seiner Entscheidung bestehende Sach- und Rechtslage zugrunde zu legen habe. Auf zwischen der Entscheidung der Verwaltungsbehörde und der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes eingetretene Änderungen in der Sach- und Rechtslage sei daher naturgemäß nur in diesen Verwaltungsangelegenheiten, nicht aber auch in jenen Verwaltungsangelegenheiten, in denen darüber abzusprechen gewesen sei, was an einem bestimmten Stichtag oder in einem bestimmten Zeitraum rechtens gewesen sei, Bedacht zu nehmen. Im gegenständlichen Fall liege somit eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor, weil das LVwG entgegen der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes in einem Verfahren nach § 10 ALSAG seiner Entscheidung die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner Entscheidung zugrunde gelegt habe.

10 Mit diesen Ausführungen wird keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

11 Es trifft zu, dass nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes in einem Feststellungsverfahren nach § 10 ALSAG die zeitliche Komponente des beitragspflichtigen Sachverhaltes ein von der Feststellungsbehörde zu beachtendes wesentliches Element darstellt. Es darf sich der Feststellungsbescheid nicht auf die Beurteilung der Beschaffenheit der Sachen im Beurteilungszeitpunkt beschränken, sondern muss vielmehr aussprechen, ob im Falle des Ablagerns von Abfällen die vom jeweiligen, zeitlich zu fixierenden Ablagerungsvorgang oder sonstigen beitragspflichtigen Sachverhalt betroffene bewegliche Sache Abfall und/oder Abfall welcher Kategorie war (vgl. etwa VwGH vom 20.5.2009, 2006/07/0103, mwN). Bei der Beurteilung der Tatbestandsvoraussetzungen nach § 10 Abs. 1 ALSAG ist jene Rechtslage anzuwenden, die zu dem Zeitpunkt gegolten hat, zu dem der die Beitragspflicht auslösende Sachverhalt verwirklicht worden war (vgl. VwGH vom 26.4.2013, 2010/07/0238, und vom 23.10.2014, Ra 2014/07/0031, jeweils mwN).

12 Die Anwendung der im Zeitpunkt der Verwirklichung des die Beitragspflicht auslösenden Sachverhalts geltenden Rechtslage bei der Beurteilung der Tatbestandsvoraussetzungen nach § 10 Abs. 1 ALSAG steht jedoch - wie das LVwG zutreffend erkannte - nicht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entgegen, wonach das Verwaltungsgericht seine Entscheidung an der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage auszurichten hat (vgl. VwGH vom 21.10.2014, Ro 2014/03/0076, vom 27.1.2016, Ra 2014/10/0038, und vom 28.1.2016, Ra 2015/07/0070).

13 Die Berücksichtigung eines nach Erlassung des erstinstanzlichen Feststellungsbescheides gemäß § 10 ALSAG neu entstandenen Sachverhaltselements - hier: in Form eines Feststellungsbescheides nach § 6 AWG 2002 -, das für die Beurteilung im Feststellungsverfahren gemäß § 10 Abs. 1 ALSAG maßgeblich sein kann, widerspricht entgegen der von der Revisionswerberin vertretenen Rechtsansicht nicht der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes.

14 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass die Rechtsordnung in Gestalt des § 4 AWG 1990 bzw. nunmehr des § 6 AWG 2002 Verfahren zur Verfügung stellt, in welchem die Frage des Vorliegens von Abfällen in einem auf dieses Thema zugeschnittenen und darauf spezialisierten Verfahren zu beantworten ist. Solche Feststellungsbescheide sind auch für die das ALSAG vollziehende Behörde bindend (vgl. erneut VwGH vom 26.4.2013, 2010/07/0238, mwN).

15 Dementsprechend bestehen grundsätzlich keine Bedenken, in einem Feststellungsverfahren nach § 10 ALSAG auch einen erst nach Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides ergangenen, auf § 6 AWG 2002 gestützten Feststellungsbescheid bei der Beurteilung zu berücksichtigen bzw. eine Bindung an diesen Bescheid anzunehmen (vgl. dazu auch die dem Erkenntnis VwGH vom 26.4.2013, 2010/07/0238, zugrunde liegende Fallkonstellation). Lediglich in jenen Fällen, in denen ein späterer Feststellungsbescheid nach § 6 AWG 2002 aus Gründen, die zeitlich nach dem für den ALSAG-Feststellungsbescheid maßgeblichen Zeitraum eingetreten sind, zu einem anderen Ergebnis kommt (vgl. dazu VwGH vom 31.3.2016, 2013/07/0156) oder in denen sich im umgekehrten Fall zeitlich nach einem nach § 6 AWG 2002 erlassenen Feststellungsbescheid der für die Beurteilung gemäß § 10 ALSAG relevante Sachverhalt geändert hätte (vgl. VwGH vom 25.1.2007, 2005/07/0139), wäre eine Bindung der ALSAG-Behörde an den Feststellungsbescheid nach § 6 AWG 2002 zu verneinen.

16 Dass gegenständlich eine derartige Fallkonstellation vorläge, wird in der Zulässigkeitsbegründung der Revision nicht vorgebracht.

17 Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 25. Oktober 2017

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