JudikaturVfGH

E522/2025 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
Öffentliches Recht
07. Oktober 2025
Leitsatz

Auswertung in Arbeit

Spruch

I. Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.640,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige Afghanistans und stellte am 11. März 2024 in der Österreichischen Botschaft in Teheran einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot – Karte plus", auf Grund des Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt-EU" des zusammenführenden Vaters, *** (im Folgenden: der Zusammenführende).

2. Mit Bescheid des Landeshauptmannes der Steiermark vom 28. August 2024 wurde dieser Antrag mangels ausreichender finanzieller Mittel gemäß §11 Abs2 Z4 NAG abgewiesen. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass die belangte Behörde das Verfahren absichtlich bis zur Volljährigkeit der Beschwerdeführerin, die zum Zeitpunkt der Antragstellung noch minderjährig gewesen sei, verzögert habe. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark wies die Beschwerde mit Erkenntnis vom 21. Jänner 2025 als unbegründet ab.

2.1. Begründend führte das Landesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass einem Fremden ein Aufenthaltstitel gemäß §11 Abs2 Z4 NAG nur dann erteilt werden dürfe, wenn der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könne. Als Einkommen zähle jede Geldleistung, die dem Antragsteller zur Verfügung steht. Es seien nicht "Momentaufnahmen" von Bedeutung, sondern Durchschnittswerte im Sinne einer Prognoseentscheidung heranzuziehen, um etwaige saisonale Schwankungen berücksichtigen zu können. Die Beurteilung, ob ausreichende Existenzmittel vorhanden sind, unterliege einer Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung der individuellen Umstände.

In Anbetracht des Umstandes, dass der Zusammenführende derzeit und über längere Zeit im Jahr 2024 arbeitslos gewesen sei, liege keine lediglich geringfügige Unterschreitung des erforderlichen Mindesteinkommens vor.

2.2. Im Hinblick auf das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin führt das Landesverwaltungsgericht lediglich aus:

"Den trotz der zweifellos bestehenden familiären Bindungen, somit persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin steht die aus der Verwirklichung des Versagungsgrundes iSd §11 Abs2 Z4 NAG resultierende Gefährdung öffentlicher Interessen gegenüber.

Im Hinblick auf die nach §11 Abs3 iVm Art8 EMRK vorzunehmende Interessensabwägung ist zu berücksichtigen, dass nach der einschlägigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach Art8 EMRK weder das Recht den geeignetsten Ort für die Entwicklung des Familienlebens zu wählen, noch die grundsätzliche Verpflichtung zur Herstellung des Familienlebens beinhaltet, es jedem Vertragsstaat unbenommen bleibt, die Einreise von Nichtstaatsangehörigen einer Kontrolle zu unterwerfen und auch nicht die Verpflichtung des Vertragsstaates besteht, die Wahl des Familienwohnsitzes durch verschiedene Familienmitglieder anzuerkennen und die Zusammenführung einer Familie auf sein Gebiet zu erlauben (VfGH 08.10.2003, G119/03), ist davon auszugehen, dass der Vater der Beschwerdeführerin, als Ankerperson, auch bei Nichtgewährung des beantragten Aufenthaltstitels, nicht gezwungen ist, Österreich und das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen, um das Familienleben mit der Beschwerdeführerin aufrechterhalten zu können."

3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 BVG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) sowie auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. Begründend wird dazu im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

3.1. Das Landesverwaltungsgericht habe die notwendigen Ermittlungen hinsichtlich des hinreichend gesicherten Lebensunterhalts des Zusammenführenden zum Entscheidungszeitpunkt unterlassen. Zudem fehle jegliche Begründung, auf Grund welcher konkreten Umstände bzw zu errechnenden Einkünfte vom Nichtvorliegen des hinreichend gesicherten Lebensunterhalts auszugehen sei.

3.2. Darüber hinaus habe das Landesverwaltungsgericht eine notwendige einzelfallbezogene Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände im Sinne des §11 Abs3 NAG iVm Art8 EMRK nicht durchgeführt. Die diesbezüglichen Ausführungen beschränkten sich ausschließlich auf standardisierte Textbausteine ohne jegliche einzelfallbezogene Auseinandersetzung im Sinne einer Interessenabwägung. Die Begründung des Landesverwaltungsgerichtes setze sich nicht einmal ansatzweise fallbezogen mit den tatsächlichen Kriterien zur Beurteilung des Privat- und Familienlebens der Beschwerdeführerin auseinander.

4. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.

II. Rechtslage

§§11 und 46 des Bundesgesetzes über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz – NAG), BGBl I 10/2005, idF BGBl I 206/2021 (§11), BGBl I 106/2022 (§46) lauten auszugsweise wie folgt:

"4. Hauptstück

Allgemeine Voraussetzungen

Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel

§11. (1) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nicht erteilt werden, wenn

1. gegen ihn ein aufrechtes Einreiseverbot gemäß §53 FPG oder ein aufrechtes Aufenthaltsverbot gemäß §67 FPG besteht;

2. gegen ihn ein aufrechtes Einreiseverbot (Art3 Z6 der Rückführungsrichtlinie) eines anderen EWR-Mitgliedstaats oder der Schweiz besteht;

2a. gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Art3 Z4 der Rückführungsrichtlinie) eines anderen EWR-Mitgliedstaats oder der Schweiz besteht;

3. gegen ihn eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung erlassen wurde und seit seiner Ausreise nicht bereits achtzehn Monate vergangen sind, sofern er nicht einen Antrag gemäß §21 Abs1 eingebracht hat, nachdem er seiner Ausreiseverpflichtung freiwillig nachgekommen ist;

4. eine Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§30 Abs1 oder 2) vorliegt;

5. eine Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalts im Zusammenhang mit §21 Abs6 vorliegt oder

6. er in den letzten zwölf Monaten wegen Umgehung der Grenzkontrolle oder nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet rechtskräftig bestraft wurde.

(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn

1. der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet;

2. der Fremde einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird;

3. der Fremde über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist;

4. der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;

5. durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden;

6. der Fremde im Fall eines Verlängerungsantrages (§24) das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß §9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl I Nr 68/2017, rechtzeitig erfüllt hat, und

7. in den Fällen der §§58 und 58a seit der Ausreise in einen Drittstaat gemäß §58 Abs5 mehr als vier Monate vergangen sind.

(3) Ein Aufenthaltstitel kann trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß Abs1 Z2a, 3, 5 oder 6 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs2 Z1 bis 7 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK), BGBl Nr 210/1958, geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen rechtswidrig war;

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4. der Grad der Integration;

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Drittstaatsangehörigen;

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Drittstaatsangehörigen in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(4) […]

(5) Der Aufenthalt eines Fremden führt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (Abs2 Z4), wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des §293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl Nr 189/1955, entsprechen. Feste und regelmäßige eigene Einkünfte werden durch regelmäßige Aufwendungen geschmälert, insbesondere durch Mietbelastungen, Kreditbelastungen, Pfändungen und Unterhaltszahlungen an Dritte nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Personen. Dabei bleibt einmalig ein Betrag bis zu der in §292 Abs3 zweiter Satz ASVG festgelegten Höhe unberücksichtigt und führt zu keiner Erhöhung der notwendigen Einkünfte im Sinne des ersten Satzes. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche (§2 Abs4 Z3) oder durch eine Haftungserklärung (§2 Abs1 Z15) ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten nur der das pfändungsfreie Existenzminimum gemäß §291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr 79/1896, übersteigende Einkommensteil zu berücksichtigen. In Verfahren bei Erstanträgen sind soziale Leistungen nicht zu berücksichtigen, auf die ein Anspruch erst durch Erteilung des Aufenthaltstitels entstehen würde, insbesondere Sozialhilfeleistungen oder die Ausgleichszulage. […]

Bestimmungen über die Familienzusammenführung

§46. (1) Familienangehörigen von Drittstaatsangehörigen ist ein Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus' zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen, und

1. der Zusammenführende einen Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte' gemäß §41, einen Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus' gemäß §41a Abs1, 4, 7a oder 7b, eine Niederlassungsbewilligung gemäß §43 Abs1, eine 'Niederlassungsbewilligung – Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit', sofern dieser Niederlassungsbewilligung eine Tätigkeit gemäß §1 Abs2 litf und i AuslBG zu Grunde liegt, oder eine 'Niederlassungsbewilligung – Forscher' gemäß §43c innehat,

1a. der Zusammenführende als nunmehriger Inhaber eines Aufenthaltstitels 'Daueraufenthalt – EU' ursprünglich einen Aufenthaltstitel nach Z1 innehatte,

2. ein Quotenplatz vorhanden ist und der Zusammenführende

a) einen Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt – EU' innehat,

b) einen Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus', ausgenommen einen solchen gemäß §41a Abs1, 4, 7a oder 7b innehat,

c) Asylberechtigter ist und §34 Abs2 AsylG 2005 nicht gilt,

d) als unionsrechtlich aufenthaltsberechtigter Drittstaatsangehöriger über eine Aufenthaltskarte gemäß §54 oder eine Daueraufenthaltskarte gemäß §54a verfügt oder

e) einen Aufenthaltstitel 'Artikel 50 EUV' innehat.

(1a) Bei Familienangehörigen von Inhabern eines Aufenthaltstitels 'Rot-Weiß-Rot – Karte' gemäß §41 richtet sich die Geltungsdauer des Aufenthaltstitels 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus' nach der Geltungsdauer des Aufenthaltstitels des Zusammenführenden. Der Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus' an Familienangehörige von Inhabern eines Aufenthaltstitels 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus' gemäß §41a Abs1 oder 7a ist für die Dauer von zwei Jahren auszustellen.

(2) Soll im Fall einer Familienzusammenführung gemäß Abs1 Z2 oder Abs4 ein Aufenthaltstitel quotenfrei erteilt werden, hat die Behörde auch über einen gesonderten Antrag als Vorfrage zur Prüfung der Gründe nach §11 Abs3 zu entscheiden und gesondert über diesen abzusprechen, wenn dem Antrag nicht Rechnung getragen wird. Ein solcher Antrag ist nur zulässig, wenn gleichzeitig ein Antrag in der Hauptfrage auf Familienzusammenführung eingebracht wird oder ein solcher bereits anhängig ist. […]

(6) Entscheidungen über die Erteilung eines Aufenthaltstitels 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus' an Familienangehörige von Inhabern

1. eines Aufenthaltstitels 'Blaue Karte EU' gemäß §42,

2. einer 'Niederlassungsbewilligung – Forscher' gemäß §43c oder

3. eines Aufenthaltstitels 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus' oder 'Daueraufenthalt EU', jeweils als ehemalige Inhaber eines Aufenthaltstitels 'Blaue Karte EU' gemäß §42, sind von der zuständigen Niederlassungs- und Aufenthaltsbehörde unverzüglich, längstens jedoch binnen acht Wochen zu treffen. Der Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus' an Familienangehörige gemäß Z3 ist für die Dauer von zwei Jahren auszustellen. In den Fällen der Z1 und 2 richtet sich die Geltungsdauer des Aufenthaltstitels 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus' nach der Geltungsdauer des Aufenthaltstitels des Zusammenführenden."

III. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 13.836/1994, 14.650/1996, 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

2.1. Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001, 20.374/2020; VfGH 14.3.2023, E3480/2022), oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001, 18.614/2008, 20.448/2021 und 20.478/2021).

2.2. Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001, 20.371/2020 und 20.405/2020).

3. Ein solcher Fehler ist dem Landesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in seiner Entscheidung VfSlg 20.282/2018 festgestellt hat, liegt es im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, verschiedene Voraussetzungen für den erstmaligen Zuzug bzw die Erteilung von Aufenthaltstiteln vorzusehen. Diesen rechtspolitischen Gestaltungsspielraum hat der Gesetzgeber mit der Festlegung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung der Selbsterhaltungsfähigkeit in §11 Abs2 Z4 iVm Abs5 NAG auch nicht überschritten. Der Verfassungsgerichtshof hat in VfSlg 20.282/2018 aber auch darauf hingewiesen, dass gemäß §11 Abs3 NAG trotz Nichterfüllung der Voraussetzung der Selbsterhaltungsfähigkeit der Aufenthaltstitel zu erteilen ist, wenn dies auf Grund des Art8 EMRK geboten ist. Art8 EMRK verlangt eine gewichtende Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen mit dem persönlichen Interesse des Fremden an einem Verbleib in Österreich (vgl statt vieler VwGH 18.6.2009, 2008/22/0387). §11 Abs3 NAG legt hiezu Kriterien für die Beurteilung des Privat- und Familienlebens fest.

3.2. Im vorliegenden Fall kommt das Landesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der es im Wesentlichen nur um die Erwerbstätigkeit des Zusammenführenden ging zum Ergebnis, dass die Beschwerde mangels Nachweises eines ausreichenden Einkommens abzuweisen sei. Das Landesverwaltungsgericht geht in seinem Erkenntnis ferner davon aus, dass familiäre Bindungen der Beschwerdeführerin zu ihrem Vater "zweifellos" bestünden. Das Erkenntnis enthält jedoch weder konkrete Feststellungen zum Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin und des Zusammenführenden noch die nach §11 Abs3 NAG gebotene Interessenabwägung.

4. Indem das Landesverwaltungsgericht die Durchführung der gemäß §11 Abs3 NAG vor dem Hintergrund des Art8 EMRK gebotenen Interessenabwägung gänzlich unterlässt, hat es die Rechtslage grob verkannt und die Beschwerdeführerin in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt. Das Erkenntnis ist aus diesem Grund aufzuheben.

IV. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 400,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.