JudikaturVfGH

E988/2025 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
Öffentliches Recht
17. September 2025
Leitsatz

Auswertung in Arbeit

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger und stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 30. August 2023 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Mit Bescheid vom 22. November 2024 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei ab, erteilte dem Beschwerdeführer keine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß §57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückehrentscheidung, stellte die Zulässigkeit der Abschiebung in die Türkei fest und gewährte eine 14 tägige Frist für die freiwillige Ausreise.

2. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem nunmehr angefochtenen, am 8. April 2025 mündlich verkündeten Erkenntnis unter Angabe folgender Entscheidungsgründe als unbegründet ab:

"Der relevante Sachverhalt ergibt sich aus dem Ergebnis der Verhandlung. Das Vorbringen zu den behaupteten Ausreisegründen bzw Rückkehrhindernissen erwies sich als nicht glaubhaft und ergaben sich im Rahmen der gerichtlichen Prüfung keine rechtlich relevanten Rückkehrhindernisse. Insbesondere spricht die allgemeine Lage in der Türkei, konkret in der Herkunftsregion nicht gegen eine Rückkehr der beschwerdeführenden Partei. Mangels gegenteiliger Hinweise geht das BVwG davon aus, dass die beschwerdeführende Partei ebenso wie die sonstige Bevölkerung der Türkei, konkret in der Herkunftsregion über eine Existenzgrundlage verfügt und bestehen keine medizinischen oder sonstigen Rückkehrhindernisse.

Die seitens der beschwerdeführenden Partei beschriebenen privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet werden als wahr unterstellt.

Die Voraussetzungen des §57 FPG liegen nicht vor und ist im Rahmen einer Interessensabwägung gemäß Art8 Abs2 EMRK von einem Überwiegen der öffentlichen Interessen auszugehen. Es ergaben sich keine Gründe für eine Unzulässigkeit der Abschiebung in die Türkei. Die Frist für die freiwillige Ausreise war mit 14 Tagen festzulegen."

3. Mit Schriftsatz vom 9. April 2025 beantragte der Beschwerdeführer die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses.

4. Ebenfalls mit Schriftsatz vom 9. April 2025 erhob der Beschwerdeführer die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde gegen das am 8. April 2025 mündlich verkündete Erkenntnis, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird. Begründend wird dazu unter anderem ausgeführt, dass sich das Bundesverwaltungsgericht nicht mit den vom Beschwerdeführer vorgebrachten Fluchtmotiven auseinandergesetzt und es unterlassen habe, die wesentlichen Entscheidungsgründe zur Abweisung der Beschwerde auszuführen. Dem angefochtenen Erkenntnis fehlten sämtliche Feststellungen des Sachverhaltes, es existiere überhaupt keine Beweiswürdigung und es gebe keine rechtliche Beurteilung.

5. Am 28. Mai 2025 erfolgte die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses.

6. Nach Zustellung der schriftlichen Ausfertigung erstattete der Beschwerdeführer am 31. Mai 2025 eine "Beschwerdeergänzung".

7. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.

8. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat keine Äußerung erstattet.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 13.836/1994, 14.650/1996, 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001, 20.374/2020; VfGH 14.3.2023, E3480/2022), oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001, 18.614/2008, 20.448/2021 und 20.478/2021).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001, 20.371/2020 und 20.405/2020).

3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. Gemäß §29 Abs1 VwGVG sind Erkenntnisse im Namen der Republik zu verkünden und auszufertigen; zudem sind sie zu begründen. Nach §29 Abs2 leg cit hat das Verwaltungsgericht in der Regel, sofern eine Verhandlung in Anwesenheit von Parteien stattgefunden hat, das Erkenntnis mit den wesentlichen Entscheidungsgründen sogleich zu verkünden. Gemäß §29 Abs4 leg cit ist den Parteien eine schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses zuzustellen.

3.2. Daraus ergibt sich, dass ein mündlich verkündetes Erkenntnis die tragenden Elemente der Begründung zu enthalten hat. Das Bundesverwaltungsgericht stellt in der Niederschrift der mündlichen Verhandlung unter der Überschrift "Entscheidungsgründe" zunächst lediglich rudimentär fest, dass das Vorbringen zu den Ausreisegründen bzw Rückkehrhindernissen nicht glaubhaft sei und sich keine rechtlich relevanten Rückkehrhindernisse ergeben hätten; insbesondere spreche die allgemeine Lage in der Türkei – konkret in der Herkunftsregion – nicht gegen eine Rückkehr des Beschwerdeführers; mangels gegenteiliger Hinweise sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer (ebenso wie die sonstige Bevölkerung der Türkei) – konkret in der Herkunftsregion – über eine Existenzgrundlage verfüge und keine medizinischen oder sonstigen Rückkehrhindernisse bestünden. Zudem würden die vom Beschwerdeführer beschriebenen privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet vom Bundesverwaltungsgericht als wahr unterstellt. Des Weiteren lägen die "Voraussetzungen des §57 FPG" nicht vor; im Rahmen einer Interessenabwägung iSd Art8 Abs2 EMRK sei von einem Überwiegen der öffentlichen Interessen auszugehen. Schließlich hätten sich keine Gründe für eine Unzulässigkeit der Abschiebung in die Türkei ergeben; die Frist für die freiwillige Ausreise sei mit 14 Tagen festzulegen gewesen.

Mit diesen äußerst knapp und formelhaft gehaltenen, keinerlei fallbezogene Beweiswürdigung enthaltenden Ausführungen im Hinblick auf die Abweisung der Beschwerde ist es dem Bundesverwaltungsgericht aber nicht gelungen, das Mindestmaß einer für die nachprüfende Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof erforderlichen Begründung zu erreichen. Das Bundesverwaltungsgericht trifft damit bloß pauschale Aussagen ohne jedwede Individualisierung in Bezug auf den Beschwerdefall; mangels Begründungswertes kommen diese sohin einer Nichtbegründung gleich. Eine solche "Begründung" widerspricht den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung gerichtlicher Entscheidungen, wodurch das angefochtene Erkenntnis mit Willkür belastet ist (vgl zB VfGH 28.11.2019, E3541/2019; 9.6.2020, E4561/2019 ua; 9.12.2020, E2750/2020; vgl auch VfSlg 20.360/2019).

3.3. Die schriftliche Ausfertigung der Entscheidung erfolgte knapp zwei Monate nach der mündlichen Verkündung und enthält Begründungselemente zu den angesprochenen Punkten; dies kann aber den Mangel des Fehlens der wesentlichen Entscheidungsgründe in der mündlichen Verkündung nicht beseitigen. Insgesamt widerspricht eine derartige Vorgangsweise den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung gerichtlicher Entscheidungen (vgl VfSlg 20.360/2019; VfGH 9.6.2020, E4424/2019 ua, mwN).

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher schon aus diesem Grund aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Fassung vor der Novelle BGBl I 20/2025 in Höhe von € 240,– enthalten.