Leitsatz
Gesetzwidrigkeit einer FahrtrichtungsV der Bürgermeisterin der Stadtgemeinde Innsbruck mangels ordnungsgemäßer Kundmachung; signifikante Abweichung des Aufstellungsortes des Verkehrszeichens (ca 20m) vor der Kreuzung
Spruch
I. In der Verordnung der Bürgermeisterin der Stadtgemeinde Innsbruck vom 18. September 2013, ZII-1316/2013-3, kundgemacht durch Anbringung von Straßenverkehrszeichen, wird die Wort- und Zeichenfolge "3. 'Vorgeschriebene Fahrtrichtung nach rechts' (§52 litb Z15 StVO) Ostfahrbahn des Bozner Platzes: an der Kreuzung mit der Nordfahrbahn, für den Verkehr in Richtung Norden" als gesetzwidrig aufgehoben.
II. Die Tiroler Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.
Entscheidungsgründe
I. Antrag
Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Tirol, der Verfassungsgerichtshof möge "den Punkt 3. der Verordnung der Bürgermeisterin der Stadtgemeinde Innsbruck vom 18.09.2013, Zl II1316/2013-3, wegen Verstoßes gegen §44 Abs1 StVO 1960 […] beheben".
II. Rechtslage
1. Die Verordnung der Bürgermeisterin der Landeshauptstadt Innsbruck vom 18. September 2013, ZII 1316/2013 3, hat folgenden Wortlaut (Zitat ohne die Hervorhebungen im Original):
"VERORDNUNG
Auf Grund §43 Abs1 litb und §94b StVO 1960, BGBl 159, zuletzt geändert durch das Gesetz BGBl I Nr 33/2013, wird verordnet:
BOZNER PLATZ:
1. 'Einfahrt verboten' (§52 lita Z2 StVO)
- ausgenommen Radfahrer -
Ostfahrbahn des Bozner Platzes: an der Kreuzung mit der Nordfahrbahn, für den Verkehr in Richtung Süden
2. 'Einbiegen nach rechts verboten' (§52 lita Z3b StVO)
- ausgenommen Radfahrer -
Nordfahrbahn des Bozner Platzes: an der Kreuzung mit der Ostfahrbahn, für den Verkehr in Richtung Osten
3. 'Vorgeschriebene Fahrtrichtung nach rechts' (§52 litb Z15 StVO)
Ostfahrbahn des Bozner Platzes: an der Kreuzung mit der Nordfahrbahn, für den Verkehr in Richtung Norden
Dieser Verordnung entgegenstehende Verkehrsregelungen werden aufgehoben.
Für die Bürgermeisterin:
[…]"
2. Die für die Beurteilung der Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Verordnungsbestimmung anzuwendenden Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 6. Juli 1960, mit dem Vorschriften über die Straßenpolizei erlassen werden (Straßenverkehrsordnung 1960 – StVO. 1960), , lauten in der jeweils maßgeblichen Fassung wie folgt (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen):
"§44. Kundmachung der Verordnungen.
(1) Die im §43 bezeichneten Verordnungen sind, sofern sich aus den folgenden Absätzen nichts anderes ergibt, durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen kundzumachen und treten mit deren Anbringung in Kraft. Der Zeitpunkt der erfolgten Anbringung ist in einem Aktenvermerk (§16 AVG) festzuhalten. Parteien im Sinne des §8 AVG ist die Einsicht in einen solchen Aktenvermerk und die Abschriftnahme zu gestatten. […]
(1a)–(5) […]
[…]
§48. Anbringung der Straßenverkehrszeichen.
(1) Die Straßenverkehrszeichen (§§50, 52 und 53) sind als Schilder aus festem Material unter Bedachtnahme auf die Art der Straße und unter Berücksichtigung der auf ihr üblichen Verkehrsverhältnisse, namentlich der darauf üblichen Geschwindigkeit von Fahrzeugen, in einer solchen Art und Größe anzubringen, daß sie von den Lenkern herannahender Fahrzeuge leicht und rechtzeitig erkannt werden können. Im Verlauf derselben Straße sind womöglich Straßenverkehrszeichen mit gleichen Abmessungen zu verwenden.
(1a)–(6) […]
[…]
§52. Die Vorschriftszeichen
Die Vorschriftszeichen sind
a) Verbots- oder Beschränkungszeichen,
b) Gebotszeichen oder
c) Vorrangzeichen.
a) Verbots- oder Beschränkungszeichen
1.–14b. […]
b) Gebotszeichen.
15. 'VORGESCHRIEBENE FAHRTRICHTUNG'
[Zeichen]
Dieses Zeichen zeigt an, dass Lenker von Fahrzeugen nur in der durch den Pfeil angegebenen Fahrtrichtung fahren dürfen. Der Pfeil kann der jeweiligen örtlichen Verkehrslage entsprechend, z. B. senkrecht, gebogen, geneigt oder mit mehr als einer Spitze ausgeführt sein. Ein nach unten geneigter Pfeil zeigt den zu benützenden Fahrstreifen an. Durch eine Zusatztafel oder durch weiße Aufschrift im blauen Feld unter dem Pfeil kann angezeigt werden, dass das Gebot nur für eine bestimmte Gruppe von Straßenbenützern gilt.
Das Zeichen ist, sofern es sich auf eine Kreuzung bezieht, in angemessenem Abstand vor der Kreuzung, sonst vor der Stelle, für die es gilt, anzubringen; bei einer einmündenden Straße darf dieses Zeichen statt vor der Kreuzung auch nur gegenüber der einmündenden Straße angebracht werden. Das Zeichen darf entsprechend dem angestrebten Gebot auch nur auf der Fahrbahn (wie etwa auf einer Schutzinsel oder vor einem Hindernis) angebracht werden.
15a.–22a. […]
c) Vorrangzeichen
23.–25b. […]"
III. Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Mit Spruchpunkt 1. des Straferkenntnisses der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 7. Juni 2024 wurde dem Beschwerdeführer im Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol zur Last gelegt, er habe am 19. Juli 2023, um 8.49 Uhr, als Lenker eines nach dem Kennzeichen näher bestimmten Personenkraftwagens in "6020 Innsbruck, Bozner Platz 4, von der Adamsgasse kommend in Richtung Westen", das deutlich sichtbar aufgestellte Gebotszeichen "Vorgeschriebene Fahrtrichtung" nicht beachtet und die Fahrt nicht im Sinne des Gebotszeichens "nach rechts" fortgesetzt. Über den Beschwerdeführer wurde daher wegen einer Übertretung des §52 litb Z15 StVO 1960 gemäß §99 Abs3 lita StVO 1960 eine Geld- und Ersatzfreiheitsstrafe verhängt.
2. Aus Anlass des Beschwerdeverfahrens gegen dieses Straferkenntnis stellt das Landesverwaltungsgericht Tirol den vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B VG gestützten Antrag, "den Punkt 3. der Verordnung der Bürgermeisterin der Stadtgemeinde Innsbruck vom 18.09.2013, Zl II1316/2013-3, wegen Verstoßes gegen §44 Abs1 StVO 1960 zu beheben".
2.1. Das Landesverwaltungsgericht Tirol weist zunächst darauf hin, dass die angefochtene Verordnungsbestimmung laut Aktenvermerk der Magistratsabteilung III, Tiefbau-, Straßenverwaltung, am 5. Dezember 2013 auf der Ostfahrbahn des Bozner Platzes, an der Kreuzung mit der Nordfahrbahn für den Verkehr in Richtung Norden, durch Anbringung des entsprechenden Straßenverkehrszeichens kundgemacht worden sei. Sie sei daher mit verbindlicher Wirkung für jedermann zustande gekommen und stehe in Geltung.
2.2. In der Folge legt das Landesverwaltungsgericht Tirol seine Bedenken wie folgt dar: Das Gebotszeichen "Vorgeschriebene Fahrtrichtung nach rechts" sei nicht entsprechend der angefochtenen Bestimmung in Punkt 3. der Verordnung der Bürgermeisterin der Stadtgemeinde Innsbruck vom 18. September 2013, "an der Kreuzung mit der Nordfahrbahn, für den Verkehr in Richtung Norden", sondern laut Mitteilung der Abteilung Parkraumbewirtschaftung, Straßenverkehr und Straßenrecht des Stadtmagistrates der Stadt Innsbruck etwa 20 Meter weiter südlich aufgestellt worden. Dies stelle eine signifikante Abweichung im Sinne der Rechtsprechung zu §44 Abs1 StVO 1960 dar, sodass Bedenken gegen die gesetzmäßige Kundmachung der angefochtenen Verordnungsbestimmung bestünden.
3. Die verordnungserlassende Behörde hat die Akten betreffend das Zustandekommen der zur Prüfung gestellten Verordnung vorgelegt und den vom Landesverwaltungsgericht Tirol in seinem Antrag dargelegten Kundmachungsmangel zum Tatzeitpunkt am 19. Juli 2023 bestätigt.
4. Die Tiroler Landesregierung hat auf die Erstattung einer Äußerung verzichtet und mitgeteilt, dass sie über keine auf die angefochtene Verordnungsbestimmung Bezug habenden Akten verfüge.
5. Der Beschwerdeführer im Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol hat als beteiligte Partei eine Äußerung erstattet, in der er sich im Wesentlichen den Bedenken des Landesverwaltungsgerichtes Tirol anschließt.
IV. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit des Antrages
1.1. Der Verfassungsgerichtshof geht zu Art89 Abs1 B VG beginnend mit dem Erkenntnis VfSlg 20.182/2017 davon aus, dass eine "gehörig kundgemachte" generelle Norm – also eine an einen unbestimmten, externen Personenkreis adressierte, verbindliche Anordnung von Staatsorganen – bereits dann vorliegt, wenn eine solche Norm ein Mindestmaß an Publizität und somit rechtliche Existenz erlangt (VfSlg 20.182/2017 mwN). Es ist nicht notwendig, dass die Kundmachung der Norm in der rechtlich vorgesehenen Weise erfolgt. Demnach haben auch Gerichte gesetzwidrig kundgemachte Verordnungen gemäß Art139 B VG anzuwenden und diese, wenn sie Bedenken gegen ihre rechtmäßige Kundmachung haben, vor dem Verfassungsgerichtshof anzufechten. Bis zur Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof sind sie für jedermann verbindlich (vgl VfSlg 20.251/2018).
Die angefochtene Verordnungsbestimmung wurde ausweislich der vorgelegten Akten durch Anbringung von Straßenverkehrszeichen kundgemacht, sodass sie ein Mindestmaß an Publizität erreicht hat und mit verbindlicher Wirkung für jedermann zustande gekommen ist.
1.2. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).
Im Verfahren hat sich nichts ergeben, was am Vorliegen dieser Voraussetzung zweifeln ließe. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag insgesamt als zulässig.
2. In der Sache
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den im Antrag dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).
2.2. Der Antrag ist begründet.
2.2.1. Gemäß Punkt 3. der Verordnung der Bürgermeisterin der Stadtgemeinde Innsbruck vom 18. September 2013, ZII1316/2013-3, ist auf der Ostfahrbahn des Bozner Platzes, "an der Kreuzung mit der Nordfahrbahn, für den Verkehr in Richtung Norden" gemäß §52 litb Z15 StVO 1960 die "Vorgeschriebene Fahrtrichtung nach rechts" verordnet.
2.2.2. Das Landesverwaltungsgericht Tirol macht geltend, dass diese Verordnungsbestimmung im Hinblick auf §44 Abs1 StVO 1960 nicht gesetzmäßig kundgemacht sei.
2.2.3. Gemäß §44 Abs1 StVO 1960 sind die in §43 StVO 1960 bezeichneten Verordnungen, sofern sich aus den folgenden Absätzen nichts anderes ergibt, durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen kundzumachen und treten mit deren Anbringung in Kraft. Nach §52 litb Z15 StVO 1960 sind Gebotszeichen gemäß dieser Bestimmung, die sich auf eine Kreuzung beziehen, in angemessenem Abstand vor der Kreuzung anzubringen. Das setzt ua voraus, dass das Gebotszeichen von allen Verkehrsteilnehmern leicht erkannt und der Kreuzung, auf die es sich bezieht, unmissverständlich zugeordnet werden kann (vgl auch §48 Abs1 StVO 1960).
2.2.4. Die verordnungserlassende Behörde hat das Bedenken des Landesverwaltungsgerichtes Tirol, wonach das Straßenverkehrszeichen zur Kundmachung der in Rede stehenden Verordnungsbestimmung nicht "an der Kreuzung mit der Nordfahrbahn, für den Verkehr in Richtung Norden", sondern etwa 20 Meter weiter südlich aufgestellt worden sei, bestätigt. Für den Verfassungsgerichtshof steht daher fest, dass die Kundmachung der angefochtenen Verordnungsbestimmung 20 Meter von der Kreuzung entfernt erfolgt ist. Im Lichte der dem Verfassungsgerichtshof vorgelegten Unterlagen, ist der Abstand von 20 Metern zwischen dem Gebotszeichen und der in Rede stehenden Kreuzung im konkreten Fall zu groß, um noch als angemessen iSd §52 litb Z15 StVO 1960 gelten zu können (vgl auch §51 Abs2 StVO 1960). Die Kundmachung der angefochtenen Verordnungsbestimmung erweist sich daher als gesetzwidrig.
2.3. Gemäß Art139 Abs3 Z3 B VG hat der Verfassungsgerichtshof nicht nur die präjudiziellen Teile einer Verordnung, sondern die ganze Verordnung aufzuheben (vgl VfSlg 18.068/2007), wenn er zur Auffassung gelangt, dass die ganze Verordnung gesetzwidrig kundgemacht wurde. Diese Bestimmung ist von dem Gedanken getragen, den Verfassungsgerichtshof in die Lage zu versetzen, in all jenen Fällen, in denen die festgestellte Gesetzwidrigkeit der präjudiziellen Verordnungsstelle offenkundig auch alle übrigen Verordnungsbestimmungen erfasst, die ganze Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben (vgl VfSlg 19.128/2010).
Der festgestellte Kundmachungsmangel betrifft jedoch ausschließlich die angefochtene – im Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol präjudizielle – Verordnungsbestimmung. Die Verordnung der Bürgermeisterin der Stadtgemeinde Innsbruck vom 18. September 2013, ZII 1316/2013 3, enthält weitere Verkehrsregelungen, die auf andere Weise, insbesondere durch Anbringung entsprechender Straßenverkehrszeichen, an näher bezeichneten Orten kundzumachen sind. Eine Aufhebung der ganzen Verordnung gemäß Art139 Abs3 Z3 B VG kommt daher im vorliegenden Verfahren nicht in Betracht.
V. Ergebnis
1. Die Wort- und Zeichenfolge "3. 'Vorgeschriebene Fahrtrichtung nach rechts' (§52 litb Z15 StVO) Ostfahrbahn des Bozner Platzes: an der Kreuzung mit der Nordfahrbahn, für den Verkehr in Richtung Norden" in der Verordnung der Bürgermeisterin der Stadtgemeinde Innsbruck vom 18. September 2013, ZII 1316/2013-3, ist als gesetzwidrig aufzuheben.
2. Die Verpflichtung der Tiroler Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz BVG und §59 Abs2 VfGG iVm §2 Abs1 litj Tir Landes Verlautbarungsgesetz 2021.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Der beteiligten Partei sind die für die abgegebene Äußerung begehrten Kosten nicht zuzusprechen, da es im Falle eines auf Antrag eines Gerichtes eingeleiteten Normenprüfungsverfahrens Sache des antragstellenden Gerichtes ist, über allfällige Kostenersatzansprüche nach den für sein Verfahren geltenden Vorschriften zu erkennen (zB VfSlg 19.019/2010 mwN).