JudikaturVfGH

G20/2025 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
Datenschutzrecht
25. Februar 2025
Leitsatz

Zurückweisung eines Parteiantrags auf Aufhebung einer Bestimmung der StPO betreffend die Legaldefinition der Überwachung von Nachrichten

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd BVG gestützten Antrag begehrt der Antragsteller, der Verfassungsgerichtshof möge §134 Z3 Strafprozeßordnung 1975 (StPO), BGBl 631/1975, idF BGBl I 182/2023 als verfassungswidrig aufheben.

II. Rechtslage

Die Strafprozeßordnung 1975 (StPO), BGBl 631/1975, idF BGBl I 182/2023 lautet auszugsweise (die angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben):

"8. Hauptstück

Ermittlungsmaßnahmen und Beweisaufnahme

[…]

5. Abschnitt

Beschlagnahme von Briefen, Auskunft über Stamm- und Zugangsdaten, Auskunft über Daten einer Nachrichtenübermittlung, Lokalisierung einer technischen Einrichtung, Anlassdatenspeicherung und Überwachung von Nachrichten, verschlüsselter Nachrichten und von Personen

Definitionen

§134. Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist

[…]

3. 'Überwachung von Nachrichten' das Überwachen von Nachrichten und Informationen, die von einer natürlichen Person über ein Kommunikationsnetz (§4 Z1 TKG 2021) oder einen Dienst der Informationsgesellschaft (§1 Abs1 Z2 des Notifikationsgesetzes) gesendet, übermittelt oder empfangen werden,

[…]

Beschlagnahme von Briefen, Auskunft über Stamm- und Zugangsdaten, Auskunft über Daten einer Nachrichtenübermittlung, Lokalisierung einer technischen Einrichtung, Anlassdatenspeicherung und Überwachung von Nachrichten

§135. […]

(3) Überwachung von Nachrichten ist zulässig,

1. in den Fällen des Abs2 Z1,

2. in den Fällen des Abs2 Z2, sofern der Inhaber der technischen Einrichtung, die Ursprung oder Ziel einer Übertragung von Nachrichten war oder sein wird, der Überwachung zustimmt,

3. wenn dies zur Aufklärung einer vorsätzlich begangenen Straftat, die mit Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bedroht ist, erforderlich erscheint oder die Aufklärung oder Verhinderung von im Rahmen einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung oder einer kriminellen Organisation (§§278 bis 278b StGB) begangenen oder geplanten Straftaten ansonsten wesentlich erschwert wäre und

a. der Inhaber der technischen Einrichtung, die Ursprung oder Ziel einer Übertragung von Nachrichten war oder sein wird, der vorsätzlich begangenen Straftat, die mit Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bedroht ist, oder einer Straftat gemäß §§278 bis 278b StGB dringend verdächtig ist, oder

b. auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass eine der Tat (lita) dringend verdächtige Person die technische Einrichtung benützen oder mit ihr eine Verbindung herstellen werde;

4. in den Fällen des Abs2 Z4."

III. Anlassverfahren und Antragsvorbringen

1. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 18. November 2024 wurde der Antragsteller wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach §§28a Abs1 fünfter Fall, Abs2 Z2 und Abs4 Z3 SMG, 12 dritter Fall StGB und des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach §27 Abs1 Z1 zweiter Fall und Abs2 SMG zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt.

2. Anlässlich einer gegen dieses Urteil fristgerecht erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung stellte der Antragsteller den vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B VG gestützten Antrag.

Der Antragsteller bringt vor, seine Verurteilung basiere im Wesentlichen auf von den französischen Behörden übermittelten, ursprünglich verschlüsselten Chatverläufen des Anbieters "SKY ECC". Diese unterlägen in Österreich einem Beweisverwertungsverbot. Der Oberste Gerichtshof, der die Verwertung derartiger Chatverläufe für zulässig erachte (Verweis auf OGH 7.1.2025, 11 Os 147/24p), lege §134 Z3 StPO verfassungswidrig aus. Insbesondere widerspreche diese Auslegung den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofes im Erkenntnis VfSlg 20.356/2019 (Bundestrojaner). Der Antragsteller wolle mit seinem Antrag Rechtssicherheit darüber erlangen, ob §134 Z3 StPO auch die Überwachung von verschlüsselten Nachrichten ohne Anfangsverdacht erfasse.

IV. Zulässigkeit

1. Der Antrag ist unzulässig.

2. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

Dieser Grundposition folgend hat der Verfassungsgerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011, 20.154/2017). Der Antragsteller hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des Antragstellers teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; VfGH 10.3.2015, G201/2014).

3. Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes kommt Legaldefinitionen in der Regel keine eigenständige normative Bedeutung zu. Eine solche wird grundsätzlich erst im Zusammenhang mit anderen Regelungen, die diesen Begriff verwenden, bewirkt (vgl VfSlg 17.340/2004, 18.087/2007, 20.213/2017; VfGH 12.12.2016, G105/2016; 14.6.2018, G298/2017; 13.6.2023, G204/2023; 25.11.2024, G177/2024).

3.1. Im Sinne dieser Rechtsprechung ist die angefochtene Bestimmung eine Legaldefinition ohne eigenständige normative Wirkung (vgl die Überschrift "Definitionen" des §134 StPO), legt also lediglich fest, was eine "Überwachung von Nachrichten" im Sinne dieses Gesetzes ist. Einen normativen Gehalt entfaltet dieser Begriff erst in Verbindung mit jenen Vorschriften, die ihn gebrauchen, etwa §135 Abs3 StPO.

3.2. Da der Antragsteller §134 Z3 StPO isoliert anficht, erweist sich der Antrag wegen zu eng gewählten Anfechtungsumfanges als unzulässig.

V. Ergebnis

1. Der Antrag ist als unzulässig zurückzuweisen.

2. Dies konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.