JudikaturVfGH

G177/2024 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
25. November 2024

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B VG gestützten Antrag begehrt die Antragstellerin, der Verfassungsgerichtshof möge "die Wortfolge '(…) ihre Wahl- (…)eltern, ihre Wahl- (…) Kinder' in §72 Abs1 BGBl Nr 60/1974 in der Fassung BGBl I Nr 25/2013, […] in eventu, die Wortfolge '(…) oder zum Nachteil eines anderen Angehörigen begeht, sofern er mit diesem in Hausgemeinschaft lebt' in §166 Abs1 StGB, BGBl Nr 60/1974 in der Fassung BGBl I Nr 112/2015", als verfassungswidrig aufheben.

II. Rechtslage

Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 23. Jänner 1974 über die mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlungen (Strafgesetzbuch – StGB), BGBl 60/1974, idF BGBl I 135/2023 lauten wie folgt (die mit dem Hauptantrag angefochtenen Wortfolgen sind hervorgehoben):

" Angehörige

§72

(1) Unter Angehörigen einer Person sind ihre Verwandten und Verschwägerten in gerader Linie, ihr Ehegatte oder eingetragener Partner und die Geschwister des Ehegatten oder eingetragenen Partners, ihre Geschwister und deren Ehegatten oder eingetragene Partner, Kinder und Enkel, die Geschwister ihrer Eltern und Großeltern, ihre Vettern und Basen, der Vater oder die Mutter ihres Kindes, ihre Wahl- und Pflege eltern , ihre Wahl- und Pflege kinder , sowie Personen, über die ihnen die Obsorge zusteht oder unter deren Obsorge sie stehen, zu verstehen.

(2) […]."

" Untreue

§153

(1) Wer seine Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, wissentlich missbraucht und dadurch den anderen am Vermögen schädigt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.

(2) Seine Befugnis missbraucht, wer in unvertretbarer Weise gegen solche Regeln verstößt, die dem Vermögensschutz des wirtschaftlich Berechtigten dienen.

(3) Wer durch die Tat einen 5 000 Euro übersteigenden Schaden herbeiführt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, wer einen 300 000 Euro übersteigenden Schaden herbeiführt, mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren zu bestrafen."

" Begehung im Familienkreis

§166

(1) Wer […] eine Untreue […] zum Nachteil seines Ehegatten, seines eingetragenen Partners, eines Verwandten in gerader Linie, seines Bruders oder seiner Schwester oder zum Nachteil eines anderen Angehörigen begeht, sofern er mit diesem in Hausgemeinschaft lebt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen, wenn die Tat jedoch sonst mit einer Freiheitsstrafe bedroht wäre, die drei Jahre erreicht oder übersteigt, mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen. Ein Vormund, Kurator oder Sachwalter, der zum Nachteil desjenigen handelt, für den er bestellt worden ist, wird jedoch nicht begünstigt.

(2) Ebenso ist zu bestrafen, wer sich an der Tat bloß zum Vorteil eines anderen beteiligt (§12), der zum Verletzten in einer der genannten Beziehungen steht.

(3) Der Täter ist nur auf Verlangen des Verletzten zu verfolgen."

III. Sachverhalt und Antragsvorbringen

1. Die Antragstellerin wurde mit Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 10. September 2024 wegen des Vergehens der Untreue nach §153 Abs1 und Abs3 erster Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, die bedingt nachgesehen wurde (§43 Abs1 StGB). Dies deshalb, weil die Antragstellerin vom 8. Mai 2018 bis 13. Juni 2022 ihre Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen, wissentlich missbraucht und dadurch ihren Wahlvater in einem Betrag von EUR 23.766,90 am Vermögen geschädigt habe, indem sie ihre Zeichnungsberechtigung über dessen Konto für Zahlungen genutzt habe, die nicht dessen Belange betrafen, etwa durch Überweisungen auf ihr eigenes Konto.

2. Gegen dieses Urteil meldete die Antragstellerin fristgerecht Berufung an und führte diese ebenso fristgerecht schriftlich aus (§489 Abs1 iVm §§463 ff. StPO). Anlässlich der Ausführung dieses Rechtsmittels stellte sie den hier in Rede stehenden Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B VG.

Darin bringt sie im Wesentlichen vor, dass §153 StGB grundsätzlich ein Offizialdelikt sei, das von der Staatsanwaltschaft zu verfolgen sei. Gesetzliche Ausnahme sei aber die Begehung der Tat im Familienkreis; eine solche Tat sei nicht von der Staatsanwaltschaft zu verfolgen, sondern nur auf Verlangen des Verletzten (Privatanklagedelikt; §166 Abs3 StGB iVm §71 StPO). §166 Abs1 StGB differenziere nun in Sachen "Familienkreis" zwischen Ehegatten, eingetragenen Partnern, Verwandten in gerader Linie und Geschwistern einerseits und anderen Angehörigen andererseits insofern, als die Vorschrift für die zweite Gruppe (andere Angehörige) nur gelte, wenn der Täter mit diesen Angehörigen in Hausgemeinschaft lebe. Die Antragstellerin falle als Wahlkind des Opfers in diese zweite Gruppe und werde daher von §166 Abs1 StGB nicht erfasst, da sie mit dem Opfer nicht in Hausgemeinschaft lebe. Die Differenzierung zwischen leiblichen Kindern einerseits (Verwandten gerader Linie; keine Hausgemeinschaft mit dem Opfer erforderlich) und Wahlkindern andererseits (Hausgemeinschaft mit dem Opfer erforderlich) sei aber gleichheitswidrig (Art2 StGG, Art7 B VG).

IV. Zulässigkeit

Der Antrag ist unzulässig.

1. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

2. Dieser Grundposition folgend hat der Verfassungsgerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011, 20.154/2017). Der Antragsteller hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des Antragstellers teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; VfGH 10.3.2015, G201/2014).

Zur Zulässigkeit des Hauptantrages auf Aufhebung einer bestimmten Wortfolge in §72 Abs1 StGB:

3. Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes kommt Legaldefinitionen in der Regel keine eigenständige normative Bedeutung zu, eine solche wird vielmehr grundsätzlich erst im Zusammenhang mit anderen Regelungen bewirkt, die diesen Begriff verwenden (VfSlg 17.340/2004, 18.087/2007, 20.213/2017 uva.).

3.1. Der Hauptantrag auf Aufhebung einer näher bestimmten Wortfolge in §72 Abs1 StGB richtet sich ausschließlich gegen Elemente einer Legaldefinition, der selbst keine eigenständige Bedeutung zukommt. §72 StGB beschreibt lediglich den Begriff des "Angehörigen", ohne eigenständige normative Bedeutung zu entfalten; normativen Gehalt erfährt dieser Begriff erst in Verbindung mit jenen Vorschriften, die den Begriff des "Angehörigen" verwenden, zB §33 Abs2 Z2 oder §166 Abs1 StGB.

3.2. Da die Antragstellerin mit ihrem Hauptantrag bestimmte Wortfolgen in §72 Abs1 StGB isoliert und nicht gemeinsam mit §166 StGB anficht, erweist sich dieser wegen zu eng gewählten Anfechtungsumfanges als unzulässig.

4. Zudem begehrt die Antragstellerin mit ihrem Hauptantrag, in §72 Abs1 StGB die Wortfolge " (…) ihre Wahl- (…)eltern, ihre Wahl- (…) Kinder " aufzuheben.

Die dann verbleibende Wendung "oder die Mutter ihres Kindes, und Pflege, und Pflege, sowie Personen" wäre sprachlich unverständlich. Unzulässig ist ein Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B VG aber auch dann, wenn der im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Rest einer Gesetzesstelle als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre (VfSlg 16.279/2001, 19.413/2011 uva.).

Auch aus diesem Grund erweist sich der Hauptantrag als unzulässig.

Zur Zulässigkeit des Eventualantrages auf Aufhebung einer bestimmten Wortfolge in §166 Abs1 StGB:

5. Für den Fall, dass der Verfassungsgerichtshof die zum Hauptantrag vorgebrachten Bedenken nicht teilt, stellt die Antragstellerin einen Eventualantrag auf Aufhebung bestimmter Wortfolgen in §166 Abs1 StGB. Der Eintritt der von der Antragstellerin für die Stellung des Eventualbegehrens gestellten Bedingung der Abweisung des Hauptantrags setzt aber dessen Zulässigkeit voraus. Da sich der Hauptantrag auf Grund zu engen Anfechtungsumfanges als unzulässig erweist, ist auf das Eventualbegehren nicht einzugehen (VfGH 24.11.2020, G133/2020).

V. Ergebnis

1. Der Antrag ist als unzulässig zurückzuweisen.

2. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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