Leitsatz
Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot auf Grund rechtskräftiger Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens durch das Landesverwaltungsgericht
Spruch
I. Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art4 Abs1 7. ZPEMRK, wegen derselben Sache nicht zweimal verfolgt zu werden, verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Das Land Niederösterreich ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Veterinärabteilung der Bezirkshauptmannschaft Waidhofen an der Thaya übermittelte mit Schreiben vom 22. November 2023 der Strafabteilung derselben Verwaltungsbehörde einen Strafantrag, in dem sie sechs Vorfälle betreffend die Beschwerdeführerin schildert; der Vorfall 4 wird wie folgt beschrieben (ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen):
"Polizeibericht GZ: PAD/23/00877920/007/VW v. 30.08.2023
Am 30.08.2023 um 06.38 Uhr wurde die PI D[.] von der BLZWaidhofen/Thaya verständigt, dass Herr F[.] aus T[.] eine Anzeige über freilaufende Pferde erstattet habe. Da angenommen werden konnte, dass es sich um die wiederholt entlaufenen Pferde von [der Beschwerdeführerin] handelte, wurde versucht diese telefonisch zu erreichen, was aber nicht gelang. Während der Bestreifung des Nahbereichs von T[.] wurde über Funk mitgeteilt, dass eine männliche Person telefonisch die Suche nach den Pferden zusicherte. Da bis 08.15 Uhr keine Sichtung der Pferde durch die Beamten und auch keine weitere Anzeige erfolgte, wurde die weitere Suche nach den Tieren eingestellt.
Tatzeitpunkt: 30.08.2023, 06:38 Uhr
Tatort: Ortschaft T[.]"
2. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Waidhofen an der Thaya vom 18. Jänner 2024 wurden über die Beschwerdeführerin wegen neun Verwaltungsübertretungen nach dem Tierschutzgesetz (TSchG) gemäß §38 leg cit Verwaltungsstrafen iHv jeweils € 1.000,– (jeweils 44 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe) sowie ein Kostenbeitrag gemäß §64 Abs2 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG) von 10 %, insgesamt sohin € 9.900,–, verhängt; die Tatbeschreibung der unter §19 TSchG subsumierten Verwaltungsübertretung 4. lautet folgendermaßen (ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen):
"Sie haben es als Tierhalterin zu verantworten, dass am 30.08.2023 um 06:38 Uhr die Haltungsanlagen (Koppeln) für Ihre Pferdehaltung in […] K[.], am Areal D[.]straße 21, unzureichend ausgeführt bzw gewartet waren, sodass wiederholt Equiden aus dieser Haltungsanlage auf Straßen mit öffentlichem Verkehr entlaufen konnten und dadurch den Gefahren des öffentlichen Straßenverkehrs ausgesetzt waren, obwohl Tiere, die vorübergehend oder dauernd nicht in Unterkünften untergebracht sind, soweit möglich vor sonstigen Gefahren für Ihr Wohlbefinden zu schützen sind.
Zum obgenanntem Zeitpunkt sind zum wiederholten Male Ihre Pferde frei herumgelaufen. Ihre Pferde befanden sich im Ortsgebiet von T[.]."
3. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich gab mit – unangefochten gebliebenem – Erkenntnis vom 3. Mai 2024 der von der Beschwerdeführerin erhobenen Beschwerde Folge, behob das angefochtene Straferkenntnis und stellte das Verwaltungsstrafverfahren gemäß §45 Abs1 VStG ein. Begründend führte es zu Punkt 4. aus, das Beweisverfahren habe ergeben, dass die als Tatort angelastete Haltungsanlage in der D.straße 21 von der Beschwerdeführerin zum Tatzeitpunkt nicht mehr benützt worden sei und die Tiere somit – entgegen dem Tatvorwurf – aus dieser nicht entkommen hätten können. Die Pferde seien von einer Koppel in der D.straße 23 entkommen. Am Ende des genannten Erkenntnisses weist das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich darauf hin, dass es der Behörde freistehe, innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist eine neuerliche Tatanlastung unter Angabe des tatsächlichen Tatortes an die Beschwerdeführerin zu richten.
4. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Waidhofen an der Thaya vom 3. Juni 2024 wurden über die Beschwerdeführerin wegen zwei Verwaltungsübertretungen nach dem TSchG gemäß §38 leg cit Verwaltungsstrafen iHv jeweils € 1.000,– (einmal 44 Stunden, einmal 22 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe) sowie ein Kostenbeitrag gemäß §64 Abs2 VStG iHv € 400,–, insgesamt sohin € 2.400,–, verhängt (sowie das Verwaltungsstrafverfahren betreffend zwei weitere – vom genannten Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich ebenfalls erfasste – Tatvorwürfe gemäß §45 Abs1 Z1 VStG eingestellt); die Tatbeschreibung der unter §19 TSchG subsumierten Verwaltungsübertretung 1. lautet folgendermaßen:
"Sie haben es als Tierhalterin zu verantworten, dass am 30.08.2023 um 06:38 Uhr die Haltungsanlagen (Koppeln) für Ihre Pferdehaltung in […] K[.], am Areal D[.]straße 23 ('F[.]wiese'), unzureichend ausgeführt bzw gewartet waren, sodass Equiden aus dieser Haltungsanlage auf Straßen mit öffentlichem Verkehr entlaufen konnten und dadurch den Gefahren des öffentlichen Straßenverkehrs ausgesetzt waren, obwohl Tiere, die vorübergehend oder dauernd nicht in Unterkünften untergebracht sind, soweit möglich vor sonstigen Gefahren für Ihr Wohlbefinden zu schützen sind.
Zum obgenanntem Zeitpunkt sind zum wiederholten Male drei Pferde frei herumgelaufen. Ihre Pferde befanden sich im Ortsgebiet von T[.]."
5. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich gab mit Erkenntnis vom 6. September 2024 der von der Beschwerdeführerin erhobenen Beschwerde dahingehend Folge, dass zu Spruchpunkt 1. der Kostenbeitrag zum Verwaltungsstrafverfahren mit € 100,– festgesetzt wird sowie der Spruchpunkt 2. aufgehoben und diesbezüglich gemäß §45 Abs1 Z1 VStG die Einstellung des Strafverfahrens verfügt wird (zudem wurde die Beschwerdeführerin zur Zahlung eines Beitrages zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens iHv € 200,– verpflichtet). Begründend führt das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich zum in der Beschwerde erstatteten Vorbringen, der Verfolgung wegen des dem ersten Spruchpunkt zugrunde liegenden Verhaltens stehe das Doppelverfolgungsverbot entgegen, aus, die Beschwerdeführerin verkenne, dass der ursprünglich angenommene und der nunmehr zugrunde gelegte Tatort gerade nicht ident seien, sondern die Tatorte mehr als 200 m auseinander liegen würden. Tatort dieses abstrakten Gefährdungsdeliktes sei nämlich nicht jener Ort, an dem eine (tatbestandsmäßig nicht erforderliche) konkrete Gefährdung oder Rechtsgutverletzung eintrete, sondern der Ort der unsachgemäßen Haltung. Andernfalls hätte bereits im Vorverfahren der Tatort "präzisiert" werden können.
6. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht gemäß Art4 Abs1 7. ZPEMRK, nicht zweimal wegen derselben Sache verfolgt zu werden, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.
7. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat die Gerichtsakten vorgelegt, aber keine Gegenschrift erstattet.
8. Die Bezirkshauptmannschaft Waidhofen an der Thaya hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Äußerung jedoch abgesehen.
II. Rechtslage
Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
§19 und §38 Abs1 bis 3 TSchG, BGBl I 118/2004, idF BGBl I 130/2022 laute(te)n:
"Nicht in Unterkünften untergebrachte Tiere
§19. Tiere, die vorübergehend oder dauernd nicht in Unterkünften untergebracht sind, sind soweit erforderlich vor widrigen Witterungsbedingungen und soweit möglich vor Raubtieren und sonstigen Gefahren für ihr Wohlbefinden zu schützen.
4. Hauptstück
Straf- und Schlussbestimmungen
Strafbestimmungen
§38. (1) Wer gegen die Bestimmungen der in der Anlage genannten unmittelbar anwendbaren Rechtsakte der Europäischen Union oder gegen die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes verstößt, indem er
1. einem Tier entgegen §5 Schmerzen, Leiden, Schäden oder schwere Angst zufügt oder
2. ein Tier entgegen §6 tötet oder
3. an einem Tier entgegen §7 Eingriffe vornimmt oder
4. gegen §8 verstößt,
begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Behörde mit einer Geldstrafe bis zu 7 500 Euro, im Wiederholungsfall bis zu 15 000 Euro zu bestrafen.
(2) In schweren Fällen der Tierquälerei ist eine Strafe von mindestens 2 000 Euro zu verhängen.
(3) Wer außer in den Fällen der Abs1 und 2 gegen §§5, 7, 8a, 9, 11 bis 32, 32c, 32d, 36 Abs2 oder 39 oder gegen auf diese Bestimmungen gegründete Verwaltungsakte oder gegen eine Bestimmung der in der Anlage genannten unmittelbar anwendbaren Rechtsakte der Europäischen Union verstößt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Behörde mit einer Geldstrafe bis zu 3 750 Euro, im Wiederholungsfall bis zu 7 500 Euro zu bestrafen.
"
III. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Gemäß Art4 Abs1 7. ZPEMRK darf niemand wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden.
Art4 Abs1 7. ZPEMRK verbietet die Wiederholung eines Strafverfahrens, welches mit einer endgültigen Entscheidung beendet worden ist. Eine Entscheidung – Freispruch oder Verurteilung – ist dann als endgültig ("final") anzusehen, wenn sie die Wirkung einer res iudicataerlangt hat. Das ist der Fall, wenn sie unwiderruflich ist, dh wenn keine ordentlichen Rechtsmittel mehr vorhanden sind, alle Rechtsmittel ergriffen wurden oder Rechtsmittelfristen ergebnislos verstrichen sind (VwGH 26.9.2018, Ra 2017/17/0474).
3. Dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich ist folgender Fehler unterlaufen:
Mit Erkenntnis vom 3. Mai 2024 gab das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich der Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen die Bestrafung ua wegen des oben geschilderten Verhaltens – entgegen seiner Verpflichtung zur Entscheidung in der Sache in Fällen der Nennung eines unrichtigen Tatortes im Straferkenntnis (vgl VwGH 30.3.2023, Ra 2023/07/0041, mwN) – Folge, behob das angefochtene Straferkenntnis und stellte das Verwaltungsstrafverfahren gemäß §45 Abs1 VStG ein. Dieses Erkenntnis erwuchs unangefochten in Rechtskraft.
Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 6. September 2024 gab das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich ua der Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen ein weiteres Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Waidhofen an der Thaya betreffend dasselbe Verhalten keine Folge.
Beiden Erkenntnissen des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich liegt mit dem Verstoß gegen §19 TSchG durch die Beschwerdeführerin am 30. August 2023, 6:38 Uhr, dieselbe strafbare Handlung zugrunde; auch der nunmehr angenommene Tatort (D.straße 23 statt 21) stand bereits zum Zeitpunkt der Erlassung des ersten Erkenntnisses des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 3. Mai 2024 fest, mit dem jedoch das diesbezügliche Verwaltungsstrafverfahren – rechtskräftig – eingestellt worden ist. Zudem sind Erkenntnisse von Verwaltungsgerichten endgültige Entscheidungen iSd Art4 Abs1 7. ZPEMRK, weil keine ordentlichen Rechtsmittel gegen diese mehr ergriffen werden können (die Revision an den Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gemäß Art144 B VG werden nicht als ordentliche Rechtsmittel gesehen; siehe dazu Kolonovits/Muzak/Stöger , Grundriss des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts 12 , 2024, Rz 856, mwN).
Die Beschwerdeführerin wurde sohin wegen derselben Sache zweimal verfolgt.
IV. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art4 Abs1 7. ZPEMRK, wegen derselben Sache nicht zweimal verfolgt zu werden, verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.